Protokoll der Sitzung vom 15.09.2010

Trotzdem wird vorgeschlagen, dass es vor der Entscheidung der Eltern, ob ihr Kind die Stadtteilschule oder das Gymnasium besucht, noch einmal eine obligatorische Verpflichtung zu einer Beratung gibt, die auch festgehalten werden muss. Das wird den Eltern mitgegeben und kommt in die Schülerakte. Das kann in dem Sinne funktionieren, dass es keiner Grundschulempfehlung entspricht, es kann in der Praxis aber doch hinten herum wieder eine Grundschulempfehlung dabei herauskommen. Wir müssen darauf achten, dass das nicht passiert, denn das wäre dann auch eine Stigmatisierung. Es soll kein Kreuz geben bei der Entscheidung zwischen Stadtteilschule und Gymnasium, das finden wir gut, aber wir sehen da durchaus ein kleines Problem.

Womit wir nicht ganz einverstanden sind, woran wir aber unsere Zustimmung zur Umsetzung des

Volksentscheids nicht scheitern lassen wollten, ist die Frage der Abschulung vom Gymnasium. Wir hätten es gut gefunden, dass die Schüler, die nach der vierten Klasse auf das Gymnasium kommen, nicht bis zum Ende der sechsten Klasse warten müssen, bis sie eine Abschulung bekommen, sondern dass es gar keine Abschulung gibt. Wir sehen nämlich die Gefahr, dass die Stadtteilschule so etwas wie eine Auffang- und Resteschule wird, wenn Schüler, die auf dem Gymnasium nicht zurechtkommen, auf die Stadtteilschule geschickt werden. Das sehen wir als ein großes Problem an und hätten es deshalb besser gefunden, wenn es keine Abschulung gibt. Natürlich können auch dies immer die Eltern entscheiden.

Einen Dissens gab es mit den Kammern, weil diese aus pädagogischen Erwägungen heraus die Auffassung vertreten, wir Schulpolitiker müssten uns viel mehr Gedanken darüber machen, dass Noten und Punkte nicht der Weisheit letzter Schluss sind und man immer mehr von ihnen abgehen und hin zu Lernentwicklungsberichten kommen müsse. Das war nicht durchsetzbar. Ich meine aber, dass wir in dieser Frage in einem Prozess sind; es wird auch einen Kongress zu diesem Thema geben. Wir haben diese Frage ein bisschen offen gehalten und ein Schulgesetz gilt auch nicht für die Ewigkeit. Wir werden immer wieder neue Strömungen und Entwicklungen haben. Schule ist ein Spiegelbild der Gesellschaft und von daher ist dieser Punkt nicht ein für allemal festgeschrieben. Hier müssen wir noch einmal neu überlegen. Ich denke, es wird letztendlich in die andere Richtung gehen, noch mehr weg von Noten und Punkten.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit diesem Schulgesetz ist die Debatte um die Primarschule beendet. Ihre Einführung in Hamburg ist gescheitert, aber das Problem der Bildungsungerechtigkeit ist nicht beseitigt. Nach wie vor haben wir das Problem, dass Schülerinnen und Schüler bei ihrem Übergang von Klasse 4 nach Klasse 5 und von Klasse 6 nach Klasse 7 nach ihrer sozialen Herkunft aussortiert werden. Das wird sich mit diesem Schulgesetz nicht ändern, hier können wir Gerechtigkeit nur auf anderen Wegen erreichen. Man muss also auch sehen, dass dieser Volksentscheid zwar die Debatte um die Primarschule beendet hat, aber mit Sicherheit nicht die Debatte über längeres gemeinsames Lernen. Diese Frage wird sich immer wieder stellen, auch weil wir ein Teil von Europa sind und die Dinge dort ganz anders sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben heute schon häufiger gehört, dass man das Gesetz jetzt auf den Weg bringe und dann gäbe es Ruhe und Frieden. Ich kann mit diesem Frieden überhaupt nichts anfangen, weil wir nicht im Krieg sind, jedenfalls meine Fraktion nicht und meine Schule auch nicht. Es fallen auch Begriffe wie,

