Protokoll der Sitzung vom 10.12.2008

fand heraus, dass gerade die Bücher aus der Zeit direkt nach der Vereinigung die DDR mehr oder weniger unter "ferner liefen" behandeln. Das ist ein großes Manko in diesen Geschichtsbüchern.

Eine angemessene Berücksichtigung der DDR ist die absolute Ausnahme in den Geschichtsbüchern. Die Geschichtsbücher hängen hier deutlich hinter der Forschung zurück. Zum Beispiel wird in einem 2001 erschienenen Lehrbuch, in dem Abhandlungen über den 17. Juni stehen, auf Publikationen vor der Wendezeit verwiesen und das ist seiner Auffassung nach nicht der richtige Weg. Dabei gibt es durchaus positive Beispiele für Geschichtsbücher, zum Beispiel "Geschichte und Geschehen" und "Zeiten und Menschen". Sie erzählen DDRund bundesdeutsche Geschichte parallel und die Autoren vergleichen, wie die DDR und die Bundesrepublik mit den nationalsozialistischen Verbrechen umgegangen sind. Darauf hat auch Herr Roock hingewiesen. Die Selbstdefinition der DDR als antifaschistischer Staat, der mit den Regierungen nichts zu tun haben wollte und sich aus der Verantwortung gestohlen und versucht hat, sich auch aus der Wiedergutmachung herauszunehmen, vergleicht man in diesem Buch mit der Schlussstrichmentalität der Westdeutschen. Das wird durchaus reflektiert.

Natürlich bietet nicht jedes Thema eine entsprechende Vergleichsmöglichkeit, aber ich finde es sehr gut, Herr Roock, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass sich auch keine Partei aus der Verantwortung herausziehen kann. Was ich auch sehr schön fand, war, dass gesagt wurde, es sei nicht so, dass die Westdeutschen per se die Guten seien und die Ostdeutschen per se die Schlechten.

Zeitgemäße Lehrpläne können schlecht daran vorbeigehen – das wurde auch von Herr Gwosdz erwähnt –, dass mittlerweile in den Schulklassen, insbesondere der großen Städte, viele Schülerinnen und Schüler nicht deutscher Herkunft sind und daher das Interesse an diesem Thema nicht so groß ist. Der Hamburger Erziehungswissenschaftler Bodo von Borries hat die Auswertung der Geschichtsbücher an die Kultusministerkonferenz gegeben und er hofft ganz stark, dass seine Anregungen jetzt auch einfließen.

Wenn die Lehrbücher den veränderten Bedürfnissen nicht angepasst werden, dann stehen die Chancen für einen besseren Geschichtsunterricht auch weiterhin schlecht. Inwieweit die Schulen über neue Geschichtsbücher nachdenken und sie anschaffen können, hängt natürlich von den Finanzen ab und das dürfte in Hamburg wirklich kein Problem sein, denn wenn die Eltern Büchergeld zahlen, dann haben sie auch den Anspruch auf gute Bücher.

Die CDU fragt, was wissen Hamburger Schüler? Herr Roock, Sie haben gesagt, dass Sie weiter an diesem Thema dranbleiben möchten, dass das in

den Schulausschuss soll und dass die Aufklärung über die DDR verstärkt wird. Das unterstützen wir selbstverständlich. Wir sind generell für einen besseren und intensiveren Geschichtsunterricht. Nur aus dieser Großen Anfrage kann ich nicht erkennen, welche Konsequenzen Sie daraus ziehen. Stellen Sie jetzt einen Antrag?

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Es ist eine Anfrage!)

Wollen Sie an der Schule etwas verbessern? Das ist das, was mir fehlt. Ich kann nicht so richtig sehen, was Ihr Anliegen ist. Ansonsten finde ich es gut, dass das Thema behandelt wurde.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Frau Senatorin Goetsch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich denke, es war insgesamt ein weiter Weg für alle Menschen in Deutschland, ihre Gesellschaft zu einer Demokratie, zu einem sozialen Rechtsstaat zu entwickeln. Die Geschichte zeigt uns immer wieder das hohe Gut einer demokratischen Ordnung, wenn diese auch immer wieder durch neue Gefahren gefährdet ist. Sie zeigt uns immer wieder Menschen, Gruppen, Gruppierungen, die für die Demokratie gekämpft und ihr letztendlich auch zum Durchbruch verholfen haben. Dafür steht auch das direkte Beispiel der friedlichen Revolution in der DDR, an dem die Schülerinnen und Schüler lernen können, was es heißt, in Diktatur, in Unterdrückung und Verfolgung zu leben und diese Auseinandersetzung jetzt im Unterricht zu führen.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Richtig!)

