Protokoll der Sitzung vom 23.06.2011

Was ich vermisse, ist ein Blick des Senats und der Regierungsfraktion, der über die Einzelprobleme hinausgeht und zwischen den Stadtteilen die stadtentwicklungspolitische Vorstellung verbindend herstellt. Was ich vermisse, ist eine Vision, die tatsächlich das Verbindende herausstellt. Das ist von den Rednerinnen und Rednern der SPD heute überhaupt nicht gekommen.

(Beifall bei der GAL und bei Heiko Hecht CDU)

Frau Blankau, ich finde es ein bisschen schwach, dass Sie die Zwischenfrage von Frau Hajduk nicht zugelassen haben,

(Karin Timmermann SPD: Von der Senato- rin! – Jan Quast SPD: Von der Ex-Senato- rin!)

denn das hätte doch Gelegenheit gegeben, diesen ausgesprochen persönlichen Vorwurf an der Stelle klarzustellen. Das finde ich insoweit schwach, als Sie entweder an dieser Stelle die Unwahrheit gesagt haben oder schlecht informiert sind. Es gibt schon seit mehreren Jahren eine unterschriebene Mitfinanzierungsvereinbarung des damaligen Staatssekretärs Lütke-Daldrup, ein SPD-Mitglied, und deswegen ist es unverständlich, wenn Sie sich jetzt auf das Hickhack von zwei Fachabteilungen beziehen und behaupten, nichts sei geregelt; so geht es nicht.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Insgesamt agiert die SPD beim Thema Wilhelmsburger Reichsstraße nach dem Prinzip "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass". Natürlich ist das ein schwieriger Planungsprozess, wenn man mitten in einem dicht besiedelten Stadtteil eine Schnellstraße umlegen will. Natürlich ist eine Bürgerbeteiligung kein Ringelpiez mit Anfassen. Nicht alle finden es ganz toll, dass die Straße vielleicht mehr in ihre Nähe kommt, denn bei einzelnen Bürgerinnen und Bürgern ist das der Fall. Und viele Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger fragen natürlich zu Recht, was es im Gesamtkonzept heißt und was es noch im Weiteren bedeuten könnte. Viele Fragen konnten natürlich auch nicht abschließend beantwortet werden, wenn man beispielsweise die Frage nach der genauen Zukunft der Hafenquerspange mit in den Blick nimmt. Deswegen waren die kritischen Diskussionen berechtigt, deswegen war auch klar, dass es dort Streit geben würde, und diesem Streit hat sich Anja Hajduk gestellt.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Die SPD fragt dann noch einmal ganz schlank kurz vor der Wahl, ob man das überhaupt wolle mit der Wilhelmsburger Reichsstraße. Es wurde ein bisschen nach links oder rechts geblinkt, allen wohl und niemand weh, deswegen wähle ich….

(Beifall und Heiterkeit bei der GAL und der CDU – Dr. Andreas Dressel SPD: Ich denke, die Zeit der Büttenreden ist vorbei!)

Ich bin inspiriert worden.

Das ist das Prinzip, nach dem die SPD agiert. Jetzt nach der Wahl muss sie einräumen, dass es doch eine ziemlich vernünftige Planung ist. Mir wurde gesagt, die Planfeststellung wird 1:1 umgesetzt, wie Anja Hajduk es auf die Schiene gebracht hat. Vielen Dank.

Und wenn es jetzt so ist, dass sich etwas tut in Richtung Entwicklung des Hamburger Südens, wenn jetzt etwas sichtbar wird, dann sind es die Vorarbeiten der letzten Jahre. Was Sie leisten

(Metin Hakverdi)

müssen, sind die Vorstellungen über das, was in einigen Jahren die Realität weiter prägen soll, die dann greifbaren Entwicklungen, und da haben Sie Hausaufgaben zu machen.

Das Wort bekommt Herr Dr. Duwe.

Sehr geehrte Präsidentin, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Hecht, vielen Dank für das Stichwort ganzheitliches Konzept. Das haben wir nicht. Warum haben wir kein ganzheitliches Verkehrskonzept? Weil wir uns nämlich vor Entscheidungen drücken wollen, die wir jetzt noch nicht treffen müssen, sondern vielleicht in zehn Jahren.

