Protokoll der Sitzung vom 24.06.2009

(Beifall bei der GAL)

Dieses Problem geht quer durch die Gesellschaft und es geht uns alle an.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Sicher ist seit dem Beschluss zur Erstellung eines Aktionsplans im Jahr 2005 und seit dessen Veröffentlichung im Jahr 2007 einiges geschehen. Es bedarf, wie Sie schon betont haben, einer steten Weiterentwicklung und Aktualisierung des Aktionsplans. Deshalb werden wir Ihren Antrag auch in den Ausschuss überweisen.

Aus unserer Sicht ist besonders der Punkt 7, die präventive Täterarbeit, ein sehr wichtiger Punkt. Hier müssen wir deutlich besser werden und wir sollten auf jeden Fall in der Diskussion darüber, wie das gelingen kann, an einem Strang ziehen. Aber auch die Punkte 8, 9 und 11 zum Sonderdezernat, zur Internetplattform oder zu einem verbes

serten Qualitätsmanagement sind Überlegungen und Diskussionen wert.

Meine Damen und Herren! Gewalt kommt nicht in die Tüte, das war das Motto zum Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen im November 2008. Dem ist inhaltlich eigentlich nichts hinzuzufügen. Wir wollen und werden Gewalt in dieser Stadt entschieden begegnen, und zwar in jeder Form und durch ein breites gesellschaftliches Bündnis. Ich würde mich in diesem Zusammenhang freuen, wenn ich den einen oder anderen vielleicht auch am 5. Juli beim Lauf um die Alster zugunsten der Hamburger Frauenhäuser begrüßen könnte. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Frau Artus.

Ich habe mich gerade gestern auch zu dem Lauf angemeldet. Ich hoffe, dass wir wirklich noch ein paar mehr werden.

Herr Präsident, sehr geehrte Herren und Damen! Viel habe ich meinen Vorrednerinnen nicht hinzuzufügen, aber ich habe im Grunde kein Verständnis dafür, dass nicht spätestens nach den beiden Großen Anfragen zu häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen von der SPD und der LINKEN weitere konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Situation eingeleitet wurden. Morsal ist nun seit über 13 Monaten tot und weiterhin erleiden jeden Tag Mädchen und Frauen ähnliche Qualen, werden von Partnern, Brüdern, Ehemännern gedemütigt, geschlagen, vergewaltigt. Manchmal bringen die Täter sich nach einem Frauenmord auch selbst um und das heißt dann in der Presse "Familiendrama". Solange Frauen und Kinder in Frauenhäusern Schutz suchen müssen, ist aus meiner Sicht die Hamburger Landesregierung noch nicht ausreichend aktiv geworden.

Es geht bei dem Thema aber nicht nur um Opferschutz, wie es der Hamburger Senat definiert. Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist immer auch eingebettet in eine patriarchalische Gesellschaft und in die wirklich immer noch weitgehende Akzeptanz der Herrschaft des Mannes über die Frau. Männer bestimmen immer noch, wo es langgeht in der Familie, in den Betrieben und in der Politik, trotz Gleichstellungsmaßnahmen, trotz Grundgesetz, trotz Quoten. Das liegt natürlich auch an den gesellschaftlichen Bewertungsmaßstäben, was wichtig ist und wohin die Aufmerksamkeit gelenkt wird. Scheinbar weiche und daher klassische Frauenthemen sind immer irgendwie weniger wichtig. Sehen Sie sich zum Beispiel die Wanderbewegung in der Bürgerschaft an, die häufig zu beobachten ist, wenn Gesundheit, Soziales, Familien- oder gar Frauenpolitik aufgerufen wird. Dann verlassen die

(Linda Heitmann)

Abgeordneten, leider auch viele weibliche, fast jedes Mal in Scharen den Plenarsaal; heute geht’s.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Sie kom- men aber auch wieder!)

Sie kommen auch wieder, ja.

Auch mir ist wirklich übel geworden, als ich diesen Text in der "Welt" über diese Forderung der Abschaffung von Frauenhäusern gelesen habe, Linda Heitmann hat ihn schon erwähnt. Dass solche Berichte überhaupt so einen Raum bekommen, ist für mich unerträglich.

Die Fraktion DIE LINKE unterstützt den Antrag der SPD, auch wenn mir der Blick auf die Kinder und auch auf die Männer fehlt, aber das lässt sich ja nachbessern.

