Sehr geehrte Präsidentin, meine Damen und Herren! JeanJaques Rousseau, der große französische Philosoph, könnte uns vielleicht weiterhelfen. Er hat vor bald 250 Jahren geschrieben:
"Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will."
Diese Definition der Freiheit von etwas, also der sogenannten negativen Freiheit, hilft uns nach unserer liberalen Auffassung wesentlich bei der zu führenden Diskussion weiter. Unserer Auffassung nach müssen wir diese Diskussion führen.
Es geht um die Frage, was Schülern an politischen, weltanschaulichen, religiösen – damit haben wir es hier zu tun – und anderen äußeren Bekundungen von Lehrkräften im Unterricht zugemutet werden darf. Wir Liberale sagen dazu: So wenig wie nur möglich, am besten gar nichts. Lehrer sollten im Rahmen ihres Erziehungsauftrags neugierig machen und zur Befassung mit anderen Kulturen und Gebräuchen, Religionen und Weltanschauungen einladen, nicht aber selbst als Werbende parteiisch auftreten.
Das Bundesverfassungsgericht hat zu diesem Thema – das ist schon angesprochen worden – im sogenannten Kopftuchurteil 2003 klare Maßstäbe gesetzt. In Abwägung des Rechts auf freie Religionsausübung der Lehrkräfte einerseits und andererseits dem Elternrecht, ihre Kinder davon nicht berührt zu sehen und ein Neutralitätsgebot der Lehrkräfte einzufordern, haben die obersten Richter entschieden, dass ein Bundesland seinen verbeamteten Lehrkräften das Tragen religiöser Symbole wie Kopftuch – das zählt für uns auch dazu –, Hijab oder Burka per Gesetz schlicht verbieten kann. Eine Reihe von Bundesländern hat in der Folge diese klaren Regelungen getroffen, etwa Bayern, Baden-Württemberg, etwas abgeschwächt sogar Berlin. Hamburg hat dies nicht getan und setzt, so sagt Schulsenator Rabe, darauf, dass die Schulen dieses Thema selbst regeln. Das mag im vorliegenden Fall der Hijab tragenden Aushilfskraft
am Alten Teichweg zurzeit noch hinnehmbar sein, es handelt sich schließlich nicht um eine Beamtin, das haben wir rechtlich eben schon geklärt. Grundsätzlich allerdings halten wir diese passive Position für falsch, denn nur eine klare, verfassungskonforme Regelung wird auf Dauer sicherstellen, dass das Neutralitätsgebot in unseren Schulen auch eingehalten wird.
Deshalb brauchen wir mit Blick auf die wachsende Zahl von Lehrern mit Migrationshintergrund – Frau von Berg hat es schon angesprochen –, die wir wegen der wachsenden Zahl von Schülern mit Migrationshintergrund auch unbedingt wollen und die willkommen sind, eine klare Regelung. Darum können wir uns nicht herumdrücken. Diese Regelung muss sicherstellen, dass Lehrkräfte durch das Tragen weltanschaulicher und religiöser Symbole im Unterricht nicht zu Werbeträgern ihrer Gesinnung oder ihres Glaubens werden.
Wir Liberale unterstützen deshalb den Antrag der CDU, und wie Sie sehen, gehen wir sogar noch weiter. Wir sind dafür, eine solche Regelung einzuführen, die man im Einzelnen natürlich differenziert zu besprechen hat.
Das wird ein Problem, aber das kann man trotzdem angehen. Sich davor zu drücken, wird das Problem nicht lösen.
Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Der Antrag der CDU ist verhalten im Ton – das möchte ich ausdrücklich anerkennend sagen –, aber auch vage in den Schlussfolgerungen und läuft, das fürchte ich nach der Rede von Herrn Heinemann um so mehr, darauf hinaus, dass es ein Gebot der Erhaltung des Schulfriedens sei, dass der Hijab verschwindet, entweder im konkreten Fall oder durch gesetzliche Regelungen. Deshalb möchte ich eingangs festhalten, dass am Anfang dieser Auseinandersetzung um den Hijab keine Störung des Schulfriedens stand. Es gab und gibt keine Kritik am Verhalten oder an der pädagogischen oder kommunikativen Kompetenz der afghanischen Aushilfslehrerin, es gab keine Pflichtverletzung und auch keine Beein
trächtigung des Unterrichts. Es geht also nicht darum, eine wiederholte Beeinträchtigung des Unterrichts zu verhindern.
Die Beschwerde, die aus der Lehrerschaft kam – nicht von den Schülern und Schülerinnen und zunächst auch nicht von den Eltern –, wurde vom einem Wortführer der Kritiker im "Hamburger Abendblatt" unter anderem so formuliert – ich zitiere –:
Es steht wohl außer Frage, dass das Kopftuch ein Mittel zur Unterdrückung der Frau und zur symbolischen Festigung einer traditionellen Rollenteilung zwischen den Geschlechtern sein kann – wohlgemerkt: sein kann. Deshalb müssen alle Frauen und Mädchen Unterstützung finden, wenn sie gezwungen werden oder gezwungen werden sollen, ein Kopftuch oder einen Hijab zu tragen.
