Protokoll der Sitzung vom 23.04.2009

Ich möchte Sie daran erinnern und werde es gerne immer wieder tun, wenn wir dieses Thema auf der Tagesordnung haben, dass Sie trotz eines anders lautenden Volksentscheids der Hamburger Bürgerinnen und Bürger den Landesbetrieb Krankenhaus verscherbelt haben an den Privatinvestor Asklepios. Sie haben damit überhaupt keinen Zugriff und keine Steuerungsmöglichkeit mehr auf große Teile des Krankenhaussektors in dieser Stadt. Von 11 000 Beschäftigten bei Asklepios haben rund 1000 von ihrem Rückkehrrecht zur Stadt Gebrauch gemacht und ich habe mit einigen von diesen Rückkehrern gesprochen. Sie haben es eigentlich nicht gemacht, weil sie gerne kündigen wollten oder zurückkehren wollten, sondern weil sie große Angst hatten, zukünftig keinen Arbeitsplatz mehr bei Asklepios zu haben oder Arbeitsbedingungen vorzufinden, mit denen sie sich überhaupt nicht abfinden können.

Die weitere Folge des Verkaufs ist, dass der Pflegenotstand sich verschärft, ein Problem, das zwar nicht nur Asklepios, sondern auch andere Kran

kenhäuser dieser Stadt betrifft, das aber bei Asklepios scheinbar besonders gravierend auftritt, wenn man den Medienberichterstattungen der letzten Monate Glauben schenken darf. Patienten, die in den Krankenhäusern von Asklepios behandelt wurden, berichten, wie sie dort gepflegt beziehungsweise wie sie dort nicht gepflegt wurden.

Sie haben den Träger pflegen & wohnen privatisiert, wie heißt er zurzeit, fördern & wohnen oder doch wieder pflegen & wohnen, aber es ist auch egal. Auch hier haben Sie die Steuerungsmöglichkeiten aus der Hand gegeben. Sie vergessen – auch das ist eines der Themen, die ich immer wieder gerne anspreche in diesem Zusammenhang – die Menschen dieser Stadt, wenn es um die fehlende und unzureichende ambulante ärztliche Versorgung geht.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus DIE LINKE)

Herr Stemmann, Sie haben eben darauf hingewiesen, dass die Weiterführung der Kompetenzen im Rahmen der Gesundheitswirtschaft, die Sie weiter ausbauen wollen, auch im Koalitionsvertrag niedergelegt sei. Im Koalitionsvertrag steht aber auch, dass in allen Stadtteilen beziehungsweise Bezirken in dieser Stadt eine ausreichende ambulante ärztliche Versorgung vorgehalten werden soll. Es ist interessant, wie dieses eine Thema immer wieder wegfällt. Ich möchte Sie noch einmal darauf hinweisen, dass wir in Hamburg zurzeit die Problematik haben, dass immer mehr Kassenarztpraxen in sogenannten sozial benachteiligten Stadtteilen aufgekauft werden, dass es in diesen Stadtteilen keine Kinder- und Hausarztpraxen mehr gibt. Ich möchte an dieser Stelle auch nochmals darauf hinweisen, dass wir immer noch die Problematik der Medizinischen Versorgungszentren haben, die sich immer weiter ausbreiten. An dieser Stelle auch noch einmal der Hinweis, dass ich nicht grundsätzlich gegen diese medizinischen Versorgungszentren bin. Es ist nur die Problematik, dass sie in Hamburg nur dann entstehen können, wenn sie Kassenarztsitze aufkaufen und auch diese werden wieder in den sogenannten benachteiligten Stadtteilen aufgekauft.

Da hilft es auch nichts, zu erklären, dass Hamburg mit 110 Prozent eigentlich überversorgt sei, denn wenn es Stadtteile gibt, wo kein Hausarzt und kein Kinderarzt mehr erreicht werden kann, hilft es den Menschen dort gar nichts. Da muss dringend gegengesteuert werden, da hilft es auch nichts zu sagen, das sei Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung, denn die Gesundheitsbehörde hat die Aufsicht über die Kassenärztliche Vereinigung. Es ist Ihre Aufgabe, diese angemessen ambulante Versorgung der Menschen in dieser Stadt zu ermöglichen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

(Hjalmar Stemmann)

Solange Sie das Thema Gesundheit immer nur vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachten und die Menschen dieser Stadt vergessen, werde ich immer wieder auf diese Probleme hinweisen.

(Michael Neumann SPD: Nicht nur Sie!)

