Protokoll der Sitzung vom 24.11.2010

(Beifall bei der LINKEN)

Die versteckte Botschaft ist, dass weiterhin nach wirtschaftlichen Kriterien aussortiert werden soll. Dabei ist es nicht zielführend, die Erteilung einer sicheren Aufenthaltserlaubnis mit Integrationsleistungen zu verknüpfen. Es ist keine Lösung, Abiturienten mit guten Noten eine Bleiberechtsperspektive anzubieten und schlechteren Schülern oder Hauptschülern eine solche zu verweigern.

(Wilfried Buss SPD: Wer sagt das?)

Es ist gut integrierten Jugendlichen nicht damit gedient, dass sie einen sicheren Aufenthaltsstatus haben, wenn ihre Eltern oder Geschwister weiterhin nur geduldet sind. Außerdem ist es ausgren

zend, das Bleiberecht mit Sanktionsmaßnahmen und Abschiebeandrohungen zu verknüpfen. Das ist Populismus und stärkt nur bereits vorhandene Abneigungen gegenüber Migrantinnen und Migranten. Ein sicherer Aufenthalt ist keine Belohnung für Integrationsleistungen. Es wäre allemal sinnvoller, Aufenthaltstitel als Mittel zur Integration einzusetzen und Migrantinnen und Migranten damit soziale Teilhabe und Partizipation zu ermöglichen. Aufenthaltsrecht sollte als ein Menschenrecht anerkannt werden.

Auf der Innenministerkonferenz haben sich die Minister und Senatoren dafür ausgesprochen, künftig ausreichende Mittel für Sprachförderung und Integrationskurse zur Verfügung zu stellen, und damit bestätigt, dass diese Kurse bislang unterfinanziert sind. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Ausgrenzend ist es allerdings, gleichzeitig das Schreckensbild vom Integrationsverweigerer an die Wand zu malen. Mit zusätzlichen ausländerrechtlichen Sanktionsinstrumenten lässt sich die Teilnehmerquote an Integrationskursen nicht verbessern, und ohnehin wollen auf freiwilliger Basis mehr Menschen an Integrationskursen teilnehmen. Dieser Vorstoß zeugt also nur von mangelndem Sachverstand unserer Innenminister.

(Beifall bei der LINKEN)

Es wird der Eindruck erweckt, es mangele an der Bereitschaft zur Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen. Fakt ist aber, dass diese Kurse überfüllt sind, weil viele freiwillig an ihnen teilnehmen wollen. Fakt ist, dass die Interessenten mit mehrmonatigen Wartezeiten rechnen müssen. Fakt ist auch, dass die Qualität des Angebots zu wünschen übrig lässt und weder Senat noch Innenminister wissen, wie die Rahmenbedingungen aussehen.

Statt Migrantinnen und Migranten pauschal Integrationsunwilligkeit zu unterstellen, gilt es, sich zunächst einmal um das Kursangebot zu kümmern. Es bringt uns nicht weiter, moralisch den Zeigefinger zu erheben und die Opfer von Exklusion, Diskriminierung und Benachteiligung für diese Missstände selber verantwortlich zu machen.

Wir fordern Innenminister und Senat auf, langjährig geduldeten Personen unabhängig von ihrer Integrationsperspektive ein dauerhaftes Bleiberecht zu ermöglichen, die Integrationskurse und ihre Finanzierung zu verbessern und damit aufzuhören, Menschen als integrationsunwillig zu diskreditieren, anstatt sie zu fördern. – Danke schön.

Das Wort bekommt Senator Vahldieck.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Als am Donnerstag der letzten Woche der Bundesinnenminister die Öffent

(Antje Möller)

lichkeit über die gestiegene Terrorgefahr informierte, war mir klar, dass sich die Innenministerkonferenz auch mit diesem Thema befassen würde. Angesichts dieser Debatte stelle ich fest, dass – obwohl das Thema Terrorbedrohung die IMK durchaus beeinflusst und teilweise vielleicht sogar geprägt hat – hier die Themen eine Rolle spielen, die auf der Innenministerkonferenz primär von Bedeutung waren.

Die Innenministerkonferenz ist eine Arbeitstagung. Es ist uns gelungen, über die Parteigrenzen hinweg sehr viele einvernehmliche Beschlüsse zu fassen. Das ist auch der Grund, warum ich per Saldo der Auffassung bin, dass die IMK als Erfolg zu betrachten ist.