nun müssten alle aus den Schützengräben herauskommen. Das kann ich nicht nachvollziehen. Natürlich gibt es im Bereich der Schulpolitik unterschiedliche Auffassungen, das wird auch so bleiben. Schule wird immer weiterentwickelt werden müssen und wir werden uns in der Auseinandersetzung in der Stadt weiter daran beteiligen. Wir werden die innere Schulreform in Hamburg konstruktiv und kritisch begleiten und hoffen, dass es uns gelingt, Stück für Stück zu mehr Bildungsgerechtigkeit zu gelangen. Letztlich geht das nur durch die eine Schule für alle. Die Zeit wird zeigen, ob das stimmt.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Senatorin Goetsch hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Novellierung des Schulgesetzes kommt heute eine lange und intensive Auseinandersetzung um die Schulpolitik in Hamburg zu einem Ende, nicht zu einem endgültigen Ende – Grabesstille können wir nicht gebrauchen –, aber zu einem Ende. Die Mehrheit hat entschieden, dass es bei der vierjährigen Grundschule in unserer Stadt bleiben soll, und dieser Mehrheitswille wird nun Gesetz. Dabei ist ein bindender Volksentscheid zu einer wesentlichen Frage der Schulstruktur auch ein politisches Novum. Als schwarz-grüne Koalition haben wir dafür gesorgt, dass Volksentscheide bindend sind. Umso wichtiger ist es, dass das Votum vom 18. Juli zügig und vollständig umgesetzt wird.

An dieser Stelle will ich allen vier Fraktionen noch einmal ausdrücklich danken, dass sie in wirklich sehr kurzer Zeit all die erforderlichen Abstimmungen getroffen und Vorarbeiten geleistet haben; das ist mehr als vorbildlich. Die Schulbehörde ist nicht auf die gesetzliche Grundlage angewiesen, die Sie so schnell geschaffen haben.

(Vizepräsident Wolfgang Joithe-von Krosigk übernimmt den Vorsitz.)

Das ist gut und entspricht sogar dem Ideal, das der Bürgermeister uns heute in seiner Regierungserklärung vor Augen geführt hat: gemeinsam für das Gemeinwohl in dieser Stadt zu sorgen.

Nun muss man ehrlicherweise auch sagen, dass dies nicht für alle ein Tag der Freude ist. Viele Menschen, die sich für das längere gemeinsame Lernen eingesetzt haben, freuen sich heute nicht. Aber bei allem berechtigten Bedauern überwiegt acht Wochen nach dem Volksentscheid doch eine gewisse pragmatische Erleichterung - vor allen Dingen in den Hamburger Schulen.

Und mit dem jetzt zu ändernden Schulgesetz wird die Grundlage dafür hergestellt, dass wir als Be

(Dora Heyenn)

hörde die nächsten konkreten Schritte machen können. Wir können eine neue Schulorganisationsverordnung in Kraft setzen und den Schulentwicklungsplan überarbeiten; es gibt wahrlich genug zu tun. Die Schulen brauchen einen klaren Handlungs- und Ordnungsrahmen, vor allen Dingen natürlich die Schülerinnen und Schüler. Das heißt, es hat Priorität, die jetzt anstehenden erforderlichen Änderungen um den Alltag in den Schulen herumzuorganisieren und nicht durch ihren Alltag hindurch. Produktive Unruhe ist zwar etwas Schönes und gehört auch zu jeder guten Schule, aber produktive Unruhe ist eben nicht gegeben, wenn über eine lange Zeit unklar ist, was eigentlich mit der eigenen Schule passiert.