Es kann nicht sein, dass Sie sich damit brüsten, was für ein toller Medizin- und Gesundheitsstandort Hamburg sei, aber nichts dagegen tun wollen, was die dargestellten Probleme der Menschen dieser Stadt betrifft.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus DIE LINKE)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Heitmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Domres, das Thema der ärztlichen Versorgung haben wir hier vor drei Wochen diskutiert und im Rahmen dessen auch erörtert, welche Handlungsmöglichkeiten es für uns als Politik gibt und welche nicht. Ich glaube, es ist falsch, wenn Sie uns jetzt vorwerfen, wir würden das Thema immer nur vom wirtschaftlichen Standpunkt aus sehen. Das ist die erste Debatte überhaupt in dieser Legislaturperiode, die wir zum Thema Gesundheitswirtschaft haben. Insgesamt zum Thema Gesundheit hatten wir hier schon einige, die sehr häufig den sozialen Aspekt betrafen. Aber heute diskutieren wir nun einmal über Gesundheitswirtschaft.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Mein Kollege, Herr Stemmann, hat schon ausgeführt, dass die Gesundheitswirtschaft in Hamburg ein sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, der eine Vielzahl von Arbeitsplätzen und Entwicklungspotenzialen bereithält.

Zum Hintergrund: Es gibt in Hamburg sehr viele Krankenhäuser, die ein gutes Forschungsrenommee haben. Viele Krankenkassen haben hier ihren Sitz, aber auch zum Beispiel Einrichtungen wie Apotheken, Rehabilitationseinrichtungen, Medizinprodukthersteller oder im weiteren Sinne sogar der Gesundheitstourismus mit Sport- und Wellnessangeboten fallen in den Bereich der Gesundheitswirtschaft und sichern insgesamt rund 100 000 Arbeitsplätze. Das sind in Hamburg ungefähr 8,6 Prozent der Gesamtbeschäftigten.

Gerade im Rahmen einer alternden Gesellschaft, im Rahmen des demografischen Wandels gewinnt dieser Zweig immer mehr an Bedeutung. Deshalb, Frau Domres, wenn Sie sich fragen, was dieses Thema in der Aktuellen Stunde zu suchen hat, muss ich sagen, wir haben derzeit eine Wirtschaftskrise, wir sind mit den Herausforderungen des demografischen Wandels nun einmal konfrontiert. Die Arbeitsplätze in der Gesundheitswirtschaft

sind relativ sicher. Es gibt eine konstante Nachfrage und es ist schwer möglich, diese ins Ausland zu verlagern, und daher sind gerade diese Arbeitsplätze hier in Hamburg auch so wichtig.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Die Stärkung des Gesundheitsstandorts Hamburg ist daher auch in unserem Koalitionsvertrag bereits als wichtiges Anliegen verankert. Wir haben die Entwicklung der Gesundheitswirtschaftsstrategie im Koalitionsvertrag stehen und außerdem gibt es eine Teilnahme Hamburgs am Bundeswettbewerb "Gesundheitsregion der Zukunft", um Hamburg als Gesundheitsstandort auch weiter bekanntzumachen.

Ein weiterer Punkt, den wir nun angepackt haben, ist, dass wir im Rahmen des Konjunkturprogramms die Mittel für die Krankenhausinvestitionen auf 2009 vorziehen und hiervon werden auch für andere Branchen wie das Handwerk oder die Bauwirtschaft wichtige, belebende Impulse ausstrahlen.

Insgesamt ist Hamburg somit gut aufgestellt in der Gesundheitswirtschaft, weiterhin an der Spitze in Deutschland zu sein. Ich hoffe, dass das noch lange so bleibt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Dann bekommt das Wort die Abgeordnete Artus.

Herr Präsident, sehr geehrte Herren und Damen! Was gibt es Neues in der Gesundheitswirtschaft, dass es Thema einer Aktuellen Stunde wird. Es arbeiten weiterhin über 100 000 Beschäftigte in der Gesundheitswirtschaft und sie ist laut Herrn Wersich wohl auch immer noch der bedeutendste Wachstumsfaktor in Hamburg. Was gibt es also Neues? Es gibt ein neues Interview, das der Gesundheitssenator gegeben hat, im Handelskammermagazin.

(Carola Veit SPD: Deshalb!)

Erst einmal finde ich dort eine Aussage, die ich meinen Managern fotokopieren werde. Die lautet:

"Angst ist niemals ein guter Ratgeber, auch nicht die Angst um den eigenen Arbeitsplatz. Ich appelliere daher an alle Chefs, Manager und Vorgesetzte, ihren Mitarbeitern diese Angst zu nehmen – als praktizierte Arbeitsschutzmaßnahme, aber auch im eigenen Interesse."

(Beifall bei Elisabeth Baum DIE LINKE und Uwe Grund SPD)

Herr Wersich, dieser Appell hört sich sehr gut an. Ich bezweifle nur, dass er Gehör findet.

Ich habe derzeit ständig ein Päckchen Papiertaschentücher im Betriebsratsbüro liegen, weil zur

(Anja Domres)

zeit wöchentlich Beschäftigte mit Kündigungsandrohungen zu mir kommen. Die Angst ist allgegenwärtig. Den Leuten, die ich immer erst einmal wieder aufbauen muss, damit sie den für sich richtigen Weg finden, werde ich Ihr Zitat besser nicht als Fotokopie übergeben.

