Protokoll der Sitzung vom 02.06.2010

(Carola Veit SPD: Ja, wenn das bezahlbar ist!)

Das ist eine Sonderdiskussion; aber genau da kann man sagen, dass diejenigen, die alleinerziehend ein Einkommen erzielen und einen in der Regel bezahlbaren Kitaplatz haben, eine sehr flexible und bedarfsgerechte Kitabetreuung erhalten. Die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie mit bis zu zwölf Stunden Betreuung im Krippenbereich ist hier gut gegeben. Wo finden Sie eine solche Situation? Nur das ermöglicht es tatsächlich, ein entsprechendes Erwerbseinkommen zu erzielen.

(Carola Veit SPD: Aber wenn das zu teuer ist, nützt es nichts!)

Auf der anderen Seite gelingt es uns offenbar nicht, Migrantinnen und Migranten Ähnliches zu bieten; das sollte uns ein Stück zu denken geben.

Wenn man einen Blick auf die Ursachen von Armut wirft – im Europäischen Jahr der Armut ist es das Thema Arbeit –, dann gibt es hierzu in der Großen Anfrage einen hübschen Satz:

"Mögliche Armutsursachen sind niedrige Einkommen."

Das wirkt auf den ersten Blick total trivial, ist es aber nicht. Das Thema Jugendarbeitslosigkeit zwischen 18 und 25 Jahren beispielsweise ist nicht so ein Thema, weil es eine Altersgruppe ist, die typischerweise nicht über hohe Einkommen verfügt und die also Einkommensarmut oder Geldarmut nicht in der Weise als Chancenarmut empfindet, wie dies bei anderen Gruppen in der Regel der Fall ist.

Auf der anderen Seite sehen wir, das hatte Herr von Frankenberg richtigerweise herausgestellt, dass sich in Hamburg die Arbeitsmarktzahlen sehr positiv entwickeln. Wir haben eine Abnahme der Arbeitslosigkeit von 5,1 Prozent gegenüber April, das sind 5000 Arbeitslose weniger; dies ist ein elementarer Punkt. Da kann Einkommen erzielt werden, das bedeutet Zugang zu Arbeit und ist eine sehr positive Entwicklung für Hamburg. Wenn man über Armut und Einkommen redet, dann ist das durchaus erwähnenswert.

Einen weiteren Punkt möchte ich noch anreißen, das Thema Bildungsvoraussetzungen. Ich möchte mich dem von ganz anderer Seite annähern, nämlich mit einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft. Sie ist betitelt mit dem Thema "Integrationsrendite – Volkswirtschaftliche Effekte einer besseren Integration von Migranten". Die Studie arbeitet den engen Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und Bildungserfolg heraus und betrachtet dies besonders unter der Fragestellung von Arbeit und Beschäftigung. Insgesamt lägen die Bildungsabschlüsse von Migranten und Menschen mit Migrationshintergrund unter denen der deutschen Bevölkerung. Das ist international überall so. Allerdings lägen in Deutschland die Bildungsabschlüsse von Migrantinnen und Migranten gegenüber den Menschen mit Migrationshintergrund, die hier geboren sind, unter den durchschnittlichen Bildungsabschlüssen der Zugewanderten. Das ist auch ein Stück weit bekannt, aber es ist ein zentraler Punkt, der uns in höchstem Maße alarmieren muss, weil mit Blick auf die langfristige Perspektive der demografischen Entwicklung und der abnehmenden Schülerzahlen hier ein extremer Handlungsbedarf gegeben ist.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass eine Integrationsrendite von 12 Prozent möglich sei, dass sich die Investitionen in die Bildung von Migrantinnen und Migranten volkswirtschaftlich quasi hoch verzinsten. Das hat sogar der FDP-Wirtschaftsminister herausgestellt.

