Protokoll der Sitzung vom 24.06.2009

(Glocke)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk (unterbrechend) : Ich bitte um etwas mehr Ruhe.

– Danke.

Ich habe es durchgearbeitet und habe dort vorgefunden, dass diese Produktionsschule nicht aus einem Guss ist, Frau Senatorin. Es ist ein Baustein, aber der Ansatz für die Risikoschüler muss ein anderer sein, er muss ein präventiver Ansatz sein. Wir haben 1349 Schulabgänger im letzten Schuljahr ohne Hauptschulabschluss gehabt, da müssen wir schauen, wie wir die Schüler zum Hauptschulabschluss bringen.

Ihre Vorgängerin hat ein wunderbares Projekt initiiert, 2006 hat es begonnen mit KOBI, das war genau der richtige Ansatz, bei dem Schüler parallel nach der achten Klasse sowohl einen praktischen Teil hatten als auch den Schulteil, das findet sich alles in Ihrem Rahmenkonzept zum Teil wieder, aber nicht in der ursprünglichen Form, Frau Senatorin, da sind dann KOBI und Kompass erwähnt. Es wurde erwähnt, wie es genau ausschauen soll, mit wie viel Zeitstunden das in der Praxis ange

(Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch)

dacht ist. Es wird jetzt alles reduziert, die positiven Erfahrungen aus diesem Projekt werden nur zu einem Teil übernommen. Frau Senatorin, das kann es nicht sein.

Zu KOBI habe ich hier einige Zahlen, die Sie, meine Damen und Herren, vielleicht überzeugen werden: 70 bis 95 Prozent der Abgänger aus diesem Projekt haben einen Hauptschulabschluss erreicht. Über 60 Prozent der Abgänger sind in die duale Berufsausbildung gegangen. Das sind doch Super-Zahlen, die man so auch sehen will.

Es gibt ein weiteres Projekt, das ich mir heute herausgesucht habe, AnSCHuB in Bergedorf. Dort gibt es sogar zu 100 Prozent den Hauptschulabschluss, das beginnt noch ein Schuljahr eher. All das ist in diesem Rahmenkonzept nicht enthalten, sondern im Prinzip ist es die Bankrotterklärung schlechthin, weil diese Produktionsschulen erst dann greifen, wenn das Schulsystem versagt hat. Das ist zu wenig, die erste Maßnahme muss sein, dass wir die Risikoschüler schon vorher abfischen und nicht erst warten, bis sie in die Falle hineingetappt.

Noch einmal zu Herrn Gwosdz; Sie sagten, der DGB stehe hinter dem Konzept. Ich habe natürlich sofort unter meinen vielen Papieren herausgesucht, dass der DGB nicht hinter dem Konzept steht. Insbesondere der Teil, in dem Sie in der Produktionsschule die zertifizierbaren Qualifizierungsmaßnahmen stehen haben, allein das Wort ist ein Unding, das lehnt der DGB grundsätzlich ab, denn mit so einer Teilzertifizierung kann man auf dem Arbeitsmarkt nichts anfangen.

Ein weiterer Kritikpunkt auch an den Produktionsschulen, den der DGB ebenfalls hat. Schon aufgrund der geringen Kapazitäten sei es gar nicht möglich, für die betreffende Klientel sicherzustellen, dass sie reibungslos wieder eingegliedert werde. Bitte machen Sie also den DGB nicht zu Ihrem Anwalt, das funktioniert nicht.

Ich fordere Sie nochmals nachhaltig auf, Frau Senatorin, diese Versuchsklassen, die es gab, KOBI, AnSCHuB…

(Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch: Die laufen doch noch!) Christa Goetsch : – Sie laufen noch, aber sie laufen aus. Es ist bekannt, dass sie 2010 auslaufen und nicht in der gleichen Güte integriert werden. Die Kollegen vor Ort sind sehr frustriert darüber. Diese Schüler hatten ein ganz besonderes Lernniveau an dieser Stelle, sie hatten sehr viel Glück, dass man ihnen eine besondere Lernsituation geboten hat mit viel Geld. Darüber werden die Stadtteilschulen, so wie es in den Rahmenbedingungen beschrieben ist, nicht verfügen, auch nicht über diese sehr kleinen Lerngruppen; wir wissen ganz genau, in den Stadtteilschulen haben wir Klassen mit sehr unterschiedlichen Lernniveaus, angefangen vom Risikoschüler bis zu dem Schüler, der sich eigentlich auf die Sekundarstufe II vorbereitet. Ich frage mich, wie Sie das System dann integrieren wollen. Insgesamt bleibt für mich festzustellen, dass die Produktionsschulen nachgelagert sind; ich vermisse aber insgesamt in dem gesamten Rahmenkonzept den präventiven Ansatz. Das Grundproblem des fehlenden Hauptschulabschlusses ist nicht gelöst, weil es nicht obligatorisch ist, sondern Sie bauen hier ein weiteres Parallelsystem auf, das ist eine weitere Warteschleife. Neben dem grundsätzlichen Problem der Privatisierung ist auch das Koordinierungsproblem nicht gelöst und aus dem Grund können wir uns an dieser Stelle nicht durchweg positiv dazu äußern. – Danke. (Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Herr Bischoff.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Rugbarth, es ist richtig, dass wir über das Übergangsfeld Schule und Beruf noch einmal genauer diskutieren müssen. Ich finde aber, wir sollten heute die Sachen auseinanderhalten,

