Herr Freistedt, ich kann nun wirklich an der PISA-E-Studie, die am 18. November erschienen ist, nichts beschönigen, was Hamburg betrifft. Wir sind in allen drei Kompetenzen auf dem vorletzten Platz. Da wäre es fatal zu sagen, an dem Punkt und hinter dem Komma ist noch etwas Positives.
Die gesamte Anfrage betrifft natürlich die komplexe Situation im Schulsystem. Das geht schon über Jahre und Jahrzehnte, aber jetzt befindet sich das Schulsystem in Hamburg in besonderer Unruhe, es sollen Dinge auf den Weg gebracht werden. Ich persönlich glaube nicht daran, dass das Zwei-Säulen-Modell und der Einstieg in die Primarschule problemlos gehen wird und die Ursache dafür liegt in der Koalition und weniger woanders. Deshalb
möchte ich auf Herrn Beuß zurückkommen. Der würde jetzt bestimmt sagen, man sollte nicht über ungelegte Eier reden.
Insofern möchte ich mich auf einen Problembereich im Hamburger Schulsystem beschränken, der ein bisschen geglättet wurde und in der Öffentlichkeit anders wahrgenommen worden ist, als es tatsächlich praktiziert wird. Wir haben, gleich nachdem die Koalition gestartet ist, gemeinsam beschlossen, dass es die isolierte Hauptschule nicht mehr geben soll. Sechs Wochen später habe ich dann im Amtsblatt die Ausführungsverordnung zur Abschaffung der isolierten Hauptschule gelesen. Ich bin ganz sicher, dass viele in der Stadt glauben, dass es die Hauptschule ab Klasse sieben nicht mehr gibt und das ist ein grundlegender Irrtum. Ich habe mir die Ausführungsbestimmungen durchgelesen und danach sieht es so aus, dass es im Januar bei den Zeugniskonferenzen dann eben H-Noten und R-Noten geben wird und die Schüler, die überwiegend H-Noten bekommen, bekommen zum Halbjahr entweder ein Hauptschulzeugnis oder ein Realschulzeugnis, sodass die Vorstellung, die Hauptschule sei abgeschafft, leider überhaupt nicht zutrifft und es nach wie vor auch Hauptschüler gibt. In dieser Ausführungsverordnung ist auch vorgesehen, dass Schülerinnen oder Schüler, die überwiegend H-Noten haben, nach der neunten Klasse wieder mit einem Hauptschulzeugnis abgehen. Das heißt, die Stigmatisierung, Hauptschüler zu sein und keine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben, ist leider überhaupt nicht abgeschafft.
Ich habe allerdings auch mit Interesse vernommen, dass es in der Schulbehörde ein Papier gibt, das genau an diesem Punkt ansetzt, wenn ich das richtig sehe, und man genau das abschaffen will, um einheitliche Abschlüsse zu bekommen und diese Stigmatisierung abzuschaffen. Uns von der LINKEN ist ganz wichtig, dass man, wenn man schon die Hauptschule abschafft, ob nun isoliert oder nicht, das auch mit Inhalten füllt, dass man einen einheitlichen Abschluss findet und deshalb alle Schüler zehn Jahre in die Schule gehen und man nicht junge Leute auf den Arbeitsmarkt schickt, wo sie absolut keine Chance haben.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal daran erinnern, dass wir auch noch reguläre Hauptschulklassen haben und die wahrscheinlich in eine ganz schwierige Situation kommen werden. Es sind besondere Förder- und Begleitungsmaßnahmen erforderlich, damit die auch wirklich Chancen auf einen Start ins Leben haben. Wir haben noch gerade ein Dreivierteljahr Zeit, um da wirklich etwas zu tun.
Unser Anliegen ist, dass genau an dieser Stelle – die höchste soziale Auslese findet bei den Hauptschülern statt, das sind noch 9 Prozent aller Schüler – verstärkt versucht wird, genau das Ge
genteil zu machen, dass sie mehr Chancen bekommen, die Abschlüsse mehr angeglichen werden und die Stigmatisierung aufhört.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir ein paar Vorbemerkungen. Zum einen, Frau Heyenn, sind wir der KMK verpflichtet und somit müssen weiterhin alle Abschlüsse gegeben sein. Auch in einem integrierten System ist man verpflichtet, einen Hauptschulabschluss zu geben. Die Frage ist natürlich, was man mit dem Hauptschulabschluss noch anstellen kann und was er wert ist.
Zweite Vorbemerkung: Der Bildungsbericht ist in Arbeit, er kommt wie gefordert, auch, um eine Fortschreibung der Schulentwicklung in Hamburg zu haben.
Dann finde ich es sehr spannend, dass ein kleiner Kampf zwischen den A- und B-Ländern entbrannt ist. Ich könnte mich jetzt als C-Land hinstellen, aber es bringt nichts, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen, denn wenn ich mir das aus neutraler Sicht anschaue, dann gab es sicherlich in den Neunzigerjahren Entscheidungen, die wegbereitend waren – das muss man an dieser Stelle sagen – und die alle anderen Bundesländer nachgemacht haben. Das ist die Einführung der verlässlichen Halbtagsgrundschule gewesen, in deren Genuss leider nur ein Viertel der Fünfzehnjährigen, die jetzt getestet wurden, gekommen sind. In Hamburg ist in den Neunzigerjahren durch Frau Raab die empirische Wende eingeleitet worden; auch das war ein wichtiger Schritt. Als Rot-Grün gemeinsam regiert hat, wurde aber versäumt, zum Beispiel Deutsch als Zweitsprache verbindlich in den Schulen zu unterrichten. Das ist erst in den letzten zwei Jahren gemacht worden.
Ich könnte jetzt viele Dinge aufzählen, die gemacht wurden und nicht gemacht wurden, die einen zu spät, die anderen nicht verbindlich. Wir konnten damals zum Beispiel die Hauptschule nicht gemeinsam abschaffen; das war vor zehn Jahren nicht möglich, obwohl wir Grüne es wollten. Dafür haben wir zehn Jahre länger gebraucht. Ich könnte eine Stunde darüber referieren, das werde ich jetzt aber nicht tun, sondern auf die Große Anfrage eingehen.
Es gibt nichts schönzureden, es gibt auch nichts bei PISA-E schönzureden, weil wir wirklich dramatische Ergebnisse haben und wir uns natürlich in der Analyse fragen müssen, wo gezielt weiter gearbeitet werden muss mit den Maßnahmen, die wir zum Teil eingeleitet haben. Das Beste wäre natür
lich, da jedes Kind ein Unikat ist, 220 000 Schulen in Hamburg zu bauen, um jedem Kind gerecht zu werden. Wir müssen aber den anderen Weg gehen und die Schulen so gestalten, dass diese Hürden abgebaut werden und die Abschlüsse so lange wie möglich offengehalten werden, ohne dass die Kinder zu früh abgeschult oder sortiert werden. Jeder von Ihnen, der Kinder hat, weiß, dass es Kinder gibt, die mit acht Jahren durchstarten, dann in der Pubertät einen Hänger haben und schließlich das Abitur mit Bravour machen. Andere quälen sich vielleicht durch die Grundschule und werden später Klassenprimus; es sind unterschiedliche Entwicklungen.
Wir wollen mit den sechs Jahren gemeinsamen Lernens diese Hürden abbauen und gehen zwei Wege. Ich nehme mit Freude das Wort Stadtteilschule in den Mund. Wir wollen über zwei Wege zum Abitur führen und diese Stadtteilschule wird hervorragend ausgestattet sein, weil wir sie sonst nicht in der Form durchführen können und sie nicht angewählt wird. Am Rahmenkonzept wird zurzeit gearbeitet und es muss der Weg offen bleiben für alle Kinder, egal in welches Elternhaus ein Kind hineingeboren wurde. Ich bin überrascht, dass da kein Applaus kommt.
Ich bin wirklich überrascht, da müsste vom ganzen Haus Applaus kommen, denn der Skandal ist, dass wir es immer noch nicht schaffen, die Spreizung zwischen sozialer oder kultureller Herkunft zu überwinden. Das ist das Drama, das geht uns alle an und damit haben wir alle etwas zu tun, egal, wann wir wo regiert haben.
Die PISA-E-Studie macht deutlich, dass Kinder, deren Eltern über weniger Einkommen verfügen, deren Eltern eine schlechtere Schulausbildung oder Ausbildung haben oder Eltern aus bildungsfernen Milieus systematisch in unserem System an den Rand gedrängt werden. Sie sind es, die an den Hürden scheitern, sie scheitern nicht an der Schule, sondern sie werden durch die Schule an den Rand gedrängt, weil die Schule es nicht schafft; ich komme im Einzelnen noch darauf zurück. Es geht darum, diesen Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Hintergrund und Schulleistungen endlich aufzulösen.
Ich komme noch einmal zu den Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Wie Sie alle wissen, habe ich dieses Anliegen nicht erst jetzt als Schulsenatorin, sondern seit 30 Jahren. Hier ist die Analyse von Frau Ernst richtig – das war vor 20 Jahren übrigens genauso und das ist das Schlimme –, dass überproportional Kinder mit Migrationshintergrund in die Förderschulen gesteckt werden, und zwar nicht, weil sie dümmer sind oder Lernbehinderungen haben, sondern weil die Kollegen und Kolle
ginnen in den Grundschulen sie dahin abschieben, da sie nicht die Sprache beherrschen, und das ist eine Schande.
Da muss in den Köpfen etwas anderes passieren neben der vielen Fortbildung, die schon stattfindet; an diesem Punkt müssen wir ansetzen. Die jetzt getesteten Fünfzehnjährigen kamen nicht in den Genuss einer konsequenten Sprachförderung, die nach der Viereinhalbjährigenuntersuchung nun stattfindet. Sie haben keine Sprachcamps erlebt und viele andere Dinge nicht, die erst seit einigen Jahren systematisch und verbindlich gemacht werden.
Es kommt noch ein anderer Punkt hinzu, an dem mir sehr gelegen ist und den wir nur schaffen, wenn wir gemeinsam die Ausbildung an der Universität verändern. Es kann nicht angehen, dass Lehrer und Lehrerinnen, die immer mit Kindern aus Einwanderungsfamilien zusammenkommen, nicht verbindlich und verpflichtend während ihres Universitätsstudiums den Umgang mit sozialer, kultureller und Leistungsheterogenität lernen müssen, und zwar verpflichtend und nicht fakultativ. Das müssen wir bei aller Autonomie der Hochschule gemeinsam durchsetzen, auch gemeinsam mit der Wissenschaftsbehörde. Es darf nicht heißen, ich mache das einmal oder als Chemielehrer habe ich doch mit Migrantenkindern nichts zu tun. Das kann und darf in Zukunft nicht mehr sein und daran müssen wir gemeinsam arbeiten.
Fachunterricht ist Sprachunterricht und das heißt, dass Deutsch als Zweitsprache in der Methodik und Didaktik nicht nur für Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer etwas ist, sondern für jeden Lehrer und auch in der Lehrerfortbildung. In unserer Fortbildungsoffensive individualisierter Unterricht wird das eine zentrale Querschnittsaufgabe sein. Alle Fächer müssen durchforsten, inwieweit sie in der Lage sind, nicht nur auf verschiedenen Leistungsniveaus Kompetenzstufen anzubieten, sondern auch dieses Thema zu behandeln.
Ich will noch einmal zur sozialen Situation kommen. Die PISA-E-Studie zeigt deutlich, dass sich in Hamburg soziale und mit ihnen leistungsbezogene Probleme kleinräumig in bestimmten Stadtregionen konzentrieren. Das wiederum schafft dann für einzelne Schulen extrem schwierige Bedingungen für erfolgreiches Unterrichten. Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass in der Region die Schüler auf verschiedene Schulen verteilt werden und dann kommt dieser Effekt der Restgruppenbildung. Insofern kommt zu der räumlichen Trennung noch eine schulformbezogene soziale Aufteilung und deshalb ist es so wichtig, die Schulstrukturen zu vereinfachen und die Vielgliedrigkeit zu reduzieren. Herr Gwosdz hat eben diese Übersicht hoch
gehalten. Wenn man das liest und nicht im pädagogischen Dschungel drin ist, dann kann man nur sagen, um Gottes willen, was haben wir hier für eine Vielgliedrigkeit, eine Zergliedertheit. Das haben wir auch gemeinsam in der Enquete-Kommission festgestellt.
Ich möchte aber noch eine andere Hürde ansprechen, nämlich den Übergang in die weiterführenden Schulen. Er muss neu gestaltet werden, das heißt, es muss bei den Entscheidungen nach der sechsten Klasse auch diagnostisch professionell eine bessere Beratung stattfinden, um eine höhere prognostische Validität zu erreichen. Wir müssen uns neben den Strukturfragen von der Illusion verabschieden, homogene Lerngruppen bilden zu können. Wir brauchen einen Unterricht, der individualisiert und den Schülern ein Lernen ermöglicht, wo es nicht darum geht, das man sozusagen auswendig lernt, sondern wir brauchen einen kompetenzorientierten Unterricht, der durch unseren Schulversuch – 54 Schulen machen ihn mit – gestartet wird.
