Einen dritten Punkt möchte ich ansprechen. Wir haben eine gewisse Geschichte miteinander, was das Thema Kindeswohlgefährdung und Kinderschutzfälle betrifft. Wir haben, die Fachkolleginnen und Fachkollegen aus dem Familienausschuss werden sich erinnern, im Dezember 2013 den Bericht des Sonderausschusses Chantal debattiert und gemeinsam einen Maßnahmenkatalog verabschiedet, den wir im Rahmen dieses Ausschusses bearbeitet haben. Dieser Maßnahmenkatalog hat noch gar nicht umgesetzt werden können, als Yagmur tragisch in ihrer Familie gestorben ist. Wir sind von vielen Menschen angesprochen worden, nicht nachzulassen und die Umsetzung dieser Maßnahmen abzuwarten, bevor wir neue Strukturreformen anstreben. Daher war es auch richtig, dass man grundsätzlich auf die Einführung von Qualitätsentwicklungssystemen und Personalbemessungssystemen im ASD gesetzt und gesagt hat, dass hier Qualität vor Zeit geht.
Wir hätten uns alle gewünscht, dass dieses Personalbemessungssystem schneller ins Leben tritt. Das ist ein kritischer Punkt, der auch im Bericht aufgegriffen wurde, und wir sagen, dass diese Kritik angebracht ist. Wir hätten uns alle gewünscht, dass es schneller einsatzbereit ist. Allerdings war dafür viel lange nicht geleistete Vorarbeit nötig,
nämlich die Beschreibung von Arbeitsprozessen. Damit hätte man durchaus schon in der 18. Legislaturperiode beginnen können oder in der 19. unter Schwarz-Grün, als es hieß, es sei der unbedingte Wille des Senats, ein Personalbemessungssystem einzuführen. Damals hätten zumindest diese Vorarbeiten schon passieren können. Wir sind bei null gestartet, und wir sprechen nicht nur darüber, sondern wir schaffen das Personalbemessungssystem. Wir hätten uns alle gewünscht, dass es schneller gekommen wäre, und das ist eine Schuld, mit der wir alle leben müssen. Nun kommt es aber, und es wird fundiert sein. Es ist richtig, dass wir darauf gewartet haben, aber genauso richtig ist, dass inzwischen schon an den schwierigsten Stellen Personalverstärkungen vorgenommen worden sind, um die größte Not abzufedern, bis wir auf das Personalbemessungssystem aufbauen können.
Bundesweit wird übrigens gerade auf Hamburg geschaut, wie uns das Personalbemessungssystem gelingt, denn es ist einzigartig. Wenn es so einfach wäre, dann hätten es alle anderen schon. Es wird gesagt, dass die Entscheidung, es einzuführen, richtig war. Es wird bundesweit – zum Beispiel auf der Fachtagung zum Pflegekinderwesen, die Herr de Vries und ich besucht haben – auch gesagt, dass es vernünftig ist, die Arbeitsprozesse im ASD erst einmal ordentlich zu beschreiben, um dann auf der richtigen Basis aufzubauen. Insofern sind wir auf dem richtigen Weg. Hier wird Hamburg bundesweit Vorbild sein. Das ist richtig. Ich wünsche mir, dass es gelingt, das einzuführen. Es ist also keineswegs der Fall, dass fachlich gar nichts passiert wäre, sondern es hat sich in Hamburg in den vergangenen Jahren sehr viel im Kinderschutz getan, was uns übrigens auch die Experten im PUA gesagt haben. Auch aus diesem Grund sind Ihre Rücktrittsforderungen völlig überzogen, und wir weisen sie mit aller Entschiedenheit zurück.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es gibt einen Punkt, den man einfach noch einmal deutlich klarstellen muss. Das Personalbemessungssystem ist das eine. Es braucht Zeit, ein solches System zu entwickeln; dem hat keine Fraktion widersprochen. Es geht lediglich darum, irgendwann einmal einen Zeitpunkt zu definieren und anzufangen, und dazu hat Kollege de Vries dargestellt, was wir alle wissen, nämlich dass die Zeitabstände zwischen Einsetzen einer Arbeitsgruppe und der weiteren Arbeit am Personalbemessungssystem viel zu lang waren. Das hat Senator Scheele auch eingeräumt.
Das andere aber ist Ihr Sofortprogramm. Es ist gut und richtig, dass Sie ein Sofortprogramm aufgelegt haben, um die besonders notleidenden ASD zu unterstützen. Aber was hat Sie daran gehindert, dieses Sofortprogramm umgehend nach Veröffentlichung der Schrapper-Studie im Jahr 1012, nach dem Tod von Chantal einzuleiten, als festgestellt wurde, dass es Jugendämter gab, die nicht arbeitsfähig waren? Was hat Sie bitte daran gehindert, 2012 dieses Sofortprogramm einzuleiten?
