Protokoll der Sitzung vom 18.11.2009

Wir sind also alle aufgerufen, diesen Volksentscheid als eine Chance zu begreifen und es geht dann nicht mehr darum, wogegen man ist, sondern wofür man ist. Es geht auch darum, uns als Stadtgesellschaft zu begreifen, darüber zu diskutieren, wie alle Kinder und Jugendlichen in unseren Schulen am besten auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Erwachsenenleben und beruflichen Leben gefördert und begleitet werden können. Es gehört zu einer Demokratie dazu, dass es keine Reform gibt, die auf 100 Prozent Zustimmung trifft. Es gibt Gegner und Befürworter des längeren gemeinsamen Lernens und, soweit ich weiß, ist der Parteitagsbeschluss der SPD eindeutig für längeres gemeinsames Lernen.

Der Hamburger Senat wird mit Sicherheit nicht alle harten Gegner von seinem schulpolitischen Weg überzeugen können. Der Leiter der Volksinitiative hat vor einigen Tagen im "Hamburger Abendblatt" erklärt, man sei nicht mehr unterwegs, um Argumente auszutauschen, sondern um Unterschriften zu sammeln. Jetzt sind die Unterschriften gesammelt und nun ist wieder Zeit für Gespräche und Argumente.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Wir begreifen diese Unterschriften als eine Aufforderung, die Argumente noch deutlicher und engagierter in die Stadt hinauszutragen. Wir werden gezielt das Gespräch mit denjenigen suchen, die einerseits die Grundidee der Schulreform unterstützen, sie gar nicht für so schlecht halten, aber andererseits doch große Skepsis, Bedenken und Verunsicherung bei der Umsetzung und der Beteiligung haben und ihre Sorgen mit einer Unterschrift zum Ausdruck gebracht haben.

Wir werden das Gespräch suchen mit denjenigen, die sich beispielsweise Sorgen machen, ob die Primarschulen das gewünschte Fremdsprachenangebot bereithalten, wir werden das Gespräch suchen mit denen, die sich fragen, ob ihr Kind auf der Primarschule ausreichend gefördert wird oder ob sie bei der Wahl der weiterführenden Schule mit einbezogen werden. CDU und GAL haben den Bürgerinnen und Bürgern gute Argumente zu bieten und

(Dora Heyenn)

können sicherlich noch viele falsche Vorurteile ausräumen. Ich bin auch davon überzeugt, dass mit jedem konkreten Schritt hin zum neuen Hamburger Schulsystem bestehende Zweifel ausgeräumt und vor allen Dingen auch die positiven Veränderungen erst jetzt, wo wir in der Umsetzung sind, deutlich werden. Das ist zum Beispiel der individualisierte Unterricht, der jede Begabung fördert und gerade besonders begabten Kindern zugute kommt. Das ist das Zusammenwirken von Pädagogen aus den verschiedenen Schulformen mit unterschiedlichen Erfahrungswerten. Das ist die Einführung neuer fachlicher Inhalte wie Englisch ab Klasse 1 oder die Fachbereiche Naturwissenschaften, Technik und Gesellschaft ab Klasse 3. Das sind die niedrigeren Klassenfrequenzen, auch gerade in den sozial schwächeren Teilen unserer Stadt. Das ist die Stärkung der kulturellen Bildung, die meine Kollegin Frau von Welck und ich schon in den letzten eineinhalb Jahren intensiviert haben, aber auch die Stärkung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Inhalte. Das ist die individuelle Leistungsrückmeldung, das ist der Ausbau der Ganztagsschulen und der Ganztagsbetreuung. Das sind die verbesserte Sprachförderung und die Integration der Kinder mit Behinderungen. Wir haben einen Paradigmenwechsel eingeläutet im Sinne der UN-Konvention, als wir das Schulgesetz hier beschlossen haben. Das ist auch die deutlich gestärkte Berufsberatung und Berufswegebegleitung, das ist die intensive Kooperation innerhalb der Bildungsregionen, die gerade durch die Regionalen Schulentwicklungskonferenzen erstmalig und einmalig begonnen haben.

Die Hamburger Schulreform besteht nicht nur aus der Struktur Primarschule, Stadtteilschule und Gymnasium, aber sie funktioniert nur mit dieser neuen Struktur, weil alle Ziele und Maßnahmen auf einem System beruhen, das die individuelle Förderung in den Mittelpunkt stellt und den Weg zu höheren Bildungsabschlüssen lange offen hält. Aber diese Reform lebt, wächst und entwickelt sich nur aus starken, engagierten Schulgemeinschaften und im Bündnis mit diesen Schulen. Hamburg hat viele großartige Schulen; dies zeigt sich bei den verschiedenen Wettbewerben und den Auszeichnungen. Unsere Bildungsoffensive wird diese Schulen unterstützen, noch besser zu werden, und sie in ihrer Entwicklung unterstützen. Es geht aber nicht nur um diese Schulen, sondern wir müssen alle mitnehmen.

Sehen Sie dieses einmal unter dem demokratischen Aspekt. Professor Hans Brügelmann hat letztens gesagt, in einer Schule wachse eine Demokratie zusammen. Es tut deshalb der Demokratie und der Schule gut, wenn wir über die Zukunft unserer Schule in Hamburg weiter lebendig, intensiv, engagiert, aber auch kontrovers diskutieren.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Die Hamburger Schulen haben ein Anrecht darauf, dass ihre Senatorin sie sachgemäß, präzise und unaufgeregt informiert und genau das werde ich weiter tun.

Kaum eine Reform berührt so viele Menschen in ihrer direkten Lebenswirklichkeit. Ob das die Kolleginnen sind, die Schülerinnen, die Eltern, die Großeltern oder die Angestellten der Schulen. Ob eine Schulreform gelingt oder nicht, ist deshalb nicht nur eine Frage der guten Grundidee, es ist eine Frage der Beteiligung, der ordentlichen Umsetzung und der Kommunikation. Unsere Hamburger Schulreform wächst Schritt für Schritt und jahrgangsweise und meine Vorgabe lautet: Sobald etwas eindeutig und klar entschieden ist – so sind wir auch in den letzten Wochen und Monaten vorgegangen –, wird es auch klar und eindeutig an die Schulen und die Eltern kommuniziert. So entsteht mit jedem Monat ein deutlicheres Bild von dem, was sich in der eigenen Schule konkret verändert.

Senat, CDU und GAL sind überzeugt von der Reform und sehen die neue Primarschule als eine große Chance für Hamburg.

(Arno Münster SPD: Augen zu und durch!)

Die gymnasiale Bildung wird nicht geschwächt, sondern gestärkt und die Stadtteilschulen werden eine attraktive Alternative, die in 13 Jahren zum Abitur führt. Ich glaube, in diesem Sinne führen wir eine stolze reformpädagogische Tradition unserer Stadt fort und werden ein gerechteres und auch leistungsstärkeres Schulsystem etablieren. Für diesen Weg werden wir in den nächsten Monaten gemeinsam in Gesprächen um eine breite gesellschaftliche Mehrheit in unserer Stadt werben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Herr Gwosdz.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Der Erfolg des Volksbegehrens, der heute bekannt wurde, sorgt dafür, dass die Diskussion um die Zukunft unserer Schulen in Hamburg noch länger geführt wird und lebendig bleibt und das ist gut. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass die Reform der Schule bei vielen Menschen auch zu Verunsicherung führt.

(Ingo Egloff SPD: Man kann sich das immer so hindrehen, wie man es gerne hätte!)

Es ist ein Stück weit auch erklärlich, denn vieles, was vertraut ist in der Schule, was man aus eigener Erfahrung kennt oder kennengelernt hat, verändert sich durch die Schulreform. Die neue Schule, die neue Form des Lernens ist für viele Menschen in dieser Stadt aus der eigenen Erfah

(Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch)

