Protokoll der Sitzung vom 02.04.2008

Die Verwaltung ist überfordert, auf der anderen Seite das aufgelaufene Geld auszugeben. Wir wissen, dass ein Viertel der Studiengebühren noch nicht ausgegeben sind. Die Verwaltung ist auch damit überlastet, die Vorgänge korrekt zu bearbeiten, was zu einer Flut von Zwangsexmatrikulationen führte. Ich nenne nur die beiden Gruppen: Das ist zum einen die Gruppe der Besten, die befreit worden waren, weil sie besonders gute Zensuren hatten, dann aber trotzdem die Exmatrikulation bekamen. Die andere Gruppe, die der sozial Bedürftigen, die Mütter mit den kleinen Kindern, die vor dem Briefkasten gestanden haben und das Schreiben herausgefischt haben, dass sie nun exmatrikuliert sind. Welche Panik da in jedem Einzelnen aufgestiegen sein mag, können wir uns gut vorstellen.

Klar ist, dass wir uns dafür einsetzen wollen, dass die Situation der Studierenden in dieser Stadt verbessert wird.

(Beifall bei der GAL-Fraktion - Barbara Duden SPD: Ja, dann müssen Sie jetzt zustimmen! - Michael Naumann SPD: Geben Sie sich einen Ruck!)

Aber klar ist auch, dass das beileibe nicht das Einzige ist, was in dieser Stadt verbessert werden muss. Deshalb sind wir keineswegs bereit, wie die Kollegen von der SPD und von der Fraktion DIE LINKE, uns hier die eine gute Sache sehr symbolträchtig herauszupicken und am Haushaltsausschuss vorbei zu beschließen.

(Beifall bei der GAL-Fraktion - Ingo Egloff SPD: Sie werden in der nächsten Sitzung noch mehr Gelegenheit bekommen!)

Immerhin handelt es sich um eine Entscheidung im Rahmen von ungefähr 35 Millionen Euro.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Bei der Elbphil- harmonie war das nicht so schlimm!)

Wenn es sich nicht nur um einen symbolträchtigen Akt handeln soll, Herr Buss, sondern wenn es tatsächlich darum gehen soll, die Lebenswirklichkeit von allen in dieser Stadt zu verändern, dann wird man über einen Prozess des Abwägens und des Priorisierens nicht herumkommen, und das geschieht im Haushaltsausschuss.

(Beifall bei der GAL-Fraktion)

Dort nimmt das Parlament eine seiner wichtigsten Aufgaben wahr, nämlich die Mittelvergabe. Das haben wir vorhin an anderer Stelle oft gehört. Deshalb beantragen wir die Überweisung beider Anträge, auch des Zusatzantrages, an den ersatzweise für den Haushaltsausschuss

fungierenden Verfassungsausschuss. Wir treten nicht das Gestaltungsrecht des Parlaments an den Senat ab, wie es die SPD, explizit die LINKE, tut, ohne es zu tun.

(Barbara Duden SPD: Das ist Politik, was wir hier machen!)

Hören Sie mir einfach einmal zu.

(Zuruf: Das können Sie hier beschließen, dann …)

- Aber selbstverständlich. Sie haben in Ihrem Antrag formuliert, dass der Senat die Mittel bereitzustellen hat. Wir wollen sehr gerne darüber mitentscheiden, welches Geld wo und wie umgeschichtet werden soll.

(Beifall bei der GAL-Fraktion)

Für uns gilt auch in dieser Frage das Prinzip der Verantwortung. - Danke.

(Beifall bei der GAL-Fraktion)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Heyenn.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Studiengebühren waren bis Ende der Sechzigerjahre in Deutschland Usus. Das beendete die Bildungsreform in den Siebzigerjahren. 1973 wurde der internationale Pakt für wirtschaftliche und soziale Rechte unterzeichnet, in dem sich die Bundesregierung gemäß Artikel 63 der Menschenrechtskonvention der UNO zu einer allmählichen Einführung der Unentgeltlichkeit von Hochschulbildung verpflichtete.

