Protokoll der Sitzung vom 20.11.2008

Während Sie noch bei der Diagnose sind, haben wir bereits mit dem Kurieren begonnen. Die Schwächen des Hamburger Schulsystems – seit Jahrzehnten begleiten sie uns – sind von uns in den letzten Jahren systematisch und ohne ideologische Vorbehalte analysiert worden und werden jetzt beseitigt und dies – und das ist das Interessante – in einem Prozess mit allen Beteiligten. Viele Antworten auf Fragen, die Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten von der SPD, gestellt haben, haben wir schon vor einem Jahr gefunden.

(Wilfried Buss SPD: Welche denn?)

Anscheinend waren Sie damals – das geschieht ja häufig – mit innerparteilichen Auseinandersetzungen so belastet und haben vergessen, was wir gemeinsam in der Enquete-Kommission erarbeitet haben.

(Beifall bei der CDU)

Es sind fünf Bereiche: PISA-Risikogruppen senken – wir haben die Schritte unternommen, Hebung des Bildungsniveaus, Qualität von Schule verbessern, Bildungsfinanzierungen überprüfen. Wir stellen auch wesentlich mehr Geld ein und zu guter Letzt die Vielseitigkeit des Hamburger Schulsystems zu reduzieren. Im Endeffekt haben Sie inhaltlich auch dazu Ja gesagt.

Meine Damen und Herren von der SPD, vielleicht dürfte auch Ihnen aufgefallen sein, dass sowohl der alte als auch der von Ole von Beust neu geführte Senat genau an diesen Themen arbeitet. Die Antworten auf die Probleme werden seit eineinhalb Jahren umgesetzt.

Zum Thema Sitzenbleiben: Wir haben natürlich die Maßnahmen getroffen, damit an einigen ausgewählten Schulen überlegt wird, wie man das gerecht gestalten kann und wie man, ohne dass zusätzlich neue Reformen übergestülpt werden, das Sitzenbleiben abschaffen kann. Dazu brauchen wir aber Erfahrungen. Wir haben in diesem Bereich Fördermaßnahmen eingesetzt und sie greifen. Wir werden diesen Weg konsequent weiter beschreiten.

Wenn man Ihre Große Anfrage liest, könnte man meinen, Sie wären in den letzten eineinhalb Jahren in einen Dornröschenschlaf versunken. Aber wir müssen gar nicht in die Geschichte gehen. Angesichts Ihrer inneren Zerstrittenheit kann ich den Sinn Ihrer Großen Anfrage nur als Kitt für parteiinterne schulische Grabenkämpfe sehen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Sie stellen Suggestivfragen. Das kann jeder politische Neuling. Aber eindeutig Stellung zu Lösungsansätzen zu nehmen, das scheinen Sie sich nicht zu trauen.

(Ingo Egloff SPD: Wie steht denn Ihre Partei zur Primarschule?)

Sie erfüllen Ihre eigenen Erwartungen nicht. Hatten Sie sich nicht vorgenommen, eine konstruktive Opposition zu betreiben? Wir sehen stattdessen, dass Sie einem Entwicklungsprozess der regionalen Schulentwicklungskonferenzen ständig vorgreifen wollen und so den demokratischen Beteiligungsprozess ad absurdum führen.

(Wilfried Buss SPD: Was ist denn daran de- mokratisch?)

Nun haben Sie durch Ihre Große Anfrage wertvolle Ressourcen gebunden, obwohl wir doch den Befund und Ihre Kritik, die wir in vielen Dingen teilen, schon vor eineinhalb Jahren festgestellt haben. Der Unterschied zu uns besteht darin, dass wir die Zeit in den letzten Monaten genutzt und die Weichen gestellt haben. Sie hingegen sind im Damals stehengeblieben und betrachten immer noch die alten Gleise. Wenn Sie heute die PISA-Reform kritisieren, dann sei Ihnen gesagt: PISA 2006-E hat für Hamburg auch Verbesserungen gezeigt. Sie müssen es genau lesen. Sie reichen uns nicht aus, aber es sind Verbesserungen. Lesen Sie bitte den genauen Befund. Zunächst sei allerdings noch auf die schlechte Vergleichbarkeit von Stadtstaaten und Flächenstaaten hingewiesen.

