Protokoll der Sitzung vom 08.07.2009

Es geht nicht nur um Störfälle und deren Behebung beziehungsweise Nichtbehebung. Die von der CDU geführte Landesregierung Schleswig-Holstein hat zu Recht die Frage aufgeworfen, ob Vattenfall als Betreiber von Kernkraftwerken noch tragbar sei. Es geht nicht nur um Krümmel, es geht um Kernkraftwerke überhaupt, denn Forsmark hat ähnliche Probleme, und die Atombehörde beschäftigt sich jetzt damit. Krümmel hat seit der Inbetriebnahme 1984 mehr als 300 meldepflichtige Störfälle aufzuweisen. Entgegen den ständig sich wiederholenden offiziellen Erklärungen ist davon auszugehen, dass es Gefährdungen für die Bevölkerung durchaus gegeben hat. Seit 1990 sind mindestens 19 Kinder aus dem Umland an Leukämie erkrankt. Soll man einem Energiekonzern wie Vattenfall, der das in Kauf nimmt, und zwar wiederholt, wie der letzte Versuch, Krümmel wieder ans Netz zu bringen, zeigt, die Energieversorgung in Hamburg weiter in diesem Ausmaß überlassen? Tschüs, Vattenfall, das ist die richtige Antwort.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei der SPD und Beifall bei der GAL)

(Dr. Monika Schaal)

Heute um 11.45 Uhr hat Vattenfall an alle Fraktionsvorsitzenden ein Fax geschickt und darauf hingewiesen, dass sie Konsequenzen aus der letzten Schnellabschaltung gezogen hätten. Sie haben den Kraftwerksleiter entlassen. Na klar, dann wird jetzt alles gut.

Die Diskussion auf den störfallfreien Betrieb von Kernkraftwerken zu reduzieren, halten wir für völlig verkürzt. Ich putze mein Badezimmer selbst

(Beifall bei Stephan Müller CDU)

und ich würde nie im Leben auf die Idee kommen, Wasser in die Badewanne laufen zu lassen und während sie überläuft, unablässig zu versuchen, den Boden trocken zu feudeln.

(Beifall bei der LINKEN, der GAL und verein- zelt bei der SPD)

Aber genau das tun wir mit der Gewinnung von Atomstrom weltweit. Es wird produziert und produziert und radioaktiver Müll fällt ständig an. Asse ist das Symbol dafür, dass es keine Endlagerung von radioaktivem Müll gibt und auch nie geben wird. Deshalb ist es unverantwortlich, ständig weiter Atommüll zu produzieren.

(Beifall bei der LINKEN, der GAL und bei Mi- chael Neumann SPD)

Es passt in die Kette von Entscheidungen, die die gestalterischen Mehrheiten in den Parlamenten in Deutschland fällen, Gentechnologie, Steuer- und Schuldenpolitik, Klimapolitik und Kernenergie. Sie alle haben eines gemeinsam: Die kommenden Generationen werden unerträglich belastet, damit hier und heute alles so weitergehen kann wie bisher. Das ist unverantwortlich.

(Beifall bei der LINKEN, der GAL und verein- zelt bei der SPD)

Die Diskussion um Krümmel steht auch im Zusammenhang mit der Debatte um den Atomkonsens. Die rot-grüne Bundesregierung weckte damals die Hoffnung, dass kontinuierlich alte Kernkraftwerke vom Netz genommen würden und dass es bis zum Jahr 2020/2022 keinen Atomstrom in Deutschland mehr geben würde. Beides ist nicht eingetroffen.