Es ist schon mehrfach angesprochen worden, dass es wichtig ist, sich mit Zeitzeugen auseinanderzusetzen, was bei diesem Thema – Gott sei Dank – noch der Fall ist, die Gedenkstätten zu besuchen, die Geschichtsbücher sind genannt worden, aber auch Filme zu sehen. Dafür tragen wir eine große Verantwortung. Deshalb ist das Thema DDR auch integraler Bestandteil des Geschichtsunterrichts der deutschen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts. Alle Hamburger Schulen sind nach dem Hamburger Schulgesetz dazu auch verpflichtet.

Wie die Antwort auf die Große Anfrage sagt, ist die Geschichte der DDR verbindlicher Unterrichtsinhalt in den Bildungsplänen der Sekundarstufe I und II. Es fahren auch viele Schulklassen zu den Gedenkstätten des DDR-Regimes nach Berlin. Es gibt hier auch die Zeitzeugentreffen. Ich sehe den Film "Das Leben der Anderen" etwas anders als Sie, Frau Oldenburg, und denke, dass das schon zeitgeschichtliches Interesse wecken kann. Es geht dann immer darum, wie die Auseinandersetzungen vor- und hinterher stattfinden. Die Jugendlichen

(Dora Heyenn)

nur ins Kino zu bringen und den Film zu gucken, das reicht natürlich nicht.

Ich bin froh, dass das Jugendinformationszentrum, das nicht nur an die Landeszentrale für politische Bildung angegliedert ist, sondern mit ihr eng kooperiert, sehr viel Vorführungen und Diskussionen dazu angeboten hat. Trotzdem wissen wir auch, dass die Schulklassen der Sekundarstufe I am Ende ihres Geschichts- und Gesellschaftskundeunterrichts tatsächlich oft nicht über die Nachkriegszeit hinauskommen. Das ist ein Manko, dass sie dann in der Mitte des 20. Jahrhunderts steckenbleiben

(Dora Heyenn DIE LINKE: Richtig!)

und in ihrer Schulzeit nichts vom Verhältnis Bundesrepublik/DDR und das Leben in den beiden deutschen Staaten erfahren haben und somit der heutigen Schülergeneration, die zu der Zeit zum Teil noch gar nicht geboren waren, dieses Thema sehr fremd ist. Insofern geht es darum, gegenzusteuern. Die Rahmenpläne werden permanent weiterentwickelt und neu gestaltet. Es gibt immer wieder neues Unterrichtsmaterial und es ist auch Thema der Fortbildung. Aber lassen Sie mich an dieser Stelle sagen, dass da ein richtiges Problem besteht. Es wurde angesprochen, dass es auch in den Siebzigerjahren schon dieses Problem war, dass die Lehrerinnen und Lehrer – aus welchen Gründen auch immer – auf dieses Thema nicht vorbereitet waren. Wir haben am Landesinstitut ein vielfältiges Angebot zu dem Thema, das von Lehrerinnen und Lehrer nicht angenommen wird. Da muss man sich natürlich fragen, woran das liegt. Wie können wir die Lehrerinnen und Lehrer dazu motivieren, gute Angebote anzunehmen? Da scheint für mich ein großer Nachholbedarf zu sein, den wir bearbeiten müssen.

