Protokoll der Sitzung vom 07.10.2009

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt der Abgeordnete von Frankenberg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die empirische Untersuchung "Obdachlose, 'auf der Straße' lebende Menschen in Hamburg 2009" sagt aus, dass die Obdachlosigkeit in Hamburg seit 2002 um 20 Prozent zurückgegangen ist. Das ist erst einmal eine gute Nachricht

(Beifall bei der CDU und der GAL)

zumal vor dem Hintergrund, dass wir bei der vorherigen Untersuchung im Jahr 2002 eine Stagnation, genaugenommen sogar einen leichten Anstieg, zu verzeichnen hatten. Da ist durchaus ein spürbarer Erfolg der Senatspolitik festzustellen. Dies ist aber nicht nur ein Erfolg des Senats, sondern auch der Behörden, der Verwaltung, der Bezirke und der Verbände der freien Wohlfahrtspflege. Das ist eine gemeinsame Leistung, auf die wir durchaus stolz sein können.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Unsere Konzepte wirken und helfen den Menschen in Not.

Frau Gregersen hat eben schon einige Zahlen genannt. Wir haben zurzeit 1029 wohnungslose Menschen in Hamburg. Besonders erfreulich ist es, dass nach Ende des Winternotprogrammes 115 Menschen einen Weg aus der Obdachlosigkeit gefunden haben. Wir bemühen uns um einen Ausgleich in der Stadt und wer in Hamburg Hilfe braucht, der bekommt sie auch.

(Glocke)

(Martina Gregersen)

Was für die Abgeordneten gilt, gilt auch für den Herrn Direktor. Herzlichen Dank. – Fahren Sie bitte fort.

Es ist wichtig, dass wir versuchen, Obdachlosigkeit bei jungen Menschen gar nicht erst auftreten zu lassen und wenn wir sie nicht haben vermeiden können, ihnen so schnell wie möglich zur Seite zu stehen. Bei der Auswertung der Befragung müssen wir berücksichtigen, dass die Zahlen insgesamt auf einer niedrigeren Ausgangsbasis beruhen. Dennoch sind auch in diesem Bereich Erfolge nachzuweisen.

Wir wollen aber nicht verkennen, dass für jeden Menschen das Leben auf der Straße ein schweres Schicksal ist. Es ist wichtig, dass wir den Menschen helfen, die nach wie vor obdachlos sind; das ist auch Sinn und Zweck so einer Untersuchung.

Wichtig bei dieser Untersuchung war uns der handlungsorientierte Ansatz. Mit den Daten, die wir erhoben haben, soll weiter gearbeitet werden. Aufgrund der Befragung können wir abschätzen, was wir in Zukunft besser machen können. Außerdem können wir neue Handlungsschwerpunkte für die Zukunft setzen. Transparenz und Dialog mit den Beteiligten sind uns wichtig. Wir müssen immer wieder überprüfen, ob wir die von uns durchgeführten Maßnahmen noch optimieren können.

Durch die Ergebnisse der Befragung ergeben sich aber auch neue Herausforderungen, das will ich gar nicht verschweigen. So ist zum Beispiel die durchschnittliche Dauer der Obdachlosigkeit angestiegen. Hier sehe ich in den nächsten Jahren einen neuen Schwerpunkt, wo wir uns intensiv darum bemühen müssen, das zu ändern. Das ist kein schöner Zustand und daran wollen wir auf jeden Fall in den nächsten Jahren arbeiten.

Ein weiterer Schwerpunkt ergibt sich aus der Zunahme der nicht deutschen Obdachlosen. Dieses Problem ist nicht hier bei uns aufgetreten, sondern wir haben aufgrund der EU-Osterweiterung eine Zuwanderung von Menschen aus Ost- und Südosteuropa. 2002 lag der Anteil bei 17 Prozent, mittlerweile sind es schon 26,6 Prozent und die Tendenz ist steigend. Da haben wir also auch ein Problem, dem wir uns stellen müssen. Hinzu kommt, dass die Wohnungslosen aus dieser Personengruppe überproportional häufig kein eigenes Einkommen und keine Krankenversicherung haben. Hier haben wir ein wichtiges Handlungsfeld, bei dem wir aber nicht auf die Schnelle Lösungsansätze präsentieren können. Wir werden uns intensiv mit diesem Problem auseinandersetzen, um es dann vernünftig lösen zu können.

Der Anstieg dieses Personenkreises – dieser Personenkreis gehörte ja nicht zu der Gruppe, die ursprünglich befragt wurde – macht deutlich, dass

die Wirksamkeit der Maßnahmen unter Umständen deutlich größer ist, als wir aus den Zahlen ablesen können.

Positiv sehe ich die Arbeit der neuen Fachstellen für Wohnungsnotfälle in den Bezirken. Durch ihr frühzeitiges Eingreifen und ihre präventive Arbeit kann Wohnungslosigkeit in vielen Fällen vermieden werden. Auch das ist ein großer Erfolg.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

In diesem Jahr nahmen 60 Prozent die Übernachtungsangebote an; 2002 waren es nur 48 Prozent. Wir können also das Fazit ziehen, dass die Hilfeangebote der Stadt an Akzeptanz gewonnen haben; auch das ist schön.