(Beifall bei Michael Gwosdz GAL)

denn wir waren zunächst einmal mit der Idee konfrontiert, Produktionsschulen in Hamburg auszuweiten. Ich sehe, dass es hier ein Problem gibt und stimme auch Ihrer Argumentation zu, dass wir selbstverständlich sehen müssen, wie wir zu einer Verstärkung der präventiven Maßnahmen kommen, und damit auch, was Sie ansprachen, diese Erfahrungen der Versuchsklassen aufgreifen. Alles d'accord, das müssen wir noch einmal genauer betrachten, ich würde in diesem Bereich auch keinen Blankoscheck vergeben wollen. Doch jetzt kommt das Aber, ich will noch einmal erläutern, warum wir dieser Idee von Beginn an sehr positiv gegenüberstanden.

Natürlich gibt es eine bestimmte Schulflucht beziehungsweise eine Abneigung, zur Schule zu gehen. Das gibt es auch in einem System wie in Dänemark, das sich von unserem Bildungssystem sehr unterscheidet. Es ist ein durchaus vernünftiges Angebot, einen Ausbildungsgang und eine Integration in gesellschaftliche Verhältnisse zu ermöglichen, das jetzt mit dem Produktionsschulkonzept umrissen ist. Keine Frage, das muss nachher eingebaut werden; man muss auch bei den Erfahrungen, die dort gemacht werden, schauen, ob man sie auf die anderen Bereiche übertragen kann. Ich respektiere auch, dass Sie so große Bedenken haben, dass Sie dies jetzt ablehnen, aber das kann für unsere Fraktion nicht gesagt werden. Wir stehen hinter dieser grundsätzlichen Idee. Wir haben Zweifel

(Andrea Rugbarth)

Frau Heyenn hat das eben angesprochen – an der praktischen Umsetzung. Wir möchten uns daher bei der Abstimmung nachher enthalten, aber werden uns genau ansehen, was im Bereich der Trägerschaft möglich ist. Es wird in jedem Fall so sein, dass wir in den nächsten Jahren noch mit einer Ausweitung und einer Auswertung dieser Erfahrungen konfrontiert werden. Dann können wir selbst noch einmal entscheiden, ob es richtig war, diesen Weg zu gehen. Wir werden den Prozess der Produktionsschulen weiterhin sehr kritisch begleiten. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Herr Lemke.

Noch einmal zu Frau Rugbarth; ich freue mich, dass Sie jetzt das KOBI-Projekt loben, das hat Ihre Fraktion in der letzten Legislaturperiode in dieser Form nicht zum Ausdruck gebracht, vielen Dank. Einer Sache jedoch muss ich vehement widersprechen. Man kann wirklich nicht sagen, dass es sich bei den Produktionsschulen um eine weitere Warteschleife handelt, da liegen Sie vollkommen falsch.

(Beifall bei Michael Gwosdz GAL)

Genau, vielen Dank!

Es ist keine weitere Warteschleife.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Es geht doch gerade darum, diese Warteschleifen zu verringern, die Zahlen sind auch genannt worden und das ist auch eine Herausforderung für uns alle.

Ich möchte auf die Schüler eingehen, die diesen Schulabschluss nicht geschafft haben. Die Frage ist, wie es jetzt für die Schüler weitergehen soll. Anscheinend existiert bei der SPD die Vorstellung, diese Schüler gleich wieder zu verschulen, in ein System zu stecken, in dem es weitergeht mit Schule. Ich kann dazu nur sagen, der arme Schüler, er muss doch einmal eine neue Art der Motivation kennenlernen.

(Beifall bei Dr. Eva Gümbel GAL)

Ich glaube, das kann die Produktionsschule leisten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Herr Rabe.