(Beifall bei der CDU)

Sie wissen, dass Beschlüsse der IMK dem Einstimmigkeitsprinzip unterliegen. Das erklärt auch, Herr Dressel, warum in Einzelfällen Länder, wenn sie zwar im Prinzip zustimmen, aber eine andere Nuance hereinbringen wollen, eine Protokollerklärung abgeben. Das hat Bayern getan, das haben andere Länder getan

(Dr. Andreas Dressel SPD: Hamburg auch!)

und das ist auch gut so, denn ohne diese Möglichkeit würde es überhaupt keine Beschlüsse geben. Insofern bin ich froh, dass es am Ende zu sehr vielen einstimmigen Entschließungen gekommen ist. Das gilt insbesondere auch für die Themen, die ich im Vorfeld der IMK als meine persönlichen Schwerpunktthemen identifiziert habe.

Wir haben insgesamt 40 Tagesordnungspunkte besprochen, zugegebenermaßen nicht alle gleich intensiv. Das Thema Integration war sicherlich auch zeitlich ein Schwerpunktthema. Einige Themen waren dank der guten Vorbereitung der Staatssekretäre völlig streitfrei, andere haben wir sehr intensiv und teilweise auch kontrovers erörtert. Es gilt das Einstimmigkeitsprinzip, das heißt, es gibt den Zwang zu Kompromissen. Ich räume ein – und ich weiß, wovon ich rede –, dass man, wenn man in der Opposition ist, gern bereit ist, Kompromisse per se als faule Kompromisse zu bezeichnen. Das mag auch im einen oder anderen Fall der Fall sein,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Dann sagen Sie mal, in welchen!)

aber insgesamt gilt, dass wir ohne Kompromisse keine Politik machen können, Herr Dr. Dressel, und das wissen Sie auch.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Kommen wir nun zu dem Schwerpunktthema, das auch diese Debatte schon geprägt hat, dem Bleiberecht und der Integration. Wir sind bei diesem weiß Gott umstrittenen Thema politisch ein gutes Stück vorangekommen. Statt diese Angelegenheit

wie sonst so oft in der Vergangenheit nur zu erörtern, sind wir zu einer übereinstimmenden, parteiübergreifenden Entschließung gekommen. Diese Entschließung enthält konkrete Vorschläge der Innenminister und –senatoren zur Weiterentwicklung des Aufenthaltsrechts, insbesondere zu einem Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche und ihre Familien. Gerade bei diesem häufig heftig umstrittenen Thema ist es keine Selbstverständlichkeit, parteiübergreifend eine einvernehmliche Verständigung zu erzielen.

Meinen Innenministerkollegen, insbesondere den der SPD angehörenden, bin ich für ihre Bereitschaft dankbar, über die herkömmlichen parteipolitischen Gräben zu springen und damit den Weg dafür zu ebnen, dass wir gut integrierten Jugendlichen und ihren Familien bundesweit eine gesetzlich abgesicherte Aufenthaltsperspektive eröffnen können.

Mit diesem Bleiberechtsbeschluss honorieren wir die Integrationsleistungen Jugendlicher, ohne ihnen das Fehlverhalten ihrer Eltern vorzuhalten, die unerlaubt eingereist, ihre Identität verschleiert oder ihrer gesetzlichen Ausreisepflicht nicht nachgekommen sind. Wir geben aber diesen Eltern eine faire Chance auf ein Bleiberecht, wenn sie Integrationsleistungen erbringen und den Lebensunterhalt ihrer Familie zumindest überwiegend selbst sichern. Wir werden eine bundeseinheitlich gesetzliche Regelung für die zahlreichen Fälle schaffen, für die bislang nur das Verfahren über die Härtefallkommission möglich war, ein Verfahren, das auf Dauer sicherlich unbefriedigend ist. Wir werden damit eine Lösung für zahlreiche Fälle schaffen, die in der öffentlichen Wahrnehmung oft Unverständnis für das Vorgehen der Ausländerbehörden ausgelöst haben, obwohl diese schlicht das Gesetz angewandt haben. Vielleicht sollte man auch an dieser Stelle einmal sagen, dass diese Männer und Frauen in den Ausländerbehörden einen verdammt schweren Job haben. In dem Zusammenhang fallen schnell Begriffe wie herzlos, bürokratisch oder unsensibel, was immer das heißen mag. Diese Männer und Frauen vollziehen die Gesetze, und zwar genau die Gesetze, die wir oder andere frei gewählte Parlamente so beschlossen haben. Deshalb bedürfen sie auch der Unterstützung und des Dankes der Politik.