Ich nenne Ihnen zwei Stichpunkte. Wenn Sie die Wilhelmsburger Reichsstraße verbreitern – es ist egal, ob Sie sie neben die Bahnlinie legen oder auf die alte Trasse – und von Norden her mehr Verkehr durch diese Wilhelmsburger Reichsstraße hindurchführen, dann werden Sie irgendwann auf einer beschaulichen, zweispurigen Straße enden in einem schönen Wohnviertel in Harburg. Das weiß jeder, das ist die Bremer Straße.

(Heiko Hecht CDU: Das ist eine Bundesstra- ße!)

Ja, genau.

Da gibt es ein Problem, das wissen Sie, das ist dann quasi ein Zubringer zu einer Autobahn. Jetzt gibt es natürlich die stadtpolitische Frage, ob wir irgendwann dort vier Spuren bauen wollen oder einen Tunnel. In Hamburg-Nord, in der Innenstadt hätten wir einen Tunnel gebaut, in Harburg werden Sie es wahrscheinlich auf sechs Spuren ausbauen. Dieses Problem wird vor sich hergeschoben, wird nicht näher betrachtet, man will einmal schauen, ob das in Wilhelmsburg irgendwie läuft. Ich kann das auch verstehen, aber das ist kein ganzheitliches Verkehrskonzept, das hier vorliegt.

Der zweite Punkt ist, dass es einen Stadtteil Hamburgs seit vor-napoleonischer Zeit gibt – wir wissen alle, wie er heißt, er fängt mit M an und hört mit G auf –, der auch nur eine begrenzte Fläche hat, und dort beginnt irgendwie die Hamburger Lasagne-Taktik zu arbeiten. Von minus 14 Meter auf Normalnull will man dort gern ein Hafenbecken haben. Von Normalnull bis 20 Meter über NN wird eine Schlickdeponie errichtet. Jetzt frage ich mich natürlich, was ab 20 Metern über NN kommt, vielleicht ein Containerterminal auf dieselbe Fläche. Wenn man damit fertig ist, dann wird oben noch ein Science Center draufgepackt, wie die Moorburger das eigentlich haben wollen.

(Heiko Hecht CDU: Zum Thema!)

Das ist keine Stadtentwicklung. Es ist bisher immer nach dem Motto gegangen: Was haben wir jetzt für

ein dringendes Problem und wie lösen wir es. Das Problem Moorburg und die Schlickdeponie wurde vom alten Senat verschleppt. Es wurde in den Koalitionsverhandlungen von Schwarz-Grün beiseite gelegt, weil man ein Problem Moorburg hatte, ein zweites Problem wollte man da nicht haben. Dann hat man diese Roadshow gemacht in Billstedt, die Leute aufgeschreckt, dass sie dort eine Schlickdeponie bekommen sollen. Und mit einem Mal, wie durch ein Wunder, kommt heraus, dass man sich zwar wahnsinnig bemüht hat, aber genau das Ergebnis bekommen hat, das man schon vor fünf Jahren wusste.

Das, meine Damen und Herren, ist nicht das, was man Bürgerbeteiligung nennt. Entweder schenkt man den Leuten gleich reinen Wein ein, aber diese Märchenstunde, die HPA ab und zu hier abzieht, ist wirklich nicht zu ertragen.

(Beifall bei der FDP)

Wir brauchen ganzheitliche Konzepte. Auch hier können wir natürlich betrachten, wo es am meisten hakt und die größten Probleme liegen, bei denen wir Entscheidungen treffen müssen. Solange wir kein ganzheitliches Konzept haben, weder in der Stadtpolitik noch in der Verkehrspolitik, funktioniert das nicht. Für den Hamburger Süden – ich spreche hier für Süderelbe und Harburg – gibt es kein ganzheitliches Konzept, es gibt keine Visionen in Hamburg und daran müssen wir arbeiten. Wilhelmsburg ist ein guter Schritt nach vorn, aber wir müssen noch weiter nach Süden gehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Gibt es weitere Wortmeldungen zu diesem Thema? – Bitte, Frau Schneider.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Es ist bekannt, dass es Auseinandersetzungen beim Wahlrecht gibt, aber ausgerechnet von Ihnen, Herr Dr. Steffen, hätte ich diese Art von Kritik in keiner Weise erwartet.

(Dirk Kienscherf SPD: Ja, so sind sie!)