In dem Kontext heute geht es eher um die individuelle Rendite, um die Rendite jedes Einzelnen. Hier möchte ich den Exkurs noch weiter ausdehnen zum Integrationsbeirat, der letzte Woche die Hamburger Schulreform diskutiert hat. Die übergroße Mehrheit der Vertreterinnen und Vertreter von Migrantenorganisationen hat sich dort eindeutig für die Hamburger Schulreform ausgesprochen, weil

diese Gruppen genau wissen, welche Verbesserung für die Entwicklungs- und Bildungschancen der Migranten damit verbunden ist. Das ist ein höchst wichtiger Punkt, der auch im Kontext des Europäischen Jahres der Armut gedacht und genannt werden kann, wenn man systemisch bedenkt, was volkswirtschaftlich nachhaltig und wichtig ist, denn nur Egoismus denkt kurzfristig.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Ich will jetzt nicht die vielfältigen Maßnahmen auffächern, die in der Großen Anfrage dargestellt sind, das kann im Sozialausschuss erfolgen. Wir halten es auch für richtig, dieses dort noch intensiver und vertiefter zu diskutieren, um genau diese Bewusstseinsbildung, die das Europäische Jahr der Armut voranbringen will, auch in diesem Hause stattfinden zu lassen. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt Herr Joithe.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Es fällt auf, dass der Senat, wie sonst häufig auch, in der Beantwortung dieser Großen Anfrage sehr stark auf bundespolitische Zuständigkeiten verweist, so zum Beispiel mit Hinweis auf die bundesrechtlich geregelten Rentenansprüche. Andererseits nennt er dann aber zu gern Leistungen im Sozialgesetzbuch II als Maßnahmen – Zitat:

"Abwendung von Armut […]."

Und da handelt es sich ebenfalls um bundesrechtlich geregelte Ansprüche. Hier schmückt sich der Senat mit fremden Federn.

Der Senat kann sich zur Bekämpfung der Armut nur das auf die eigene Fahne schreiben, was aus Hamburger Haushaltstiteln bestritten und von der Bürgerschaft beschlossen wurde – daran sollte man einmal denken –, und das ist herzlich wenig.

Da es sich hier um eine Große Anfrage der CDU handelt, darf man natürlich trotzdem die bundespolitische Bedeutung nicht außer Acht lassen, schließlich bilden die Christdemokraten in Berlin einen nicht unerheblichen Teil der Bundesregierung. Deshalb ist hier zu bemerken: Wer einen auskömmlichen Mindestlohn ablehnt, wer gleichen Lohn für gleiche Arbeit im Bereich der Leiharbeit nicht umsetzt, wer bei einem europäischen Vergleich ein abgeschlagen niedriges Rentenniveau politisch zu verantworten hat und das grundgesetzlich gebotene Existenzminimum im Bereich der Grundsicherung unterschreitet, der sollte erst gar nicht von Bekämpfung der Armut oder sozialer Ausgrenzung sprechen. Der sollte sich ehrlich hin

(Claudius Lieven)

stellen und postulieren: Deutschland sagt Ja zur Armut.

Bei der Vorstellung der Armutsgefährdungsquoten wird allzu offensichtlich der Vergleich zu den beiden anderen Stadtstaaten Bremen und Berlin gesucht und Hamburg würde auf den ersten Blick besser abschneiden; Herr Kienscherf hat darauf bereits hingewiesen. Tatsächlich liegt das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner in Hamburg im europäischen Spitzenbereich. Es belief sich in 2005 in Hamburg auf durchschnittlich 47 767 Euro pro Einwohner. In den Städten Bremen und Berlin zeigt sich ein signifikant abweichendes Bild. In Bremen waren es 37 321 Euro pro Einwohner und in Berlin gar nur 23 292 Euro pro Einwohner – so die Zahlen der Eurostat-Erhebung 19/2008. Damit ist, im Gegensatz zu den Ausführungen von Herrn von Frankenberg, das Armutsgefälle in Hamburg weitaus größer als das der beiden anderen Stadtstaaten Bremen und Berlin. Dies schlägt sich insbesondere darin nieder, dass im einkommensstarken Hamburg die Preisstrukturen, nämlich Wohnen, öffentliche und private Infrastruktur, überdurchschnittlich hoch sind, was eine stärkere Ausgrenzung der auf Grundsicherungsleistungen angewiesenen Menschen mit sich bringt. Die Höhe der Grundsicherungsleistung ist schließlich bundesweit einheitlich.

Die Links-Fraktion in der Bürgerschaft hatte deshalb bereits für den Bereich der bei der städtischen Zuständigkeit liegenden Sozialhilfeleistungen regionale Regelsätze gefordert. Ebenfalls bereits 2008 war es die Fraktion der Linken, die einen substanziellen Armuts- und Reichtumsbericht gefordert hat, der nach wie vor aussteht. Übrigens gibt es mit heutigem Datum einen aus Bremen, dort geht das. Die Träger der freien Wohlfahrtspflege fordern einen derartigen Bericht seit Langem, aber der Senat verweigert sich beharrlich, vermutlich deshalb, weil er das in Deutschland und Europa einzigartige Armutsgefälle der Freien und Hansestadt Hamburg nicht abbilden will.