(Beifall bei der CDU und bei Michael Gwosdz GAL)

Wir sind uns mit dem Bundesminister des Innern einig, dass die von der Innenministerkonferenz beschlossenen Bleiberechtsvorschläge nun rasch in bereits eingeleitete Gesetzgebungsverfahren zur Änderung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften eingebracht werden müssen. Hamburg als amtierendes Vorsitzland der IMK wird hierzu schon nächste Woche im Bundesratsinnenausschuss einen aus

(Senator Heino Vahldieck)

formulierten Gesetzesvorschlag zur Abstimmung stellen.

Der Beschluss der IMK bleibt allerdings nicht beim Bleibereicht für gut integrierte Jugendliche und ihre Familien stehen. Die IMK hat sich insgesamt für eine Verstärkung der Maßnahmen zur Integration ausgesprochen. Sie fordert ausreichende Mittel für die Sprachförderung und die Vermittlung von Kenntnissen über die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte Deutschlands durch Sprachund Integrationskurse. Sie befürwortet neue, klare Rechtsgrundlagen für den Datenaustausch zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, den Kursträgern, den Sozialleistungsträgern sowie den Ausländerbehörden, um bei Verstößen gegen die Pflicht zur Teilnahme an einem Integrationskurs die bestehenden aufenthalts- und sozialleistungsrechtlichen Sanktionsinstrumente konsequent anwenden zu können. Kurz: Integration ist keine Einbahnstraße. Es bedarf der Anstrengung aller Beteiligten und das gilt natürlich auch und gerade für die Zuwanderer. Um die Durchsetzung von Rückführungsentscheidungen zu verbessern, hat die Innenministerkonferenz konkrete Maßnahmen der Ausländerbehörden aufgezeichnet, wie mit Unterstützung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und des Bundeskriminalamtes die Identität und Herkunft illegal eingereister Personen besser aufgeklärt werden kann. Damit haben wir insgesamt ein abgerundetes und ausgewogenes Maßnahmenpaket beschlossen, mit dem das deutsche Aufenthaltsrecht wirksam weiterentwickelt wird.

Diese Innenministerkonferenz hat die auf ihr behandelten Probleme konkreten Lösungen zugeführt und sie nicht, wie Sie es in dem von Ihnen angemeldeten Thema behauptet haben, vor sich hergeschoben. Mit dieser Behauptung, Herr Dr. Dressel, stellen Sie eigentlich auch Ihren sozialdemokratischen Parteifreunden unter meinen Kollegen ein schlechtes Zeugnis aus. Das haben die nicht verdient.

(Beifall bei der CDU – Ingo Egloff SPD: Gut, dass Sie das noch mal sagen!)

Das musste gesagt werden.

Zu einem anderen Thema, das ebenfalls in der Öffentlichkeit von Bedeutung war: Mindestspeicherfristen für Telefon- und Internetdaten. Datenerhebungen des Bundeskriminalamts und der Landeskriminalämter haben eindrucksvoll belegt, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine erhebliche Schutzlücke in der Kriminalitätsbekämpfung entstanden ist. Schwerste Verbrechen bleiben unaufgeklärt; die Täter konnten nicht ermittelt werden und befinden sich weiterhin auf freiem Fuß. In besonderem Maße gilt das für das abscheuliche Verbrechen im Bereich der Kinderpornografie.

Wir sind uns einig, dass der Bund nun zügig einen Entwurf zur Wiedereinführung der Mindestspeicherfrist vorlegen muss, der die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts einhält. Das, meine Damen und Herren, ist kein Widerspruch zu den richtigen Worten, die der Bundesminister des Inneren gesagt hat, als er nämlich meinte, wir sollten in der gegenwärtigen Situation der terroristischen Bedrohung nicht der Versuchung unterliegen, das Ganze mit rechtspolitischen Forderungen zu überfrachten, quasi im Windschatten derartiger Bedrohungen rechtspolitische Forderungen nach vorne zu bringen. Nein, dieses Thema war auf der Tagesordnung und es gehört auch auf die Tagesordnung und jede weitere Verzögerung wäre fahrlässig.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Unter TOP 12!)