Ich wünsche mir für die Zukunft weiterhin eine so gute Zusammenarbeit wie in der vergangenen Woche im Sozialausschuss. Für den sachlichen Dialog, die gute Diskussion und die gelungene Befragung von Herrn Schaak, dem Autor der Studie, möchte ich mich ausdrücklich bei der Opposition bedanken. Das war gute parlamentarische Zusammenarbeit, vielen Dank dafür.

(Beifall bei der CDU und der GAL – Glocke)

Herr Abgeordneter, ist Ihnen die Bedeutung des roten Lichtes bekannt?

– Ja, ich komme damit zum Ende.

Der Bericht ist für uns eine Bestätigung der gemeinsam geleisteten Arbeit; Erfolge sind da. Er ist aber zugleich Auftrag für die weitere Arbeit.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Bekeris.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Auch die SPD-Fraktion begrüßt, dass dieses Jahr nach 1996 und 2002 wieder eine Obdachlosenbefragung durchgeführt wurde und das unter großer Mitwirkung von Einrichtungen und Obdachlosen.

Natürlich ist es positiv zu bewerten, dass seit 1996 die Zahl der Obdachlosen um 15 Prozent zurückgegangen ist, Euphorie sollte diesbezüglich aber nicht ausbrechen. Hamburg liegt deutlich hinter dem Bundestrend. Es wird geschätzt, dass die Obdachlosigkeit seit Mitte der Neunzigerjahre um rund 50 Prozent zurückgegangen ist.

In unserer reichen Stadt leben aber noch immer über 1000 Obdachlose auf der Straße. Dabei wurden all jene, die von der Zählung nicht erfasst wurden, nicht berücksichtigt. Gerade bei wohnungslosen Jugendlichen und Frauen gibt es eine hohe

Dunkelziffer, die die Gesamtzahl der Obdachlosen deutlich erhöhen würde. Außerdem sind 2500 Menschen öffentlich untergebracht. Insgesamt sprechen wir also von rund 4000 Wohnungslosen. Das ist eine viel zu hohe Zahl, die wieder einmal zeigt, dass in Hamburg bezahlbarer Wohnraum für Wohnungslose und Menschen mit einem geringen Einkommen fehlt.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus und Mehmet Yildiz, beide DIE LINKE)

Ich möchte einige Entwicklungen der gegenwärtigen Situation der Obdachlosen in Hamburg aufzeigen, die wir nicht aus den Augen verlieren dürfen. Die Obdachlosenstudie zeigt eine Veralterung der auf der Straße lebenden Menschen in Hamburg. Das durchschnittliche Alter der Obdachlosen hat sich seit 1996 von 37 Jahre auf 43 Jahre erhöht. Gleichzeitig steigt die durchschnittliche Dauer der Obdachlosigkeit. 2002 lag sie bei 47 Monaten, heute bei 58 Monaten. Das bedeutet fast fünf Jahre leben auf der Straße. Mehr als 35 Prozent der Obdachlosen leben seit mehr als fünf Jahren auf der Straße und das ist eine sehr beunruhigende Entwicklung. Diese Menschen nehmen auch die Hilfeangebote nicht mehr an. Wir müssen uns neue Hilfeangebote für diese älter werdenden, lange auf der Straße lebenden Menschen ausdenken.

Es gibt aber immer noch eine viel zu hohe Zahl an jugendlichen Obdachlosen. Wir benötigen dringend einen Ausbau der entsprechenden Beratungs- und Hilfeangebote. Ein Beispiel ist das Projekt Hamburg Veddel. Hier wird außerordentlich engagiert der richtige Weg beschritten und den muss man auch auf andere Stadtteile erweitern und darf ihn nicht nur auf Hamburg-Mitte beschränken.

Wir müssen im Hinblick auf die Unterbringung in öffentlichen Einrichtungen weiter diskutieren und auch investieren. Die Vertreter der karitativen Einrichtungen weisen darauf hin, dass in den Unterkünften nur sehr wenige freie Plätze zur Verfügung stehen; oft müssen sogar Wartelisten eingesetzt werden. Zudem sind die Standards oft nicht ausreichen. Es kann beispielsweise nicht sein, dass es zu wenig Einzelzimmer gibt. Ein Mindestmaß an Privatheit und Sicherheit ist vonnöten, damit die Menschen diese Angebote auch annehmen.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus DIE LINKE)

Freiwillige und gemeinnützige Einrichtungen leisten eine wichtige Arbeit für obdachlose Menschen, aber wir können unsere Verantwortung nicht, wie der Senator es manchmal andeutet, auf sie abwälzen. Hier ist die Stadt gefordert und hier muss Geld in die Hand genommen werden, Geld, das für über 1000 Menschen, die auf den Straßen unserer reichen Stadt leben, ein würdiges Leben bedeutet. Es handelt sich hierbei um eine politi

sche Entscheidung, die wir als SPD-Fraktion mit aller Dringlichkeit vom Senat einfordern. – Danke.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Artus.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich begrüße ausdrücklich den Beitrag der Kollegin Bekeris. Sie hat bereits das Wesentliche gesagt, ich möchte einige Kritikpunkte ergänzen.