Armut ist auch ein relationales Phänomen. Wer von Armut in Hamburg spricht, der muss auch von Reichtum in Hamburg sprechen und davon, wie ein Lastenausgleich zu erzielen ist. Wohlwollend werden in der Antwort auf die Große Anfrage einige Bürger gesellschaftlicher und ehrenamtlicher Initiativen erwähnt, so etwa das Projekt "Hinz & Kunzt", die BUDNIANER HILFE, das Engagement der Darboven GmbH und die Hamburger Tafel. Freiwilliges Mäzenatentum reicht aber keinesfalls aus, das Armutsgefälle in Hamburg zu bekämpfen.

Die Links-Fraktion hat deshalb die Wiedereinführung einer reformierten Vermögensteuer und eine nachhaltige Verbesserung des Steuervollzugs gefordert. Der Senat schont jedoch weiterhin die starken Schultern von Hamburgs Reichen und Superreichen und beteiligt sich nicht konsequent an der

Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Die ermäßigten Teilnahmegebühren und Eintrittsgelder für Menschen mit niedrigem Einkommen verdecken den Umstand, dass selbst die ermäßigten Theater-, Kino- und Konzertpreise für die Betroffenen – in der Regel Empfänger von Grundsicherungsleistungen – unerschwinglich bleiben. Die Links-Fraktion hat deshalb bereits im Januar 2009 kulturelle Teilhabe für alle gefordert und hierbei hat sie sich an den sogenannten Berliner 3-Euro-Tickets orientiert. Weit entfernt davon, kulturelle Teilhabe für alle zu ermöglichen, baut der Senat die wenigen Vergünstigungen, die es gibt, auch noch ab. So sollen die Leistungen des HVV-Familienpasses eingeschränkt und die HVV-Tarife erhöht werden. Das nennt sich dann Armutsbekämpfung. Außerdem ist eine Gebührenerhöhung für die Rechtsberatung und praktische Rechtshilfe und für Güteverfahren bei der ÖRA geplant.

Dass Studierende ebenfalls eine armutsgefährdete Bevölkerungsgruppe bilden, erkennt der Senat zwar an, ohne jedoch daraus die notwendige Konsequenz einer Abschaffung der Studiengebühren abzuleiten. Die Links-Fraktion hat diese Forderung im Rahmen der Haushaltsverhandlungen gestellt.

Meine Damen und Herren! Die beste Armutsvermeidung ist die Integration in auskömmliche Erwerbsarbeit.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Richtig!)

Hier könnte die Freie und Hansestadt Hamburg über ihre verschiedenen städtischen Betriebe Einfluss nehmen. Die Links-Fraktion hat mit ihrem Landesprogramm zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen die Schaffung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze gefordert und jüngst konkrete Vorschläge für die Neubesetzung der Hausbetreuerlogen bei der SAGA GWG gemacht. Entsprechende Handlungsweisen stehen noch aus.

Des Weiteren fällt auf, dass im Zusammenhang mit dem quantitativ bedeutsamen Anteil der Grundsicherung für Arbeitsuchende lediglich auf die entsprechenden Statistiken der Arbeitsagentur hingewiesen wird, ohne die Zahlen selbst auszuweisen. Diese Praxis ist uns allerdings aus der Beantwortung unserer parlamentarischen Anfragen bekannt.

Der Senat strebt bei der Umstrukturierung der Verwaltung des SGB II eine Optionskommune an. Dann wäre er eigenverantwortlich für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende und müsste diese Zahlen selbst pflegen und ausweisen. Wir sind gespannt, wie er diese Aufgabe, soweit es zu dieser Optionsform kommt, lösen wird. Meine Fraktion wird dem Überweisungsbegehren der SPD an den Sozialausschuss zustimmen. Dort lassen sich dann weitere Ungereimtheiten bei den

