der Bürgerschaft bis zur Verabschiedung der heutigen Verfassungsänderung, die einen solchen Vorgang unmöglich macht, war es ein weiter Weg.
Die CDU hat in ihrem Verhältnis zu direkter Demokratie und in der Achtung ihrer Ergebnisse, wie ich finde, einen großen und schnellen Lernprozess durchlaufen.
Das hat einerseits sicher mit dem erfolgreichen Volksbegehren von vor einigen Monaten zu tun, aber das ist aus unserer Sicht, das will ich ausdrücklich sagen, einer der ganz wenigen Pluspunkte dieser Koalitionskonstellation. Wie Herr Heinemann ausgeführt hat, fällt es der CDU-Fraktion sehr schwer, den Kompromiss zu akzeptieren, und ich hatte auch den Eindruck, der SPD fällt dies ebenfalls nicht ganz leicht.
Auch in unserer Partei, das will ich hier sagen, gab es wie in allen anderen Parteien eine heftige Kontroverse und eine lebhafte Diskussion über das neue Wahlrecht. Ich glaube, die Argumente, die von allen Seiten gefallen sind, waren ungefähr die Argumente, die auf Ihrer Seite auch eine Rolle gespielt haben, da unterscheiden wir uns gar nicht. Aber man sollte solche Diskussionen nicht als Problem verbuchen, sondern als Ereignisse, die es ermöglichen, die Rolle der Parteien im Verhältnis zwischen Staat auf der einen und Bürgerinnen und Bürgern auf der anderen Seite kritisch und neu zu reflektieren und sich für notwendige Änderungen zu öffnen.
Der Kernpunkt des Kompromisses, den wir gefunden haben, ist eine Stärkung des Einflusses der Wählerinnen und Wähler auf die Parteien. Diese Stärkung sollten wir aber auch als eine Chance verstehen und nicht im Wesentlichen als einen Verlust von Macht. Wir haben im ersten Tagesordnungspunkt und in der Aktuellen Stunde über die immer noch sinkende Wahlbeteiligung gesprochen, die macht uns allen große Sorgen und muss uns auch besorgt stimmen. Die wachsende Skepsis vieler Bürgerinnen und Bürger hat viele Ursachen und eine Ursache ist sicher die Erfahrung, dass die da oben letztlich ja doch machen, was sie wollen. In diesem Sinne ist die heute zur Verabschiedung anstehende Verfassungsänderung auch eine nicht zu unterschätzende vertrauensbildende Maßnahme, die wir als Parteien vornehmen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bei aller Zufriedenheit, dass ein Konsens erzielt wurde und die Auseinandersetzungen darüber jetzt ein gewisses Ende finden, bleibt doch bei uns Sozialdemokraten und vor allem auch bei vielen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern – das haben wir, glaube ich, quer durch alle Fraktionen in den letzten Tagen auch mitbekommen – ein Unverständnis über die Frage, welche Strukturveränderungen es jetzt beim Bezirkswahlrecht geben wird. Wir sind zwar zufrieden, dass die Frage der 3-Prozent-Hürde hier einvernehmlich verabredet werden konnte, aber das Stichwort der Entkoppelung treibt doch noch viele um. Daran will ich noch einmal anknüpfen und auch an das, was der Grundansatz von "Mehr Demokratie" dabei war.
Ich habe noch einmal auf ihrer Homepage nachgesehen: Es ging ihnen darum, der Bezirksebene, den Bezirksversammlungen eine unabhängige politische Identität und mehr politisches Gewicht zu geben. Und um einen zusätzlichen Wahltermin zu vermeiden und gleichzeitig die Wahlbeteiligung zu fördern, findet das jetzt gemeinschaftlich mit der Europawahl statt. Das war ihr Ausgangspunkt. Die Frage ist: Trifft diese Kernthese zu? Bewirkt der eigene Wahltermin per se eine Stärkung der Bezirksebene? Bewirkt eine halbierte Wahlbeteiligung – da müssen wir ja einfach von den Daten im Moment ausgehen – eine Stärkung der Bezirksebene oder nur eine Stärkung der kleineren Parteien? Da meinen wir, sie bewirkt eher Letzteres. Die Entkoppelung ist ein Zugeständnis, das uns als Volkspartei am meisten schmerzt, das gebe ich hier unumwunden zu. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: wir stehen zu dem Gesamtpaket einschließlich der vielen Kröten, die enthalten sind. Aber auch beim Bezirkswahlrecht gilt, eine 3-Prozent-Hürde ist besser als keine Hürde.