D Genau auf dieser Grundlage hat das Bundesverwaltungsgericht vor wenigen Tagen die Revision einer Paderborner Studentin gegen eine abschlägige Entscheidung zugelassen. Die Studentin hatte in einer Musterklage darauf hingewiesen, dass die Einführung der Gebühren gegen den UN-Sozialpakt verstößt. Das zuständige OVG dagegen hatte in seinem Urteil argumentiert, dass das Völkerrecht nicht unmittelbar bindend sei. Einige Gerichte scheinen da weiter zu sein als die Politik. Bildung ist ein Bürgerrecht. Das muss wieder gestärkt und in die gegenwärtige Debatte wieder eingebracht werden. Die LINKE fordert auch auf Bundesebene, dass gebührenfreie Bildung Verfassungsrang bekommt.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Die Pläne von Schwarzrot auf Bundesebene für mehr Wettbewerb zwischen den Bundesländern geht zulasten einer gesamtstaatlichen Bildungsverantwortung und damit zulasten eines offenen Bildungszugangs. Der Weg ist genau in die falsche Richtung. Wir haben ein Bildungssystem, das dem, was im Grundgesetz steht, genau diametral entgegensteht. In Artikel 3 Grundgesetz heißt es, dass niemand wegen seiner sozialen Herkunft benachteiligt werden darf.

Die Debatte um Studiengebühren ist - wie man offenkundig auch hier sieht - eine politische Richtungsentscheidung. Eine gesellschaftliche Zustimmung zu Studiengebühren gibt es nicht. Bildung für alle heißt auch, dass Bildung für alle zugängig sein muss. Die Öffnung der Universitäten war eine der wichtigsten Errungenschaften des letzten Jahrhunderts. Interessant ist, dass viele aus der Generation, die zu der Zeit an den Hochschulen ihre Examen machten - ich glaube, viele von uns waren da auch -, heute die Studiengebühren einführen.

Hinzu kommt noch, dass die heute Studierenden für ihre Altersvorsorge wahrscheinlich selbst aufkommen müssen. Das ist ein Bruch des viel zitierten Generationsvertrages in gleich doppelter Weise.

In den Siebzigerjahren war es ebenfalls Konsens, dass die Angleichung der Bildungschancen mit einer Demokratisierung der Gesellschaft verbunden ist. Die Auswirkungen von Studiengebühren sind nicht zu übersehen. Sie ersetzen Rechts-, Beteiligungs- und Mitwirkungsansprüche durch ein privates Marktverhältnis zwischen Verkäufern und Kunden. Werdende Studierende werden nur noch als Kundinnen und Kunden und nicht mehr als Mitglieder der Universität betrachtet. Dadurch haben sie auch keinen Anspruch mehr auf selbstverwaltete Strukturen oder Sitz und Stimmrecht in den Hochschulgremien. Da hat die CDU in Hamburg auch schon kräftig zugeschlagen.

Für die Fraktion DIE LINKE ist die Gebührenfreiheit von Bildung eine wesentliche Voraussetzung für ein demokratisches Bildungssystem. Auf den Punkt gebracht: Die LINKE fordert die Demokratisierung der akademischen Gremien, um die Mitbestimmungsrechte der Hochschulmitglieder zu stärken. Das gilt auch für die Wissenschaftsfreiheit gegenüber der Wirtschaft.

Studiengebühren sind Teil eines Gesellschaftsbildes, das die zivilisatorischen Errungenschaften von Sozialstaat, Teilhabe, Mitbestimmung und Umverteilung ersetzen will. An ihre Stelle tritt eine marktfixierte radikale Wettbewerbsorientierung. Wer bezahlt eigentlich Hochschulen und Studienmöglichkeiten?

(Viviane Spethmann CDU: Wir alle!)