Antworten des Senats klären. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Senator Wersich.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In der Debatte ist auf das Europäische Jahr gegen Armut und Ausgrenzung hingewiesen worden. Ich finde, dass in der heutigen Debatte nicht so sehr die Beiträge selbst als vielmehr die Rezeption dieser Beiträge zeigt, dass sich die Politik, häufig aber auch die Medien und die Gesellschaft mit diesem Thema sehr schwer tun. Es wird sehr oft oberflächlich, stigmatisierend oder mit Betroffenheit diskutiert, selten jedoch vertieft und differenziert. Ich sehe darin einen wirklich krassen Widerspruch zu der tatsächlichen Bedeutung des Themas Armut für Gesellschaft und Staat. Damit meine ich nicht nur die humanitäre Dimension, sondern das, was die Große Anfrage aufdeckt: Immense Ressourcen werden in Hamburg Jahr für Jahr zur Vermeidung und Minderung von materieller Armut durch Transferleistungen zur Verfügung gestellt. Die Große Anfrage zeigt, dass die Gesellschaft 2,7 Milliarden Euro aufwendet, um materieller Armut entgegenzuwirken.

In der heutigen Debatte haben wir einmal über 200 000 Euro für ein Museum diskutiert, wir reden über 10 Prozent Bildungsausgaben – dies sind alles überschaubare Summen im Vergleich zu den 2,7 Milliarden Euro. Diese immense gesellschaftliche Bedeutung, diese immensen Ressourcen, die in den Kampf gegen Armut investiert werden, machen es erforderlich, dass sich der Schweiß der Edlen in Politik und Gesellschaft darum kümmert, wie wir das wirksamer machen können.

Mittlerweile setzt sich zum Glück auch die Erkenntnis durch, allein durch Versorgung und Transfer zwar die Auswirkungen von materieller Armut abfedern zu können, aber nicht Armut überwinden zu können. Wir stellen im Gegenteil fest, dass durch Versorgung nicht selten Abhängigkeit geschaffen wird, dass durch Abhängigkeit Menschen passiv werden und dass wir es dann mit den Formen verfestigter Armut zu tun haben, die insbesondere für die Kinder, die in diesen Verhältnissen aufwachsen, verhängnisvolle Rahmenbedingungen für ihr ganzes Leben bedeuten. Deswegen gilt es, nicht nur gegen die materielle Katastrophe, sondern auch gegen die häufigen menschlichen Katastrophen, die hinter Armut stehen, anzugehen. Und dafür brauchen wir nicht nur gute Motive oder Parteien, die das Wort "sozial" in ihrem Namen tragen, sondern dafür brauchen wir wirksame Politikkonzepte, die dann auch die Ziele erreichen. Ich habe an anderer Stelle schon einmal gesagt – Herr Neumann, das gilt auch für die Sozialdemokraten, die

das Wort "sozial" im Titel führen –: Wer den Sozialstaat sichern will, der muss dafür sorgen, dass er bezahlbar bleibt. Das sind wir den zukünftigen Generationen schuldig.

(Beifall bei der CDU – Michael Neumann SPD: Das haben wir schon vor zehn Jahren gesagt!)

Genau. Herr Neumann sagt, das haben wir gemacht.

Es ist richtig, Rot-Grün lag mit dem Motto "Fördern und Fordern" – das ist ein rot-grünes Motto – genauso richtig wie die CDU mit dem Motto "Leistung und Gegenleistung".

(Michael Neumann SPD: Das habe ich noch nie gehört!)

Aber ich beobachte sehr wohl bei den Sozialdemokraten, dass unter dem Druck der Links-Partei die SPD doch wieder mehr das sozialpolitische Füllhorn entdeckt

(Michael Neumann SPD: Da ist ja nichts mehr drin, Sie haben alles ausgegeben!)

und heute wieder mehr soziale Gerechtigkeit durch Umverteilung verspricht. Das sehe ich mit großer Sorge, weil uns genau diese Politik auch zu den Problemen, vor denen wir heute stehen, geführt hat.

(Beifall bei der CDU)

Herr von Frankenberg sagte bereits, dass Hamburg bei der Armutsüberwindung überdurchschnittlich erfolgreich ist und entgegen der öffentlichen Wahrnehmung die Armutsgefährdung seit 2005 nicht jedes Jahr schlimmer, sondern jedes Jahr besser geworden ist sowohl im Bundesvergleich als auch im Stadtstaaten-Vergleich. Nun kommt Herr Kienscherf mit einer interessanten Theorie, die ich gern aufnehme:

(Olaf Ohlsen CDU: Nee, lass es nach!)