Das Wahlrecht soll nämlich die persönliche Ansprechbarkeit und die persönliche Rechenschaft fördern. Da halte ich es für selbstverständlich, wenn Entscheidungen nicht top-down fallen, sondern in irgendeiner Behörde aufgekocht werden, dass natürlich auch Stadtteile Leute wählen, die ihre Anliegen vertreten und überhaupt erst einmal in die Debatte bringen. Dass Sie ausgerechnet das als Fluch bezeichnen, finde ich wirklich undemokratisch. Ich weiß nicht genau, ob die GAL weiterhin zu diesem Wahlrecht steht, wir werden es dann in den Auseinandersetzungen sehen. Aber hier haben Sie jetzt einen echten Bock geschossen.

(Dr. Till Steffen)

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich will zu dem Problem sprechen, das auch schon Herr Dr. Duwe ansprach, denn trotz der bereits immensen Belastung soll dem Süderelberaum eine weitere Belastung aufgebürdet werden, die Schlickdeponie in Moorburg. Ich darf Sie daran erinnern, dass das Gutachten, das zu dem Schluss gekommen war, dass Moorburg der beste Standort für die neue Schlickdeponie sei, übersehen hat, dass in unmittelbarer Nähe zur Deponie ein Flachwasserbrunnen liegt, aus dem aus einer Tiefe von 30 Metern Trinkwasser entnommen wird.

(Olaf Ohlsen CDU: Erzählen Sie doch kei- nen Blödsinn!)

Gefährdet ist außerdem ein weiterer Tiefbrunnen, der aus 300 Metern Tiefe Trinkwasser fördert.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Sprung über die Elbe!)

Das ist der "Sprung über die Elbe". Hören Sie zu, dann werden Sie darauf kommen.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Na, da bin ich ja gespannt!)

Trotzdem gibt die HPA mit einem weiteren Gutachten Entwarnung für das Trinkwasser, und das halte ich für bedenkenlos. Für die HPA nämlich ist die Errichtung der Deponie in Moorburg kostengünstiger als an anderen in Erwägung gezogenen Standorten und außerdem sind, weil die Fläche in Hafennähe ist, die Entfernungen für den Transport des Baggerguts kürzer, der Betrieb also ebenfalls kostengünstiger. Das heißt, dass außer den Belastungen der Schlickdeponie auch noch der Lastwagenverkehr und die damit verbundenen Belastungen auf Moorburg liegen.

Es muss endlich Schluss damit sein, dass Stadtgebiete im Süden als Hinterhof betrachtet werden, die die Lasten zu tragen haben, die durch die Entwicklung der Hafenmetropole einmal eben so anfallen, oder auch durch politische Entscheidungen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Es gibt im Süderelberaum bereits zwei andere Schlickflächen, im Moorburger Osten und in Altenwerder. Es gibt Spülfelder in Moorburg, die Schlickdeponie Francop und es gibt die Müllverbrennungsanlage Altenwerder. In Moorburg entsteht zudem das Kohlekraftwerk, diese Gift- und C02-Schleuder. Es gibt in Moorburg Kritik und Widerstand, Bürgerinnen und Bürger haben ihren Widerstand angekündigt. Als Wahl-Harburgerin sage ich, diesen Widerstand und diese Kritik werde ich unterstützen, gerade auch wegen des Wahlrechts, nicht nur, aber auch.

Das Abladen von immer mehr Problemen in einigen ohnehin schon belasteten Gebieten verhindert

oder zerstört jede Entwicklungsperspektive. Stattdessen täte die Stadt gut daran, die Diskussionen der betroffenen Bürgerinnen und Bürger über mögliche Entwicklungsperspektiven einmal aufzugreifen. Es entstand in diesen Diskussionen nämlich das Konzept eines Wissensparks in Moorburg, der nicht nur für diesen Ort, sondern für den gesamten Harburger Süden ein enormes Entwicklungspotenzial beinhaltet. Ich habe jetzt nicht mehr die Zeit, es ist hier vielleicht auch nicht der Ort,

(Klaus-Peter Hesse CDU: Richtig!)

dieses Konzept zu erörtern. Aber der Sinn und Zweck des "Sprungs über die Elbe" kann doch nicht sein, den Hamburger Dreck dort zu hinterlassen,

(Heiko Hecht CDU: Das ist eine ganz eigene Interpretation!)

sondern kann nur sein, Entwicklungsperspektiven für diesen Raum zu fördern. Und das geht nur zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern.