Letztendlich muss sich eine Stadt, die sich Herausforderungen stellt und neuen Verantwortungen gerecht werden will, auch der Diskussion stellen, denn ohne Debatten und Widerspruch lassen sich neue Dinge in einer veränderten Welt nicht durchsetzen. Natürlich gibt es eine Debatte in dieser Stadt, die gut und wichtig ist. Wir wollen zusammen mit allen in dieser Stadt, nicht nur in der Politik, sondern auch mit den Institutionen, mit den Verbänden und der gesamten Gesellschaft in Hamburg in einen Dialog treten. Hierzu dient auch diese Debatte als ein Auftakt, nachdem das Leitbild verabschiedet wurde.
Helmut Schmidt hat einmal gesagt: Hamburg, die schlafende Schöne. Ich weiß nicht, ob das damals stimmte. Was man heute sagen kann, ist, dass diese Stadt hellwach ist, sich den Herausforderungen stellt und mit dem Leitbild die zukünftigen Herausforderungen annimmt. Dass der Anspruch, internationale Maßstäbe zu setzen, kein hohler ist, beweist die EU-Kommission, die Hamburg als European Green Capital 2011 ausgezeichnet hat. Das sollte uns stolz machen, aber auch anspornen für zukünftiges Handeln. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Was Sie produziert haben, ist schon einigermaßen bemerkenswert. Der Senat beschloss gestern das neue Leitbild und zwei Fraktionen melden dazu eine Debatte an.
Das ist schon erstaunlich. Ich habe jedenfalls Mühe – vielleicht gehöre ich auch nicht zum Kreis dazu –, die Drucksache überhaupt rechtzeitig zu bekommen. Wenn man zusammenfasst, was Sie hier machen, ist das eine politische Sturzgeburt.
Jetzt sagen Sie noch, Herr Kerstan, man müsse sich der Debatte stellen, und laden alle herzlich ein mitzumachen. Vor wenigen Monaten konnten Sie – das kam nicht einmal von der Opposition – beispielsweise in der "Welt" lesen, der Regierungskoalition fehle der Kompass – ich zitiere –:
"Dass Schwarz-Grün das Leitbild der 'Wachsenden Stadt' abgeschafft hat, erweist sich als Fehler. Vor allem die Wirtschaft beklagt,
dass die Wachstumsstrategie, die dahinter stand, durch den inhaltsleeren Slogan 'Wachsen mit Weitsicht' ersetzt wurde. Anstatt Hamburg mit einem Gesamtkonzept zu positionieren, verkämpft sich der Senat im Kleinen."
Glauben Sie, dass Sie mit dem, was Sie jetzt vorgelegt haben, diese Ebene des Klein-Kleins hinter sich gelassen haben?
Herr Horch war noch etwas härter und höhnt in der "Bild"-Zeitung, "Wachsen mit Weitsicht" müsse überhaupt erst einmal mit Leben erfüllt werden, die Stadt sei in einen Dornröschenschlaf zurückgefallen. Und Sie, Frau Spethmann, sagen, das würde alles weiterentwickelt werden. Insofern stimmt der Hinweis mit der schlafenden Schönen. Im Grunde haben Sie erst einmal gar nichts auf den Tisch gelegt.
Herr Neumann hat das kürzlich auch abgefragt und darauf antworteten Sie, Sie seien gerade dabei, das ernsthaft auszuarbeiten – und dann präsentieren Sie uns dieses Sammelsurium. Sie haben es auch nicht geschafft, es zu erläutern. Das ist ein Sammelsurium dessen, was Sie in den letzten zwei Jahren ohnehin ohne einen inneren Leitfaden, ohne Konzeption, ohne politischen Aufbruch machen.
Schlimm ist meines Erachtens, dass Sie auf das eigentliche Problem gar nicht eingehen. Man könnte sagen, das ist das Übliche, der Senat, die Regierungskoalition haben keine Kraft mehr. Ursprünglich war der Gedanke des Leitbildes 2003, dass die wachsende Metropole überdurchschnittliches, nachhaltiges Wirtschaftsund Beschäftigungswachstum generiere sowie ökologische Qualität mit besonderem Fokus auf neuen wirtschaftlichen Stärken. Das hat rückblickend auch einigermaßen geklappt, obwohl das Ziel und die Strategie genauso abgründig realistisch waren wie der Versuch, aus der HSH Nordbank eine internationale Kapitalmarktbank zu machen. Sie haben ausschließlich auf eine fatale Entwicklung der finanzgetriebenen Kapitalakkumulation gesetzt.
Daran hat die Stadt sicherlich partizipiert, aber als alles zusammengebrochen ist, hatten Sie nicht die
Kraft zu bilanzieren, wo wir heute stehen. Das Wenige, das Sie uns immer anbieten, die Brosamen von der Kreativwirtschaft, hilft uns nicht aus der Situation heraus.
Das ist sehr beunruhigend. Sie können sagen, wir würden uns nicht der Diskussion stellen, aber das Beunruhigende für mich und meine Fraktion ist, dass Sie die eigentliche Gefahr und damit den Grund, der hinter dieser Schlamperei beim Leitbild steht, überhaupt nicht offen ansprechen. Das hatte neulich Herr Freytag angesprochen, dies ist die eigentliche Vision, mit der wir konfrontiert sind. Wenn wir nämlich in Hamburg über 2010 hinaus im wirtschaftlichen Tal bleiben sollten, dann gnade uns Gott, dann brechen alle Säulen zusammen, auf denen die langfristige Finanzierung dieser Stadt beruht. Das ist der Punkt. Das heißt, Sie haben keine Konzeption für ein richtiges Reagieren auf die Krise und keine Konzeption für die Sanierung der öffentlichen Finanzen. Allein mit dem Hinweis auf Zyklen verfolgen Sie Ihr Prinzip Hoffnung, aber das Problem ist, dass wir mit diesem Prinzip Hoffnung scheitern werden.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist manchmal tröstlich, wenn man die Kritik der Opposition hört, die so widersprüchlich ist und in ihrer Widersprüchlichkeit deutlich macht, dass das, was wir gemacht haben, so falsch nicht sein kann. Auf der einen Seite wird uns vorgeworfen, es sei eine Sturzgeburt gewesen – was nach meiner Kenntnis eine sehr schnelle Geburt ist –, auf der anderen Seite wird uns vorgeworfen, alles hätte viel zu lange gedauert. Bei so unterschiedlicher Kritik muss die Wahrheit wohl darin liegen, dass das, was wir getan haben, so falsch nicht ist.
Warum? Zum einen ist es grundsätzlich erfreulich, dass wir in diesem Haus sogar relativ unstrittig in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten auch schon wieder über Wachstum reden. Es gibt in der Tat ermutigende Signale auch und gerade für Hamburg. Wenn Sie, was die wirtschaftliche Situation angeht, gerade mit den Vertretern des Wirtschaftszweigs reden, der unter der Wirtschaftskrise der letzten Jahre besonders zu leiden hat, also Außenhandel, Reederei, maritime Wirtschaft, ist festzustellen, dass der Hafenaußenhandel Stück für Stück wieder in Bewegung kommt
sem wichtigen Bereich wirtschaftlich im Jahre 2013/2014 wieder dort ist, wo es 2008 gewesen war. In anderen Bereichen wird es sogar mehr Wachstum als erwartet in den nächsten Jahren geben.
Zweitens zeigen Untersuchungen, dass unsere Stadt eine der wenigen Regionen in Europa beziehungsweise in Deutschland ist, deren Bevölkerung jünger wird, weil immer mehr junge Leute, junge Familien in diese Stadt ziehen. Das heißt, Hamburg ist eine Stadt, die wachsen wird, und eine Stadt, die junge Familien anzieht, und es ist gut, dass das so ist.
Weil dies so ist, ist es notwendig zu überlegen, wo man langfristig hin will. Nun mag man sagen, man habe das eine oder andere übersehen. Ich behaupte auch gar nicht, dass alles gesehen wurde. Aber immerhin wurden Grundzüge für die Stadt entwickelt, die über ein, zwei Jahre hinaus ein Ziel vorgeben, das zwar nicht immer konkret ist, das ist völlig richtig, aber immerhin ein Ziel, das für viele Bereiche formuliert wurde. Das macht ansonsten keine andere Stadt Deutschlands und darauf können wir ein wenig stolz sein.