Auf Bundesebene rufen die Grünen zum Vattenfall-Boykott auf, das kostet ja nichts, ein GAL-Bundestagsabgeordneter stellt sogar Strafanzeige und Frau Weggen haut hier mächtig auf die Tonne gegen Vattenfall. Doch was geschieht ansonsten in Hamburg, wo die GAL mitregiert und mitgestaltend ist? Wenn Frau Weggen in Hamburg die Endverbraucher zu einem Boykott von Vattenfall auffordert, dann ist das gut und schön, das unterstützen wir natürlich auch; aber wir fragen uns, wo die Stimme der GAL bleibt, wenn es um die Umweltpartnerschaften geht, bei denen E.ON und Vattenfall kooperieren. Diese ambivalente Argumentation der GAL, auf Bundesebene auf die Tonne zu hau

en, aber hier bei den konkreten Maßnahmen mitzumachen, finden wir wirklich zu billig.

(Beifall bei der LINKEN, der GAL und Dr. Monika Schaal SPD – Glocke)

Frau Abgeordnete, Sie müssen einen Schlusssatz formulieren.

– Mache ich. Die LINKE fordert: Schluss mit allen Kooperationen und Kündigung aller Verträge mit Vattenfall, sofortige Stilllegung von Krümmel und anderen Atomkraftwerken. Wir fordern Sicherheit für die Bürger heute und in den nächsten Generationen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort erhält Senatorin Hajduk.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich finde es gut, dass bei dieser bundesweit sehr kontrovers diskutierten Thematik in unserer heutigen Debatte mit Blick auf das Kernkraftwerk Krümmel im Wesentlichen eine sehr einmütige politische Richtung verfolgt wird. Das sage ich deshalb, weil die Parteien zum Thema Atomenergie bekanntlich unterschiedliche Positionen vertreten, sogar die Parteien, die diese Regierung tragen. Dass aber hinsichtlich der Unfallanfälligkeit von Krümmel und der damit einhergehenden Gefährdung für die Bürger auch aufseiten der CDU deutlich gemacht wird, dass politische Überzeugungen in den Hintergrund treten, halte ich für ein wichtiges und richtiges Signal gerade auch an die Energiewirtschaft.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Ich möchte noch einmal betonen, dass wir, wenn wir sagen, Sicherheit sei das erste Gebot, auch bei unseren eigenen energiepolitischen Debatten bedenken müssen, dass es nicht nur um sichere Energieversorgung, sondern auch um die Sicherheit der Menschen geht. Das muss klar sein, wenn wir als Politiker einen Entwurf für die Zukunft vorlegen wollen.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Betrachten wir das Kraftwerk Krümmel unter dem Aspekt der Sicherheit, so muss man ganz nüchtern feststellen, dass es nicht rosig aussieht. In dieser Debatte wurde bereits angesprochen, dass Krümmel ein AKW ist, das zwar erst 1983 ans Netz gegangen ist, aber zu der Baulinie der sogenannten Neunundsechziger und damit zu den ältesten Reaktortypen zählt. Krümmel gehört zu den anfälligsten Atomkraftwerken in Deutschland, über 300 meldepflichtige Ereignisse verzeichnete die

(Dora Heyenn)

Behörde, das heißt, durchschnittlich ein Mal pro Monat kommt es zu einem Störfall, auch das wurde bereits gesagt. Liest man den aktuellen Artikel in der "tageszeitung" vom 5. Juli zum Reaktor Krümmel, dann stellt sich diese Pannenserie auf wirklich besorgniserregende, ja bedrückende Weise dar.

