Ich rufe die Tagesordnungspunkte 44 und 48 auf, Drucksachen 20/3754 in der Neufassung und 20/3870, den Antrag der Fraktion DIE LINKE: Einsetzung einer Enquete-Kommission nach Artikel 27 der Hamburgischen Verfassung in Verbindung mit Paragraf 63 der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft "Nachhaltige Stärkung der Daseinsvorsorge für Kinder und Jugendliche – das System der Kinder- und Jugendhilfe in Hamburg auf die sozioökonomische Entwicklung der Stadt ausrichten" sowie den Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU, der GAL und der FDP: Einsetzung eines Sonderausschusses.
[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Einsetzung einer Enquete-Kommission nach Artikel 27 der Hamburgischen Verfassung in Verbindung mit § 63 der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft "Nachhaltige Stärkung der Daseinsvorsorge für Kinder und Jugendliche – das System der Kinder- und Jugendhilfe in Hamburg auf die sozioökonomische Entwicklung der Stadt ausrichten" – Drs 20/3754 (Neufassung) –]
[Antrag der Fraktionen der SPD, CDU, GAL und FDP: Einsetzung eines Sonderausschusses – Drs 20/3870 –]
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Schicksal von Chantal, die im Januar in einer Pflegefamilie, die das Jugendamt für sie ausgewählt hatte, zu Tode gekommen ist, beschäftigte uns im Familienausschuss in den vergangenen Wochen und Monaten sehr. Wir haben uns deshalb gemeinsam mit vier Fraktionen dazu entschieden, einen Sonderausschuss einzurichten, der die Umstände aufklären soll, die zum Tod der elfjährigen Chantal aus Wilhelmsburg in diesem Januar geführt haben. Der Ausschuss soll Strukturen und Abläufe im Jugendhilfebereich beleuchten und konkrete Empfehlungen zur Verbesserung des Kin
derschutzes erarbeiten. Um diese Maßnahmen noch in dieser Legislaturperiode einzuleiten, sind wir zu der Auffassung gekommen, dass die komprimierte und konzentrierte Arbeit eines Sonderausschusses hierfür der richtige Weg ist.
Es geht uns darum, Defizite der Arbeitsweise der Jugendämter aufzuzeigen und das Rollenverständnis und die Zusammenarbeit zwischen Jugendämtern und freien Trägern untersuchen zu lassen und zu bewerten. Darüber hinaus wollen wir in diesem Ausschuss die bereits eingeleiteten Maßnahmen der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration inhaltlich eng begleiten und bewerten sowie eigene Vorschläge entwickeln; es ist unser Ziel, diese bis zum Herbst 2013 vorzulegen.
Wir sind der Auffassung, dass der von der LINKEN vorgelegte Zusatzantrag nicht zu einer Konkretisierung des Arbeitsauftrags des Sonderausschusses beiträgt, sondern dass hier Themen eingebracht werden sollen, die sich in diesem Rahmen nicht zufriedenstellend bearbeiten ließen. Daher können wir als SPD-Fraktion diesem Zusatzantrag nicht folgen.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass wir uns einvernehmlich mit den Fraktionen von CDU, GAL und FDP darauf verständigen konnten, uns diesen vor uns liegenden Aufgaben im Rahmen eines Sonderausschusses zu widmen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist ein gutes Zeichen, dass wir nach dem Fall Chantal nicht zur Tagesordnung übergehen, sondern gemeinsam beweisen, dass wir ein ernsthaftes und auch aufrichtiges Interesse an der Aufarbeitung dieses Falls haben. Wir haben nach den letzten Monaten erkennen müssen, dass eine wirkliche Aufarbeitung und Befassung nicht einfach im Rahmen einiger regulärer Ausschusssitzungen geleistet werden kann. Wenn wir für das Kindeswohl in Hamburg etwas leisten wollen, dann müssen wir uns eingehend und tiefgründig damit befassen. Deswegen war auch unsere Überlegung, den Sonderausschuss zu schaffen. Ob es dann ein Sonderausschuss wird oder eine Enquete-Kommission, ist eine zweite Frage; dazu vielleicht gleich mehr. Aber es ist richtig, dass wir uns gesondert damit befassen. Das zeigt allein schon die Tatsache, dass wir aufgrund unseres Ersuchens auf Aktenvorlage allein 150 Akten vorgelegt bekommen haben. Wenn wir uns damit ernsthaft auseinandersetzen wollen, dann müssen wir uns auch die Zeit dafür nehmen.