Von Geld war heute schon häufig die Rede und in sehr unterschiedlichen Varianten. Wir bezahlen alle die Hochschule, oder - anders ausgedrückt - die Steuerzahler. Überproportional sind es diejenigen, die eher wenig verdienen. In unserem Lande sind es die Arbeitnehmer. Das könnte den einen oder anderen durchaus einmal zum Grübeln veranlassen nach dem Motto: Einsicht ist der erste Weg zur Besserung. Aber weit gefehlt. Anstatt über das Steuerrecht in Deutschland nachzudenken,

(Wolfgang Beuß CDU: Dann kommen Sie mal zu der CDU!)

werden aberwitzige Konstruktionen kreiert. Eines der beliebtesten Beispiele, das die CDU oft anführt, ist, dass es nicht sein könnte, dass die Arzthelferin mit ihren Steuern das Studium des Sohnes ihres Chefs bezahlt.

(Olaf Ohlsen CDU: Komm’ zum Thema!)

Daraus wird dann auch die Schlussfolgerung abgeleitet, Studiengebühren erhöhten die soziale Gerechtigkeit. Schlimmer kann Heuchelei wirklich nicht sein.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Damit wird das Recht auf ein gebührenfreies Studium geradezu skandalisiert.

Was wird nicht alles aus Steuermitteln bezahlt.

(Harald Krüger CDU: Weil wir so gut rechnen kön- nen!)

Wir hatten heute schon die unselige Diskussion über die Elbphilharmonie. Die Steuerzahler insgesamt bezahlen Dinge, von denen nicht alle profitieren. Man könnte zum Beispiel unter dieser Überschrift auch die Zuschüsse zu

Theatern, Museen und Staatsoper ad absurdum führen. In Sonntagsreden hören wir immer wieder, insbesondere von den Christdemokraten, dass an den Bildungschancen der nächsten Generation nicht gespart werden darf. Sätze wie "Bildung ist der Rohstoff für die Zukunft" sind uns nur allzu sehr vertraut. Wenn man das aber wirklich ernst meint, dann heißt das in der Konsequenz, dass Bildung und Ausbildung eine gesamtgesellschaftliche, eine staatliche Aufgabe ist und diese Aufgabe schließt ausdrücklich mit ein, den Artikel 3 des Grundgesetzes zu berücksichtigen. Joachim Bischoff hat darauf hingewiesen: DIE LINKE fordert einen Kassensturz. Wenn Sie bei Studiengebühren plötzlich damit kommen, dass es keine Deckungsvorschläge gibt und bei der Elbphilharmonie 20 Millionen Euro überhaupt kein Betrag sind, so weiß jeder von uns, der hier sitzt, ganz genau, dass es garantiert bei 20 Millionen Euro nicht bleibt, und da ist das alles zu finanzieren?

Was auch ein Problem ist: Wenn sich die Banken verspekulieren und die Einlagen der Menschen an Börsen verprassen, dann ist das überhaupt kein Problem, den Banken mal eben Hunderte von Millionen Euro aus dem Staatssäckel zur Verfügung zu stellen, und bei der Bildung wird plötzlich gesagt, das sei ein finanzielles Problem, da fehle die Deckung.

Dieses Argument mit den leeren Kassen ist sowieso nur eine vordergründige Argumentation, denn zu den leeren Haushaltskassen haben gerade die letzten Bundesregierungen selber mit gigantischen Steuersenkungsprogrammen für Besser- und Großverdiener selbst beigetragen. Letztendlich sind die Studiengebühren ein Element, ein Instrument im Ökonomisierungs- und Privatisierungsprozess unserer Hochschulen und unserer Gesellschaft. Die sozialen Wirkungen und Steuerungseffekte von Studiengebühren sind gesellschaftlich schädlich. Sie fördern ein antisoziales und ein entsolidarisierendes persönliches Bildungsverhalten und verstärken die gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit des Wissenschaftssystems. Ich erinnere nur an Dürrenmatt "Die Physiker".