rung unbekannt. Deswegen müssen wir natürlich den Dialog mit den Menschen, mit den Eltern und den Schülern weiterführen und mit ihnen unter anderem auch eines diskutieren: Es stellt sich die Frage, ob das, was vielen Menschen vertraut ist und an dem sie festhalten möchten, deswegen automatisch gut ist. Hier müssen wir immer wieder feststellen, dass dies nicht der Fall ist. Wir brauchen eine bessere Schule, wir brauchen eine Schule, die es nicht zulässt, dass der schulische Erfolg so stark wie heute von der sozialen Herkunft abhängt.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Dieser Zusammenhang, das wissen Sie alle, ist in Hamburg heute noch größer als in allen anderen Bundesländern und Städten. Wir brauchen eine gerechtere Schule, die es nicht zulässt, dass ein Drittel aller Fünfzehnjährigen als Risikoschüler bezeichnet werden muss, weil sie in ihren sprachlichen und mathematischen Fähigkeiten auf dem Niveau von Viertklässlern stagnieren. Wir brauchen eine bessere und gerechtere Schule, die mehr Jugendliche als heute mit hohen und höchsten Bildungsabschlüssen ins Leben entlässt, damit wir auch als Stadt Hamburg bestehen können und den Bedarf an Fachkräften mehr als bisher durch unseren eigenen Nachwuchs decken können.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Wir müssen den Menschen in den Gesprächen immer wieder bewusst machen, dass es eben nicht genügt, dass es einzelne Schulen in Hamburg gibt, die gute Arbeit leisten, sondern dass wir ein Schulsystem brauchen, das insgesamt zum Erfolg führt und dass es nicht heißen kann, wir machen weiter so wie in der Vergangenheit, sondern dass es Probleme gibt, die wir analysieren und benennen müssen. Dafür gibt es auch Möglichkeiten und Lösungen, die Schulen zu verbessern, die lange bewährt und erprobt sind. Mit der Schulreform wird die Schule gerechter und leistungsstärker und die Bausteine dieser Reform, das wurde schon erwähnt, sind durchaus erprobt. Es gab Versuche in anderen Bundesländern, die bestimmte Dinge durchgeführt haben, die wir hier zusammensetzen. Das heißt, es ist nicht an der Zeit, jetzt wieder zu sagen, wir machen erst einmal einzelne Schulversuche, um alle diese Bausteine noch einmal im Einzelnen auszutesten. Sie sind bekannt, sie sind in der Praxis erprobt und sie werden hier zu einem Gesamtbild zusammengefügt, das es ermöglicht, die Schule in Hamburg zu verbessern.

Wir wissen aus anderen Bundesländern, dass längeres gemeinsames Lernen schwache Schülerinnen und Schüler fördert, ohne die leistungsfähigen Kinder zu bremsen; dazu liegen Studien vor. Wir wissen zum Beispiel aus Sachsen und Thüringen, dass eine Schulstruktur mit Gymnasien und einer zweiten Säule, die bei uns dann Stadtteilschule heißen wird, gute Ergebnisse hervorbringt. Wir wis

sen auch, dass ein zweiter Weg zum Abitur ebenfalls bewährt ist und dazu führt, dass diese Jugendlichen die Schule nicht mit schlechteren Leistungen als die Schüler auf dem Gymnasium verlassen; es führen beide Wege zu vergleichbaren Ergebnissen. Wir kennen jahrgangsübergreifendes Lernen, wir kennen die individuelle Förderung, wir kennen den Verzicht auf das Sitzenbleiben. Das sind durchaus in Hamburg erprobte und angewandte Elemente der neuen Lernkultur. Die Reform ist also kein Sprung ins Unbekannte, sondern die Umsetzung längst erprobter und bewährter Instrumente. Darüber müssen wir natürlich auch weiterhin mit den Menschen in dieser Stadt reden. Wir müssen ihnen aufzeigen, wie es funktioniert, dass es funktioniert und dass wir keine Reihe von Schulversuchen benötigen, sondern die Erkenntnisse aus den Modellen aus anderen Bundesländern endlich in Hamburg zur allgemeinen, guten Praxis werden lassen.

Wenn die Gegner der Schulreform, wie häufig in den letzten Wochen, damit argumentieren, das Geld für die Reform solle lieber in kleinere Klassen und mehr Lehrer fließen, dann verkennen sie auch eines: Mit der Schulreform verkleinern wir die Klassen, kleinere Klassen bedeuten mehr Klassen, mehr Klassen in Hamburg bedeuten, wir brauchen mehr Lehrer und mehr Räume. Die wesentlichen Kosten für die Schulreform von CDU und GAL entstehen genau durch die kleineren Klassen. Wer kleinere Klassen, besser ausgebildete Lehrkräfte und guten Unterricht will, für den führt letzten Endes kein Weg an der Schulreform vorbei.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt Herr Freistedt.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dies ist ohne Zweifel eine aufregende und sehr emotionale schulpolitische Zeit, denn für uns alle in der Bürgerschaft muss deutlich sein, dass es hier nicht um Parteitaktik geht, dass es nicht um die Profilsucht Einzelner geht, sondern um die Bildungschancen unserer Jugendlichen. Ich habe eben Herrn Neumann zugehört – die Botschaft höre ich gern, allein, mir fehlt der Glaube –,

(Ingo Egloff SPD: Sie sind doch in der CDU, da müssen Sie doch gläubig sein!)