In diesem Fall ist es aber völlig unstrittig, dass die Lehrerin den Hijab freiwillig trägt. Sie hat sich aus religiösen Gründen bewusst und in Freiheit für den Hijab entschieden. Er ist, nach allem, was bekannt ist, für sie ein Bestandteil ihres religiösen Selbstverständnisses. Ich weiß nicht, woher die Kritiker nehmen, damit werde die Botschaft vermittelt, dass die Frau eine untergeordnete Stellung habe, oder die Aushilfslehrerin durch Tragen des Hijab vermitteln wolle, dass sie eine inferiore Stellung einnähme. Eine solche Aussage ist als allgemeine Aussage empirisch unhaltbar. Es gibt Untersuchungen dazu und sehr eindrucksvolle Berichte darüber, dass es bei 100 Kopftuch tragenden Frauen 100 unterschiedliche Motive gibt. Die Kritik ist im Konkreten durch nichts gestützt. Sie ist anmaßend, weil sie die Deutungshoheit beansprucht und praktisch vorschreiben will, wie sich jemand – hier ganz konkret eine muslimische Frau – zu kleiden und zu verhalten hat. Sie soll sich, um akzeptiert zu werden, Kleidungsvorschriften beugen.
Die muslimische Lehrerin nimmt mit dem Tragen des Hijabs ihr Recht auf Religionsfreiheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Selbstbestimmung und Freiheit zur Lebensgestaltung nach eigener Überzeugung wahr, nicht mehr, jedenfalls nicht, solange sie durch ihr konkretes Verhalten nicht etwas anderes nahe legt. Es kommt allein auf ihr konkretes Verhalten an.
Das sage ich auch, Frau von Treuenfels, im Hinblick darauf, ob die Lehrerin die negative Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler oder das Gebot der Neutralität verletzt. Das wäre zweifellos der Fall, wenn sie die Schülerinnen und Schüler
anhalten würde, jeden Morgen zu Allah zu beten. Das wäre auch der Fall, wenn sie in irgendeiner Weise Druck ausüben würde, dass muslimische Mädchen Kopftuch zu tragen hätten. Das alles wird ihr aber nicht vorgeworfen. Die negative Religionsfreiheit bedeutet nicht das Recht, von religiösen Praktiken und Symbolen anderer Menschen verschont zu werden – nicht in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt. Die negative Religionsfreiheit bedeutet, dass kein Glaubenszwang angewandt werden darf. Mir muss ein religiöse Gebot oder eine religiöse Praktik nicht gefallen und es gefallen mir viele religiöse Gebote und Praktiken nicht. Manches Kopftuch wird als Modeschmuck getragen – das kann man eindeutig feststellen – und ich finde es schick,
aber mir persönlich gefällt der Hijab nicht, genauso wenig, wie mir die Symbolik der Fronleichnam-Prozessionen gefällt; ich komme aus Köln, da habe ich die erleben dürfen. Aber ob mir religiöse Gebote, Praktiken und Symbole gefallen oder nicht, ist völlig belanglos. Ich muss sie aushalten und respektieren, solange sie nicht in meine Rechte und Freiheiten eingreifen. Also wieder: Es kommt auf das konkrete Verhalten an und der Lehrerin wird nichts dergleichen vorgeworfen.
So bleibt nur das Argument, die Hijab tragende Lehrerin verstärke die Tendenz, dass muslimische Schüler auf Schülerinnen Druck ausüben, ein Kopftuch zu tragen. Es gibt solche Erscheinungen, teilweise auch massiv, das ist unbenommen. Aber dann ist es Aufgabe auch und gerade der Schule, zur Achtung voreinander und zur Achtung des Selbstbestimmungsrechts eines jeden Menschen zu erziehen. Dem wird nicht dadurch gedient, dass man – wenn man das Kopftuch- oder Hijabverbot gesetzlich regelt – an Lehrerinnen Exempel statuiert, um schlimme Erscheinungen zu bekämpfen, die die vom Verbot Betroffenen überhaupt nicht zu verantworten haben.
Hier geht es – das muss man immer im Kopf behalten – letztendlich um ein Berufsverbot von muslimischen Frauen. Diesen Frauen, die es geschafft haben, zu studieren und Lehrerin zu werden, droht bei einer gesetzlichen Regelung ein Berufsverbot, wenn sie aus Gründen ihres religiösen Selbstverständnisses ein Kopftuch tragen. Was das für die Emanzipation religiöser muslimischer Frauen bedeutet, kann sich jede und jeder in diesem Raum ausmalen.