Weil die meisten Aspekte schon von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern gesagt wurden, will ich noch zu einem Punkt kommen, der mir persönlich besonders wichtig ist. Was nützt das alles, wenn wir uns in die Geschichte vertiefen und nicht vor Ort und das heißt, auch in der Schule, Demokratie vorleben. Demokratie ist nicht angeboren, ist nicht genuin da. Deshalb muss es von der Grundschulklasse an und vielleicht auch schon in der Kita im Kleinen trainiert werden, wie man mit Konflikten, mit Diskriminierungen umgeht, wie man demokratische Grundwerte, wie Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität erleben muss und dann niemals preisgeben darf, auch in schwierigen Situationen nicht. Deshalb ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche persönliche Erfahrungen machen mitzugestalten, Mitverantwortung zu übernehmen und dieses entsprechend durch eigenes Handeln erlernen und erfahren. Schule ist und muss ein Handlungsfeld gelebter Demokratie sein. Ich halte es für wichtig, dass diese Auseinandersetzung mit Themen, wie Diskriminierung, Rassismus, Umgang mit Gewalt, Extremismus auch Themen an unseren Schulen

sein müssen. Genau an dieser Stelle ist es wichtig, persönliche soziale Kompetenzen zu erlangen. Ich bin froh, dass sich die SchülerInnenkammer wieder entsprechend aufgestellt hat, dass es wieder Wahlen gibt, dass wieder Schülerräte gewählt werden, dass wieder Kreisschülerräte gewählt werden und dass es die Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer ist, die Schülerinnen und Schüler zu unterstützen, dass wir es wertschätzen, wenn sich Jugendliche engagieren, sei es im Ehrenamt, sei es in den Schulen, dass sie in ihren Mitwirkungsrechten gestützt werden und dass sie auch ihre Mitwirkungsrechte einfordern müssen, um aus ihnen Bürgerinnen und Bürger werden zu lassen, dass sie für Demokratie kämpfen und dass sie die Demokratie auch gegen ihre Feinde verteidigen, wie das auch in den Wettbewerben Demokratisch Handeln und beim Bertini-Preis geschieht. All das trägt dazu bei, dass wir für unsere demokratische Ordnung weiterhin kämpfen. – Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort hat Herr Heinemann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich vermute, dass nur wenige in diesem Hause so persönliche Erfahrungen wie Hanna Gienow mit dem Unrechtsregime der DDR gemacht haben dürften. Viele von uns haben die DDR trotzdem erlebt bei Besuchen in der DDR, bei Transitreisen nach Berlin. Auch ich erinnere mich noch gut an die Fahrten, erst auf der B 5, später dann auf der neuen Autobahn. Auch wenn man als Westdeutscher de facto wenig zu befürchten hatte, spürte man ab dem Grenzübergang, dass man weniger frei war, dass man weniger Rechte hatte und dass man beobachtet wurde.

Man wusste auch, dass man keinen Kontakt zu DDR-Bürgern aufnehmen durfte, man wusste, dass ein lockerer Spruch an der Grenze erhebliche Folgen haben konnte und man wusste, dass man sich besser nicht beschwerte, auch wenn der Grenzübergang vielleicht schon seit Stunden rotes Licht zeigte. Bei der Rückreise las man vor dem Grenzübergang die klare Anweisung an die DDRBürger, dass sie ab hier nichts mehr zu suchen hätten und nach einem Labyrinth aus Wachposten, Maschinenpistolen und Betonsperren erreichte man wieder die Lichter von Gudow und wusste, dass man wieder in der Freiheit war.

Alle diese doch sehr unmittelbaren Erfahrungen haben auch mir als Westdeutschem einen Eindruck oder eine Ahnung davon vermittelt, was der Unterschied zwischen Freiheit und Diktatur ist. Diese unmittelbare Erfahrung können natürlich – und das ist Gott sei Dank so – Schülerinnen und Schüler in Deutschland heute nicht mehr machen. Es ist natürlich sehr schwer für die Schulen, diese Erfah

(Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch)

rungen heute als Mahnung und Warnung für nachfolgende Generationen zu vermitteln. Frau Oldenburg hat die Ergebnisse der Studie des Forschungsverbundes bereits vorgestellt. Frau Heyenn, es geht nicht um die Frage, dass man nicht genau wusste, in welchem Jahr die Mauer gebaut worden ist, sondern es geht darum, dass 30 Prozent nicht wussten, wer für den Bau der Mauer überhaupt verantwortlich war. Das ist die Frage.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Kaum einer von den Schülern wusste von der Realität der Todesstrafe in der DDR. Nicht einmal jeder zweite Schüler lehnte die Aussage ab, die Regierung der DDR sei durch demokratische Wahlen legitimiert gewesen. Das sind die Probleme und die erschreckenden Ergebnisse.