Wenn auch der Schulanfang bemerkenswert gut gelungen ist, gibt es eine solche Unruhe in den Schulen, die als belastend empfunden wird, weil eben diese Klarheit erst durch diese Gesetzesänderung und Umsetzung des Volksentscheids stattfindet. Deshalb ist es gut, wenn wir das jetzt schnellstmöglich alles ausräumen. Ich bin auch sehr froh, dass Sie eine Schulgesetzänderung machen, die alle wichtigen schulpolitischen Fragen, alle großen Fragen der Schulen, aus einem Guss beantwortet. Es gibt vier Prämissen dieser Schulgesetzänderung.

Erstens: Der Volksentscheid wird nach Punkt und Komma umgesetzt, die vier Jahre Grundschule, Elternwahlrecht, acht Jahre Gymnasium, neun Jahre Stadtteilschule ohne Wenn und Aber.

Zweitens: Die engagierte pädagogische Arbeit und auch bewährte Schulkonzepte werden nicht per Gesetz ausgebremst, die Langformschulen sind schon genannt worden.

Drittens: Dass es wirklich weiterhin die guten oder die qualitativen Elemente der inneren Schulreform für eine moderne Schule und für eine moderne Pädagogik des 21. Jahrhunderts gibt. Das sind die vielen bereits genannten Punkte wie die Leistungsrückmeldung und auch, dass in der dritten Klasse differenzierte Lernentwicklungsberichte gegeben werden. Wir machen noch, weil der Punkt Noten wieder in der Debatte war, eine Fachtagung. Sie ist vorbereitet vom Landesinstitut, der Schulbehörde und der Elternkammer und es wird dort zu einer breiten und sachlichen, nach vorne gewandten Diskussion kommen.

Viertens: Das Ergebnis wird eben nicht auf dem Rücken der Starterschuleltern ausgetragen, die ihre Kinder in einer fünften Klasse angemeldet haben. Wir müssen immer wieder sagen, dass die Eltern sich auf uns verlassen können. Es ist auch nicht für die öffentliche Auseinandersetzung geeignet, über so eine kleine Gruppe von Eltern und Kindern zu debattieren. Das hat nichts mit Politik zu tun. Diese öffentliche Debatte war schlicht unerträglich und deshalb ist es umso wichtiger, dass wir den Eltern Vertrauensschutz gewähren;

das ist absolut unverzichtbar.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Es wurde eben schon von den Gräben gesprochen, die zugeschüttet werden. Ich hoffe, dass das der Fall sein wird, die Hamburgerinnen und Hamburger erwarten das und der Gesetzentwurf schafft eine gute Basis dafür. Es war auch sinnvoll, dass mit der Initiative das Gespräch gesucht und im Sinne der Schulen agiert wurde. Es gab keine Auseinandersetzung um Symbolik und Nickeligkeiten, sondern eine Diskussion darüber und jetzt wird mit dem Gesetzentwurf der Volksentscheid umgesetzt. Wenn jetzt noch jemand vergangene Schlachten weiter schlagen will, dann kämpft er alleine, denn nichts braucht unsere Stadt weniger als noch weiteres Gezeter und Gewürge. Und was für die Stadt gilt, gilt natürlich besonders für die Schülerinnen, für die Lehrerinnen und für die Eltern.

Das bedeutet nicht, dass jetzt Grabesstille eintreten sollte in den Schulen oder in bildungspolitischen Debatten, das wäre schlimm. Sicherlich wird jede Partei im Rahmen der Vorbereitung auf den Wahlkampf auch strategische Debatten führen oder mittel- und langfristige bildungspolitische Debatten. Aber so wichtig diese Perspektivdebatten sind, so klar ist es auch, dass der Senat sich an das bildungspolitische Programm hält und es bearbeiten wird, wie wir uns das als Regierungspartner vorgenommen haben. Der Volksentscheid hat kein Problem gelöst, hat inzwischen keine Herausforderung oder Aufgabe beantwortet. Die Kinder sind die gleichen geblieben und die Ziele der Koalition sind auch die gleichen geblieben – ich zitiere –:

"Kein Talent darf verschwendet werden. Individuelle Begabungen auf den verschiedenen Feldern müssen sich entfalten und zur Entwicklung der Stadt beitragen können. Insbesondere gilt es, alle Kinder und Jugendliche so gut wie möglich zu fördern und ihnen gleiche Startchancen ins Leben zu geben. Chancengerechtigkeit, Integration und Förderung der Leistung müssen miteinander und nicht gegeneinander gelingen."