Aus einem Gutachten, das im Auftrag der Psychotherapeutenkammer Hamburg zur Situation der Versorgung von psychisch auffälligen Kindern und Jugendlichen in Hamburg erstellt wurde, geht hervor, dass es ein eklatantes Missverhältnis zwischen dem Angebot durch Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen und -therapeuten in Hamburg und der Nachfrage nach Betreuung gibt. Dies wäre natürlich auf jeden Fall noch mit einzuarbeiten; die GAL hat dies schon 2005 mit ihrem Antrag "Aufbruch in der Opferschutzpolitik!" gefordert. Auch im Sozial- und Gleichstellungsausschuss sollten weitere konkrete Eckpunkte diskutiert werden, zum Beispiel die Einbeziehung der verschiedenen Projekte und die Sicherstellung der Aus- und Fortbildung von Polizei und Justiz.

Sehr geehrte Herren und Damen! Wer eine menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden. Wenn Sie wirksam gegen Gewalt an Frauen und Mädchen vorgehen wollen, dann muss ein wirklicher Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen unter verbindlicher Einbeziehung von Maßnahmen gegen Männergewalt entwickelt werden. Das muss aus einem Guss sein und nicht ein paar Aktivitäten hier und da. Das Beste für Frauen und Kinder wäre, wenn es eine rot-rot-grün-schwarze Einstimmigkeit in dieser Frage gäbe.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Frau Ernst.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren. Als Erstes ist hier einmal festzuhalten, dass es gut ist, dass es eine Einigkeit darüber gibt, sich mit diesem Thema intensiv zu befassen und auch die Ausschussberatungen zu nutzen, um den Schutz von Frauen wirksam zu verbessern. Das war im letzten Jahr nicht so, als Sie sich geweigert haben, unsere Großen Anfra

gen im Ausschuss zu beraten, und insofern kommen wir jetzt vielleicht wirklich einen Schritt weiter.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben in den letzten Jahren erreicht, dass Gewalt gegen Frauen kein gesellschaftliches Tabu mehr ist, und wir haben ein umfangreiches Hilfesystem geschaffen. Das leugnet niemand hier im Raum, das wissen wir und das gilt auch für Hamburg. Dennoch ist unser Antrag notwendig, weil wir diese Hilfe überprüfen müssen und weil wir noch mehr Schutz für Frauen brauchen. Das angestrebte Ziel, die Gewalt gegen Frauen deutlich abzubauen und den Schutz zu erhöhen, war in vielen Bereichen noch nicht zu erreichen. Dem muss man sich dann auch kritisch stellen.

Ich will das verdeutlichen an der Zahl der sogenannten Wegweisungen, die es seit einigen Jahren in Hamburg gibt. Gewalttätige Männer können im akuten Gewaltfall von der Polizei für einige Tage aus der Wohnung entfernt werden. Das passiert in Hamburg jedes Jahr 700 bis 850 Mal. Diese Anzahl sinkt nicht und wenn man darüber nachdenkt, ist es eine große Zahl, denn das bedeutet, dass die Hamburger Polizei mehr als zweimal täglich einen gewalttätigen Mann aus einer Wohnung holt. Es gibt keine klare rückläufige Tendenz, die wir uns eigentlich wünschen würden. Das heißt, es gibt viele Frauen, die diese Hilfe noch brauchen.

Auch Anträge auf gerichtliche Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz, die es ja noch gar nicht so lange gibt, sind in den letzten Jahren bis 2007 von 240 auf 322 beziehungsweise 327 gestiegen. Auch das zeigt, dass Gewalt in Hamburg nach wie vor an der Tagesordnung ist, erfreulicherweise aber auch, dass Frauen sich dagegen wehren.

Ich möchte noch einige andere Bereiche ansprechen, in denen wir auch klüger werden sollten. Die Studie des Bundesfamilienministeriums, die sehr verdienstvoll ist, wurde schon zitiert. Die Anregungen aus dieser Studie sollten wir in Hamburg aufgreifen, um unser Hilfesystem zu überprüfen. Hier wird sehr deutlich das Problem benannt, dass gerade Frauen mit einem niedrigen Bildungsgrad, die besonders von Gewalt betroffen sind, am wenigsten über das Hilfeangebot wissen. Wir müssen uns immer klar machen, dass das, was wir an Kenntnis über ein Sozialsystem haben, weit von dem entfernt ist, was andere in der Stadt wissen, die eigentlich gerade die Hilfe brauchen würden.

(Beifall bei der SPD)

Aber in der Studie wurde auch eine zweite Gruppe sehr klar identifiziert, Frauen, die besser gebildet sind und die Hilfeangebote kennen, die aber aus Scham und Rücksichtnahme, weil es ihnen unangenehm ist, diesen Weg nicht gehen. Daraus kann man schließen, dass es wahrscheinlich bei vielen von uns im Bekanntenkreis Frauen gibt, die regel

(Kersten Artus)

mäßig Opfer von häuslicher Gewalt sind, bei denen wir es nicht vermuten, die es verschweigen, weil sie vielleicht sogar selber Scham empfinden, denn es passt nicht zu dem Bild der Frau der modernen Gesellschaft, so mit männlicher Gewalt konfrontiert zu sein. Wir sollten uns immer deutlich machen, dass das ein Thema ist, das nicht der Vergangenheit angehört, dass es hier viele Frauen gibt, die Hilfe brauchen und die durch die Hilfe nicht erreicht werden.