Von einer demokratischen und sozialgerechten Bildungspolitik, die auch gesamtgesellschaftliche Momente im Blick behält, ist der Staat immer weiter entfernt. Hinzu kommt, dass für studentisches Engagement im kulturellen, sozialen und politischen Bereich kein Platz mehr ist, das heißt, keine Zeit. Darauf weisen unter anderem das Studierendenwerk und der Landesjugendring Hamburg in seiner Zeitschrift "punktum" aus dem Januar explizit hin. Studiengebühren sind zutiefst unsozial. Sie beteiligen wiederum genau die gleichen Gruppen in unserer Gesellschaft, die immer benachteiligt werden. Sie stellen einen sozialen Numerus clausus dar. Der Anteil der Studierenden aus einkommensschwachen und bildungsfernen Schichten ist in Deutschland rückläufig. Studiengebühren setzen die international kritisierte soziale Ausgrenzung unseres Schulsystems in der Hochschule fort. Wenn Kinder aus armen Familien es trotz Widrigkeiten des dreigliedrigen Schulsystems geschafft haben, die Hochschulreife zu bekommen, wird ihnen der Zugang zum Studium durch Gebühren wieder zusätzlich erschwert. Dazu einige Zahlen.

Die Sozialerhebung des Deutschen Studienwerkes hat festgestellt, dass knapp 70 Prozent der Studierenden regelmäßig erwerbstätig sind. Ein Drittel davon arbeitet mehr als acht Stunden die Woche und ein Viertel mehr als 20 Stunden die Woche. Das heißt, die arbeiten halb

tags. Sie sind halbtags beschäftigt und sollen Vollzeit studieren. Dann kommen noch die Studiengebühren hinzu. Frau Ernst hat darauf hingewiesen, dass sich viele Jugendliche und ihre Familien nicht vorstellen können, sich von vornherein zu verschulden, weil sie ein Studium aufnehmen.

Alle Ergebnisse von PISA haben festgestellt, dass es in keinem anderen Industrieland eine solche gnadenlose Auslese gibt wie im Bildungssystem der Bundesrepublik. Es gibt auch kein Land, in dem die Leistungsniveaus so stark auseinanderklaffen wie bei uns.

(Harald Krüger CDU: Das merkt man an Ihnen!)

Über 50 Prozent der Jugendlichen aus der Gruppe der 18- bis 21-Jährigen stammt bei uns aus eher sozial schwachen Verhältnissen. Davon studieren ganze 8 Prozent. Aus der Gruppe mit einer höheren sozialen Herkunft studieren 72 Prozent. Das ist erschütternd. Studiengebühren benachteiligen vor allem auch Frauen und Mütter, nicht nur, dass sie immer noch weniger verdienen als Männer, sie verhindern die Ausbildung zu Akademikerinnen und erschweren den Frauen, in jungen Jahren Kinder zur Welt zu bringen. Studierende Mütter brauchen länger, um ihr Studium abzuschließen. Dadurch erhöht sich mit dem System der Studiengebühren natürlich auch die Zahl der Zinszahlungen.

Wir wollen keine Universitäten, die als Maschinerie Arbeitskräfte für den Arbeitsmarkt produzieren. Die Menschen in diesem Land haben ein Recht auf Bildung und ihre freie Entfaltung in der Wissenschaft und an der Hochschule. Mit den Studiengebühren im Nacken wird der eine oder andere wohl versuchen, nur noch auf den Arbeitsmarkt hin zu studieren. Das hat mit Universitätsstudium eigentlich nichts mehr zu tun. Die Universität ist der Ort der freien Entfaltung des Geistes und der Wissenschaft und wir brauchen mehr Kreativität, mehr Wissenschaft, mehr Innovation. Die ganze Diskussion um Turboabitur, Bachelor- und Masterstudium hat doch nur noch ein einziges Ziel, nämlich Menschen so früh wie möglich verwertbar und verfügbar zu machen für die Wirtschaft.