Protokoll der Sitzung vom 10.07.2008

die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung des SGB XII. Das heißt, mehr als 85 Prozent der Leistungsberechtigten, also knapp 20 000, bezogen Grundsicherungen beziehungsweise Leistungen wegen Erwerbsminderung. Die Leistungsberechtigten im Rechtskreis des SGB II, das ist das sogenannte Arbeitslosengeld II, zählten im Vergleichszeitraum Hamburg rund 206 000 und davon waren rund 150 000 erwerbsfähige Hilfebedüftige.

Wie Sie alle wissen, ist die Festlegung des ALG-IIRegelsatzes Sache des Bundes. Dieser Regelsatz ist jetzt parallel zur Rentenanpassung zum 1. Juli 2008 um 1,1 von Hundert von 347 Euro auf 351 Euro im Monat für alleinstehende erwerbstätige Hilfebedürftige erhöht worden. Trotz enorm gestiegener Energie- und Nahrungsmittelpreise übersteigt diese sogenannte Erhöhung von 4 Euro nicht einmal den Tagessatz eines Arbeitslosengeld-II-Geschädigten für den täglichen Bedarf an Lebensmitteln. Das sollte man sich auch einmal merken.

Die Freie und Hansestadt Hamburg hat keine direkte Handhabe, auf die Höhe des Arbeitslosengeldes II Einfluss zu nehmen. Sie könnte jedoch über eine Bundesratsinitiative auf eine solche Erhöhung hinwirken. Wir versichern Ihnen, dass die LINKE Sie bei den Bemühungen für eine solche Bundesratsinitiative massiv unterstützen würde.

Anders als bei dem Arbeitslosengeld II ist die Situation bei den Leistungen nach den Kapiteln III und IV des SGB XII. Hier haben nämlich die Landesregierungen gemäß Paragraf 28 Absatz 2 die Möglichkeit, die Höhe der monatlichen Regelsätze per Rechtsverordnung festzulegen. Dieses ist zum 1. Juli 2008 für Hamburg geschehen, wobei da allerdings lediglich die Regelsätze des SGB II, also das ALG II, übernommen wurden, das heißt diese 4 Euro. Aber niemand verbietet dem Senat, höhere als die derzeit ungenügenden Sozialhilferegelsätze zu beschließen. Weil eine solche Neufestsetzung jedoch nicht freihändig und nach Gutsherrenart, sondern seriös zu erfolgen hat, beantragt DIE LINKE, ein unabhängiges Gutachten in Auftrag zu geben, das die festzusetzende Höhe eines regionalen Regelsatzes für die Metropolregion Hamburg feststellt.

Dieser ermittelte Regelsatz für Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger nach den Kapiteln III und IV des SGB XII soll dann durch Rechtsverordnung rückwirkend zum 1. Juli 2008 für Hamburg festgelegt werden. Vielleicht für Sie ein wenig ungewöhnlich, aber dass und wie dieses möglich ist, haben uns die Stadt und der Landkreis München vorgemacht, nachdem sich die bayerische Landesregierung zuvor verweigert hatte.

Was in München inzwischen Recht ist, sollte einem Stadtstaat wie Hamburg mit seinen sprichwörtlich hohen Lebenshaltungskosten billig sein. Der Senat

(Präsident Berndt Röder)

hat hier und jetzt die Möglichkeit, sein Konzept der wachsenden Stadt auf alle Bevölkerungsschichten auszudehnen und der schlimmsten Not zeitnah abzuhelfen, wenn er denn will.

Wir sollten uns vor Augen halten, dass die gegenwärtige Regelsatzhöhe auf einem ungenügenden Statistikmodell basiert, mit dem das alleinige Ziel verfolgt wurde, die Kosten so gering wie möglich zu halten. Die tatsächliche Bedarfssituation der Leistungsberechtigten wurde in keiner Weise realistisch abgebildet. Verstärkt wird diese Unterversorgung durch die Kopplung an die Rentenanpassung, die nicht einmal einen Inflationsausgleich gewährleistet. Der Realwert des Regelsatzes verringert sich dadurch ständig oder, einfacher ausgedrückt, die Armut wächst kraft Gesetz.

Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband hat bereits 2004 – und das dürfte allzu vielen bekannt sein – die Regelsatzverordnung und das Statistikmodell zur Bestimmung des Regelsatzes massiv kritisiert und die "kreativen" Eingriffe in die Regelsatzbemessung in die Nähe der Unseriosität gerückt. Für das Jahr 2006 hatte der Verband einen Eckregelsatz in Höhe von 403 Euro pro Monat errechnet, wohlgemerkt auf der Grundlage des von der Bundesregierung verwendeten Statistikmodells und der Korrektur, der Eingriff in die Statistik.