Das sehen wir als Versäumnis an. Dafür trägt der Senat, dafür trägt die Fachbehörde die Verantwortung. Sie haben dieses Thema nicht mit höchster Priorität auf Ihre politische Agenda gesetzt, sonst hätten Sie anders gehandelt.
Dass die Realität anders aussieht, haben Jugendamtsmitarbeiter und Jugendamtsleiter drastisch geschildert; wir brauchen bloß in die Protokolle des Untersuchungsausschusses zu schauen. Die Aussagen dazu, unter welchen Umständen in den Jugendämtern gearbeitet wird, waren für uns alle ziemlich eindrücklich. Da müssen wir ansetzen, und da setzt unsere Kritik an. Ihre Aufgabe wird es sein, die Jugendämter endlich besser auszustatten, egal, in welcher Konstellation auch immer diese Stadt regiert wird.
Zu unserer Verantwortung gehört es aber auch, zu benennen, wo Fehler gemacht worden sind. Darum, Kollegen der SPD-Fraktion, müssen Sie es hinnehmen, dass die Opposition zu Recht sagt: Die Fachbehörde trägt die politische Verantwortung dafür, dass sie das Sofortprogramm nicht zu einem Zeitpunkt umgesetzt hat, an dem deutlich sichtbar war, dass es erforderlich ist. Politische Verantwortung trägt der Bezirksamtsleiter, der den Kinderschutz nicht zur Chefsache im Bezirksamt erklärt hat, der nicht die enge Führung hatte, die erforderlich gewesen ist. Darum ist es zu dieser Fehlerkette in Hamburg-Mitte gekommen, die – zu diesem Ergebnis ist der Bericht gekommen – hätte verhindert werden können. Es ist traurig, dass wir das feststellen müssen. Die politische Verantwortung dafür muss benannt werden.
Dann stelle ich fest, dass die Bürgerschaft den Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Kenntnis genommen hat.
Wir kommen zu TOP 107, Drucksache 20/14405, ein Antrag der GRÜNEN Fraktion: Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene.
[Antrag der GRÜNEN Fraktion: Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene – Drs 20/14405 –]
[Antrag der CDU-Fraktion: Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht beim Kampf gegen Drogen unterstützen – Keine Experimente auf dem Rücken suchtkranker und suchtgefährdeter Menschen – Drs 20/14556 –]
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nach einem solch bedrückenden Thema ist es schwer, die Kurve zu bekommen und über einen dringend notwendigen Kurswechsel in der Drogen- und Gesundheitspolitik zu sprechen. Trotzdem versuche ich es einmal. Die Nachrichten heute Morgen waren geradezu eine Steilvorlage für die jetzige Debatte. Ich habe gelesen, dass es einen großen Drogenfund in einer Villa in Blankenese gegeben habe,
also einem Stadtteil, der wahrscheinlich nicht zu den entsprechend beleumundeten gehört. Von daher kann man die Debatte um die Entkriminalisierung von Cannabis stadtweit führen. Wir haben sie nicht nur auf die Tagesordnung gesetzt, weil sich GRÜNE schon lange mit diesem Thema befassen – ich wusste, dass jetzt noch einmal Leben ins Haus kommt –, sondern auch, weil es in den vergangenen Wochen und Monaten ziemlich viel Bewegung gegeben hat. Nun kann man sagen, das sei ein grünes Thema und wir würden versuchen, das kurz vor der Wahl ins Parlament zu schieben. Dann sollte man sich anschauen, was auf Bundesebene passiert ist. Wir haben beispielsweise eine Resolution von 122 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren, die sich an den Bundestag gerichtet
und gefordert haben, über die Entkriminalisierung von Cannabiskonsum zu sprechen. Wir haben den Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, der ganz klar sagt, die bisherige Drogenverbotspolitik sei gescheitert und es gebe keinen Beleg dafür, dass durch diese restriktive Handhabe der Drogenkonsum in irgendeiner Weise eingeschränkt worden sei.
Das ist unser Ansatzpunkt. Wir fordern hier und heute nicht alles sofort und für jeden, sondern wir wollen ein Modellprojekt. Damit bauen wir eine Brücke zu den Reihen der SPD. Wir wollen ein Modellprojekt für die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene, das in einem ausgewählten Stadtteil, also räumlich begrenzt durchgeführt und wissenschaftlich begleitet wird.
Wir wollen, dass dieses Modellprojekt mit den Bezirkspolitikerinnen und -politikern, mit Drogenhilfeeinrichtungen und den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort besprochen und entwickelt wird. Es soll vorher einen Runden Tisch geben, bei dem auch Polizei und Suchthilfeträger mit dabei sind. Wir wollen erwirken, dass es eine Ausnahmeregelung im Hinblick auf das Betäubungsmittelgesetz gibt, und dass wir uns weiterhin für eine Enquete-Kommission auf Bundesebene stark machen, die die Frage der geltenden Regelungen unter die Lupe nimmt.