Der Antrag ist aus drei Gründen richtig: Erstens hat es zu Anfang, in der Zeit des großen öffentlichen
Interesses die richtigen und auch notwendigen personellen Konsequenzen gegeben, indem politische Verantwortung übernommen wurde. Was auf Verwaltungsebene weiter passiert, wird sich zeigen, das hängt auch vom Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ab. Aber mindestens genauso wichtig ist, dass wir jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen und den Fall wieder ad acta legen, sondern dass wir dort jetzt richtig einsteigen; das ist auch ein gutes Signal nach außen.
Zweitens haben wir mit diesem Antrag einen klaren und erfüllbar formulierten Auftrag. Das ist auch notwendig; Frau Leonhard hat das richtig skizziert. Wir wollen in Erfahrung bringen, welche Umstände konkret in dem Behördenverfahren zu diesem Todesfall geführt haben. Wir wollen sehen, wie Mechanismen falsch laufen und welche Hürden wir vielleicht in Zukunft einziehen müssen, um ein solches im Wesentlichen auch persönliches Versagen möglichst unwahrscheinlich zu machen. Es ist richtig, dass wir da nicht gleich wieder die Systemfrage stellen, denn es war in diesem Fall vermutlich kein Systemversagen. Deswegen ist der Antrag der LINKEN aus meiner Sicht auch nicht hilfreich, weil er den Auftrag des Ausschusses mit einem etwas ideologisch befrachteten Gesellschaftsbild überlasten und ihn so ausweiten würde, dass wir gar nicht imstande wären, ihn abzuarbeiten.
Drittens haben wir einen klaren Zeithorizont, nämlich bis 2013. Wir haben einen klaren Auftrag. Wir wollen Handlungsempfehlungen erarbeiten und uns nicht nur mit dem beschäftigen, was die BASFI derzeit schon erarbeitet. Das gehört sicher auch dazu und wir als Fraktionen haben schon konkrete Vorschläge erarbeitet. Wir werden Experten hinzuziehen, und dann hoffe ich, dass wir konkrete Handlungsempfehlungen abgeben können, die dem Wohl und Schutz der Kinder in Hamburg dienen. Und dies ist ein guter Start.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist jetzt ein Vierteljahr her, dass Hamburg durch die Umstände des traurigen Todes von Chantal schockiert wurde. Notwendige personelle Konsequenzen wie der Rücktritt des politisch verantwortlichen Bezirksamtsleiters Markus Schreiber und die Versetzung der fachlich zuständigen Jugendamtsleitung Frau Wolters sind erfolgt; das ist gut so. Ebenso sind Maßnahmen getroffen worden, die die Unterbringung von Kindern in Pflegefamilien vermeintlich sicherer machen sollen.
Aber es sind noch viele Fragen offen geblieben, zum Beispiel die Gründe für die Defizite im Handeln staatlicher Stellen, wie des Jugendamts, und für das Versagen von Kontrollsystemen, die dem Kindeswohl dienen sollen. Die Rolle der freien Träger in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt ist ebenfalls noch nicht ausreichend definiert. Und sicherlich wird es auch notwendig sein, die vom Senat eingeleiteten Sofortmaßnahmen auf ihre Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit hin zu überprüfen, denn diese Maßnahmen sind als erste schnelle Reaktion ohne vorherige Analyse erfolgt.