Inzwischen geht der Paritätische Wohlfahrtsverband von einem Eckregelsatz von 434 Euro im Monat aus auf der Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes unter Berücksichtigung des seit 2003 erfolgten Kaufkraftverlustes. Für den Juni 2008 hatte das Statistische Bundesamt einen Anstieg der Verbraucherpreise von plus 3,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat errechnet. Das ist der höchste Anstieg seit 15 Jahren.

In einer Stadt mit so hohen Lebenskosten wie Hamburg ist die Unterversorgung durch den Regelsatz für Betroffene noch einmal ganz besonders drastisch. Armut ist ein Phänomen, das an Relation zum Reichtum empfunden werden muss. Daher hat DIE LINKE einen substanziellen Armuts- und Reichtumsbericht für Hamburg gefordert.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Richtig!)

Hamburg boomt auf seiner wirtschaftlichen Sonnenseite und gleichzeitig wächst die Armut in seinen wirtschaftlichen Schattenbereichen.

Was die Metropolregion Hamburg für die ökonomisch Leistungsfähigen so attraktiv und lebenswert macht, das macht sie für die Empfängerinnen des ALG II, des Sozialgelds und der Sozialsicherung nahezu unerschwinglich. Hamburg erzielt im Vergleich mit anderen deutschen Großstädten und Metropolregionen ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum pro Erwerbstätigem. Keine andere Großstadt verfügt über eine solch ausgeprägte Kaufkraft und ein derart starkes Konsumpotenzial

wie Hamburg und dieses trotz – da lachen Sie – seiner bekannten und verdeckten Armut.

Meine Damen und Herren! Ihre und auch meine Diäten werden sich demnächst um 3 Prozent erhöhen, falls der Vorschlag der Kommission die Mehrheit des Hauses findet und daran wird wohl niemand so recht zweifeln. Für den einzelnen Abgeordneten erhöht sich damit das Entgelt nach Steuern auf circa 40 Euro im Monat. Eigentlich durchaus moderat.

(Rolf Harlinghausen CDU: Im Vergleich mit anderen Bundesländern allemal!)

Aber die Erhöhung des Regelsatzes betrug, wie bereits anfangs erwähnt, 1,1 Prozent, gleich 4 Euro. Das wollen wir noch einmal in Erinnerung rufen. Unsere grünen Kollegen rechnen so etwas gern in Papier um, wie kürzlich bei den Anfragen des Abgeordneten Böwer geschehen. Rechnen wir also einmal in Papier. Stellen Sie sich einmal einen Stapel von 500 Blatt Schreibpapier vor. Der ist etwa so dick. Ein solches Paket kann man für etwa 4 Euro erstehen. Daneben kommt dann unsere Diätenerhöhung. Das ist nicht ein Stapel, sondern das sind zehn Stapel.

Nun frage ich Sie: Haben sich die Energiekosten für den Sozialhilfeempfänger nur um ein Zehntel verteuert im Gegensatz zur übrigen Bevölkerung?

(Olaf Ohlsen CDU: Immer diese Milchmäd- chenrechnung! Was redet er für einen Blöd- sinn!)

Die gleiche Frage können Sie bei Lebensmitteln, Drogerieartikeln und so weiter stellen. Ganz sicher haben die sich nicht nur um ein Zehntel erhöht.

(Olaf Ohlsen CDU: Wollen wir fragen, was er mit seinen doppelten Diäten macht?)

Noch etwas. Um eine "feindliche Übernahme" bei Hapag-Lloyd zu verhindern, macht der Senat eben mal einen dreistelligen Millionenbetrag locker.

(Zuruf: Gestern wollten Sie noch mehr!)

Diese politische Intervention aus rein wirtschaftlichen Gründen würden wir uns auch bei den Ärmsten der Armen wünschen, den Sozialhilfeempfängern und den Empfängern von Grundsicherungen, eine Investition, die unmittelbar die Nachfrage ankurbelt.

(Viviane Spethmann CDU: Freibier für alle!)

Wer unterversorgt ist, kann nichts in den Sparstrumpf stecken. Der Einzelhandel wird es Ihnen wirtschaftlich danken, aber handeln Sie.

Ich fordere den Senat auf, der weiteren sozialen Spaltung der reichsten Stadt Deutschlands wirksam entgegenzuwirken. Eine spürbare regionale Erhöhung des Eckregelsatzes für das Sozialgeld und die Grundsicherung ist dringend notwendig

und möglich. Hamburg für alle – sozial und solidarisch.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt der Abgeordnete von Frankenberg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn man sich die Antrage ansieht – der SPD-Antrag ist vom 20. Juni und der Antrag der LINKEN vom 25. Juni –, dann sind die ein bisschen ähnlich, sodass man sich fragt, wer da wohl von wem abgeschrieben hat.

