Protokoll der Sitzung vom 26.10.2011

Herr Dr. Bischoff, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das ist zum späten Abend doch einigermaßen verwunderlich für mich. Sie haben vorhin eine Diskussion geführt, was für eine große Herausforderung in Europa anstehe, was wir in Griechenland und Portugal an unzureichendem Steuervollzug sehen und wir unbedingt dahin kommen müssen, die Finanzmarktregulierung, die Bankenaufsichten und dergleichen in Europa ein Stück weiterzubringen, wenn uns das Ganze nicht wie ein Kartenhaus über dem Kopf zusammenstürzen soll – das ist noch eine gelinde Formulierung. Jetzt führen Sie eine Diskussion, in der Sie auf einmal Verständnis für Steuerbetrug und Steuerhinterziehung eines gigantischen Ausmaßes haben.

(Robert Bläsing FDP: Das habe ich nicht ge- sagt!)

Da ist mir doch ein bisschen die Spucke weggeblieben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kann das nur so interpretieren, dass hier zum Teil nicht klar ist, über welche Größenordnungen wir reden. Das mag vielleicht der Sinn dieser Ausschussdiskussion sein. Wir reden über eine Steuerhinterziehung allein in der Steueroase Schweiz zwischen 100 und 300 Milliarden Euro. Das würde bedeuten, dass das, was in dem Abkommen steht – eine garantierte Abgeltung von 1,9 Milliarden –, mit den anderen Beträgen verrechnet wird. Das ist eine Lachnummer. Das hätten Sie vielleicht vor zehn Jahren noch irgendwie mit Steuergerechtigkeit verbrämen können, aber in der heutigen Situation mit der Banken- und Finanzkrise ist das meines Erachtens absolut untauglich.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir können doch nicht auf der einen Seite über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer reden und gleichzeitig die Frage der Legalisierung und des Entgegenkommens bezüglich der Steuerhinterziehung mit der Schweiz nach vorne schieben. Das können wir gern noch einmal im Ausschuss

diskutieren. Den Antrag, Druck auf den Senat auszuüben, sich in Berlin möglichst zu positionieren, kann unsere Fraktion nur voll unterstützen.

Ich will noch auf einen Punkt hinweisen, deswegen diese Verknüpfung mit der vorherigen Diskussion. Wir wissen ganz genau, was wir heute in dieser Republik am Steuervollzug ändern müssen. Das ist x-mal dargestellt worden. Es geht um automatische Kontrollmitteilungen, die an die Finanzämter gehen müssen. Wir haben nicht nur ein Defizit im Umgang mit der Schweiz oder mit Luxemburg und den Cayman Islands, sondern das ist ein hausgemachtes Problem. Wenn Sie heute sagen, wir müssen Kürzungen im öffentlichen Sektor vornehmen, dann ist das völlig unangemessen. Sorgen Sie dafür, dass jede Bürgerin und jeder Bürger die Steuern zahlt, die gesetzlich vorgeschrieben sind. Das kann man machen, das ist keine Einschränkung der Freiheitssphäre. Sorgen Sie dafür, dass wir überhaupt eine Diskussion über Steuerstrukturen und Steuervollzug bekommen. Ich hoffe, dass die Auseinandersetzung mit der Schweiz dahin führt, dass dieser Sumpf von zehn, fünfzehn Steueroasen trockengelegt wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort erhält Frau Hajduk.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Diese Debatte hat zu meiner Überraschung sehr deutlich gemacht, dass die Ausschussbefassung mehr als nötig ist. Das wundert mich vor dem Hintergrund der sehr breiten öffentlichen Berichterstattung hierzu ein bisschen. Ich möchte eine Sache noch einmal ganz deutlich sagen. Die Steueramnestie, die es 2003 gegeben hat, hatte eben nicht das Ziel, die Anonymität zu belassen. Das ist etwas ganz anderes. Da ist die Anonymität aufgehoben worden und die Betreffenden haben sich gestellt. Das hat auch Herr Quast in seinem Beitrag deutlich gemacht. Wenn FDP und CDU heute noch glauben, dass solche bilateralen Abkommen Durchbrüche sind, dann haben Sie nicht verstanden, dass das nötig ist und dass wir Strategien brauchen, wie sich mehrere Länder miteinander einigen. Hier ist eine gemeinsame EUStrategie angezeigt und die hat es auch gegeben.

(Zurufe von der FDP)

Diese gemeinsame EU-Strategie, zum automatischen Informationsaustausch zu kommen, wird durch Deutschland unterminiert. Der EU-Botschafter in der Schweiz hält die Abgeltungssteuerdiskussion, ich zitiere, für ein "Konzept der Vergangenheit". Ich glaube, Sie müssen sich mit den Zukunftsfragen beschäftigen. Gut, dass wir das im Ausschuss tun. – Schönen Dank.

