Protokoll der Sitzung vom 18.06.2008

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Blömeke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kienscherf, da bin ich aber froh, das war mal wieder eine typische Kienscherf-Rede, endlich einmal wieder die Sache herausgekehrt, das Pflegechaos beschworen. Was Sie beschrieben haben, Herr Kienscherf, war früher einmal. Und wenn Sie jetzt sagen, diesem Senat könne man nicht trauen, so ist dieser Senat erst sechs Wochen im Amt.

(Michael Neumann SPD: Seit 44 Tagen ist alles besser!)

Diese Rede wäre passend gewesen für 100 Tage Senat, dann hätten Sie das bringen können.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wir sind halt schneller!)

Wenn Sie einmal den Koalitionsvertrag lesen, dann finden Sie genau die Punkte, die Sie eben beanstandet haben, dass die ambulanten Dienste zum Beispiel nicht benachteiligt werden. Das ist völlig richtig und das haben wir neben vielen anderen Dingen auch aufgegriffen, auf die ich gleich noch kurz zu sprechen komme.

Natürlich gebe ich Ihnen recht, dass in der Pflege nicht alles so toll und zum Besten ist, wie es hier manchmal beschrieben wird. Wenn ich mich bei Ihnen allen so umsehe, dann kann ich mir vorstellen, dass Sie es morgens in 15 Minuten schaffen – Herr Neumann früher beim Bund erst recht –, aufzustehen, sich zu waschen und anzuziehen. Das ist vielleicht für uns alle kein Problem, aber

wenn wir einmal 30 Jahre weiter denken – bei dem einen sind es vielleicht 40, bei dem anderen 20 Jahre – und Sie dann 85 Jahre alt sind, dann möchte ich einmal sehen, ob Sie es schaffen, in 15 Minuten die sogenannte kleine Morgentoilette zu erledigen: Aufstehen, Waschen, Anziehen und die Zahnpflege. Allein daraus ergibt sich schon, dass Pflege ein Hochleistungsjob ist, in dem ständig unter Zeitdruck gearbeitet wird und der vor allen Dingen bei all denen, die pflegen, das Gefühl hinterlässt, keine Zeit gehabt zu haben für genau die Dinge, die auch wichtig sind, für Gespräche, Anteilnahme oder nur das Zuhören. Die Arbeitsbedingungen – da bin ich ganz bei der SPD-Fraktion, das ist überhaupt kein strittiges Thema – bestimmen entscheidend die Lebensqualität der Gepflegten.

Meine Damen und Herren! Die schwarz-grüne Koalition hat sich die Weiterentwicklung der Pflegeplanung und des Pflegeberufs in den Koalitionsvertrag geschrieben und es ist klar, dass hier ein großer Handlungsbedarf besteht. Eine Studie von Reinhold Schnabel prognostiziert einen Anstieg von heute 545 000 Vollzeitstellen in der Pflege auf sage und schreibe 1 Million im Jahr 2030.

(Erste Vizepräsidentin Barbara Duden über- nimmt den Vorsitz.)

Deswegen und aufgrund des demografischen Wandels sind hier zukunftsweisende Konzepte gefragt. Wir haben alle hohe Ansprüche an die Pflege. Sie muss bezahlbar sein und unseren qualitativen Ansprüchen genügen und es muss vor allen Dingen klar werden, dass Pflege eine eigenständige Profession ist und kein Assistenzberuf in der Medizin.

(Beifall bei Antje Möller GAL)

Wenn die SPD Weichenstellungen in der Pflege anmeldet, dann habe ich ein bisschen vermisst, wo bei Ihnen denn diese Weichenstellung ist und wo vor allen Dingen auch die Anerkennung ist, die Sie hier bringen wollten außer, dass Sie Kritik an diesem Senat geübt haben. Ein Markt mit Dumpinglöhnen und Dumpingpreisen im Pflegebereich, wie McPflege es anbieten wollte, kann nicht die richtige Zukunft sein. Wir brauchen eine faire Bezahlung, da bin ich völlig einverstanden, und wenn wir Pflegekräfte haben, die rund 1300 Euro netto bei einer 30-Stunden-Woche bekommen und damit 9 Euro die Stunde verdienen, wie es der Fall einer examinierten Pflegekraft zeigte, dann ist das unterbezahlt.

Auf Bundesebene fordern wir als Grüne daher verbindliche allgemeine Mindestlöhne in der Pflegebranche.

(Beifall bei Dr. Eva Gümbel GAL und Elisa- beth Baum DIE LINKE)

Gute Pflegekräfte brauchen auch eine gute Ausbildung und auch das haben wir als Grundlage im Koalitionsvertrag.

Aber das ist noch nicht alles. Wir müssen noch viel mehr in Angriff nehmen. Genauso ist es aus grüner Sicht sehr wichtig, darüber nachzudenken, diese All-inclusive-Pflege abzubauen, das heißt eine professionelle Pflegerin von Aufgaben wie Kochen, Einkaufsdiensten oder Wäsche waschen zu entlasten. Es wäre durchaus sinnvoll, Teile der Pflegeaufgaben in weitere Berufsgruppen zu delegieren.

Auch eines ist wichtig: Wenn wir die Pflege attraktiv machen wollen, dann müssen wir darüber nachdenken, wie wir Spezialisierungen anbieten können, damit wir auch Karrierechancen im Pflegeberuf schaffen und den Pflegeberuf so weiterentwickeln.

Alles in allem, denke ich, brauchen wir einen Schulterschluss zwischen – den habe ich bei der SPD absolut vermisst – den Gepflegten, den Pflegenden, den Einrichtungen, den Verbänden, den Kassen und nicht zuletzt der Politik. Genau dieser Aufgabe wird sich der schwarz-grüne Senat widmen, um die richtige Weichenstellung in der Pflege vorzunehmen, die von der Landesebene aus erfolgen kann. Denn es ist richtig: Vieles gehört auch zur Bundesebene. Auf jeden Fall sollte es uns allen wichtig sein, die Betroffenen und ihre Angehörigen ins Zentrum zu stellen. Auf jeden Fall wäre es allemal sinnvoll, mit konkreten Vorschlägen an diesem Pflegebereich weiterzuarbeiten. Wenn Sie sich noch etwas gedulden, davon bin ich überzeugt, treffen wir uns in dieser Runde wieder und Sie werden sagen: Na prima, das sind doch einmal die richtigen Handlungen, die dieser Senat im Bereich Pflege vorgenommen hat. Dann diskutiere ich gerne noch einmal mit Ihnen.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort bekommt Frau Artus.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Wenn es bei Ihnen einmal so weit ist, von wem möchten Sie sich lieber füttern und mit allem Drum und Dran versorgen lassen? Von einer professionellen, einfühlsamen und freundlichen Pflegefachkraft oder von einer in der Pflege unerfahrenen und womöglich überlasteten, überforderten und chronisch übermüdeten Ehefrau, Tochter oder Schwiegertochter? Als Frauen stellen wir uns diese Frage im Übrigen nicht so sehr, denn Männer werden circa zehnmal so oft von ihren Angehörigen gepflegt wie wir. Aus meiner Sicht ist Pflege zudem auch keine Privatsache, sondern gehört in professionelle Hände, auch zu Hause. Hierfür hat die Politik die Weichen zu stellen. Das sind wir unseren älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern schuldig. Das, was an neuen Re

(Christiane Blömeke)

gelungen in der Pflege auf uns zukommt, trifft also überwiegend Frauen, die in Pflegeeinrichtungen leben oder von ambulanten Pflegediensten betreut werden. Wir Frauen sind es, die den Kosteneinsparungen bei der Pflege und den sich immer mehr verdichtenden Arbeitsbedingungen des Personals ausgesetzt sind, von denen auch über 80 Prozent weiblich sind. Doch damit wird sich Elisabeth Baum noch befassen.

Künftig stehen familiäre Netzwerke immer seltener zur Verfügung, der Trend zur professionellen Pflege ist unübersehbar. Der Grund liegt unter anderem in den veränderten Erwerbsbiografien von Frauen. Wie sollen diese neuen Anforderungen an die Gesellschaft bewältigt werden und wie professionell wird diese Pflege vor dem Hintergrund nicht ausreichender Leistungsbeiträge sein? Sicherlich nicht mit den jetzigen Regelungen der Pflegereform und der Privatisierung von pflegen & wohnen. Solange der Pflegebegriff unzureichend definiert ist, wird es trotz tausender engagierter Frauen und Männer, die in dieser Branche arbeiten, auch keine ausreichende Professionalität in der Pflege geben. Der jetzt eng an körperlicher Pflege und Versorgung orientierte Pflegebegriff schließt Leistungen wie Hilfe zur Kommunikation, zur Herstellung und Aufrechterhaltung sozialer Kontakte sowie den allgemeinen Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf aus. Der Generalfehler der Pflegereform war die fehlende Neudefinition des Pflegebegriffs. Notwendig wäre also einerseits eine umgehende Neudefinition und ein unverzüglicher Ausgleich des Realwertverlusts der Pflegeleistungen, die Anhebung der Sachleistungsbeiträge um 25 Prozent und eine jährliche Dynamisierung der Leistungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir plädieren statt der Regelung ab 1. Juli für eine sechswöchige Pflegezeit für Erwerbstätige mit Lohnersatzleistungen zur Organisation der Pflege von Angehörigen oder ihnen nahestehenden Menschen und nicht für die bis zu zehn Tage Freistellung unter Verzicht des Gehalts und einem halbherzigen und völlig unzureichenden Kündigungsschutz. Dies können sich nur Besserverdienende leisten, die in Betrieben arbeiten, in denen der Arbeitgeber viel Verständnis hat. Wir würden deswegen auch eine Bundesinitiative unter Beteiligung aller in der Bürgerschaft vertretenen Parteien begrüßen. Zeigen Sie damit, dass es Ihnen ernst ist, wenn Sie von guter Pflege sprechen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Monika Schaal SPD)

Die unklare Situation der Beschäftigten bei pflegen & wohnen deutet auf einen untragbaren Zustand der Pflegebedingungen dort hin. Ob der Versorgungsauftrag weiterhin gewährleistet ist, wenn der Arbeitgeber der vom Senat verkauften Einrichtung weiterhin Kamikaze mit den Arbeitsbedingungen betreibt, wie man bei den aktuellen Tarifver

handlungen sieht, möchte ich bezweifeln. Hier hat sich der Senat einer Antwort enthalten. Schlechte Bedingungen in den Pflegeheimen werden aber viele Menschen weiterhin in dem Glauben lassen, dass es schöner und besser ist, zu Hause von unerfahrenen und womöglich überlasteten, überforderten und chronisch übermüdeten Ehefrauen, Töchtern und Schwiegertöchtern gepflegt zu werden. Da viele Frauen sich zunehmend nicht mehr der Pflege ihrer Ehemänner, Väter und Schwiegerväter widmen können, könnte in Zukunft auch die illegale Beschäftigung von Migrantinnen gefördert werden, wie Erfahrungen aus Italien zeigen. Spätestens hier zerbricht nicht nur ein Mythos, sondern wird auch ins Absurde verkehrt. Also ist es Zeit mit diesem Mythos aufzuräumen und ausreichend qualifizierte Pflegefachkräfte vor Ort zu haben, die ein würdiges Altern ermöglichen, und der Leidenschaft, mit der sie ihren Beruf ausüben, auch gerecht zu werden. Wir bleiben als LINKE dabei, dass die Privatisierung von pflegen & wohnen ein schlimmer politischer Fehler war, der korrigiert werden muss.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort bekommt Senator Wersich.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kienscherf, der Wahlkampf ist vorbei. Jetzt sind wir gewählt, damit wir Sacharbeit machen, vier Jahre Sacharbeit. Vier Jahre Sacharbeit muss auf Fakten basieren. Deswegen möchte ich nur noch ein paar Stichworte zu den Fakten der Vergangenheit geben, damit wir möglichst dort ansetzen können, wenn wir über neue Ideen für die Zukunft nachdenken – Fakten aus der Bilanz von Frau Schnieber-Jastram als Sozialsenatorin.

Wir haben Wohngemeinschaften für Demenzkranke gefördert, wir haben ein Förderprogramm für den Hospizgedanken in Altenheimen und Pflegeheimen aufgelegt, wir haben eine Koordinierungsstelle Hospizarbeit eingerichtet, wir haben mehr Tagespflegeplätze geschaffen, wir haben eine Qualifizierungsoffensive in der Altenpflege gestartet, wir haben das betreute Wohnen gefördert, wir haben den Anstieg der Fachkraftquote – Herr von Frankenberg hat das erwähnt – auf einen Wert, der mit 59 Prozent so hoch ist wie nie, erreicht und wir haben in der Heimaufsicht mehr Kontrollen, mehr unangemeldete Kontrollen und mehr Stellen eingerichtet und jetzt ganz neu auch erstmalig Pflegefachkräfte in die Heimaufsicht genommen. Das ist zunächst einmal die Bilanz. Zu sagen, es sei in der Pflege nichts passiert, ist schlichtweg ignorant.

