Protokoll der Sitzung vom 16.08.2012

einen sehr konkreten Vorgang, nämlich um den Abschluss eines Vertrages, der die Anerkennung der islamischen Religionsgemeinschaft bedeutet und damit die Benachteiligung, ja Diskriminierung einer großen Religionsgemeinschaft gegenüber anderen großen Religionsgemeinschaften im Grundsatz beendet.

(Beifall bei der LINKEN und bei Christa Goetsch GAL)

In diesem Sinne habe ich als nicht religiöser, ja sogar religionskritischer Mensch den seinerzeit von Herrn von Beust und einem CDU-Senat eingeleiteten, vom schwarz-grünen Senat fortgesetzten und nun vom SPD-Senat zu einem, wie ich finde, guten Ende gebrachten Vertrag mit drei muslimischen Dachverbänden und der alevitischen Gemeinde mit Sympathie verfolgt und unterstützt. Zur Trennung von Kirche und Staat und der damit verbundenen staatlichen Neutralität gehört nämlich nicht nur die Achtung der positiven und negativen Religionsfreiheit, dazu gehört auch, keine Religion zu privilegieren. Mit anderen Worten: Dazu gehört die staatliche Gleichbehandlung der Religionen und Weltanschauungen, jedenfalls soweit sie in ihrer sozialen Bedeutung und in ihrer öffentlichen Wirksamkeit vergleichbar sind. Insofern sind der ausgearbeitete Vertrag und die getroffenen Regelungen von großer symbolischer Bedeutung. Der Vertrag erkennt die enormen Veränderungen an, die die Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten erfahren hat. Er erkennt die kulturelle und religiöse Vielfalt der Gesellschaft an und er trägt ihnen Rechnung.

In einer Situation, in der die Stadt Staatsverträge mit den christlichen Kirchen und der Jüdischen Gemeinde geschlossen hat – das kann man, wie die FDP, für falsch halten, aber das sind Fakten –, sind Argumente gegen den Vertrag mit den Muslimen und Aleviten Argumente gegen die Gleichbehandlung. Und damit haben Sie – sicher nicht gewollt, das will ich der FDP auf keinen Fall unterstellen – Wasser auf die Mühlen derjenigen gesellschaftlichen Kräfte getragen, die den Islam und mit ihm nicht nur die gläubigen Muslime, sondern überhaupt Menschen anderer kultureller Prägung an den Rand der Gesellschaft und wohlmöglich ganz aus ihr hinausdrängen wollen.

Ich tue es mir manchmal an, mir die verschiedenen kritischen bis feindlichen Kommentare unter den Zeitungsartikeln oder auf solchen Hetzseiten wie PI-News anzuschauen. Ich bringe Sie in keinem Fall damit in einen Zusammenhang,

(Robert Bläsing FDP: Aber Sie machen es trotzdem!)

aber es gibt natürlich eine sehr, sehr breite, sehr islamfeindliche Strömung und die müssen wir bekämpfen. Dazu leistet der Vertrag einen guten Beitrag.

(Beifall bei der LINKEN und der GAL)

(Carl-Edgar Jarchow)

Ich begrüße ausdrücklich die Rolle der Kirchen und ihre Unterstützung für den Vertrag, ohne die seine gesellschaftliche Anerkennung sehr viel schwerer zu erringen sein würde.

(Beifall bei der LINKEN, der GAL und verein- zelt bei der SPD)

Das wird noch schwer genug. Die wechselseitige Anerkennung der Religionsgemeinschaften, die immer zumindest eine Einschränkung des alleinigen Wahrheitsanspruchs beinhaltet, ist für das friedliche, interkulturelle und interreligiöse Zusammenleben von nicht zu überschätzender Bedeutung.

Der Respekt für diesen Schritt der wechselseitigen Anerkennung schließt ausdrücklich die muslimischen Verbände und die Alevitische Gemeinde ein. Die islamkritischen Gegnerinnen und Gegner des Vertrags fordere ich auf, diesen Vertrag einmal zu lesen. Sind sie nicht völlig verblendet, können sie einiges darüber lernen, wie die islamische Religionsgemeinschaft sich selber in dieser Gesellschaft definiert und sich auf die Menschenrechte und den demokratischen Rechtsstaat bezieht.

