Protokoll der Sitzung vom 29.11.2012

dass diese Abschulungen vom Gymnasium in dem Maße so nicht weitergehen können. Gerade diejenigen, die in der Schule tätig sind – wie Sie auch, Herr Czech –, haben immer wieder erlebt, was es bedeutet, wenn Schülerinnen und Schüler aus dem Gymnasium zurückkommen. Sie haben hier einen Fall einer Schülerin genannt, der sich sehr positiv anhörte, sie würde ein tolles Abitur machen und sich dort wohlfühlen. Es gibt aber auch sehr viele andere Einzelschicksale, bei denen die Schüler, die vom Gymnasium zurückkommen, sich nicht wohlfühlen, sich nicht fangen und mit einem Trauma leben. Insofern wollten wir damals die Abschulung vom Gymnasium auf die Klassen 5 und 6 beschränken.

Das heißt natürlich nicht, dass wir nicht laufend in den Stadtteilschulen – früher auch in den Gesamtschulen – in Klasse 7, 8 und 9 sogenannte Rückläufer aus den Gymnasien bekommen. Wenn nämlich Schüler oder Eltern und Schüler gemeinsam sagen, sie möchten aus der neunten Klasse des Gymnasiums zurück in die neunte oder achte Klasse der Stadtteilschule, dann kann ihnen das gar nicht verwehrt werden. Aus gutem Grund wurde gesagt, dass dies ab der zehnten Klasse nicht mehr möglich sein soll, weil es einem Sitzenbleiben gleichkäme. Zum anderen ist es auch so, dass, wenn die Schülerinnen und Schüler von der fünften bis zur neunten Klasse im Gymnasium sind, es schwer vorstellbar ist, dass sie im ersten Halbjahr der zehnten Klasse merken, dass sie es vielleicht doch nicht schaffen.

Insofern sind wir strikt dagegen, dies jetzt zu lockern, denn das hat überhaupt nichts mit Durchlässigkeit zu tun. Im FDP-Antrag wird so getan, als wolle man jetzt die Durchlässigkeit von der Stadtteilschule zum Gymnasium und vom Gymnasium zur Stadtteilschule öffnen. Das ist nicht so gemeint, und es findet in der Realität auch nicht statt. In der Realität findet immer die Abschulung vom Gymnasium zur Stadtteilschule statt. Mir kann niemand erzählen, dass diese Praxis zur Stärkung der Stadtteilschule beiträgt, wenn dort immer die Rückläufer aufgefangen werden. Da wird doch signalisiert, dass diejenigen, die das Abitur im Gymnasium nicht schaffen, es dann auf der Stadtteilschule schaffen würden. Dann haben wir ein Abitur erster und zweiter Klasse. Das können Sie leugnen, solange Sie wollen, das ist einfach so.

Wogegen wir uns auch wehren, ist Folgendes: Alle Lehrer und Lehrerinnen, die an der Stadtteilschule oder in der Grundschule tätig sind, wissen, dass

man für alle Schüler, die man hat, eine Verantwortung übernehmen muss. Man muss dafür sorgen, dass alle Schülerinnen und Schüler mit einem klarkommen und dass sie sich entwickeln und Lernfortschritte machen. Nur das Gymnasium nimmt sich die Freiheit heraus, nicht für alle die Verantwortung zu übernehmen und unbequeme Schüler oder solche, die nicht so hineinpassen oder vielleicht nicht so mitgenommen wurden, einfach an eine andere Schule zu schicken nach dem Motto, seht mal zu, wie ihr klarkommt.

Das betrachten wir als Reparaturbetrieb für das Gymnasium und damit tut man den Stadtteilschulen überhaupt keinen Gefallen. Deshalb lehnen wir das ab. Wir können nur noch einmal appellieren, dass dieser Antrag heute nicht so beschlossen wird, sondern dass dies noch einmal in den Schulausschuss kommt, weil es die Grundlagen und den Geist des geänderten Schulgesetzes total auf den Kopf stellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt hat Senator Rabe das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Hamburger Schulsystem ist aus meiner Sicht eine wohlgeordnete und vernünftige Angebotsstruktur für Hamburgs Schülerinnen und Schüler. Das gilt insbesondere, seit wir bezüglich des Schulfriedens gesagt haben, dass es nach vier Jahren Grundschule einen Weg in acht Jahren am Gymnasium und in neun Jahren an der Stadtteilschule zum Abitur geben sollte. Es gibt viele Bundesländer, die uns darum beneiden, dass es uns geglückt ist, die Vielfalt der Schulen in Hamburg auf diese Art und Weise zu ordnen und damit ein leistungsfähiges Angebot den Stadtteilen, insbesondere aber auch den Eltern und Schülerinnen und Schülern zu geben, das wir unbedingt erhalten, schützen und ausbauen müssen.