(Wilfried Buss SPD: Ausreden!)

Dazu brauche ich nichts zu sagen, denn Ihr Parteifreund Zöllner in Berlin hat in den letzten Tagen mehrere Interviews dazu gegeben und das können wir verstehen. Wenn Sie dem Parteifreund Zöllner nicht glauben, dann können wir Ihnen auch nicht helfen.

(Michael Neumann SPD: Können Sie sowie- so nicht!)

Sie können sich vorstellen, dass wir uns als CDU natürlich nicht nur auf Zöllner verlassen, aber wir wissen, dass die Faktoren, die zu dem Ergebnis geführt haben, von uns auch weiterhin bearbeitet werden. Ich habe eben schon gesagt, dass wir mit den Ergebnissen nicht zufrieden sind. Aber mit der Abschaffung der Hauptschule – das haben wir gemeinsam gemacht –, mit der Einführung des zwei

gliedrigen Schulsystems, von dem Sie eben auch gesprochen haben, mit der Verkleinerung von Grundschulklassen in sozialen Problemstadtteilen haben wir die richtigen Maßnahmen eingeleitet. Für ganz Deutschland ist es erfreulich, dass sich die Leistungsergebnisse der Gymnasien in dieser PISA-Studie nochmals verbessert haben. Daraus leiten wir den Anspruch ab, weiterhin in Hamburg leistungsfähige Gymnasien, aber auch leistungsfähige Schüler in allen Schulformen mit ihren Neigungen, Talenten, Hoffnungen und Erwartungen zu fördern. Den Eltern können wir sagen, dass wir uns weiterhin für Schulqualität einsetzen.

(Wilfried Buss SPD: Das merken die nur nicht!)

Ich hoffe, wenn Sie die Große Anfrage gut gelesen haben, dass sich die SPD jetzt genug in Zahlen gewälzt hat und wieder als konstruktiver Gesprächspartner für den schon lange von uns eingeleiteten Reformprozess des Hamburger Schulsystems zur Verfügung steht.

Der Erste Bürgermeister, Ole von Beust, Christa Goetsch, die Schulsenatorin, die CDU und die GAL,

(Michael Neumann SPD: Und der liebe Gott! – Wilfried Buss SPD: Und Marino Freistedt!)

sind Garanten für eine kluge und erfolgversprechende Gestaltung und Verbesserung des Hamburger Schulsystems. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort bekommt Herr Gwosdz.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Leider ist es so, dass wir nach wie vor noch zu viele Hürden im Hamburger Schulsystem haben. Darüber sind wir uns, glaube ich, auch einig. Das hat die Antwort auf die Große Anfrage der SPD gezeigt und das zeigen auch die gerade erschienenen PISA-Ergebnisse. Der Anteil der Jugendlichen, die an ihren Lesekompetenzen scheitern, ist in Deutschland erschreckend hoch und am höchsten leider bei uns in Hamburg.

Was wir nicht genau wissen, ist, wie es mit der Lesekompetenz der Eltern aussieht.

(Wilfried Buss SPD: Und der CDU!)

Doch die Vermutung liegt nahe, dass es hier teilweise auch nicht besser aussieht, denn der Zusammenhang zwischen schulischem Erfolg und sozialer Herkunft ist noch immer hoch.

Angesichts dieser mangelnden Lesekompetenzen ist ein Schulsystem, das sich mit derart komplizierten Grafiken, wie zum Beispiel der Grafik aus dem Elternratgeber "Den richtigen Weg wählen" darstel

len lässt, eines, das für viele Beteiligte undurchschaubar und unverständlich bleibt. Ein so wenig verständliches Schulsystem mit seiner Vielgliedrigkeit baut zwischen den verschiedenen Schulformen zu viele Hürden auf. Auf der Suche nach dem richtigen Weg für das jeweilige Schulkind bleiben logischerweise diejenigen hängen, die diese Komplexität nicht durchschauen.