Wenn Sie jetzt einmal die Augen schließen und sich eine obdachlose Person vorstellen, wie sieht diese dann aus? Ich vermute, in etwa so, wie die Obdachlosen im "Tatort" aus Köln aussahen, der letzten Sonntag ausgestrahlt wurde, ein typischer Stadtstreicher oder Berber, der mit seinem Schlafsack unter einer Brücke liegt, mit einem Einkaufswagen voller Habseligkeiten durch die Straßen schiebt oder in verlumpten Klamotten in Papierkörben nach Essensresten, Pfandflaschen und Zeitungspapier stöbert.

Obdachlosigkeit hat aber viele Gesichter. Obdachlosigkeit ist auch jung, sie ist auch weiblich, sie ist zunehmend nicht deutsch. Obdachlose sind häufig psychisch krank. Es ist nicht geklärt, ob diese Menschen durch die Obdachlosigkeit krank wurden oder durch eine Erkrankung ihr Zuhause verloren haben. Auch das sind Obdachlose. Viele von ihnen haben eine Adresse und eine Krankenversicherungskarte und längst nicht alle setzen sich eine Flasche mit billigem Fusel an den Mund, um sich ihre Situation schönzutrinken.

Die empirische Untersuchung über auf der Straße lebende Obdachlose berücksichtigt nur einen Teil der Menschen, die tatsächlich obdachlos sind. Es ist daher mehr als schwierig, aus dieser Befragung die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Untersuchung stützt sich ja allein auf die Aussagen der Menschen, die bereit waren, den Fragebogen zu beantworten. Ich halte sowohl die Idee der Befragung als auch die Methodik, die angewendet wurde, für richtig, aber eben auch für unzureichend. Mit dem Datenmaterial kann ich zu wenig anfangen, weil es einfach beliebig interpretiert werden kann.

Der Bericht lässt zum Beispiel keine Schlussfolgerung darüber zu, was getan werden muss, um den Bedürfnissen nicht deutscher Obdachloser gerecht zu werden. Wir haben eine steigende Anzahlt nicht deutscher Obdachloser in Hamburg, vermutlich kommen sie aus Osteuropa, genau wissen wir es nicht, weil die Nationalität nicht konkret abgefragt wurde. Der Bericht gibt ebenfalls keine Auskunft darüber, inwieweit die staatlichen Einrichtungen den vielen Ehrenamtlichen die Probleme überlassen. Ein Beispiel: Wenn sich das Zahnmobil der

(Ksenija Bekeris)

Caritas vor der Alimaus platziert, können wohnungslose Patienten und Patientinnen gar nicht mitteilen, welche Beschwerden sie haben, weil sie kein Deutsch sprechen.

Der Bericht eignet sich auch nicht, wenn man erfahren möchte, ob und welche Veränderungen es in den Krankheitsbildern der Obdachlosen gibt. Was genau sich in der Wohnungsbaupolitik ändern muss, lässt sich ebenfalls nicht aus dem Bericht ableiten.

So kommt es, dass halbseidene Parallelstrukturen gefördert werden, die für die Betroffenen unkalkulierbar werden. Ich möchte in diesem Zusammenhang an das Projekt SUBlife erinnern, das schwer drogenabhängigen Menschen billigen Wohnraum vermittelte. Als SUBway die Zuwendungen gestrichen wurden – Sie alle hier werden sich an die Debatten im letzten Jahr erinnern –, war auch das daran angedockte Projekt SUBlife unmittelbar in Frage gestellt.

Einen Armuts- und Reichtumsbericht, wie ihn die Fraktion der LINKEN unmittelbar nach ihrem Einzug in die Hamburgische Bürgerschaft gefordert hat, gibt es leider nicht. Herr von Frankenberg von der CDU sagte damals, dass wir keinen Datenfriedhof bräuchten und er unsere Bürger nicht ausschnüffeln wolle. Ein Armuts- und Reichtumsbericht wäre aber genau das richtige Äquivalent, um die Situation Obdachloser neben der empirischen Untersuchung seriös zu beurteilen und um die richtigen Maßnahmen daraus abzuleiten. Auf Bundesebene gibt es diesen Bericht. Es ist also nichts Anstößiges oder gar Revolutionäres, was DIE LINKE für Hamburg fordert. Der Bericht der Bundesregierung umfasst unter anderem eine Analyse besonders schwieriger Lebenslagen, zum Beispiel von Wohnungslosen. Hat nun die Bundesregierung die Bürger ausgehorcht, bevor sie den Bericht im Juli letzten Jahres herausgab? Dann habe ich damals die Kritik der Hamburger CDU-Fraktion an der angeblichen Datenschnüffelei vermisst.