Protokoll der Sitzung vom 08.07.2009

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wieder einmal müssen wir über Krümmel reden. Nein, es ist kein besonders sicherheitsrelevanter Vorgang in diesem Kraftwerk gewesen, aber die Aufregung über diese Folge von Pannen ist begründet. Es ist nicht zumutbar, ständig im Zusammenhang mit diesem Kraftwerk von Pannen zu hören und jedes Mal in der Sorge sein zu müssen, ob es ein ernsterer Störfall war.

(Jenny Weggen)

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Es ist richtig, unsere Bürger sind schneller in Sorge als Bürger anderer Länder. In den Achtzigerjahren, beispielsweise, gab es das Phänomen, dass das Waldsterben an der deutsch-französischen Grenze aufhörte. Natürlich hat es nicht an dieser Grenze aufgehört, aber die Wahrnehmung war jeweils eine andere. Unsere Wahrnehmung war und ist eine deutlich besorgtere. Diese schnelle Sorge, dieses Sehen von Gefahren und Schwierigkeiten scheint oft von Nachteil zu sein. Viele Entscheidungen sind erschwert, Prozesse starten langsamer oder auch gar nicht. Diese Sorge, dieses In-Sorge-Sein hat aber auch einen entscheidenden Vorteil: Vorrang für Sicherheit. Wenn deutsche Produkte in der Wald…

(Heiterkeit bei der SPD und anschließend bei allen Fraktionen)

Das Thema lässt mich im Leben nicht los.

Wenn deutsche Produkte in dieser Welt für etwas stehen, dann für Sicherheit und Zuverlässigkeit. Deshalb reagieren wir so empfindlich, wenn auch nur die Zuverlässigkeit nicht gegeben ist.

(Beifall bei der CDU)

Zu Recht stellen wir an ein Kernkraftwerk die Anforderung, dass es nicht nur sicher, sondern auch zuverlässig ist. Es war zu erwarten, dass sich einer wie Herr Gabriel auf dieses Thema stürzt.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das ist seine Aufgabe als Umweltminister!)

Er möchte ein Wahlkampfthema liefern, mit dem sich Ängste schüren und in Wählerstimmen ummünzen lassen.

(Beifall bei der CDU)

Kein angemessener, aber ein zu erwartender Umgang mit diesem Thema.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wie hat sich denn Kollege Oettinger dazu geäußert?!)

Angemessen ist es, zu trennen zwischen dem Thema Kernenergie insgesamt

(Ingo Egloff SPD: Ich habe das Gefühl, der ist schon Bürgermeister hier!)

und der Zuverlässigkeit des Kraftwerks Krümmel. Ich halte es jetzt nicht für möglich, gleichzeitig auf CO2-intensive fossile Kraftwerke und auf Kernkraftwerke zu verzichten. Daher bleibt die Entscheidung richtig, die Restlaufzeit der sicheren Kernkraftwerke zu nutzen, um in dieser Zeit Energieeffizienz und erneuerbare Energien voranzubringen.

(Beifall bei der CDU)

Werden Kernkraftwerke heute abgeschaltet, so müssten sie durch fossile Kraftwerke ersetzt wer

den und diese stehen dann für die nächsten 40 Jahre und belasten unsere Klimabilanz.

(Michael Neumann SPD: Moorburg!)

Ja, ich stehe hinter dem Konzept einer nachhaltigen Energieversorgung und ja, ich bleibe bei meiner Forderung an Vattenfall: Wenn Sie dieses Kraftwerk nicht in den Griff kriegen, schalten Sie es ab.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort erhält die Abgeordnete Dr. Schaal.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kruse – wo ist er denn eigentlich? –, der Minister Gabriel ist zuständig für Reaktorsicherheit, da braucht er sich gar nicht drauf zu schmeißen, darum kümmert er sich jeden Tag.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kruse, Sie wollen offenbar mit atomkritischen Tönen in Eimsbüttel punkten, denn dort kommt man mit dem Atomkurs wohl nicht so weit. Doch würde Ihre Partei nicht ständig eine Laufzeitverlängerung versprechen, hätte Vattenfall womöglich gar nicht erst Krümmel weiterzuführen beantragt und Brunsbüttel vielleicht auch schon endgültig dicht gemacht. So aber wird die Pannenserie im AKW Krümmel zum Störfall für den CDU-Atomkurs.

(Beifall bei der SPD)

Denn trotz kritischer Untertöne hat auch Herr Kruse deutlich gemacht, dass die CDU nicht vom Atomkurs und von der Laufzeitverlängerung lassen will, weil sie angeblich um die Versorgungssicherheit besorgt ist. Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Seit zwei Jahren sind Brunsbüttel und Krümmel mit mehr als 2000 Megawatt vom Netz. Stade ist seit 2003 nicht mehr am Netz. Eine Versorgungslücke gab es nicht und gibt es nicht.

(Wilfried Buss SPD: Hört, hört!)

Kaum wird Krümmel wieder angeschaltet, bricht die Versorgung ein und binnen einer Woche haben wir in Hamburg Chaos gehabt und Schäden in Millionenhöhe bei Industrie und Privathaushalten. Versorgungssicherheit sieht wirklich anders aus.

(Beifall bei der SPD, der GAL und bei der LINKEN)

Aber die CDU und die Atomlobby halten auch nach dem erneuten Kollaps von Krümmel und trotz erheblicher Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betreibers eisern an der Forderung nach einer Laufzeitverlängerung fest.

(Rüdiger Kruse)

Sie brauchen gar nicht so zu lachen, Frau Ahrons, das ist kein Thema, um zu lachen, sondern das kann ein todernstes werden.