Trotzdem: Dieser Punkt und das neue Wahlrecht insgesamt wird für uns eine sehr große Herausforderung, und zwar nicht nur für die lokale Presse, um vor Ort zu informieren, sondern für die Informationsarbeit insgesamt. Wie versetzen wir die Bezirksebene konkret in die Lage, diese neue Herausforderung zu meistern? Wie schaffen wir es wirklich, ihr eine unabhängige Identität zu geben und mehr politisches Gewicht? Da müssen wir – das ist eine Aufgabe, die uns gemeinsam bleibt – dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen für die Bezirkspolitik, für die Bezirksebene weiter verbessert werden, in rechtlicher Hinsicht und wahrscheinlich auch, das ist ja auch schon angesprochen worden, in finanzieller Hinsicht. Das heißt, das Bezirksverwaltungsrecht werden wir uns noch einmal miteinander ansehen müssen: Wo kann der Bezirksebene mehr Macht gegeben werden,
auch auf unsere Kosten? Wir müssen auch über die Frage der Ausstattung von Bezirksfraktionen und Bezirksabgeordneten nachdenken. Das sind Fragen, die sich stellen, die viele Kolleginnen und Kollegen von der Bezirksebene an uns herangetragen haben. Denen müssen wir uns stellen und denen müssen wir uns auch mit Ihrer Unterstützung stellen, weil es nicht sein kann, dass wir die Strukturen ändern und die Frage der Ausstattung dann nachher allein der Politik überlassen. Auch das muss in der Konsequenz gemeinsam getragen werden.
Tun wir das nicht, bleiben wir auf halbem Wege stehen, dann besteht ernsthaft die Gefahr, dass die Entkoppelung zum Rohrkrepierer wird. Mit riesigem Aufwand werden Abgeordnete gewählt, die nichts zu sagen haben und die nicht in Erscheinung treten. Was dann nachher als Eindruck hängen bleibt, das bewirkt mehr und nicht weniger Politikverdrossenheit. Deshalb, Wahlrechtsfrieden hin oder her: Wir haben miteinander noch viel zu tun, diesen Frieden auf dem Papier auch in politische Praxis umzusetzen, und ich hoffe sehr, dass der politische Konsens, der hier erreicht wurde, auch weiterhin für die Umsetzung gilt. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Grummeln im Saal ist einvernehmlich zu hören gewesen. Es hat gezeigt, wie groß die Schritte waren, mit denen die Volksinitiative und die großen Parteien aufeinander zugegangen sind. Ich bin mir und wir sind uns als grüne Fraktion dessen durchaus bewusst. Ich habe aber schon den Appell an uns alle: Wenn wir das jetzt hier gemeinsam machen, dann sollten wir das draußen auch gemeinsam vertreten. Wenn das Wahlrecht und die Verfassung erst einmal geändert sind, sollten wir das nicht schlecht reden, sondern das, was dann geschaffen ist, auch offensiv verteidigen und die Bürger ermuntern, die neuen Rechte auch zu nutzen.
Ich halte nichts davon, jetzt ein Jammerlied auf die Bezirke anzustimmen. Die Bezirke sind mit allen Stimmen in diesem Haus in der letzten Legislatur gestärkt worden, wir werden sie heute und morgen auch finanziell besser ausstatten, auch das wird einvernehmlich über alle Fraktionen hier geschehen. Jetzt fließt mehr Geld hinein, dem ist Rechnung getragen. Man kann hier nicht behaupten, die Bezirke hätten nichts zu sagen. Ich glaube, das sieht im Selbstverständnis der Leute, die in den Bezirksversammlungen sitzen und dort tatsächlich Entscheidungen treffen, ganz anders aus.