Zur Aufklärung dieser und weiterer Punkte haben sich vier Fraktionen verständigt, einen Sonderausschuss einzurichten. Die Einigkeit bei der Einsetzung dieses Instruments nach dem Tod von Chantal ist wichtig, damit wir möglichst schnell handeln können. Und nicht zuletzt haben die Menschen in dieser Stadt zu Recht die Erwartung, konkrete Empfehlungen zur Verbesserung des Kinderschutzes zu erhalten und diese Empfehlungen auch noch in dieser Wahlperiode umgesetzt zu sehen. Ein Sonderausschuss der Bürgerschaft ist aus unserer Sicht das beste Instrument, um den Fall aufzuklären und echte Verbesserungen zum Schutz der Kinder zu erreichen. Mit einem Sonderausschuss lassen sich die Elemente einer EnqueteKommission und eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses vereinen.
Meine Damen und Herren insbesondere der LinksFraktion! Ich möchte jetzt nicht darüber debattieren, ob eine Enquete-Kommission oder ein Sonderausschuss das geeignete Instrument ist, die Frage nach den Ursachen, die sich aus dem Tod von Chantal ergeben haben, zu beantworten. Das würde dem Tod von Chantal und unserem Ziel, Lücken im Hilfesystem zum Schutz aller Kinder schnell zu analysieren, nicht gerecht werden.
Viel wichtiger ist aus Sicht der Grünen, dass sich nach dem Tod des Mädchens alle Parteien einig waren, nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen. Und diese Einigkeit spiegelt sich in dem gemeinsamen Willen von SPD, CDU, GAL und FDP wider, einen Sonderausschuss einzurichten. Ich bin davon überzeugt, liebe Kolleginnen und Kollegen der Links-Fraktion, dass auch Sie sich dann in der laufenden Arbeit des Sonderausschusses mit einigen der von Ihnen gewünschten Untersuchungspunkte wiederfinden werden.
kleinen Mädchens, das dazu noch unter Aufsicht des Jugendamts stand, kann niemand einfach zur Tagesordnung übergehen; das wurde schon mehrfach erwähnt. Deshalb begrüßen wir als FDP-Fraktion die parlamentarische Aufarbeitung dieses tragischen Falls. Wir müssen die richtigen Konsequenzen daraus ziehen, damit sich eine solche Tragödie nicht wiederholt.
Aus Sicht der FDP-Fraktion wäre, wie wir schon verkündet haben, eine Enquete-Kommission anfänglich der bessere Weg gewesen. Chantal ist nicht das erste Kind, das gestorben ist, obwohl die Familie vom Jugendamt betreut wurde. Jessica und Lara Mia waren aber keine Pflegekinder, sondern starben in ihren eigenen Familien. Alle vorherigen Fälle zogen Konsequenzen nach sich, das Babybegrüßungsprogramm nach dem Fall Lara Mia, die Einrichtung der Kinderschutz-Hotline als Maßnahme nach dem Fall Jessica, um nur einige Beispiele zu nennen. Das waren aber immer nur Reaktionen auf die Missstände im jeweils konkreten Fall und sie waren leider – traurig, aber wahr – beileibe nicht ausreichend, um andere Fälle zu verhindern. Deshalb hätten wir Liberale uns eine grundlegende Prüfung der bestehenden Strukturen gewünscht. Unserer Ansicht nach liegen die Probleme tiefer als nur in der Organisation des Pflegekinderwesens, also erneut einem spezifischen Teilbereich der Kinder- und Jugendhilfe.