Das ist eine Brücke, über die Sie gehen könnten, liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde von der SPD. Bisher ist bei Ihnen keine einheitliche Haltung, keine klare Linie zu erkennen. Bei den Jusos heißt es Daumen hoch, in der Fraktion und bei der Senatorin herrscht eher Skepsis. Ich bitte Sie, sich auf die Argumente der Strafrechtsprofessoren einzulassen, wenn Sie unseren Analysen oder dem Bundesvorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter schon nicht folgen wollen.
Die bisherige Verbotspolitik ist gescheitert, und das sage ich als GRÜNE, nachdem uns in der Vergangenheit durchaus unterstellt worden ist, wir seien die Speerspitze der Verbotspolitik. Es hat tatsächlich keine sinnvolle Regulierung gegeben. Es gibt keine Belege dafür, dass der Drogenkonsum eingeschränkt wurde. Es gibt durch einen blühenden Schwarzmarkt eine Ausbreitung von organisierter Kriminalität, und es gibt, wie wir per Schriftliche Kleine Anfrage herausgefunden haben, eine sehr aufwendige Verfolgung von Kleinkonsumentinnen und Kleinkonsumenten. Ich denke, das alles sind Gründe, die dafür sprechen, diesen Weg auszuprobieren – mit den Stadtteilen, kleinräumig, wissenschaftlich begleitet – und dann auch zu prüfen, ob dadurch ein Beitrag für den Jugendschutz ge
leistet werden kann und sich vielleicht sogar Strukturen verändern im Hinblick auf öffentliche Sicherheit/Zerschlagung des Schwarzmarktes. Deshalb hoffe ich, dass dieser Antrag nicht im Ausschuss versenkt wird, sondern heute über dieses Modellprojekt für die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene abgestimmt wird. Liebe SPD, gebt euch einen Ruck. Macht mit und lasst uns schauen, ob das in Hamburg funktioniert.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist ein bisschen putzig, dass wir als letzten Debattenpunkt in dieser Legislaturperiode über Cannabis sprechen und nach Beendigung dieser Sitzung ganz selbstverständlich einer Einladung der Präsidentin zu einem Umtrunk entgegensehen.
Das eine ist legal, das andere ist illegal. Es ist völlig richtig, dass man über die Gefährlichkeit des einen Stoffes und die des anderen nachdenken könnte. Man könnte in der Tat auf die Idee kommen, dass der falsche Stoff verboten ist. Es ist also nicht falsch, sich über das sinnvolle Umgehen mit dem Thema Cannabis Gedanken zu machen. Aber die beiden Anträge, die heute vorliegen und die wir debattieren, gehen nicht sinnvoll mit diesem Problem um. Ich will Ihnen auch gern sagen, warum.
(Jens Kerstan GRÜNE: Bis eben war das gar nicht schlecht, Martin! – Heike Sudmann DIE LINKE: Das hat so schön gestartet!)
Die GRÜNEN beantragen ein Modellprojekt für Erwachsene ab 21 Jahren; nicht für Erwachsene, sondern für Erwachsene ab 21. An einer einzigen Stelle in Hamburg soll eine Einrichtung eröffnet werden, in der solche Erwachsene Cannabisprodukte erwerben können. Das Ziel ist – ich zitiere Ihren Antrag –:
"Im Rahmen eines solchen Projektes ließe sich klären, ob Personen mit problematischen Konsummustern durch diese Form der Abgabe besser erreicht und gesundheitliche Schädigungen verringert werden können."
Das ginge nur dann, wenn Sie die Erwachsenen ab 21 mit kritischen Konsummustern erst einmal registrieren, um dann untersuchen zu können, was mit denen geschieht, wenn sie sich Cannabisprodukte nicht mehr illegal besorgen müssen und ob das zu einer Veränderung führt. Das ist aber nicht das Problem, um das es geht. Wenn es in diesem Zusammenhang ein Problem gibt, dann sind das
die Jugendlichen, dann ist das die Frage, was dieser Stoff mit 15-, 16-Jährigen macht, und Sie bekommen es mit diesem Modellprojekt überhaupt nicht gebacken, darüber irgendetwas zu erfahren oder in dieser Hinsicht etwas zu bewirken. Deswegen taugt dieses Projekt nicht, zumal ich sicher bin, dass Sie nicht meinen, Erwachsene ab 21 Jahren würden sich als starke Kiffer outen und registrieren lassen.
Zweitens wäre eine einzige Einrichtung in Hamburg ein Wallfahrtsort für Kiffer zwischen Flensburg und Soltau.
Es kämen alle. Warum hat Holland seine Coffeeshops an der Grenze für Ausländer geschlossen? Das hatte einen Grund. Das funktioniert so nicht.