Und eine dieser Schulformen verdient dabei unser besonderes Interesse und unsere besondere Aufmerksamkeit. Wir müssen alles tun, damit die Stadtteilschule in dieser Ordnung ihren Platz findet und so attraktiv und vor allem auch akzeptiert ist, dass wir diese Schulform als Stütze unseres Schulsystems ausbauen und fördern können. Das muss unsere vorrangige Aufgabe sein.

(Beifall bei der SPD und bei Robert Heine- mann CDU und Dr. Wieland Schinnenburg und Anna-Elisabeth von Treuenfels, beide FDP)

Die Stadtteilschule hat nämlich keine 200-jährige Tradition wie vielleicht das Gymnasium und auch keine 90-jährige Tradition wie die Grundschule, sondern sie ist eine Erfindung dieses Parlaments.

(Dora Heyenn)

Deswegen müssen wir genau abwägen, welche Entscheidung wir treffen. Es gilt, insbesondere darauf zu schauen, wie es sich mit dem Wechsel zwischen den Schulformen verhält. Natürlich haben wir häufig Schülerinnen und Schüler, die das Gymnasium wählen und feststellen, dass sie dort überfordert sind. Deswegen könnte man impulsiv zunächst einmal denken, je mehr es die Möglichkeit für diese Schülerinnen und Schüler gibt, das Gymnasium zu verlassen, um an der Stadtteilschule ein Jahr länger Zeit zu haben, desto besser. Aber, und da gebe ich Frau Heyenn völlig recht, ein solches System hat Nachteile für die Stadtteilschule. Das würde nämlich bedeuten, dass sich zunächst einmal alle am Gymnasium anmelden und die Stadtteilschule quasi auf diejenigen wartet, die dann scheitern, und sie eine Art Auffangbecken wird. Genau diese Abwägung gilt es zu treffen bei den beiden Wechselmöglichkeiten, die es nach Klasse 6 und nach Klasse 10 gibt.

Ich habe übrigens nicht, Frau von Berg, eine neue Ausbildungs- und Prüfungsordnung gebildet nach dem Motto, die alte gefiel mir nicht mehr, sondern es gab leider keine, weil die wunderbare Vorgängerregierung das mal so eben vergessen hatte. Als ich diese Ausbildungs- und Prüfungsordnung ersetzen musste, ging es erst einmal um diese Abwägungsfrage. Es ist in der Tat abzuwägen, ob ein solcher Wechsel nach Klasse 10 vielen Schülern nützt. Es nützt nämlich den Schülern, die in der zweijährigen Oberstufe des Gymnasiums deutlich überfordert sind, nicht, und zwar nicht, weil es das Gymnasium ist, sondern weil es nur zwei Jahre Oberstufe sind. Sie haben an einer Stadtteilschuloberstufe mit drei Jahren bis zum Abitur wesentlich bessere Chancen, weil sie dort 30 Wochenstunden im Jahr mehr haben und dadurch zu einem guten Abitur kommen können, einem Abitur, da haben Sie recht, das absolut gleichwertig ist gegenüber dem des Gymnasiums. Aber ein solcher Übergang birgt auch das Risiko, dass auf diese Art und Weise viele Schülerinnen und Schüler vielleicht auf die Idee kommen, sich erst einmal am Gymnasium anzumelden. Genau deshalb ist Anfang letzten Jahres die Entscheidung so getroffen worden.

In der Zwischenzeit – und ich sage ganz offen, ich bin nicht resistent gegenüber neuen Fakten – sind einige Dinge als Erkenntnis dazugekommen. Ich will daran erinnern, dass die KESS-11-Studie vorgestellt worden ist. Eine meiner Vorrednerinnen, ich glaube, es war Frau von Treuenfels, hat diese Studie erwähnt. In dieser Studie wurde deutlich, dass es zwar nur ein kleiner Teil der Gymnasiasten ist, aber es sind Gymnasiasten, die bei ihrem Wissensstand und ihren Möglichkeiten Chancen haben, in drei Jahren das Abitur zu machen, aber kaum Chancen, dies in zwei Jahren zu schaffen.