(Kersten Artus)

(Beifall bei der CDU und bei Horst Becker GAL)

Was das Thema Mangel an Pflegekräften und das Thema Ausbildung angeht, sind wir tatsächlich gefordert. Einerseits haben wir beim Arbeitsamt nach wie vor mehr arbeitslose Pflegekräfte als offene Stellen gemeldet, zum anderen haben wir seit dem veränderten Bundesgesetz zum Altenpflegegesetz zum 1. August 2006 in Hamburg tatsächlich in Wahrheit einen Anstieg der Ausbildungszahlen, nämlich von 167 Jugendlichen im Jahr 2006 auf jetzt 233. Das sind 40 Prozent mehr Pflegekräfte, die sich ausbilden lassen. Schließlich haben wir im Jahr 2007 – eben nach dieser Änderung des Bundesgesetzes – eine neue zweijährige Ausbildung zur Gesundheits- und Pflegeassistenz eingeführt, weil wir wissen, dass wir den Pflegeberuf diversifizieren müssen. Wir müssen ihn verändern, wir brauchen den Pflegeberuf, angefangen bei der akademisch ausgebildeten Fachkraft bis hin zu den Assistenzkräften. Genau das machen wir in Hamburg und da haben wir Modellprojekte, die in der ganzen Republik angeschaut werden.

(Beifall bei der CDU und bei Horst Becker GAL)

Wir haben übrigens mit dieser letzten Maßnahme der Pflegeassistenz auch im Bereich SGB II, also bei der Frage der Qualifizierung von Menschen, über 300 finanzierte Maßnahmen, die sich genau in dieser Weiterbildung befinden.

Sie haben das Thema Anerkennung in der Pflege angesprochen. Herr von Frankenberg hat das auch schon gesagt, die Anerkennung ist da. Aber ich glaube, die Anerkennung ist nicht nur bei schönem Wetter erforderlich. Ich erinnere mich an die Diskussion um den Bericht des MDK, wie hier in der Öffentlichkeit – teils von politischer Seite, aber auch von anderer Seite – in einer maßlosen Art und Weise über die Leistung von Pflegekräften in Pflegeheimen gesprochen wurde. Deshalb sage ich hier auch ganz deutlich: Die Frage der gesellschaftlichen Anerkennung zeigt sich auch an der Frage, wie differenziert diskutiert wird, wenn wir Ergebnisse eines solchen MDK vor uns liegen haben.

Schließlich hat Frau Blömeke angesprochen, dass wir uns auch manches vorgenommen haben. Wir haben uns vorgenommen, an der Diversifizierung der Pflegekräfte weiterzuarbeiten. Wir brauchen differenzierte Berufe und Sie haben auch auf die im Moment bundesweit geführte Debatte darüber hingewiesen, dass ärztliche Leistungen möglicherweise nicht nur delegiert werden, sondern auch übernommen werden. Auch hier gibt es eine Diskussion in der ganzen Republik – Stichwort Schwester Agnes im Osten, wo es wenig niedergelassene Ärzte gibt. Auch hier müssen wir, glaube ich, an der Weiterentwicklung des Pflegeberufs arbeiten. Wir für Hamburg haben uns vorgenommen,

eine Berufsordnung in den Blick zu nehmen, um damit auch das Thema Pflege, Pflegequalität und Anspruch an Pflege besser zu definieren. Ich habe den Eindruck, dass wir uns an und für sich, wenn wir einmal das Wahlkampfgetöse ein bisschen zur Seite lassen, beim Thema Pflege einig sind. Aber wir sollten uns auch einig sein, dass die eigentliche Herausforderung – das hat Frau Artus auch angesprochen –, der demografische Wandel, noch vor uns liegt. Hier bleibt für uns alle – für Politik und Gesellschaft – noch eine Menge zu tun. Da geht es dann wirklich nicht um Lautsprecherei, sondern um intelligente Konzepte. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort bekommt Herr Rose.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wersich, der Wahlkampf war vorbei und der neue Sozial- und Gesundheitssenator und bisherige Staatsrat Wersich hat in einem Zeitungsinterview den bemerkenswerten Satz gesagt:

"… dass die Privatisierung dem LBK gutgetan hat."

Diese Feststellung, Herr Wersich, war nicht nur falsch und eine grandiose politische Fehleinschätzung,

(Barbara Ahrons CDU: Das sagen Sie!)

sie ist auch eine ungeheure Provokation für alle Patienten und Beschäftigten, die darunter bisher zu leiden hatten, insbesondere für die 2 000 Rückkehrer des LBK und von pflegen & wohnen. Das Gleiche gilt für die Bewohner und die Beschäftigten in den Pflegeheimen von pflegen & wohnen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)