Diese Komplexität des Schulsystems führt zu einem ersten großen Hindernis. Welches der richtige Weg für die Schullaufbahn ist, ist für viele nicht erkennbar. Die zweite große Hürde in diesem komplexen System belegt die Antwort auf die Große Anfrage. Deutlich mehr Schülerinnen und Schüler werden von weiterführenden Schulformen nach unten durchgereicht. Den umgekehrten Weg zu weiterführenden Schulen finden dagegen nur wenige. Ich glaube, in der Analyse des Ist-Zustandes, sind wir uns alle einig.

(Wilfried Buss SPD: Nee, Herr Freistedt nicht!)

Aus diesem Grund sind wir es Hamburgs Kindern und Jugendlichen schuldig, das Schulsystem drastisch zu vereinfachen. Mit den beiden künftigen Säulen Gymnasium oder Stadtteilschule steht allen Schülerinnen und Schülern der direkte Weg zum höchstmöglichen Schulabschluss offen. Einen Weg, der die Schullaufbahn in eine Sackgasse führt, soll es dann nicht mehr geben.

Ein zweiter wichtiger Schritt unserer gemeinsamen Bemühungen ist die Verlängerung des gemeinsamen Lernens. Dieses hat zunächst einen wichtigen Vorteil. Der Zeitpunkt des Übergangs auf die weiterführende Schule verschiebt sich. Wir wissen heute, dass die spätere Leistungsentwicklung der Kinder in der vierten Klasse nicht sicher zu diagnostizieren ist.

(Wilfried Buss SPD: In der sechsten Klasse auch nicht!)

Diese Unsicherheit führt dazu, dass sich die Übertrittsempfehlungen zu häufig an sozialen Kriterien orientieren. Auch das ist eine Hürde im Schulsystem. Leider zeigen Untersuchungen auch, dass die Eltern diese Orientierung an der sozialen Herkunft noch verstärken. Am Ende haben wir dadurch – auch das belegen die jüngsten PISA-Ergebnisse wieder – eine erstaunliche Bandbreite an Leistungen in jeder Schulform und dabei auch bemerkenswerte Überlappungen zwischen Hauptschule, Realschule und Gymnasium sowie all den anderen Schulformen.

Indem wir den Übertritt auf die weiterführende Schulform um zwei Jahre nach hinten verlegen, ermöglichen wir einen längeren Beobachtungszeitraum, um eine sichere Prognose für den weiteren Werdegang des Kindes zu ermöglichen. Parallel dazu nimmt das Zwei-Säulen-Modell der Empfehlung dann die Dramatik. Es geht nicht mehr um die

(Marino Freistedt)

Frage, ob das Kind abiturfähig ist oder nicht, sondern nur noch darum, welche der beiden Wege passend für das Kind ist. Längeres gemeinsames Lernen führt damit zu mehr Gerechtigkeit und baut Hürden ab.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Doch natürlich gibt es nicht nur Hürden zwischen den Schulformen, sondern auch innerhalb der Schulen selbst und darauf fokussiert die Anfrage unter anderem auch. Ein wesentliches Problem dabei ist das Sitzenbleiben. Die Zahl der Klassenwiederholungen betrug auch im letzten Schuljahr über 4000 Fälle. Das weist auf einen fahrlässigen Umgang mit Ressourcen hin, sowohl mit finanziellen, aber auch mit der Ressource Zeit. "Verschwende deine Jugend" hieß ein Song der frühen Achtzigerjahre. Aber die Jugend zu verschwenden durch erzwungenes Sitzenbleiben war sicherlich nicht gemeint. Klassenwiederholungen resultieren aus der Vorstellung, es gebe ein Standardtempo des Lernens. Doch ein solches Standardtempo stellt keinen Wert an sich dar. Es darf nicht über jahrgangsweise Wiederholung von Schulzeit durchgesetzt werden, zumal dies – auch das wissen wir – kaum Erfolge zeigt. Die betroffenen Schülerinnen und Schüler werden aus dem vertrauten Umfeld des Klassenverbandes gerissen, müssen oft das wiederholen, was sie bereits können, erfahren in ihren Schwächen keine individuelle Förderung und machen daher kaum noch Lernfortschritte. Daher gilt es – und da sind wir uns ebenfalls einig –, die Gestaltung wie die Nutzung des schulischen Angebotes zu individualisieren. Dadurch wird eine gleichzeitige Beschleunigung beziehungsweise Verlangsamung von Lernprozessen ermöglicht, während die Zahl der Klassenwiederholungen reduziert wird. Genau dieses Ziel streben wir gemeinsam mit der Reform des Unterrichts an. Es ist weitaus sinnvoller, die Zeit der Kinder und Jugendlichen, aber auch die Haushaltsmittel für individuelle Förderung als für Wiederholungen einzusetzen. Zwischen 5000 und 7000 Euro pro Schüler an einer Regelschule kostet ein Jahr Wiederholung. Dieses Geld ist in einer individuellen Förderung weitaus besser angelegt.