Es ist auch deutlich geworden, dass es sich nicht um eine welterschütternde Zahl handelt. Es geht um 60 bis 100 Schülerinnen und Schüler, und das

von 6000, die insgesamt übergehen. Da kann man schon darüber nachdenken, ob hier nicht das einzelne Schicksal schwerer wiegt als die mögliche, systematische oder grundsätzliche Auswirkung auf das Ganze. Und bei einer solchen Relation von 60 bis 100 Schülerinnen und Schülern zu 6000 halte ich es für richtig, dem Wohl und den Chancen der Schülerinnen und Schüler den Vorzug zu geben. Genau das ist der Grund, warum wir eine in der Tat bestehende Regelung ändern.

Ich bin ein bisschen verwundert, dass das die Opposition so ärgert. Ich sage ganz offen, Herr Heinemann, es ist mir aufgefallen, dass unter Schwarz-Grün Fehler nicht geändert wurden und neue Erkenntnisse keine Rolle gespielt haben. Aber gestatten Sie uns ein Stück weit Lernfähigkeit, wenn wir neue Erkenntnisse haben. Wenn es wissenschaftliche Studien gibt, dann darf auch ein Senator sagen, dass es unter diesen neuen Aspekten vernünftig ist, die Dinge so zu ändern.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der FDP)

Und wenn Frau von Berg fragt, wo denn hier der Kurs sei, dann antworte ich, dass der Kurs relativ einfach und klar ist und dass er meine Schulpolitik auch weiterhin prägen wird. Das, was Schülerinnen und Schülern nützt und ihnen Chancen eröffnet, aber auch das, was unser Schulsystem in Gänze stärkt, machen wir. Und wenn es neue wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, dann werden wir nicht müde, auch Dinge dazuzulernen und etwas zu ändern.

An dieser Stelle will ich nicht auf die Albernheiten eingehen, wer das nun zuerst gemerkt hat und wer es zu spät geändert hat. Ehrlicherweise wissen Sie das so wenig wie alle anderen. Und wer glaubt, dass im "Hamburger Abendblatt" immer die Wahrheit steht und sich ausschließlich darauf beruft,

(Heiterkeit bei Anja Hajduk GRÜNE)

der hat es vielleicht nicht immer ganz leicht. Wir haben da alle unsere Erfahrungen gesammelt.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte zum Schluss Ihre Frage nach dem Kurs beantworten. Vernünftigen Argumenten, wenn es um das Wohl der Schülerinnen und Schüler geht, werden wir uns auch in Zukunft nicht verweigern. Genau das ist unser Kurs. Es mag sein, dass das den einen oder anderen stört, aber die Schülerinnen und Schüler in Hamburg wird es freuen, und darauf kommt es an. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.

(Senator Ties Rabe)

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 20/5852 in der Neufassung an den Schulausschuss zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist das Überweisungsbegehren abgelehnt.

Dann lasse ich in der Sache abstimmen.

Wer möchte den Antrag der FDP-Fraktion aus Drucksache 20/5852 in der Neufassung annehmen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag mit großer Mehrheit angenommen.

Ich rufe nun den Punkt 40 auf, Drucksache 20/5785, Antrag der Fraktion DIE LINKE: Hamburg muss die tarifliche Bezahlung in Einrichtungen bei Trägern und für soziale wie kulturelle Projekte vollständig refinanzieren.

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Hamburg muss die tarifliche Bezahlung in Einrichtungen, bei Trägern und für soziale wie kulturelle Projekte vollständig refinanzieren – Drs 20/5785 –]

Wer wünscht hierzu das Wort? – Frau Artus.

Meine Damen und Herren! Bevor die Rednerin jetzt ans Pult tritt, würde ich Sie sehr bitten, Ihre Gespräche einzustellen und, falls Sie weitersprechen möchten, nach draußen zu gehen. Das gilt auch für den netten Klüngelclub hinten rechts in der Ecke. – Frau Artus, Sie haben jetzt das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Unser Antrag soll die tarifliche Bezahlung und damit die Qualität der sozialen und kulturellen Infrastruktur Hamburgs sicherstellen. Die Nichtweitergabe der Tariferhöhungen wäre eine der folgenschwersten Entscheidungen, die die Bürgerschaft treffen könnte. Daher fordere ich alle Abgeordneten auf, unseren Antrag zu unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es sind nicht nur ein paar kleine Prozentpunkte, die nicht weitergegeben werden sollen. Und folgen Sie bitte nicht der Argumentation, die da lautet, der SPD-Senat kürze doch gar nicht, er erhöhe nur die Zuwendungen nicht. Das ist eine Verdrehung der Tatsachen, und deswegen ist die Aufregung und Sorge vor Ort sehr, sehr groß.

Die Weigerung des Senats, in den nächsten Jahren die Tarifsteigerung zu übernehmen, ist vielmehr ein Angriff auf die Gehälter, auf den Tarifvertrag und damit auch auf die Gewerkschaften. Sie leitet eine Spirale der Lohndrückerei und der Tarifflucht ein. Das Schlimme daran ist, dass sie im Sinne der Schuldenbremse noch bis mindestens 2020 fortgesetzt werden soll.

Es drohen massive Unterfinanzierungen im kulturellen wie auch im sozialen Sektor für alle tarifgebundenen Träger und Einrichtungen. Die Folgen werden Arbeitsverdichtung und Stellenstreichungen sein, ebenso wie Fachkräfteschwund, Wegbrechen der Angebote sowie sozialer Standards und eine Verschlechterung von Betreuungssituationen. Schon jetzt sind viele hauptamtliche Stellen nur in Teilzeit besetzt, aber es wird immer öfter wie in Vollzeit gearbeitet. Auch das Ende für einzelne Projekte und nachfolgend die Schließung von Einrichtungen werden erwartet.

Träger und Einrichtungen, die ihre Beschäftigten tariflich entlohnen, riskieren eine immense Liquiditätslücke, da sie nicht wissen, ob nachträglich Anträge bewilligt werden. Die Folge wird der Ausstieg aus dem Tarifvertrag sein, sehr geehrte Herren und Damen,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sicherlich nicht!)

und das dürfen wir nicht zulassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Senat erwartet von den Zuwendungsempfängern, dass sie die Kosten für die Tarifsteigerungen selbst erwirtschaften, ebenso für steigende Mieten, Energiekosten, Sachmittel, Fahrpreise und so weiter. Er erwartet das, wohlwissend, dass die überwältigende Mehrheit unter den Zuwendungsempfängern kaum Möglichkeiten hat, Einnahmen zu erzielen.

Konkret bedeutet das beispielsweise bei einer eher niedrigen Annahme von 3,5 Prozent jährlicher Steigerung der Lohnkosten und circa 2 Prozent Steigerung der Sachkosten, dass der gesamten Hamburger Suchthilfe bereits im Jahr 2013 580 000 Euro fehlen würden. Bis 2020 käme ein Fehlbetrag von über 21 Millionen Euro zustande. Das bedeutet, dass der Anteil der ausfinanzierten Stellen von heute 301 auf 219 bis zum Jahr 2020 sinken würde, und das ist fast ein Drittel der Stellen.

Erwartet der Senat eigentlich auch, dass die Anzahl der Süchtigen um ein Drittel zurückgeht? Der Bericht der BADO – die Kollegin Schmitt hat ihn heute schon angesprochen – zeigt eher das Gegenteil. Was sind das nur für Wahnsinnsplanungen, hat das denn bei Ihnen niemand einmal durchgerechnet? Das ist mir überhaupt nicht klar.

Auch die seit Jahren sehr institutionelle Förderung von Stadtteilkultureinrichtungen reicht schon jetzt meist nicht aus, um Gehälter, Mieten und fixe Betriebskosten abzudecken. Der Dachverband Stadtkultur e.V. hat ausgerechnet, dass bei einer geschätzten Tariferhöhung von moderaten 3 Prozent rund 180 000 Euro höhere Personalkosten auf die Einrichtungen zukommen werden.

Für die Kitas konnte die Refinanzierung der Tarifsteigerung für dieses Jahr noch erhandelt werden. Für die nächsten Jahre ist das aber offen. Die Kin

(Vizepräsidentin Dr. Eva Gümbel)