Wir sind unbedingt dafür, diesen Antrag zu überweisen, denn wir haben eine ernsthafte Diskussion geführt und viele Argumente gehört. Es ist ein kompliziertes Thema, weil die unterschiedlichen Menschen- und Grundrechte gegeneinander abgewogen werden müssen, und ich glaube, die Auseinandersetzung geht durch alle Fraktionen. Deshalb halte ich es für unverzichtbar, dass wir diesen
Antrag überweisen und die Debatte ruhig und sachlich, wie es in den Ausschüssen möglich ist, weiterführen. Ich befürchte, dass wir sonst eine Diskussion bekommen, die dann womöglich in mancher Hinsicht aus dem Ruder läuft. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Dürfen Lehrerinnen und Lehrer religiös motivierte Kleidung in der Schule tragen? Darüber wird seit einigen Jahren temperamentvoll gestritten. Ich selber habe als gelernter Religionslehrer in der Oberstufe das Thema zweimal im Abitur gestellt, denn es ist wunderbar unklar und man muss sich anstrengen, um aus Vorurteilen auch eine fundierte Meinung zu machen. Man kann dabei vieles lernen, übrigens auch, dass eine Debatte hin und wieder aus dem Ruder laufen kann. Das alles sollten wir berücksichtigen.
Die Argumente für und gegen religiöse Kleidung – insbesondere für und gegen das Kopftuch, den Hijab und Ähnliches – sind seit Jahren bekannt. Viele sehen in ihnen Symbole eines intoleranten Islam, einer patriarchalischen, autoritären Gesellschaft und der Unterdrückung der Frau, ihrem Ausschluss aus dem öffentlichen Leben und ihrer Zurückstellung gegenüber den Männern. Solche Signale sind in unseren Schulen fehl am Platz, das muss man wissen. Aber sind diese Signale, die der eine oder andere empfängt, auch Signale, die ursächlich mit dieser Tracht verbunden sind?
Wenn man sich näher damit beschäftigt, wird man nachdenklich, zum Beispiel, wenn man die betroffenen Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern an der Schule Alter Teichweg anhört. Mir hat gerade noch einmal der Elternratsvorsitzende dazu geschrieben. Gestört wird sich an Lehrern, die schlecht unterrichten oder unfair bewerten. Mit dieser Lehrerin sind sie im Großen und Ganzen einverstanden. Die Schüler sagen, dass ihnen die Tracht mehr oder weniger egal sei, Hauptsache, die Lehrerin sei gut. Da gibt es keine Beschwerden. Das ist auch ein Signal, das man berücksichtigen muss.
Es wurde auch darauf hingewiesen – ich wusste es bislang nicht –, dass für viele muslimische Frauen das Kopftuch tatsächlich eine bewusst gewählte Entscheidung ist, häufig ein selbstbewusstes, manchmal sogar emanzipatorisches Bekenntnis zu ihrer Kultur. Das mag bei uns nicht so ankommen, das ist wahr, aber auch das ist ein Teil der Wahrheit.
Spannend ist auch die Frage, wie wir in der Öffentlichkeit mit Religion umgehen. Da hat jedes Land seine eigene Tradition. In den USA beispielsweise, dem laut Bertelsmann-Studie religiösestem Land der Welt, weit führend vor Irak und Iran, was man immer nicht glaubt, ist jegliche Religion in der Schule strikt verboten, sodass es nicht einmal Religionsunterricht geben darf. In der Türkei, das wissen wir alle, sind Kopftücher in allen öffentlichen Institutionen verboten, in Frankreich ist es ähnlich. Die Neutralität des Staates bricht sich dort in einer rigorosen Verbotspraxis Bahn nach dem Motto: Das wollen wir hier nicht haben.
Deutschland hat andere Erfahrungen gemacht – Dreißigjähriger Krieg, schlimmste Verwerfungen, Millionen Tote, alles aus religiösem Streit heraus – und sich mit dem Grundgesetz eine etwas gelassenere Tradition verpasst, mit Religion umzugehen. Diese Gelassenheit findet darin ihren Ausdruck, bestimmte Dinge zuzulassen, solange sie den Frieden im Großen und Ganzen nicht stören oder missionarisch verwendet werden, um Schutzbefohlene in irgendeiner Form zu beeinflussen. Die Frage ist, wo diese Gelassenheit ihre Grenze findet. Diese Frage ist durchaus berechtigt, aber wenn wir jetzt Grenzen suchen – wir haben eben schon gehört, dann auch das Kreuz –, dann sind wir auf einem Weg, der mit dieser Tradition bricht. Dann wird es bei uns wie in Frankreich sein. Darüber kann man reden, aber man muss es wissen.
Welche Chancen und Risiken birgt eigentlich diese Debatte, die wir führen? Jede Debatte über Religion, über Schule und erst recht über Islam wird, wie wir alle wissen, mit viel Temperament geführt. Glauben Sie ja nicht, dass uns diese gelassene Tonlage, die mich freudig überrascht, denn in den Medien war schon etwas ganz anderes zu lesen, erhalten bleiben wird. Wenn wir das weiter diskutieren, dann werden auch Scharfmacher aller Seiten ihren Senf dazugeben. Wir können in anderen Ländern beobachten, was damit zusammenhängen kann: Demonstrationen gegen angebliche Überfremdung, eine Volksabstimmung über ein Minarettverbot in der Schweiz – all das muss man mit bedenken. Das schließt eine Regelung nicht aus, aber man muss es mit abwägen.