Deswegen komme ich zu einem sehr wichtigen Punkt. Wenn die Bundesregierung auf Kleine Anfragen in den Jahren 2006 und 2007 antwortet, Krümmel sei ein Siedewasserreaktor älterer Bauart, und feststellt, dass solche älteren Meiler nicht dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen und weltweit nicht zu den hochmodernsten und sichersten Atomkraftwerken zählen, dann entlarvt sich die pauschale Mär, dass alle deutschen Atomkraftwerke zu den sichersten auf der Welt zählen, als schlichtweg falsch.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Insofern halte ich es für richtig und begrüße es, dass die Kollegin Trauernicht in Schleswig-Holstein prüft, ob auf der Basis der Vorkommnisse bei Krümmel die Zuverlässigkeit des Betreibers gegeben ist. Damit ist auch klar, dass es allein mit der schnell erfolgten Personalentscheidung nicht getan ist.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass die Vorfälle in Krümmel natürlich in ganz besonderer Weise die Interessen Hamburgs betreffen, weil Hamburg in unmittelbarer Nähe von Krümmel liegt. Insofern legen wir als Hamburger Regierung, die nicht direkt an diesem Verfahren beteiligt ist, allergrößten Wert darauf, dass die Kollegen in Schleswig-Holstein das Thema mit großer Sorgfalt angehen, wie Frau Trauernicht angekündigt hat. Beachtlich finde ich auch, wie kritisch sich der CDUMinisterpräsident Carstensen zu dem Thema geäußert hat. Diese Sorgfalt können wir aus Hamburg nur fordern und unterstützen.

Vor dem Hintergrund dieser Geschehnisse ist die Frage berechtigt, warum nicht auf den Weiterbetrieb von Vattenfall verzichtet wird.

(Beifall bei der GAL, der CDU und bei der SPD)

Ich möchte die Interessen Hamburgs noch kurz in einem anderen Punkt berühren. Es ist schon enorm, in welcher Weise Hamburg und Hamburger Bürger betroffen waren. Wenn alle 14 Wasserwerke ausfallen, wenn 100 000 Menschen über drei Stunden kein Wasser oder wenig Wasser erhalten, wenn alle 1500 Ampeln ausfallen, dann ist das die eine Seite der Betroffenheit. Aber, ich finde, dabei wird auch deutlich, dass wir noch einmal einen kritischen Blick werfen müssen auf die zukünftige Rolle der konventionellen Großkraftwerke für die Sicherheit der Energieversorgung.

Ich komme zu einem weiteren wichtigen Punkt. Durch den Sachverständigenrat für Umweltfragen wurde die Frage behandelt, wie die zukünftige Rolle der Großkraftwerke in Deutschland aussieht und wie sie zu werten ist. Dieser Sachverständigenrat für Umweltfragen hat in seinem Thesenpapier von diesem Jahr ausführlich begründet, warum ein hoher Anteil von Grundlastkraftwerken mit dem Ausbau erneuerbarer Energien nicht vereinbar ist. Es ist nämlich so, dass die zu deckende Netzlast durch konventionelle Grundlastkraftwerke ganz deutlich zurückgehen würde, wenn wir nur den Ausbau bekommen, den die jetzige Bundesregierung bei den erneuerbaren Energien anstrebt. Man kann auch umgekehrt sagen: Seitens der Energieversorgungsunternehmen wird die Problematik von E.ON und Electricité de France bereits so herum thematisiert, dass diese der britischen Regierung deutlich gemacht haben, ein hoher Anteil an erneuerbaren Energien sei unvereinbar mit dem Neubau kapitalintensiver Grundlastkraftwerke.

Und wenn das so ist, dann, denke ich, wird deutlich, dass wir für die Zukunft der Energieversorgung mit Blick auf die Rolle der konventionellen Grundlastkraftwerke eine andere Antwort brauchen und eben feststellen müssen, dass dies mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien nicht zusammengeht.

Vor diesem Hintergrund bin ich froh, dass wir in Hamburg, auch wenn wir mit Blick auf Krümmel und die Frage der Atomenergie keine unmittelbare Kompetenz haben, eine klare Richtung haben für die Zukunft der Energiepolitik in Hamburg, indem wir mit Hamburg Energie einen Energieversorger gegründet haben, der einen atom- und CO2-freien Strom anbieten wird.