Es ist auch eine Chance. Ich kann verstehen, dass momentan mehr die Probleme im Vordergrund gesehen werden, aber ich bitte Sie, wenn wir hier heute herausgehen und diese Einigung auf den Weg bringen, nicht nur die Probleme zu sehen, sondern das auch als Chance zu begreifen. Es ist der Sinn einer Einigung, dass nicht alle gewinnen. Hier hat heute das Volk gewonnen und wir sollten diese Freude nicht mit zu viel Granteln in Frage stellen. – Vielen Dank.
Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung. Nach Artikel 51 unserer Verfassung sind zu einem die Verfassung ändernden Gesetz zwei übereinstimmende Beschlüsse der Bürgerschaft erforderlich, zwischen denen ein Zeitraum von mindestens 13 Tagen liegen muss. Außerdem müssen beide Beschlüsse bei Anwesenheit von drei Vierteln der gesetzlichen Mitgliederzahl und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Abgeordneten gefasst werden. Das Sitzungspräsidium hat sich davon überzeugt, dass mindestens 91 Mitglieder der Bürgerschaft anwesend sind.
Wer nun den Interfraktionellen Antrag annehmen und das Zwölfte Gesetz zur Änderung der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg aus Drucksache 19/3255 beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Für das Gesetz haben mehr als zwei Drittel der anwesenden Mitglieder gestimmt, es ist damit in erster Lesung angenommen worden. Die zweite Lesung wird für die Sitzung am 24. Juni 2009 vorgesehen.
[Antrag der Fraktion der SPD: Handlungsfähigkeit und Einnahmen des Stadtstaates Hamburg sichern – Drs 19/3257 –]
Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Ich möchte mich ausdrücklich an Sie wenden, sehr verehrte Christdemokratinnen und Christdemokraten! Sie kennen wahrscheinlich aus dem 1. Buch Mose die Erzählung von Esau, der sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht verkauft hat. Die Erzählung vom Linsengericht besagt, dass man etwas auf den ersten Blick sehr Verlockendes, tatsächlich aber Geringfügiges gegen etwas sehr Wertvolles verscherbelt. Nun habe ich mich bei der Befassung mit der Schuldenbremse gefragt, für welches Linsengericht der Senat das Erstgeburtsrecht der Freien und Hansestadt Hamburg zu verkaufen beabsichtigt, nämlich Hoheitsrechte, konkret die Haushaltsautonomie. Kann es sein, dass Sie die Dummheit des biblischen Esau noch übertreffen und im Tausch nicht einmal ein Linsengericht erhalten? Verstehen Sie mich nicht falsch, die Haushaltsautonomie ist unverkäuflich, aber der Senat scheint sie auch noch buchstäblich für nichts verkaufen zu wollen.
Hätten wir als die kleinste Oppositionspartei diesen Antrag auf Ablehnung der Schuldenbremse nicht gestellt, dann würde der Senat übermorgen im Bundesrat einem Beschluss zustimmen, der tief in die Rechte der Bürgerschaft eingreift, ohne dass in diesem Haus auch nur darüber gesprochen worden wäre. Denn das wissen Sie alle: Die geplante Zustimmung des Senats verletzt unter anderem die Hamburger Verfassung. Ohne jede Debatte entzieht der Senat, wenn er denn zustimmt, der Bürgerschaft das Recht, über die Aufnahme von Krediten zu befinden. Wenn der Senat also zustimmt, dann stimmt er zu, dass Bestimmungen der Hamburger Verfassung durch den Bund festgelegt werden und durch die Hamburger Bürgerschaft nicht geändert werden können. Das heißt, die Legislative, die Bürgerschaft wird damit entmachtet, und wie gesagt, das alles, ohne dass der Senat die Debatte in der Bürgerschaft auch nur gesucht hätte.