Ich komme aber nicht umhin, ein Problem zu nennen: Einige der Moscheen, die einem der Vertragspartner auf muslimischer Seite angehören, werden durch den Verfassungsschutz beobachtet. Die weitere Beobachtung stünde in einem krassen Widerspruch zum eindeutigen Bekenntnis der muslimischen Vertragspartner zum demokratischen Rechtsstaat und gegen Gewalt und Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung, Glauben oder religiöser und politischer Anschauung. So steht es nämlich in dem Vertrag und die Muslime haben dies ausdrücklich unterschrieben. Die Fortsetzung der Beobachtung würde die Achtung für die Vertragspartner unterminieren und den Vertrag unterhöhlen. Deshalb muss nach unserer Auffassung die Beobachtung der Moscheen, die unter diesen Vertrag fallen, beendet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Erste Bürgermeister hat das Wort.

Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst einmal für die bisher sehr sachliche, ruhige und auch gute Debatte zu diesem Punkt bedanken.

Der Senat hat Verträge mit den muslimischen Verbänden und der Alevitischen Gemeinde vorbereitet. Diese sind vorgestellt worden. Wir haben in den zuständigen Ausschüssen und bei den Sprechern der Vertreter der verschiedenen Fraktionen

(Heike Sudmann DIE LINKE: Und Spreche- rinnen!)

und Sprecherinnen – rechtzeitig für Informationen gesorgt, und wir werden selbstverständlich auch bei dem Fortgang der Debatte in diesem Parlament und in den Ausschüssen dafür sorgen, dass es eine gut informierte, sorgfältige und sachliche Debatte über diese Verträge gibt.

(Beifall bei der SPD)

Was wir tun, ist etwas Selbstverständliches, das ist meine feste Überzeugung. Denn wenn wir es richtig finden, und wir finden es richtig, dass unsere Gesellschaft mit den christlichen Kirchen und mit der Jüdischen Gemeinde Vereinbarungen trifft, dann gehört es in einem Rechtsstaat, der alle vor dem Gesetz gleich behandelt, dazu, dass wir uns das Gleiche auch gegenüber den muslimischen Organisationen zutrauen und in Angriff nehmen. Das geschieht mit diesen Verträgen und deshalb sind sie ein selbstverständlicher Fortschritt.

(Beifall bei der SPD, der GAL und bei Chri- stiane Schneider DIE LINKE)

Natürlich betreten wir Neuland und wer etwas Neues tut, muss sich das sorgfältig überlegen. Deshalb war es völlig in Ordnung, dass die Gespräche eine sehr lange Zeit in Anspruch genommen haben; da ist niemandem in der Vergangenheit etwas vorzuhalten. Deshalb ist es auch sehr richtig, dass wir zu der Frage, ob es sich bei unseren Vertragspartnern um Religionsgemeinschaften handelt, religionswissenschaftliche Stellungnahmen und Gutachten haben erstellen lassen. Denn wenn man dies zum ersten Mal macht, dann soll man es sehr sorgfältig vorbereiten und dafür sorgen, dass alle Fragen beantwortet werden können. Das ist geschehen und deshalb sind das ordentlich diskutierte und ordentlich vorbereitete Verträge, die es möglich machen, in der Lebenspraxis zu funktionieren, sodass nachträglich keine Zweifel an der Richtigkeit des Vorgehens entstehen. Das ist unsere Absicht und ich glaube, das ist uns gelungen.

(Beifall bei der SPD und bei Christa Goetsch, Antje Möller, beide GAL und Chri- stiane Schneider DIE LINKE)

Respekt ist eine der wichtigsten Voraussetzungen des Zusammenlebens in einer Gesellschaft. Das gilt für den Respekt, den der Staat gegenüber den religiösen Überzeugungen seiner Bürgerinnen und Bürger – und dazu zählen auch die vielen muslimischen und alevitischen Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt – zu bieten hat. Respekt wird mit diesen Verträgen ausgedrückt. Aber Respekt ist keine einseitige Veranstaltung, es gibt ihn auch umgekehrt. Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass der Respekt, den der Staat von seinen Bürgerinnen und Bürgern, gleich welcher Konfession oder auch Nicht-Konfession, erwarten darf, hier noch einmal neu zum Ausdruck gebracht wird mit dem Bekenntnis zur Verfassung, zum Grundgesetz, zum Rechtsstaat und zur Diskriminierungsfreiheit, dazu,

(Christiane Schneider)

dass niemand wegen seines Geschlechts oder seiner sexuellen Identität diskriminiert werden darf. Damit kommt auch das an Respekt zum Ausdruck, was wir umgekehrt in unserer Gesellschaft für das Miteinander erwarten dürfen. Ich bin froh, dass das in diesen Verträgen niedergeschrieben ist.