(Beifall bei der GAL)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 20/1819 Neufassung an den Haushaltsauschuss zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Dann ist diese Überweisung erfolgt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 63 auf, Drucksache 20/1829 Neufassung, Antrag der FDP-Fraktion: Personalaufwuchs begrenzen – Haushaltskonsolidierung vorantreiben.

[Antrag der FDP-Fraktion: Personalaufwuchs begrenzen – Haushaltskonsolidierung vorantreiben – Drs 20/1829 (Neufasssung) –]

Diese Drucksache möchte die FDP-Fraktion an den Haushaltsausschuss überweisen. Frau Suding wünscht das Wort und sie hat es.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer das Mittagessen in Kita und Hort kostenlos macht, die Studiengebühren abschafft und trotzdem bis spätestens 2020 zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen will, hat sich einiges vorgenommen. Der Senat hat deshalb einen Finanzierungsplan vorgelegt, der vorsieht, jedes Jahr 250 Vollzeit-Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst abzubauen – ich zitiere den Ersten Bürgermeister –:

"Wir sind uns der Härte, die wir damit ansagen, bewusst. Wir müssen das leisten."

Recht hat er, der Herr Bürgermeister, wir müssen das leisten. Aber so hart, wie er sagt, ist das gar nicht. Denn aus dem Personalbericht 2011, der uns seit Ende Juni vorliegt, geht hervor, dass sich die Zahl aller Beschäftigungsverhältnisse gegenüber dem Vorjahr um 1719 erhöht hat. Das ist ein sattes Plus von 2,3 Prozent. Das sind natürlich nicht alles Vollzeitstellen. Aber eine Erklärung für den Anstieg liefert der Senat nicht – kann er auch gar nicht, weil es dafür keine vernünftige Erklärung gibt. Weder sind die Aufgaben der Verwaltung von einem Jahr auf das andere sprunghaft angestiegen, noch hat die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter in der Verwaltung plötzlich rapide nachgelassen. Doch seit den vollmundigen Ankündigungen aus dem Wahlkampf und der Bekräftigung derselben in den ersten Wochen der Amtszeit des SPDSenats ist es still um dieses Thema geworden. Zu still, denn durch den Abbau von 250 Vollzeitäquivalenten kann die Stadt jedes Jahr 12,5 Millionen Euro einsparen. 2011 wären es also 12,5 Millionen Euro, 2012 schon 25 Millionen Euro und 37,5 Millionen Euro im Jahre 2013. 250 Stellen können aber nicht einfach eingespart werden, indem man

(Dr. Joachim Bischoff)

die 250 erstbesten frei werdenden Stellen einfach nicht mehr wiederbesetzt. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es eines vernünftigen Konzeptes. Doch während das Senatsarbeitsprogramm vom Mai viele der vor der Wahl gemachten Versprechen konkretisiert, bleibt es bei der zentralen Wahlkampfaussage, 250 Stellen einzusparen, sehr, sehr vage.

Das setzte sich bei den Beratungen des Haushaltsplan-Entwurfs nach der Sommerpause fort. Staatsrat Krupp berichtete, er wisse noch nicht konkret, wie sich der Personalabbau ausgestalte. Es war auch gar nicht mehr klar, ob es überhaupt einen Stellenabbau geben würde. Auf die Frage, ob im Saldo Stellen ab- oder aufgebaut werden sollen, bekamen die Haushälter die Antwort, es gehe um einen Abbau von 250 Stellen netto unter Nichtberücksichtung der großen Brocken. Der Finanzsenator sprach sogar davon, dass der Abbau der 250 Stellen nur eine Absichtserklärung sei. In der letzten Sitzung der Haushaltsberatungen klärte Herr Dr. Krupp uns dann aber auf. Wegen des Schulfriedens brauche er 450 neue Lehrer, für die Inklusion 150 Sozialpädagogen, macht 600 zusätzliche Stellen. An anderer Stelle aber – wo, sagte er uns nicht – würden 250 Stellen abgebaut. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden mitgerechnet haben: Das macht im Ergebnis einen Aufwachs von 350 Stellen. Glasklar ist damit, dass eines der zentralen Wahlkampfversprechen der SPD nicht eingehalten wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Dabei ist dieses Wahlkampfversprechen im Gegensatz zu vielen anderen sogar ein absolut sinnvolles gewesen.