Liebe Kollegen von der LINKEN, Ihrem Antrag in seiner jetzigen Form hätten wir aber dennoch nicht in allen Punkten zustimmen können. Die pauschale Verurteilung der freien Träger wird den vielschichtigen Problemen absolut nicht gerecht. Die meisten freien Träger haben unglaublich viel Fachwissen, sie kennen den Sozialraum, sie haben einen ganz anderen Zugang zu den Betroffenen. Viele Familien stehen Jugendamtsmitarbeitern misstrauisch gegenüber, während sie die Mitarbeiter der Träger als Vertrauenspersonen wahrnehmen. Außerdem schreiben Sie im Antrag, die Standardisierung der Arbeit degradiere die Mitarbeiter zu Fallmanagern. Aber gerade im Fall Chantal hätte doch eine Standardisierung im Umgang mit Beschwerden Gutes bewirken können. Dann wären die Hinweise der Nachbarn und Lehrer vielleicht nicht einfach als Mobbing abgetan, sondern ernst genommen worden.
Meine Damen und Herren! Als FDP haben wir uns schließlich dazu entschlossen, der Einrichtung eines Sonderausschusses zuzustimmen. Wir wollen uns einer parlamentarischen Aufarbeitung nicht verschließen, wir wollen und werden uns konstruktiv an der Debatte beteiligen. Deshalb stimmt die FDP-Fraktion der Einrichtung eines Sonderausschusses zu. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich vertrete meinen Kollegen Yildiz, der kurzfristig erkrankt ist.
Wir haben einen Antrag zur Einrichtung einer Enquete-Kommission vorgelegt. Vor dem Hintergrund, dass in den letzten Jahren vier Kinder in den Bezirken Bergedorf, Wandsbek und HamburgMitte ums Leben gekommen sind, erscheint uns das dringend geboten. Der Tod dieser Kinder ist nur die Spitze des Eisbergs. In etlichen weiteren Fällen sind ähnliche Fehler unterlaufen, die Gott sei Dank nicht zu so extrem traurigen Ergebnissen geführt haben, wo Hilfen nicht schnell genug an das Kind gebracht oder nicht die richtigen Hilfen zur richtigen Zeit bewilligt wurden. Gemeint sind Fälle wie der der siebenjährigen Anna aus Steilshoop, über den die Presse in den letzten Tagen berichtet hat.
Einen Sonderausschuss beziehungsweise bürgerschaftliche Untersuchungen verschiedener Art hat es in der Vergangenheit mehrfach gegeben. In schöner Regelmäßigkeit wurden vor allem zusätzliche Kontrollmaßnahmen eingeführt, Stichworte: verschärfte Durchsetzung der Schulpflicht, Einführung eines Schülerregisters, Verschärfung von Meldeverfahren, unangemeldete Hausbesuche. Jetzt sollen weitere Maßnahmen kommen wie erweiterte Gesundheitszeugnisse, Erhöhung der Anforderungen an Führungszeugnisse, Einführung einer Jugendhilfeinspektion. Aus unserer Sicht reicht die Einführung von immer mehr Kontrollen und ständig steigenden Berichtspflichten für die Beschäftigten bei den Allgemeinen Sozialen Diensten und den Einrichtungen der Träger nicht aus, das Problem angemessen zu bearbeiten.
Es geht nicht nur darum, konkrete Empfehlungen zur Verbesserung des Kinderschutzes zu erarbeiten, indem Strukturen und Abläufe untersucht werden, sondern es geht auch um die Bereitstellung von Ressourcen. Das ganze System bedarf einer unabhängigen, externen fachlichen Beurteilung.
Die umfangreichen Kontrollmaßnahmen und die stetig steigenden Berichts- und Dokumentationspflichten fressen einen erheblichen Teil der Zeit, die für die fachliche Arbeit eingesetzt werden sollte, und senken deren Qualität. Bei Kinderschutzfällen müssen allein Fragebögen im Umfang von 20 Seiten ausgefüllt werden und die Kontrollmaßnahmen sind teuer. Die Einführung von JUS-IT kostet über 112 Millionen Euro. Das System schlägt die billigste Hilfe als Erstes vor und das muss, das wissen Sie alle, nicht die beste Hilfe sein. Unser Fazit: Die bisher vorrangig betriebene Politik ist teuer und beansprucht viel Arbeitszeit,