(Beifall bei der SPD, der GAL und vereinzelt bei der LINKEN)

Hamburg hat eine sehr lange, jahrzehntealte liberale Tradition, die viele Teile unserer Gesellschaft und viele, die hier Verantwortung tragen, einschließt. Dazu gehören ganz unbedingt auch die christlichen Kirchen mit ihrem Wirken in dieser Stadt. Aus dieser Tradition heraus ist über viele Jahrzehnte bereits etwas entstanden, was es so vergleichbar an keiner anderen Stelle in der Bundesrepublik Deutschland gibt, der Religionsunterricht für alle in evangelischer Verantwortung. Das ist zuallererst eine Leistung der evangelischen Kirche gewesen – übrigens eine kluge Leistung, weil sie respektiert, dass es in einer so offenen und weltoffenen Stadt sehr viele Bürgerinnen und Bürger mit ganz unterschiedlichen religiösen Überzeugungen gibt. Es ist eine große kulturelle Leistung unserer evangelischen Kirche, dass sie das herausgebildet, vorangebracht und praktiziert hat. Ich glaube, dass das Zusammenleben in unserer Stadt von dieser Leistung bis heute profitiert.

(Beifall bei der SPD, vereinzelt bei der GAL und bei Robert Heinemann CDU und Chri- stiane Schneider DIE LINKE)

Wenn wir also voranschreiten und solche Verträge und Vereinbarungen schließen, müssen wir uns die Frage stellen, wie es gelingen kann, diese Tradition in die Zukunft fortzuführen. Denn natürlich ergibt sich aus unserer Verfassung das selbstverständliche Recht, dass Religionsgemeinschaften – und die vier Vertragspartner sind nach unseren Erkenntnissen Religionsgemeinschaften – auch einen eigenständigen, staatlichen, bekenntnisorientierten Unterricht an den Schulen verlangen können, den sie zwar nicht selbst anbieten, der aber entsprechend ihres Bekenntnisses erfolgt. Deshalb ist das Besondere an diesem Vertrag, dass sowohl unsere neuen Vertragspartner, alle vier, als auch die evangelische Kirche sich gemeinsam vorgenommen haben, den Religionsunterricht für alle weiterzuführen und ihn nicht zugunsten lauter einzelner, an den unterschiedlichen Bekenntnissen ausgerichteten Religionsunterrichten zu beenden, die zwar vom Staat verantwortet blieben, aber eben doch verschiedene wären.

(Beifall bei der SPD, vereinzelt bei der GAL und bei Robert Heinemann CDU, Dora Hey- enn und Christiane Schneider, beide DIE LINKE)

Ich bin davon überzeugt, dass es eine staatliche Aufgabe ist, diesen Willen der evangelischen Kir

che und der muslimischen und alevitischen Religionsgemeinschaften zu fördern. Das geschieht mit diesen Verträgen. Wir ermöglichen etwas, was unsere Kirchen und die muslimischen und alevitischen Religionsgemeinschaften selber wollen. Ich halte das für einen großen Fortschritt.

(Beifall bei der SPD, vereinzelt bei der GAL und bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Alle Fragen müssen beantwortet werden, das ist selbstverständlich richtig, aber gerade weil das aus dem eigenen Willen der Religionsgemeinschaften entspringt – auch, ich sage es noch einmal, dem Willen unserer evangelischen Kirche –, habe ich keinen Zweifel, dass alle Fragen hinsichtlich der Verfassung gut beantwortet werden können. Es kann ja nicht sein, dass die Verfassung dem entgegensteht, was diese Religionsgemeinschaften und die evangelische Kirche gemeinsam wollen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Wir werden eine gute und sorgfältige Debatte haben. Die Fragen, die der Fraktionsvorsitzende der CDU gestellt hat, sind alle berechtigt und ich bin sicher, sie können alle gut beantwortet werden. Ich freue mich auf die sorgfältige, mit allen Unterlagen versehene Debatte, damit es eine möglichst breite Zustimmung der Bürgerschaft geben kann, um die ich ausdrücklich werbe.