(Zuruf von Dr. Monika Schaal SPD)

Wir werden nach der Sommerpause kommen, Frau Schaal, das Unternehmen ist längst gegründet, wir werden nach der Sommerpause auf den Markt treten. Ich glaube, dieses Angebot ist wichtig, weil wir die Menschen überzeugen und ihnen auch zeigen müssen, dass es möglich ist, eine Alternative zu wählen. Es wird in diesem Jahr in der Auseinandersetzung auch ganz klar um die Diskussion gehen, welche Strategie wir für die langfristige Energieversorgung in Deutschland brauchen, ob es konventionelle Großkraftwerke sind oder die Erneuerbaren. Dies steht zur Entscheidung an, das steht nicht einfach nebeneinander. Diese Entscheidung wird jetzt gesucht und wahrscheinlich auch im Rahmen der Bundestagswahl mit geprägt werden. Wenn Herr Oettinger sagt, Krümmel sei ein Kraftwerk mit Zukunft, dann haben wir in Hamburg eine andere Vorstellung von der Zukunft. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der GAL, der CDU und der SPD)

(Senatorin Anja Hajduk)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Kerstan.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Betrieb der Atomenergie in diesem Lande, das wird selbst von den Befürwortern zugestanden, beinhaltet immer auch ein gewisses Maß an Risiko und der Ballungsraum Hamburg mit seinen Millionen Bewohnern ist von diesem Risiko mehr betroffen als viele andere Großstädte in diesem Land, denn zur Hochzeit der Atomenergie war Hamburg von vier Reaktoren umstellt, drei davon von der ältesten Bauart, die auch nicht auf dem neuesten Stand der Technik sind. Durch den rotgrünen Atomkonsens ist es gelungen, den ältesten Reaktor in Stade bereits stillzulegen, aber nichtsdestotrotz geht natürlich von den restlichen Kraftwerken ein erhebliches Gefährdungspotenzial aus.

Umso schlimmer ist, dass diese beiden Kraftwerke der alten Bauart, die noch in Betrieb sind, gleichzeitig mit die störungsanfälligsten Reaktoren in dieser Republik sind und dass insbesondere, wenn man sich das Kraftwerk Krümmel anschaut, man schon sagen muss, dass es kein anderes Kraftwerk gibt, das so oft brennt und wo es so oft knallt. Man kann schon nicht mehr davon sprechen, dass das die Ausnahme ist, sondern der Regelfall.

(Beifall bei Dr. Eva Gümbel GAL)

Umso wichtiger ist es, dass man beim Betrieb dieser Risikotechnologie einen Betreiber hat, der mit Sorgfalt und Ruhe gewissenhaft vorgeht. Umso schlimmer für Hamburg ist, dass man das zu Recht bezweifeln muss. Wenn man sich diese Unfälle ansieht, muss man feststellen: Das Kraftwerk Krümmel stand zwei Jahre still, weil es einen Brand in einem Transformator gegeben hat. Zwei Jahre lang wurde der Reaktor auf die Sicherheit überprüft, auch die Transformatoren, das Kraftwerk wurde angefahren und innerhalb von zwei Wochen kam es wieder zu einem Störfall in genau diesem Transformator. Und warum das Ganze? Weil der Betreiber vergessen hatte, ein Sicherheitsinstrument einzubauen, das für den Betrieb des Kraftwerks zwingend vorgeschrieben ist. Das ist ein unentschuldbares Vergehen.

(Beifall bei Linda Heitmann GAL)

Das ist etwas, was diesem Betreiber die Zuverlässigkeit abspricht. Man kann eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass ihm die Sorgfalt fehlt, um dieses Kraftwerk zu betreiben.

(Beifall bei der GAL, der CDU und der SPD)

Man muss auch sagen, dass Vattenfall darauf reagiert. Beim letzten Störfall wurden der Deutschland-Chef und der Chef der Kraftwerkssparte entlassen. Jetzt, nach wenigen Tagen, ist der Direktor vor Ort entlassen worden. In der Zwischenzeit wurde die Zuständigkeit für die Sicherheit der Reakto