(Dirk Kienscherf SPD: Unser ist der erste!)

Gutachten fordern beide. Die SPD ist eher für eine Bundesratsinitiative, während DIE LINKE für eine Rechtsverordnung und rückwirkende Zahlung ist. Es wird wahrscheinlich auch immer so bleiben. DIE LINKE fordert dann immer noch ein bisschen mehr oder auch noch ein bisschen mehr als ein bisschen mehr. Das kennen wir schon aus den vergangenen Sitzungen und das wird sicherlich noch ein interessanter Wettbewerb, der hier weitergeht: Wer fordert am meisten, wer fordert am lautesten?

(Beifall bei der CDU – Rolf Harlinghausen CDU: Freibier für alle!)

Wenn man dann auf die Taten guckt – ich habe mich seinerzeit über das Berliner Wahlergebnis geärgert, aber aus Hamburger Sicht ist es natürlich immer praktisch, weil man Ihnen das immer so schön vorhalten kann –, hier große Worte, in Berlin keine Taten. Wenn man das einmal vergleicht, weil Sie das Beispiel München gebracht haben, ist das nur wieder bezeichnend. Ich habe nichts davon gehört, dass in Berlin irgendetwas von dem geplant wäre, was Sie hier vorgetragen haben.

(Beifall bei der CDU – Christiane Schneider DIE LINKE: Lernen wir doch mal von Bay- ern!)

Ich will kurz etwas zur Ausgangslage sagen. Wir haben in Deutschland eine gute und in Hamburg eine sehr gute wirtschaftliche Entwicklung: Mehr Arbeit, mehr Wohlstand, weniger Abhängigkeit von staatlichem Transfer. Das ist zunächst einmal etwas sehr Positives, was wir festzustellen haben.

Ich kann sicherlich nachvollziehen, dass das alleine nicht reicht, wobei wir uns natürlich darüber im Klaren sein müssen, dass ohne Wachstum gar nichts geht. Wir brauchen ein gesundes, solides, wirtschaftliches Wachstum. Wenn wir das nicht haben, haben wir ganz andere Probleme und dann reden wir über ganz andere Dinge. Insofern ist das erst einmal die Voraussetzung für eine vernünftige Sozialpolitik in unserer Stadt oder auch in unserem Land.

Bei der LINKEN ist immer nicht so ganz klar, was Sie wollen oder was nicht.

(Gabi Dobusch SPD: Zum Thema!)

Ein bisschen wollen Sie uns von der Weltwirtschaft abkoppeln und dann auch wieder nicht. Aber was Ihnen wahrscheinlich vorschwebt, ist, dass am Ende alle ein bisschen ärmer oder alle arm sind, und das hat dann etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Ich glaube aber, dass das bestimmt nicht der richtige Weg ist, den wir da einschlagen sollten.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: haben Sie überhaupt etwas gelesen von dem, was wir geschrieben haben?)

Es ist keine Frage, dass es sicherlich Armut in unserer Stadt gibt und deswegen müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen, welches die Armutsrisiken sind. Das größte Armutsrisiko ist mangelnde Bildung.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Deshalb Büchergeld!)

Deswegen ist Bildung der Schlüssel zur Teilhabe. Daher beginnen wir in Hamburg in der frühen Kindheit mit sehr guter Kitabetreuung,

(Michael Neumann SPD: Und so günstig!)

der Kita als Bildungseinrichtung. Ich nenne hier beispielhaft die Hamburger Bildungsempfehlungen. Weitere Bausteine: Die Primarschule kommt, mehr Lehrer, kleinere Klassen, unter 20 Schülerinnen und Schüler in Schulen mit besonderen Bedarfen. Das sind wirklich Erfolge und auch Dinge, die zukunftsorientiert sind, und nicht, dass man irgendwo mal ein bisschen Geld verteilt und gar nicht richtig weiß, wo es hingeht.

(Michael Neumann SPD: So wie Studienge- bühren!)

Die Hauptschule haben wir gestern abgeschafft. Unser Ziel ist, weniger ohne Abschluss und immer mehr mit immer höheren Abschlüssen. Wenn wir das als Voraussetzung nehmen, dann haben wir mit Sicherheit etwas sehr Wichtiges getan, was Armutsrisiken vermeidet. Das ist auch etwas, was wir als Stadt konkret gestalten können. Wir reden immer gern einmal über Bundesthemen. Das passt dann auch ganz gut. Sie sind auch immer gern an solchen Debatten interessiert. Dann wird das Thema irgendwie ins Landesparlament runtergebrochen, sodass es passt. Aber was wir als Hamburger tun können, um Armut zu verhindern, das tun wir auch, meine Damen und Herren.