Ich möchte dies mit der kleinen Bitte verbinden, nicht den bequemen Weg zu gehen, so einen Vertrag zwar im Grundsatz richtig zu finden, aber nicht diesen. Das ist manchmal ein Weg, den man bei politischen Konflikten gehen kann, aber es ist oft nicht der richtige, weil er sehr unentschieden wirkt. Die Vereinbarungen sind eine Leistung, die von dem Mitwirken vieler anderer, die unsere Vertragspartner sind, abhängt. Und deshalb hoffe ich, dass es uns im Diskussionsprozess gelingt, eine Zustimmung in diesem Haus zu erreichen, die letztlich von allen Fraktionen getragen wird.

Meine Damen und Herren! Ich möchte das auch mit einer Bitte an die FDP verbinden. Ich kann Ihr sehr grundsätzliches Argument nachvollziehen. Letztlich lautet es, man solle gar keine Verträge mit Religionsgemeinschaften schließen. Weil das über Jahrzehnte eine Tradition in dieser Stadt gewesen ist, kann man nicht behaupten, das sei ein unvertretbares Argument. Ich halte es allerdings auch für vertretbar – und dafür möchte ich bei Ihnen werben –, dass man diese Meinung vor dem Hintergrund dessen, was geschehen ist, anders handhabt. Ob es nämlich richtig ist, dass der Staat, für den wir alle stehen, zwar 2005 mit der evangelischen Kirche und der Katholischen Kirche und 2007 mit der Jüdischen Gemeinde Verträge geschlossen hat, dies der nächsten Gruppe nun aber abschlägt, und zwar, weil man das damals nicht hätte machen sollen – so das Argument der

(Erster Bürgermeister Olaf Scholz)

FDP –, wage ich zu bezweifeln. Deshalb werbe ich dafür, dass die Mitglieder der Freien Demokratischen Partei in diesem Parlament darüber nachdenken, ob sie nicht vielleicht abstimmen wollen gemäß folgendem Gedanken: Eigentlich finden wir es falsch, dass man diesen Weg gegangen ist, aber wer so angefangen hat, muss ihn im Hinblick auf die Muslime auch weitergehen; wir tragen das mit. Ich wünsche mir, dass Sie sich das noch einmal überlegen, Zeit genug ist dazu.

Ansonsten wünsche ich uns eine sehr sorgfältige, sehr ruhige und sehr hanseatische Debatte. – Schönen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD, der GAL und vereinzelt bei der LINKEN)

Herr Bläsing hat das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, zunächst einmal begrüße ich, dass der Ton der Debatte sehr sachlich ist. Das ist immer gut bei solch schwierigen Themen. Zu dem Hinweis von Frau Schneider möchte ich darum auch nur sagen: Eine Kampagne, die von irgendwelchen Randgruppen kommt, lehnen wir als FDP natürlich dezidiert ab. Diesen Schuh werden wir uns nicht anziehen.

Allerdings ergeben sich für mich tatsächlich ein paar Fragen. Es wird jetzt quasi Integration über die Religion gesucht. Ich tue mich, ehrlich gesagt, etwas schwer damit, diesen Zusammenhang zwangsläufig herzustellen. Bisher habe ich nicht den Eindruck, dass da, wo Integrationspotenziale in dieser Stadt noch nicht zu 100 Prozent genutzt werden, die Religion oder ihre fehlende Anerkennung das entscheidende Hindernis sind.

Ich habe allerdings auch Fragen zu den Vertragspartnern, wir werden das sicherlich im weiteren Verfahren noch klären. Das Stichwort Verfassungsschutz ist schon gefallen, und was den DITIB angeht, so werden wir zumindest hinterfragen müssen, ob wir da nicht einen Vertrag mit dem türkischen Staat abschließen.

Die Achtung des Grundgesetzes ist aus meiner Sicht tatsächlich eine Selbstverständlichkeit, Herr Bürgermeister; Sie sagten ja, dass Sie hier nur Selbstverständlichkeiten machen würden. Für mich ist das so selbstverständlich, dass ich mich wirklich frage, warum dafür dann noch ein Vertrag her muss.

Was die inhaltlichen Regelungen im Vertragswerk angeht – das hatte Frau Duden richtigerweise gesagt –, so ist das Wesentliche bereits jetzt schon geregelt.