(Beifall bei der SPD)

Die Studie benennt eine dritte Gruppe, das sind insbesondere ältere Frauen, die die Hilfsangebote nicht kennen und die vielleicht auch schon viele Jahre Gewalt erduldet haben.

Unser Anliegen ist es auch, diese Erkenntnisse, die noch einmal sehr zugespitzt zeigen, wo es weiteren Bedarf gibt, in Hamburg aufzugreifen. Wir wollen durch unseren Vorschlag erreichen, dass die Hilfe gebündelt wird. Und ich möchte noch eine weitere Gruppe beschreiben, für die aus unserer Sicht die Hilfe besser sein könnte, nämlich Frauen in ganz extremen Risikosituationen. Das sind die Fälle, die wir häufig mit Erschrecken in den Medien wahrnehmen. Frauen, die in Trennungssituationen sind, die ausbrechen wollen aus ihren Familiensituationen, werden häufig sehr gewalttätig, auch lebensgefährlich bedroht. Diese Frauen haben häufig schon das Hilfesystem in Anspruch genommen, waren vielleicht schon bei der Polizei gewesen und trotzdem gelingt es nicht, schwere Verletzungen, manchmal den Tod der Frau zu verhindern.

(Unruhe im ganzen Hause)

Ich muss einmal sagen, ich finde die Nebengeräusche unangemessen. Gehen Sie doch hinaus, wenn es Sie nicht interessiert.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL und der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk (unterbrechend) : Ich darf insbesondere die Herren, die das ja auch interessieren sollte, um etwas mehr Ruhe bitten. – Danke.

– Vielen Dank, Herr Präsident.

Wir schlagen in unserem Antrag erneut vor, eine Gesetzeslücke zu schließen, denn das könnte wirklich helfen. Wir haben erreicht, dass Frauen durch die Wegweisung den Mann für einige Tage aus der Wohnung weisen können. Die Frauen haben in dieser Zeit die Gelegenheit, auch vor Gericht durchzusetzen, dass die Männer nicht wieder in die Wohnung kommen dürfen. Das ist ein großer Fortschritt. Es ist in diesem Zeitraum aber noch nicht möglich, ein Kontakt- und Näherungsverbot durch die Polizei aussprechen zu lassen und zu er

wirken, dass die Männer sich nicht nähern dürfen, und zwar weder an der Wohnung noch am Arbeitsplatz oder in der Kita oder der Schule der Kinder. Das ist Landesrecht, das könnte in Hamburg geregelt werden und wir hoffen, dass unsere Diskussionen dazu führen, dass wir hierüber Einigkeit erzielen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es gibt noch einen weiteren Bereich, Frau Koop hat es angesprochen, die Gesellschaft befindet sich im Umbruch, das Frauenbild hat sich verändert, die Männerbilder verändern sich und es gelingt nicht allen Männern gleichermaßen gut, dieser gesellschaftlichen Entwicklung zu folgen. Gerade in solchen Situationen, in denen Frauen ausbrechen und für sich mehr individuelle Freiheit in Anspruch nehmen, kommen Männer vielfach nicht so mit und reagieren auch mit Gewalt. Auch das zeigt, dass wir hier noch Hausaufgaben zu machen haben, um den Schutz von Frauen, die Opfer von Gewalt sind, zu verstärken. Wir freuen uns auf die Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und bei Christiane Blömeke GAL)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 19/3282 an den Sozial- und Gleichstellungsausschuss zu? – Gegenprobe? – Enthaltungen? – Dann ist das einstimmig beschlossen.

Tagesordnungspunkt 22, Drucksache 19/3269, Bericht des Haushaltsausschusses, Haushaltsplan 2009/2010, Einzelplan 3.1 Behörde für Schule und Berufsbildung, "Außerschulische Berufsvorbereitung" – Einrichtung neuer Produktionsschulen in freier Trägerschaft.

[Bericht des Haushaltsausschusses über die Drucksache 19/2928: Haushaltsplan 2009/2010 Einzelplan 3.1 Behörde für Schule und Berufsbildung, Titel 3200.685.39 „Außerschulische Berufsvorbereitung“ – Einrichtung neuer Produktionsschulen in freier Trägerschaft (Senats- antrag) – Drs 19/3269 –]

Wird das Wort gewünscht? – Herr Gwosdz, Sie haben das Wort.