Herr Bischoff, wir sind uns völlig einig im Abstimmungsverhalten, auch wir werden uns dabei enthalten und wir sind uns auch darin einig, dass die Produktionsschule in der Sache eine

richtige Idee ist. Hier geht es um Schülerinnen und Schüler, die es in der Schule schwer gehabt haben, die keine Chance auf einen Abschluss hatten, sie brauchen ein besonderes Angebot. Noch eine normale Schule wäre ein falscher Weg. Deswegen finden wir die Idee einer Produktionsschule in einem familiären Zusammenhang, vor allem aber orientiert am Handeln, am praktischen Tun, ausdrücklich gut, das ist sicherlich ein richtiges Angebot. Daran entzündet sich unsere Kritik nicht, sondern da sind wir uns auch mit Ihnen einig, Herr Gwosdz.

(Präsident Berndt Röder übernimmt den Vorsitz)

Unsere Kritik entzündet sich an der praktischen Durchführung. Es lohnt sich, dies genauer anzusehen. Der eine Hinweis ist, die Produktionsschule Altona funktioniere gut, richtig, aber wir können sie nicht mit dem vergleichen, was wir jetzt machen, denn die Produktionsschule Altona wird momentan mit 15 000 Euro pro Schüler finanziert. Die zukünftige Schule dagegen bekommt 7800 Euro pro Schüler. Zwar erhält auch die Produktionsschule Altona nur 9200 Euro Schülerkosten, aber sie akquiriert weitere Mittel in einem beträchtlichen Umfang. Diese Chance haben die zukünftigen Produktionsschulen nicht. Man kann davon ausgehen, dass sie nur zwei Drittel des Geldes zur Verfügung haben werden und dann kann man nicht sagen, die Schulen sollten so werden wie Altona, wenn man ihnen nur zwei Drittel des Geldes gibt. Das ist das eine Problem in der Ausführung.

Das andere Problem ist aber – wir haben darauf hingewiesen, dass wir schon eine Reihe von Berufsschulen haben, die Rede war bereits schon von G 8, G 13, G 20 –, dass die Berufsschulen selbst sagen, sie würden diese Idee gern umsetzen. Die sind auch durchaus in der Lage dazu, sie haben jede Menge Infrastruktur, sie haben Werkzeuge, sie haben Werkstätten und so weiter. Sie haben auch Lehrer, die das machen und können, wie Ihr eigenes Konzept zeigt. Denn um Ihre Produktionsschulen zum Laufen zu kriegen, sollen genau die Berufsschullehrer der jetzigen Schulen in den Produktionsschulen mitarbeiten. Das ist doch der beste Beweis dafür, dass das normale Berufsschulsystem durchaus in der Lage ist, das alles hinzubekommen.

Warum gibt man insofern nicht auch den Berufsschulen die Chance, von dieser guten Idee zu lernen und weiterzukommen? Der Wille ist auf jeden Fall vorhanden. Die Berufsschulen auszuschließen, ist wirklich eine verbohrte Ideologie, die wir nicht nachvollziehen können.

Diese Ideologie stört uns auch aus einem zweiten Grund. Wir haben den Schwimmunterricht an die Bäderland verlagert, die Berufsschulen in die HIBB ausgegliedert und einige Schulen, 32 im Moment, der GWG übereignet. Wir wollen weitere Schulen

(Dr. Joachim Bischoff)

auslagern und jetzt entsteht ein neuer Schulbereich, den wir an Träger vergeben. Steckt dahinter eigentlich ein Konzept? Was soll dieses Abknabbern, dieses zunehmende Ausgliedern von Strukturen aus dem Bereich der Schule?

Bildung ist eine Aufgabe, die uns als Gesellschaft und damit uns als Hansestadt Hamburg angeht und die wir als Politiker auch zu verantworten haben. Es ist grundverkehrt, ständig weitere Bereiche in irgendwelche Unterformen, Trägerschaften, Pachtverträge oder Private auszulagern. Meiner Meinung nach lohnt es sich, darüber zu streiten und deswegen können wir einer guten Idee in dieser schlechten Ausführung so nicht zustimmen. Wir werden uns enthalten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Gwosdz.

Ich bin doch etwas überrascht, Herr Rabe. Als ich Frau Ernst zugehört habe, habe ich verstanden, dass Sie es ablehnen

(Jörn Frommann CDU: Richtig!)

und von der Konzeption her für ein Konzept von vorgestern halten.

(Ties Rabe SPD: Ich habe gesagt, nicht zu- stimmen!)

Jetzt sagen Sie, dass Sie sich enthalten, es aber im Prinzip eine gute Idee sei. Entweder ist es etwas von vorgestern, was nicht mehr in die Gegenwart passt, oder es ist eine gute Idee, die wir heute realisieren.

Sie haben selbst gerade vorgerechnet, dass die Produktionsschule Altona über die Jahre hinweg gemittelt 15 000 Euro pro Jahr und pro Schüler zur Verfügung hatte, natürlich auch durch Einnahmen aus Produktion und durch Drittmittel.