Ich sage Ihnen auch, warum dieses Ziel wichtig ist. Wenn Sie die Strategie und Entwicklung der Städte weltweit beobachten, werden Sie feststellen, dass der Fokus auf die Städte gelegt wird, die allgemein als Boom-Städte oder Boomtowns bezeichnet werden – überwiegend Städte in Südostasien –, die in der Tat hinsichtlich Bevölkerung, Bauvolumens und Wirtschaft wachsen. Nur, wollen wir als traditionsreiche europäische Stadt bei diesem Vergleich der Städte diese Art von Wachstum? Ich sage, nein. So interessant Singapur, Shanghai oder Hongkong auch sein mögen – es ist wirklich beeindruckend, wie viel dort gebaut und gebuddelt wird und wie viele Leute dort hinziehen, das ist alles ein Zeichen des Wirtschaftswachstums –, aber ich sage Ihnen ganz freimütig, dass ich bei allem touristischen Respekt in einer solchen Stadt nicht wohnen möchte. Stattdessen möchte ich in Hamburg die Polis, das Modell einer europäischen Stadt, entwickeln, so wie sie über Jahrhunderte als Philosophie entstanden ist, eine Stadt, die sich in wirtschaftlich schweren Zeiten bewährt und in der das Wachstum, wenn es kommt und wir es wollen, der Lebensqualität der dort lebenden Menschen zugute kommt. Genau dieses Ziel haben wir formuliert.
Dazu gehört für mich, zumindest den Versuch zu wagen, scheinbare Widersprüche wie Ökonomie und Ökologie, Wettbewerb oder Solidarität, Tradition oder Innovation, Geborgenheit, Heimatliebe oder kulturelle Vielfalt zu überwinden. Die europäi
sche Stadt hat den Anspruch, einen integrativen Ansatz für die Menschen zu finden – egal, welcher Schicht sie angehören oder aus welchem Land sie kommen, egal, ob sie sich am Wachstum beteiligen wollen oder nicht, was sie kulturell wollen oder nicht –, um jedem seine Chance in dieser europäischen Metropole zu geben. Genau das finden Sie in diesem Papier wieder.
Es wird viele Bereiche umfassen. Sie kennen die Handlungsfelder und ich will nur einige beispielhaft nennen. Der gesamte Bereich Bildung, Wissenschaft, Forschung ist ein wesentlicher Baustein dieses Papiers. Die aktuelle bildungspolitische Diskussion betrifft doch gerade die Frage der Nachhaltigkeit, also Integration für alle, Chancengerechtigkeit. Sie betrifft ebenfalls das heiß umkämpfte Thema zur inhaltlichen, aber auch baulichen Zukunft der Universität, zu Rang und Bedeutung von Wissenschaft und Forschung im Zentrum. Wo soll die Universität sein? Genau um diese Fragestellung, die einen interessanten Diskurs in der Stadt ausgelöst hat, geht es. Ich finde es gut, dass sie in Hamburg diskutiert wird, denn Integration, Wissenschaft und Forschung, Leistung, Chancengerechtigkeit, all das gehört im Bereich Bildung zu nachhaltigem Wachstum und genau diese Dinge gehen wir an.
Das gilt auch für den Bereich der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. Herr Dr. Bischoff, Sie haben eine etwas ambivalente Haltung zu dem alten Modell Wachsende Stadt: Einerseits haben Sie den entsprechenden Leitsatz vorgetragen und gesagt, der Plan sei aufgegangen, auf der anderen Seite fanden Sie es ganz furchtbar. Ich konnte nicht ganz nachvollziehen, ob Sie es nun gut oder schlecht finden.
Wir haben seit 2003 auf bestimmte Cluster gesetzt, und zwar auf Hafen und Logistik, Luftfahrt, Medien, IT, Life Science. Die Clusterbildung war mehr oder weniger erfolgreich, in den Bereichen Hafen und Logistik war sie schwierig wegen der Weltwirtschaft, in anderen Bereichen hat sie gut geklappt. Jetzt sind wir dabei, neue Cluster-Schwerpunkte zu entwickeln: erneuerbare Energien, Kreativwirtschaft, Gesundheitswirtschaft, um drei Beispiele zu nennen. Das heißt, auch bei den wirtschaftlichen Schwerpunkten finden Sie Gedanken der Nachhaltigkeit, wobei es darum geht, Vorhandenes zu bündeln, Investitionen anzulocken und in der Metropole gemeinsam weiteres Wirtschaftswachstum in nachhaltigen Bereichen zu generieren. Genau das ist der richtige Ansatz in der Wirtschaftspolitik.