Nein, das ist nicht zu ertragen. Wir fordern mit unserem Antrag die Bürgerschaft auf, sich nicht entrechten zu lassen. Mit dem Präsidenten – und da spreche ich die SPD an – des rheinland-pfälzischen Landtags, Herrn Mertes, SPD, der sich gerade auf einer ver.di-Konferenz sehr eindeutig geäußert hat, bekräftigen wir, dass Bundesorgane keine verbindliche Schuldenbremse für ein Land beschließen können. Ort der Entscheidung ist das Landesparlament, ist für Hamburg die Bürgerschaft.
Die vom Bundestag gegen die Stimmen der LINKEN und ja auch der Grünen beschlossene Grundgesetzänderung ist nicht nur nach unserer Auffassung grundgesetzwidrig. Ich bin sehr gespannt – Herr Waldowsky, ich glaube Sie reden gleich nach mir –, welche Verrenkungen Sie machen, um die Zustimmung des Senats zu begründen zu einem Gesetz, das Sie im Bundestag abgelehnt haben.
Artikel 20, Absatz 1 des Grundgesetzes schreibt die Bundesrepublik Deutschland als demokratischen und sozialen Bundesstaat fest. Die bundesstaatliche Ordnung, das föderative Prinzip, ist ein Prinzip der Verfassungsordnung. Die vertikale Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern trägt maßgeblich zur Machtbegrenzung und Kontrolle der Machtausübung bei. Artikel 20 unterliegt der sogenannten Ewigkeitsgarantie, das heißt, der Regelung des Artikels 79, Absatz 3 des Grundgesetzes, die unter anderem Artikel 20 einer Verfassungsänderung entzieht. Der Einwand, dass Artikel 20 ja gar nicht geändert wird, hilft überhaupt nicht. Tatsächlich wird mit der Grundgesetzänderung das in diesem Artikel verankerte föderative Prinzip bis zur Unkenntlichkeit entstellt, denn wenn in der Rechtsprechung auch strittig ist, was im Einzelnen alles unabdingbar zur föderativen Struktur gehört, unstrittig ist, dass es ein Mindestmaß an Rechten der Länder geben muss, damit man überhaupt von föderativer Struktur reden kann. Und es muss doch klar sein, dass die Haushaltsautonomie der Länder zu diesen unveräußerlichen Rechten gehört.
So enthält denn auch Artikel 109, Absatz 1 des Grundgesetzes mit der Trennung der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern eine eindeutige Regelung. Ich werde die Geschichte dieses Artikels, die Vorarbeiten damals im Parlamentarischen Rat und die Diskussionen dort nicht im Einzelnen erzählen. Aber ich sage Ihnen, dass der Parlamentarische Rat mit dieser Grundgesetzbestimmung ebenso wie mit Artikel 20 die furchtbare Erfahrung des deutschen Faschismus verarbeitet hat und sich eindeutig von der Praxis der Gleichschaltung der Länder hat absetzen wollen.
Lassen Sie mich angesichts des 60-jährigen Bestehens des Grundgesetzes, und um die Bedeutung des Artikels 109, Absatz 1 Grundgesetz zu unterstreichen, hier einen CDU-Vertreter im Parlamentarischen Rat, den Abgeordneten Dr. Binder, zitieren, der 1948 in der Debatte sagte – Zitat –:
"Und ein bundesstaatlicher Aufbau unserer Verfassung wäre praktisch hinfällig, wenn die Länder nicht ihre selbstverantwortliche Finanzwirtschaft haben würden."
Die geplante Grundgesetzänderung verschiebt darüber hinaus in den Ländern die Kräfteverhältnisse zwischen der Exekutive und der Legislative. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es auch darum geht, das wichtige Recht der Feststellung des Haushaltsplans durch die Landtage, durch die Bürgerschaft zu beschneiden und damit die Begrenzung und Kontrolle der Exekutivgewalt durch die Legislative zu erschweren.
In wirklich jeder Hinsicht schwächt diese geplante Grundgesetzänderung die Demokratie und da bin ich wirklich, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, auf Ihre Begründung gespannt. Wir appellieren an die Bürgerschaft, fordern Sie den Senat auf, der Grundgesetzänderung nicht zuzustimmen.