Dann komme ich noch einmal zum Sitzenbleiben. Frau Ernst hat es sehr deutlich gesagt und über diesen Punkt reden wir seit vielen Jahren. Sitzenbleiben ist pädagogisch höchst fragwürdig und nur Deutschland hat diese hohe Sitzenbleiberquote im europäischen Vergleich. Wir wissen, dass Wiederholer, die die Klasse zum zweiten Mal machen, praktisch nichts dazulernen und es ist noch immens teuer dazu. Wir könnten Hunderte von Lehrern dafür einsetzen, individuell zu fördern, als Wiederholer zu unterrichten. Und noch ein weiterer Aspekt hierzu: Die Hürde könnte beseitigt werden, wenn wir viel mehr jahrgangsübergreifende Lerngruppen bilden, dann gibt es das Phänomen des Wiederholens überhaupt nicht mehr.
Dann noch eine Ergänzung zur Frühförderung. Frau Ernst, Sie haben nur die Spätentwickler, die Späteingeschulten erwähnt. Wir müssen aber dazu sagen, dass auch 13,4 Prozent der Hamburger Kinder vorzeitig eingeschult werden und das ist auch richtig so, weil man die Schnellen und Frühen nicht bremsen sollte. Die vorzeitige Einschulung, die damals große Aufregung erregt hat, hat übrigens Rot-Grün 1998 eingeführt. Man muss dann auch genau hingucken und wir müssen das für alle Kinder, je nach ihrer Entwicklung, entsprechend gestalten; Herr Gwosdz hat schon von der flexiblen Eingangsstufe gesprochen. Also unter dem Strich: Wir brauchen hier nichts schönzureden.
Nebenbei bemerkt werden wir uns vielleicht im Schulausschuss noch in den Details mit PISA-E auseinandersetzen. Die Gymnasien in Hamburg schneiden miserabel ab, sie stehen auf dem drittletzten Platz. Also wir können überhaupt nichts schönreden,
wir müssen uns an allen Stellen anstrengen. Wir schaffen es auch nicht, die Spitzen genug zu fordern; auch da haben wir zu tun. Man würde salopp sagen, wir packen es an und unsere Schulreform bietet dazu gute Möglichkeiten, eine Qualitätsoffensive, Fortbildung und eben nicht das frühe Aussortieren. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vielen Dank, Herr Gwosdz, vielen Dank auch Frau Senatorin für diese ehrlichen Sätze, die sich als Konsequenz sowohl aus der Großen Anfrage unserer Fraktion als auch aus den Ergebnissen der PISA-E-Studie ergeben. Wir haben gerade von der Senatorin gehört, Herr Freistedt, dass da nichts schönzureden sei. Sie werfen uns vor, wir wühlten nur in Statistiken herum und dann haben Sie selber mit dem Elektronenmikroskop in dieser Statistik herumgewühlt, um irgendwo irgendetwas vermeintlich Positives zu finden und haben nichts angeführt. Sie wollen doch mit all dem Getöse, das Sie in Ihrem Beitrag über uns losgelassen haben, nur von der Zerstrittenheit ablenken, die Sie bei diesem Thema in Ihrer Koalition haben,
denn der Beitrag sowohl von Herrn Gwosdz, den ich zu hundert Prozent unterstreichen kann, als auch der Beitrag der Senatorin haben deutlich gemacht, welchen Nachholbedarf Ihre gesamte Fraktion im Bereich von Bildungspolitik hat und wie zerstritten Sie insgesamt beim Thema Primarschule sind. Da brauche ich nur die Aussage der früheren Senatorin im heutigen "Hamburger Abendblatt" zu zitieren.
Wer so aufgestellt ist, kann doch nicht die Verantwortung für Hamburgs Schülerinnen und Schüler und deren Schulerfolg übernehmen und das auch noch für sich reklamieren; das ist nur noch Schönrednerei.
Dann behaupten Sie auch noch, Sie hätten sich den Problemen in den letzten sieben Jahren gestellt; darüber kann ich nur mühsam lächeln. Schon 2000 hat die damalige rot-grüne Regierung begonnen, sich gerade mit der frühkindlichen Sprachförderung auseinanderzusetzen und diese Sache auf den Weg zu bringen. Dann gab es 2001 und 2002 die entsprechenden Ergebnisse, die die damalige Schulsenatorin Rosemarie Raab bezie