(Beifall bei der FDP)

Noch sorgenvoller machen mich die Antworten auf unsere Anfrage an den Senat, das war die Drucksache 20/1290, zu diesem Thema. Wir haben nach den nichtbesetzten Stellen im Stellenplan und nach den Plänen des Senats gefragt, welche davon bis zum Ende des Jahres wiederbesetzt werden sollen. Die Antwort: Bei 1176 vakanten Stellen zum Stichtag 31. Juli 2011 sollen 534 Stellen bis zum Ende des Jahres wiederbesetzt werden. Bei diesen geplanten Wiederbesetzungen handelt es sich nicht um die Lehrer und Sozialarbeiter, die wegen Schulfrieden und Inklusion eingestellt werden sollen, die kommen nämlich noch obendrauf. Der tatsächliche Personalaufwuchs dürfte also in diesem Jahr noch deutlich höher sein als nur die 350 Stellen, die Herr Dr. Krupp im Ausschuss bereits angekündigt hat. Das Ziel, das strukturelle Haushaltsdefizit der Stadt dauerhaft zu verringern, indem die Verwaltung verschlankt wird, rückt damit in ganz weite Ferne.

(Beifall bei der FDP)

Die FDP-Fraktion möchte Sie daher bitten, den Senat aufzufordern, der Bürgerschaft noch in diesem Jahr das längst überfällige Konzept zum Abbau der unter dem Strich 250 Beschäftigungsverhältnisse zum Beschluss vorzulegen. Dem Konzept müssen selbstverständlich eine grundlegende Aufgabenkritik sowie eine Personalstrukturentwicklung in den einzelnen Bereichen zugrunde liegen. Bis die Bürgerschaft ein solches Konzept beschlossen hat, möchten wir, dass frei werdende und derzeit unbesetzte Stellen für die Wiederbesetzung gesperrt werden. Von dieser Regelung auszunehmen sind die Bereiche Schulen, Polizei und Feuerwehr, die Gerichte sowie der ASD in den Bezirksämtern.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das kann ich mir vorstellen!)

In begründeten Fällen und bei entsprechender Gegenfinanzierung sollte der Haushaltsausschuss Ausnahmen zulassen können.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ein ausgeglichener Haushalt ist kein Selbstzweck. Nur wenn die Stadt mit ihren Einnahmen sparsam umgeht und sie sinnvoll einsetzt,

(Heike Sudmann DIE LINKE: Und die Ein- nahmen erhöht!)

kann sie auf Dauer handlungsfähig bleiben und ihre Aufgaben zuverlässig erfüllen.

(Beifall bei der FDP)

Die Schuldenkrise in einigen europäischen Ländern führt uns allen derzeit dramatisch vor Augen, welche Auswirkungen mangelnde Haushaltsdisziplin hat. Das fängt im Kleinen an, also schon hier, beim Haushalt der Freien und Hansestadt Hamburg. Wir haben erst vor ein paar Stunden darüber gesprochen. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort erhält nun Herr Völsch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es wird langsam zu einer Gewohnheit der Opposition, einzelne Themen der Haushaltsberatungen outzusourcen und separat zu diskutieren.

(Finn-Ole Ritter FDP: Und Sie melden Proto- kolle an, das ist auch nicht besser!)

Wir sollten überlegen, ob das wirklich sinnvoll ist oder ob wir bestimmte Themen – und dazu gehört das Personalthema ganz ohne Frage, da sind wir uns völlig einig, Frau Suding – nicht besser im November während der Haushaltsberatungen diskutieren.

(Katja Suding)

Was mich dann doch ein bisschen überrascht, liebe Kollegin von der FDP, ist Ihr offensichtlich vorhandener Glaube an die zentralen Personalplanungskonzepte. Wenn ich ganz ehrlich bin, hätte ich die noch vor ein paar Jahren eher bei der Sozialdemokratie verortet. Wir sind da inzwischen ein bisschen weiter.

Ich werde ganz konkret auf Ihren Antrag eingehen. Über das Vorwort kann man trefflich streiten. Sie wollen ein Personalabbaukonzept bis 1. Dezember vorgelegt bekommen. Glauben Sie im Ernst, dass es möglich ist, so ein umfassendes Personalabbaukonzept, verbunden mit einer differenzierten Aufgabenkritik, bis zum 1. Dezember seriös vorzulegen?

(Katja Suding FDP: Sie haben genügend Zeit gehabt!)

Sie sollten einmal sagen, welche staatlichen Aufgaben aus Ihrer Sicht verzichtbar sind, dann wissen die Menschen in dieser Stadt, woran sie mit Ihrer Partei sind.

(Beifall bei der SPD)