Das steht im Koalitionsvertrag und das ist unser Kompass, an dem wir weiter arbeiten werden. Das ist die Bildungspolitik in unserer und auch in meiner Verantwortung. Alle Meilensteine sind schon mehrfach genannt worden.

Ich kann natürlich verstehen, dass Sie viele schulpolitische Debatten in den letzten Monaten ertragen mussten, aber ich glaube, es ist gut, wenn wir uns noch einmal auf die Gemeinsamkeiten verständigen.

Es ist sehr unruhig hier, ich kann auch aufhören.

(Glocke)

(Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch)

(unterbrechend) : Frau Goetsch, ich danke Ihnen für den Hinweis. Ich möchte Sie alle bitten, Frau Goetsch doch weiter in Ruhe zuzuhören, denn ansonsten können Sie dem nicht folgen. – Herzlichen Dank.

Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch (fort- fahrend): Dann möchte ich noch einmal zwei Dinge hervorheben.

Die Stadtteilschule hat schon längst mit dem neuen Schuljahr begonnen. Wir brauchen also nicht mehr auf die Einführung hinzuarbeiten. Das ist eine Umsetzung, auf die wir stolz sein können und wo in anderen Bundesländern noch debattiert wird über Werkrealschule, Realschule plus, was auch immer. Wir haben hier schon längst eine klare Entscheidung gefällt und wir werden auch weiterhin einen großen inhaltlichen Schwerpunkt auf Personal-, Organisations- und Unterrichtsentwicklung legen.

Der Ausbau der Ganztagsschulen schreitet ständig in großen Schritten voran und auch das Übergangssystem hat schon längst begonnen. Wir sind also dabei, die Inklusion kommt ja noch in der letzten Debatte.

Ich bemerkte eingangs, dass heute kein Tag der Freude für alle sei, aber wir können gut mit einem Zitat von Hillary Clinton schließen:

"Jeder Moment, den wir mit dem Blick zurück auf verpasste Gelegenheiten vergeuden, hält uns davon ab, weiter vorwärtszukommen. Das Leben ist zu kurz, die Zeit zu kostbar, die Herausforderungen zu groß, um in der Vergangenheit zu leben. Wir müssen weiter für das arbeiten, was eines Tages möglich sein wird."

Danke.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.

Die Fraktionen haben vereinbart, dass über die gleichlautenden Anträge von GAL- und CDU-Fraktion einerseits sowie von SPD-Fraktion und der Fraktion DIE LINKE andererseits gemeinsam abgestimmt werden soll. Wenn es dagegen keinen Widerspruch gibt, dann verfahren wir so.

Wer möchte den gleichlautenden Anträgen aus den Drucksachen 19/7229 und 19/7278 seine Zustimmung geben? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist somit einstimmig beschlossen worden.

Es bedarf einer zweiten Lesung. Stimmt der Senat einer sofortigen zweiten Lesung zu?

(Der Senat gibt seine Zustimmung zu erken- nen.)

Das ist der Fall. Gibt es Gegenstimmen aus dem Hause? – Die sehe ich nicht.

Wer will das soeben in erster Lesung beschlossene Gesetz in zweiter Lesung beschließen? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist einstimmig in zweiter Lesung und damit auch endgültig beschlossen worden.

Frau Möller?

Herr Präsident, vielen Dank. Ich möchte für alle Fraktionen hier im Haus die nachträgliche Überweisung an den Schulausschuss beantragen. Das kommt etwas spät.