aber Sie müssen doch wissen, dass Ihr Parteiprogramm auf Bundesebene etwas ganz anderes sagt als das, was Sie eben vorgeschlagen haben.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Kinder im Vorschulalter, Schüler der bisherigen Grundschule, Jugendliche in Gesamtschulen, Hauptschulen, Realschulen, Gymnasiasten in Unter-, Mittel- und Oberstufen, Schüler der berufsbil

(Michael Gwosdz)

denden Schulen, aber auch der Förderschulen müssen stärker als bisher in schulischen Einrichtungen gefördert und gefordert werden. Das ist ein wichtiges Ziel dieser Koalition aus Christdemokraten und Grünen, ein Ziel, zu dem wir in den Regierungsfraktionen auch heute und gerade heute gemeinsam stehen.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Es ist richtig, wenn Ole von Beust als Erster Bürgermeister sagt, dass die heutigen Schülerinnen und Schüler mehr Chancen in Bildungsgängen verdient haben, als es das bisherige Schulsystem abbildet. Und es ist richtig, wenn die Schulsenatorin verkündet, dass alle Talente gefördert werden müssen. Deshalb ist es auch richtig, wenn in Zeiten schwieriger Haushaltsführung dieser Senat dem finanziellen Mehrbedarf im Bildungsbereich Rechnung trägt; mein Kollege hat das eben vorgetragen.

Dieses ist ein Erfolg des schwarz-grünen Senats und zeigt die sehr positive Zusammenarbeit der beteiligten Bürgermeister, Senatoren, Staatsräte und Abgeordneten.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Die Kritik an der Schulreform hat sich in einem demokratischen Verfahren geäußert, ein Ergebnis, das sicherlich die Politik, aber auch die Verwaltung noch einmal darüber nachdenken lässt, wie Ziele aus dem Koalitionsvertrag hinsichtlich der Bildungswege und der schulischen Organisation bestmöglich zu gestalten sind. Wir jedenfalls hier im Hause wollen das Beste, das den vielen Schülerinnen und Schülern hilft, ihre Talente kognitiv und emotional zum Nutzen ihrer selbst zu entfalten. Wer sagt, dass Gespräche wegen des Volksbegehrens überflüssig werden, der hat den Auftrag dieser Koalition nicht verstanden.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Wer behauptet, dass das Gymnasium durch diese Reform überflüssig werde und die gymnasiale Profilbildung gegenstandslos geworden sei, der irrt gewaltig.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Wer sagt, dass die Regierungsfraktionen der Bildungslandschaft in Hamburg kein Interesse entgegenbringen, der hat nicht verstanden, dass Ole von Beust, Christa Goetsch, die Senatoren und Abgeordneten, Staatsräte und Mitarbeiter in den Behörden aus Überzeugung und Verantwortung für das Gemeinwohl handeln.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Wir betreiben eben keine Klientelpolitik, wir zerstören kein Gymnasium, wir ideologisieren nicht und wir jammern nicht, dass alles so schlecht und ungerecht ist. Nein, wir hören mit beiden Ohren, reden aber mit einer Stimme. Wir wollen kein Schul

system gegen die Eltern aufbauen, wir wollen aber auch kein Schulsystem ohne Eltern haben. Deshalb wird auch hier der Weg gegangen, Eltern mit einzubeziehen, und ich freue mich über die Worte meiner Vorredner.

Scola semper est reformanda, in Abwandlung eines Kirchensatzes, ist der Leitsatz der CDU für die Fortentwicklung unseres Hamburger Schulwesens – ich bin mir sicher, auch der unseres Koalitionspartners – und ein zentrales Anliegen. Gehen wir gemeinsam den Weg, der übrigens nicht so steinig ist, wie er erscheint, ganz im Gegenteil. Es ist ein Weg, dem schnelle Antworten zu leicht fallen. Hier sind dagegen Geduld, Augenmaß, pädagogische Erfahrung und elterliche Fürsorge sowie gesellschaftlicher Anspruch und finanzielle Möglichkeiten in Einklang zu bringen. Ich bin mir sicher, dieser Senat erreicht das Ziel, getragen von der Unterstützung beider Fraktionen und ich hoffe auch auf die Unterstützung vieler hier im Raum. Nach den Worten meiner Kollegin Heyenn jedoch, die sehr persönlich waren und wenig mit der Sache zu tun hatten, habe ich da allerdings meine Zweifel.