Umso wichtiger ist es, glaube ich, dass die Schüler trotzdem heute auch für sie begreifbar, erfahrbar machen können, welchen Wert die Freiheit hat und was für ein Unrechtsregime die DDR war. Filme, Gedenkstätten, Gespräche mit Zeitzeugen sind sicherlich richtig. Ich erinnere mich, dass es mich sehr beeindruckt hat, als neulich Dr. Karsten Dümmel von der Konrad-Adenauer-Stiftung bei uns in der Fraktion schlicht aus seiner Stasi-Akte vorlas. Auch das war sehr beeindruckend. Ich gebe Frau Oldenburg da völlig recht, dass wir gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung einmal überlegen sollten, ob wir die Schulen nicht noch besser dabei unterstützen können, mit derartigen Veranstaltungen die Realität der DDR-Diktatur eindringlich erlebbar zu machen.

Ich glaube allerdings, dass wir als Politiker nur dann besser informierte Schüler erwarten können, wenn wir auch selber zu Wahrheit und Klarheit beitragen. Ich bin Hans-Detlef Roock sehr dankbar, dass er vorhin ausdrücklich die Vergangenheit der CDU als Blockpartei in der DDR benannt hat. Ich sage ganz offen, Frau Heyenn, von Ihnen als Linkspartei hätte ich mir heute etwas weniger Kritik an dem Forschungsverbund gewünscht,

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

etwas mehr Wahrheit und Klarheit zur eigenen Partei, für mich nicht nur zur Vergangenheit der eigenen Partei, sondern auch zu ihrer Gegenwart.

(Frank Schira CDU: Kein Wort!)

Auf den Listen der Linkspartei haben in diesem Februar – nicht irgendwann vor 20 Jahren – zehn Vertreter der DKP kandidiert. Sie hielten trotz massiver öffentlicher Kritik an den Kandidaten fest und haben sogar der "Berliner Zeitung" erklärt, Sie wüssten gar nicht, wo das Problem liege.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Das weiß ich auch nicht!)

Frau Heyenn, ich will Ihnen einmal sagen, wo das Problem liegt. Ich zitiere einmal aus dem Parteiprogramm der DKP vom April 2006.

"Die DDR, ihr konsequenter Antifaschismus, ihr Eintreten für Frieden, Entspannung und Abrüstung

(Hans-Detlef Roock CDU: Das ist das Pro- blem!)

sowie die Verwirklichung elementarer sozialer Grundrechte gehören zu den größten Errungenschaften der deutschen Arbeiterbewegung und sind Teil des humanistischen Erbes in Deutschland. Die DKP stand an der Seite der DDR, …"

das ist nicht meine Interpretation, sondern immer noch Originaltext –

"… jenes Staates, in dem 40 Jahre lang die Macht der Konzerne und Banken beseitigt war, jenes Staates, der als einziger in der bisherigen deutschen Geschichte konsequent für Frieden und gegen Krieg eintrat, der konsequent Solidarität mit den Völkern der Entwicklungsländer übte und der konsequent antifaschistisch war. Die Grundzüge einer neuen Gesellschaft wurden trotz der Schwächen erkennbar, mit denen diese Entwicklung auch verbunden war."

Meine Damen und Herren, das Wort Schwächen ist eine zynische Verniedlichung für Schießbefehl, Stasi-Bespitzelung und die Vernichtung von Existenzen.

(Beifall bei der CDU, der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Es ist zugleich eine Verhöhnung der Opfer und eine Verharmlosung der Täter und die Lobhudeleien auf die Errungenschaft der DDR-Diktatur erinnern mich fatal an die Ausfälle von Eva Herrmann.

Meine Damen und Herren, für die Aufklärung unserer Schülerinnen und Schüler über die DDR ist eine solche Geschichtsklitterung fatal. Sie sagten, für Sie als Lehrerin sei das alles kein Problem. Auf der Homepage der DKP konnte man nach der Bürgerschaftswahl lesen:

"Ganz besonderer Dank gilt der LINKEN und ihrer Spitzenkandidatin Dora Heyenn für ihre unermüdliche Solidarität auch in schwierigen Stunden für die DKP und die LINKE.

(Lachen bei der CDU)

Die Kommunisten freuen sich auf die weitere erfolgreiche Zusammenarbeit mit der LINKEN."