(Barbara Ahrons CDU: Ich habe über mei- nen Kollegen gelacht!)

Hamburgs Bürgermeister und Umweltbeauftragter seiner Partei gibt sich besorgt. Sicherheit ist das höchste Gebot. Auch Vattenfall-Chef Hatakka sagt, dass jederzeit höchste Sicherheits- und Technikstandards in seinen Kraftwerken garantiert werden müssen. Hätte er nur dafür gesorgt. Der Trafo, der den Kurzschluss ausgelöst hat, ist über 30 Jahre alt, der Ersatztrafo ist auch nicht viel jünger. Ein neuer Trafo hätte über acht Millionen Euro gekostet, doch ein höherer Profit war Herrn Hatakka offensichtlich wichtiger. So viel zum Thema Sicherheit.

(Beifall bei der SPD, der GAL und vereinzelt bei der LINKEN)

Wir haben in Krümmel alte Technik und alte Probleme, denn bereits vor drei Jahren bezeichnete die Bundesregierung die älteren Siedewasserreaktoren, zu denen Krümmel zählt, als nicht zum neuesten Stand der Technik gehörend. Es ist langsam peinlich, wie uns die CDU und die Atomwirtschaft immer wieder versuchen, hinters Licht zu führen.

Es trägt auch nicht zur Schadensbegrenzung bei, wenn Hamburgs Bürgermeister wiederholt totale Transparenz bei der Ursachenaufklärung und bei der Information der Bevölkerung fordert. Auch hier hat Vattenfall nichts dazugelernt. Mit der Genehmigung zum Wiederanfahren des Reaktors war die Auflage verbunden, kontinuierliche Sprachaufzeichnungen aus dem Steuerstand zu gewährleisten. Gegen diese Auflage hat Vattenfall sofort beim Oberverwaltungsgericht Klage erhoben. Die Mikrofone waren bei der Panne nicht in Betrieb. Jetzt gibt Vattenfall-Chef Hatakka zu, dass auch die geforderte Überwachungseinrichtung am Trafo nicht installiert war, und er feuert den Kraftwerksleiter, aber das ist doch ein Bauernopfer, meine Damen und Herren. Der Fisch stinkt bekanntlich am Kopf zuerst.

(Beifall bei der SPD, bei der GAL und bei Norbert Hackbusch DIE LINKE)

Auch in Schweden werden jetzt Unregelmäßigkeiten aus den Kernkraftwerken gemeldet. Alles das hatten wir vor zwei Jahren auch schon gehabt. Transparenz wird unterbunden, Aufklärung erfolgt scheibchenweise und über die Ursachen von Radioaktivität im Reaktorwasser werden wir vielleicht auch noch etwas erfahren.

Es schafft kein Vertrauen, auch wenn der Bürgermeister jetzt fordert, AKWs beim leisesten Verdacht abzuschalten. Nach 300 Zwischenfällen in Krümmel ist der Verdacht nicht mehr leise und von

Zuverlässigkeit kann man hier wirklich nicht sprechen.

(Beifall bei der SPD, der GAL und der LIN- KEN)

Der Bürgermeister sollte aufhören, Vattenfall Schützenhilfe zu leisten. Krümmel darf nicht mehr ans Netz, es darf auch keinen dritten Versuch mehr geben, es ist vertan und eine Laufzeitverlängerung lehnen wir auch ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der GAL und der LIN- KEN)

Dann gebe ich das Wort der Abgeordneten Heyenn.

(Rolf Harlinghausen CDU: Jetzt geht's vom Megawatt zum Meckerwatt!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Diskussion um die Atomkraftwerke ist in der Republik fast 40 Jahre alt und Hamburg war immer ein Zentrum dieser Diskussion, obwohl wir kein Kernkraftwerk haben, aber die Energieversorgung zuerst durch HEW, jetzt Vattenfall, hat in ihrem Energiemix immer Atomstrom aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein bezogen. Brokdorf war das Symbol für den Widerstand gegen Kernkraftwerke und es war gleichzeitig das Symbol für die Härte, mit der gegen Demonstrationen und Demonstranten vorgegangen wurde. Krümmel ist das Symbol für die Fahrlässigkeit im Umgang mit dieser risikoreichen Technologie. Wann fliegt uns Krümmel um die Ohren?, hat die "Bild"-Zeitung heute getitelt. Das fragen wir uns seit 1984.

Es geht nicht nur um Störfälle und deren Behebung beziehungsweise Nichtbehebung. Die von der CDU geführte Landesregierung Schleswig-Holstein hat zu Recht die Frage aufgeworfen, ob Vattenfall als Betreiber von Kernkraftwerken noch tragbar sei. Es geht nicht nur um Krümmel, es geht um Kernkraftwerke überhaupt, denn Forsmark hat ähnliche Probleme, und die Atombehörde beschäftigt sich jetzt damit. Krümmel hat seit der Inbetriebnahme 1984 mehr als 300 meldepflichtige Störfälle aufzuweisen. Entgegen den ständig sich wiederholenden offiziellen Erklärungen ist davon auszugehen, dass es Gefährdungen für die Bevölkerung durchaus gegeben hat. Seit 1990 sind mindestens 19 Kinder aus dem Umland an Leukämie erkrankt. Soll man einem Energiekonzern wie Vattenfall, der das in Kauf nimmt, und zwar wiederholt, wie der letzte Versuch, Krümmel wieder ans Netz zu bringen, zeigt, die Energieversorgung in Hamburg weiter in diesem Ausmaß überlassen? Tschüs, Vattenfall, das ist die richtige Antwort.