Der Senator geht in diesem Interview weiterhin davon aus, dass die Gesundheitswirtschaft von der Krise profitieren wird und er prognostiziert viele neue Arbeitsplätze. Es soll laut seiner Aussage weiterhin im Krankenhausbereich investiert werden und im Bereich der Pflege sollen sogar 500 bis 1000 Arbeitsplätze neu entstehen.

(Dirk Kienscherf SPD: Das verspricht er schon seit Jahren!)

Warum nun die Gesundheitswirtschaft von der Krise profitiert, verrät der Senator leider nicht. Weiterhin sagt er, dass seit 2001 konsequent der Weg gegangen wird, die gesundheitliche Versorgung für die gesamte Metropolregion anzubieten. Verschwiegen hat er dabei, dass gezielt auf Luxuskranke gesetzt wird. Vielleicht wurde es aber auch nur weggekürzt, weil das Foto vom Senator, das ihn an seinem Schreibtisch sitzend zeigt, über die ganze halbe Seite geht. Aber nicht nur DIE LINKE, selbst die "Bild"-Zeitung hat dies nun schon kritisiert.

Die Gesundheitswirtschaft in Hamburg ist zu einem Exportartikel geworden. Die Krankenhausinvestitionen, die in unglaublicher Höhe ausgeschüttet werden, werden dadurch zu einem nicht unwesentlichen Teil nicht mehr für die gesundheitliche Versorgung der in Hamburg lebenden Menschen eingesetzt, abgesehen davon, dass gegen den Willen – Anja Domres hat es erwähnt – der Hamburger und Hamburgerinnen die Krankenhäuser privatisiert wurden.

Wenn die Einschätzung für die Gesundheitswirtschaft in Zeiten der Krise so positiv vom Senat gesehen wird, wüsste ich gern, wie das damit zusammenpasst, dass die Hersteller medizinischer Geräte ganz andere Aussagen treffen, dass sie sehr wohl von der Krise betroffen sind und Sparprogramme lostreten, die wieder Arbeitsplätze kosten werden. Hintergrund ist der weitgehend angespannte Kreditmarkt in den USA, weil die amerikanischen Krankenhäuser Probleme haben, den Kauf von medizinischen Geräten zu finanzieren. Der Konzern Philips zum Beispiel verbuchte einen Umsatzrückgang im ersten Quartal 2009 um 15 Prozent.

Hamburg ist doch keine Insel und die großen Unternehmen sind doch Global Player und betrachten die Märkte nicht regional. Philips ist auch ein Arbeitgeber, der in Hamburg medizinische Technik produziert. Obwohl er mit seinen 7000 Beschäftigten in Deutschland keinen so dramatischen Umsatzrückgang verzeichnet hat wie der Konzern

weltweit, muss man sehen, dass das Unternehmen kurz vor der Vollendung eines Arbeitsplatzabbaus in Deutschland steht, der 350 Jobs umfasst, das sind 5 Prozent. Das muss man dazu sagen, wenn man davon spricht, dass die Krise ein Konjunkturmotor sei und Beschäftigungseffekte in der Gesundheitswirtschaft hervorrufen soll.

Der Senator nimmt als Indiz für das gute Gesundheitsprofil Hamburgs die steigende Geburtenrate und dass Schwangere von außerhalb ihre Kinder in Hamburg zur Welt bringen.

(Dirk Kienscherf SPD: Die ist zurückgegan- gen, Herr Wersich!)

Wie sieht das konkret aus? In 2006 wurden 16 089 Kinder in Hamburg geboren, in 2007 waren es 16 727. Im ersten Halbjahr 2008 waren es 7800 Kinder. Da muss für das zweite halbe Jahr aber noch kräftig nachgelegt werden, damit man von einer Steigerung sprechen kann. Ich wäre also vorsichtig mit Geburtenprognosen. Man weiß auch, wie schnell man sich – siehe Frau von der Leyen – mit statistischen Angaben über die Geburtenzuwächse blamieren kann. Warten wir also erst einmal ab, bis die Zahlen für 2008 vorliegen und ob der Trend in 2009 anhält.

Ich würde mich freuen, wenn die Aktuelle Stunde vom Senator dazu genutzt würde, die Aussagen in dem Interview zu konkretisieren und zu erläutern.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort bekommt Senator Wersich, und zwar bitte zum angemeldeten Thema der Aktuellen Stunde.

(Ingo Egloff SPD: Das war doch zum The- ma!)

Das sage ich im Hinblick auf die Aufforderung, die eben erfolgt ist.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will dem Präsidenten nicht widersprechen, aber Frau Artus hat natürlich zu Recht Dinge in dem Zusammenhang zitiert, die mit dem Thema Gesundheitswirtschaft zu tun haben. Ich bin leider durch einen anderen Termin verspätet gekommen, deswegen werde ich Ihnen ersparen, diese Zahlen noch einmal alle zu wiederholen, weil ich davon ausgehe, dass in der Debatte auf die Bedeutung der Gesundheitswirtschaft für Hamburg schon hingewiesen wurde. Ich werde Ihr Angebot annehmen, Frau Artus, darauf einzugehen.