(Beifall bei der GAL und bei Marino Freistedt und Alexandra Dinges-Dierig, beide CDU)

Eine dritte Hürde möchte ich abschließend kurz ansprechen und das ist die Phase der Einschulung, Frau Ernst hat es bereits dargestellt. Es gibt eine Reihe von Kindern, die sich zügiger entwickeln als andere. Auch die Zahl der vorzeitig eingeschulten Kinder ist gestiegen. Das zeigt der Rückblick auf Ihre älteren Anfragen. Dennoch ist das mittlere Alter bei der Einschulung konstant bei ungefähr sechseinhalb Jahren. Daher wird es künftig nicht nur einen, sondern zwei Einschulungstermine in die Primarschule geben.

(Vizepräsident Wolfgang Joithe-von Krosigk übernimmt den Vorsitz.)

Damit können Kinder schneller an das schulische Lernen herangeführt werden, wenn sie zum Beispiel den Umgang mit Buchstaben oder Zahlen entdecken und soweit sind, in die Schullaufbahn einzusteigen. Die unnötige Wartezeit, weil das Kind diesen Schritt zum Umgang mit Zahlen und Buchstaben erst kurz nach dem jährlichen Einschulungstermin gemacht hat, wird dadurch verkürzt. Gleichzeitig wird es der jahrgangsübergreifende Unterricht in der Eingangsphase der Primarschule ermöglichen, diese Eingangsphase je nach dem individuellen Förderbedarf in unterschiedlicher Zeit zu durchlaufen. Dieser Schritt erhöht zusammen mit den Maßnahmen im vorschulischen Bereich die Chancen, die unterschiedlichen Voraussetzungen, die Kinder in die Schule mitbringen, anzugleichen. Unser Ziel ist klar: In der Zukunft werden wir nicht mehr von Hürden im Schulsystem sprechen. Es wird keine Hürden mehr geben, zu deren Überwindung die Kinder exzellente Hürdenläufer sein müssen. Das ist natürlich weit in die Zukunft gedacht. Allenfalls – so sollte die Zukunft im Schulsystem aussehen – wird es noch Schwellen geben, aber Schwellen, die die Kinder gerne übertreten werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Frau Heyenn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die SPD hat eine sehr umfangreiche Anfrage gestellt und den Fokus auf die Probleme im Hamburger Schulwesen gelegt. Es ist einiges besprochen worden, die hohe Zahl der Klassenwiederholungen mit der mangelnden Durchlässigkeit, die nur in eine Richtung funktioniert, nämlich nach unten und der hohen sozialen Selektivität unseres Schulsystems, was uns vor einigen Tagen wieder bestätigt worden ist.

Herr Freistedt, ich kann nun wirklich an der PISA-E-Studie, die am 18. November erschienen ist, nichts beschönigen, was Hamburg betrifft. Wir sind in allen drei Kompetenzen auf dem vorletzten Platz. Da wäre es fatal zu sagen, an dem Punkt und hinter dem Komma ist noch etwas Positives.