Wie ich schon einmal gesagt habe, ist es für mich eine Horrorvorstellung, dass wir irgendwann vielleicht jemanden überführen, der eine terroristische Tat begangen hat, ihn dabei erwischen, wie er gerade eine terroristische Tat vorbereitet, und es uns nicht möglich ist festzustellen, mit wem er in den Tagen und Wochen zuvor kommuniziert hat, welche Netzwerke es gibt. Das ist für die Polizei ein völlig unerträglicher Zustand und Sie wissen das alle, aber häufig wird das immer noch in der Öffentlichkeit falsch diskutiert. Es geht um Verbindungsdaten, es geht nicht um Kommunikationsinhalte. Wir wollen feststellen können, wer mit wem zu welchem Zeitpunkt gesprochen hat. Es geht nicht darum, dass Milliarden von Verbindungsdaten ausgelesen werden, sondern es geht darum, dass man nötigenfalls auf sie zugreifen kann. Das geht nur, solange die Provider gehalten sind, die Daten auch tatsächlich aufzubewahren. Deshalb waren wir uns in diesem Punkt alle einig, dass es dringend einer verfassungsfesten Regelung der Mindestspeicherfristen bedarf.

(Beifall bei der CDU)

Das Thema Prostitution und Menschenhandel wurde schon kurz angerissen. Die IMK spricht sich für die Einführung von Erlaubnispflichten für alle Formen von Prostitutionsstätten aus. Zudem halten die Minister und Senatoren eine Anzeigepflicht der Prostitutionstätigkeit für erforderlich und sehen Handlungsbedarf bei der Einführung bundeseinheitlicher Zugangs- und Kontrollmöglichkeiten für Prostitutionsstätten, der Regulierung der Werbung für Prostitution und der Schaffung eines flächendeckenden Angebots für Ausstiegshilfen für Prostituierte. Mit diesen Regelungen wollen wir hauptsächlich die Frauen schützen, die von skrupellosen Straftätern zwangsprostituiert und menschenunwürdig behandelt werden. Auch auf diesem Feld sind wir ein gutes Stück vorangekommen.

(Beifall bei der CDU und bei Horst Becker GAL)

(Senator Heino Vahldieck)

Einige wenige Worte zum Thema Sicherheitsverwahrung, ein Thema, das uns auch bewegt hat und uns allen unter den Nägeln brennt. Wir brauchen dringend neue gesetzliche Regelungen; Herr Dr. Steffen, selbstverständlich nur solche, die auch allen rechtlichen Anforderungen gerecht werden, das versteht sich von selbst. Bis dahin werden sich die Länder gegenseitig unterstützen und noch intensiver miteinander sprechen. Einen zweiten Fall Hans-Peter W. darf es in Hamburg nicht mehr geben. Ich sage auch ganz deutlich, dass ich es wie meine Länderkollegen auch ablehne, dass die Polizei hinsichtlich der elektronischen Aufenthaltsüberwachung missbraucht wird. Diese Aufgabe sehe ich ganz eindeutig bei der Justiz.

(Beifall bei der CDU)

Zuletzt noch ein Wort, das mir ganz besonders wichtig ist. Die Polizistinnen und Polizisten in unserer Stadt hatten die ganzen Tage über verdammt viel zu tun. Sie mussten teilweise am Wochenende zuvor im Wendland einen wirklich schwierigen Einsatz hinter sich bringen 20, 30 Stunden am Stück.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Weil Sie die Versammlungsfreiheit missachten! Des- wegen!)

Zu meiner Zeit früher gab es Sie hier noch nicht. Daran muss ich mich erst gewöhnen.

Im Rahmen der Innenministerkonferenz wurden ihnen wieder erhebliche Leistungen abverlangt und ich kann den Polizistinnen und Polizisten dafür nur danken und ich kann auch den Hamburger Bürgerinnen und Bürgern, die einiges an Unannehmlichkeiten rund um die Innenministerkonferenz in Kauf nehmen mussten, danken. Sie haben das mit der gewohnten hanseatischen Gelassenheit getan und auf diese Weise dafür gesorgt, dass Hamburg sich, wie von uns Hamburgern nicht anders erwartet, einmal mehr als hervorragender und würdiger Gastgeber gezeigt hat. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort bekommt Herr Buss.