Protocol of the Session on February 28, 2013

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Meine Damen und Herren! Ich schlage vor, dass wir mit unserer Sitzung beginnen.

Die Sitzung ist eröffnet, und wir setzen die

Aktuelle Stunde

von gestern fort. Wir beginnen mit dem zweiten Thema, das gestern wegen Zeitablaufs nicht mehr behandelt werden konnte. Es wurde von der Fraktion DIE LINKE angemeldet und lautet:

Hamburg wächst – doch die Portmonees der Menschen bleiben klamm: Beschäftigte im öffentlichen Dienst, bei Neupack, am Flughafen und im Einzelhandel wehren sich!

Dann rufe ich die erste Rednerin auf. – Frau Artus, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Hamburg wächst, das ist eine Tatsache, auch wenn diese oft als Werbe- slogan und damit sehr einseitig benutzt wird. Wachstum bedeutet nicht nur, dass alle mehr haben, sondern auch, dass viele immer weniger haben. So wächst der Niedriglohnsektor, und die Einkommen aus abhängiger Arbeit sinken. Sie sind heute niedriger als im Jahr 2000, und das bedeutet zunehmend prekäre Lebenslagen und Armut im Alter. Daher haben die derzeitigen Streiks, die in Hamburg und anderswo stattfinden, eine große Bedeutung. Wo es keine oder nur schlechte Tarifverträge gibt, sind Löhne und Gehälter auch dort niedrig, wo Tarifverträge nicht direkt gelten. Tarifverträge sichern Transparenz. Wo kein Tarifvertrag gilt, kann der Preiskampf angeheizt und die Konkurrenz unter Druck gesetzt werden. Das nennt sich ruinöser Wettbewerb. Wenn Arbeitgeber und Arbeitgeberverbände den Abschluss vernünftiger Tarifverträge hinauszögern oder sogar verhindern wollen, dann ist das ein Eingriff in alle Einkommen aus abhängiger Arbeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Das führt zu einem Bedeutungsverlust von Arbeit und Arbeitsergebnissen. Es findet eine Entwertung von Arbeit statt.

Ich ahne schon, was mir gleich vorgeworfen wird: Das sei Tarifautonomie, damit habe sich das Landesparlament nicht zu beschäftigen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ich aber sage Ihnen: Was die gesetzgebende Gewalt in den letzten Jahren alles verschlimmbessert hat, hat nachhaltig in die Tarifautonomie eingegriffen,

(Beifall bei der LINKEN)

und zwar vor allem die Privatisierung von öffentlichem Eigentum, die Möglichkeiten von Betriebsaufspaltung, die Aufweichungen für den Einsatz von Leiharbeit und die Ausweitung von befristeten Verträgen.

(Finn-Ole Ritter FDP: Was ist die Alternati- ve?)

Es muss sich niemand wundern, wenn die Beschäftigten der Fluggastkontrollen streiken. Die Privatisierung der Sicherheitsdienste und die Stagnation der Löhne haben dazu geführt, dass zum letzten Mittel gegriffen wurde, dem Streik. Wer jetzt die Kolleginnen und Kollegen beschimpft, ist sich dieses Sachverhalts nicht bewusst oder blendet diese Tatsache völlig aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht um einen Stundenlohn von 14,50 Euro. Das wären, ausgehend von einer 38-Stunden-Woche, gerade einmal 2400 Euro, die die Sicherheitskräfte dann an den Flughäfen verdienen würden. Das ist keine utopische Forderung, wie Arbeitgeberpräsident Hundt tönt, sondern ein Einkommen, von dem man leben, aber auch nur bescheiden leben kann. Das ist immer noch weniger, als die Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft im Monat als Diät erhalten.

Wir sehen anhand des Neupack-Streiks, wohin die derzeitige Gesetzeslage führt. Dadurch, dass Leihkräfte auf bestreikten Arbeitsplätzen eingesetzt werden können und befristete Einstellungen möglich sind, wird die Auseinandersetzung völlig unnötig in die Länge gezogen. Das vereinbarte Koalitionsrecht wird mit den Füßen getreten, weil ein Unternehmer keine Gewerkschaften mag. Darum geht es aber nicht. Ein Unternehmer hat sich seiner Verantwortung zu stellen, und dafür genießt er in diesem Land große Freiheiten. Die Aushöhlung des Tarifsystems wird massiv genutzt, und die Gesetzeslage wird ausgenutzt und missbraucht.

(Finn-Ole Ritter FDP: Woran sehen Sie das eigentlich? Am Flughafen, oder?)

Wir sehen das im Einzelhandel. Die Arbeitgeber haben dort die Tarifverträge gekündigt. Sie wollen aber nicht etwa ihren Leuten endlich mehr Geld zahlen oder ihnen die nötige Wertschätzung entgegenbringen, nein, sie nennen das "alte Tarifzöpfe abschneiden". Wer abschneiden will, der will kürzen. Es geht hier also klar darum, sich den Bedingungen von Amazon anzunähern.

(Olaf Ohlsen CDU: Gruner + Jahr sind nicht anders!)

Die Folgen sind für die Betroffenen und die Volkswirtschaft inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Das gilt auch für die Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst. Der Senat hat sich aus dem Fenster gehängt und die Lohngestaltung bereits per Haushaltsplan festgelegt, und zwar ohne Tarifverhandlungen. Mehr als 1,5 Prozent dürfen es nicht sein, sonst würde noch mehr Personal als die angekündigten 250 Stellen abgebaut werden. Dem öffentlichen Dienst geht es aber nicht gut. Die Krankenstände sprechen Bände, und auch der Urlaubsanspruch soll der Schuldenbremse zum Opfer fallen. Dazu muss sich die Bürgerschaft verhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer als Parlament glaubwürdig sein will, muss den öffentlichen Dienst stärken und darf ihn nicht schwächen. Die Bürgerschaft trägt Verantwortung. Sie setzt Signale, die für die Stimmung in der Stadt wichtig sind. Sie darf daher nicht stillschweigend hinnehmen, wenn Wachstum und wachsende Stadt einseitig und zulasten der arbeitenden Bevölkerung stattfinden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich rufe Sie alle auf, sich solidarisch mit den Menschen zu zeigen, die sich für bessere Einkommen einsetzen und den Mut aufbringen, dafür zu streiken. Sie verdienen unser aller Respekt und keine Beschimpfungen und Missachtungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat nun Herr Rose.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Artus, DIE LINKE beklagt, dass Hamburg wächst, während die Portemonnaies der Menschen klamm bleiben. Darauf antworten wir Ihnen als regierende SPD: Wir werden ab dem kommenden Jahr die Kernbetreuung der Kinder in den Kitas für die Eltern kostenfrei machen. Das ist eine erhebliche finanzielle Entlastung gerade für diejenigen, die es brauchen.

(Beifall bei der SPD)

Außerdem haben wir die kostenfreie Nachhilfe an den Schulen eingeführt, die Studiengebühren abgeschafft, eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, um den Anstieg der Mietkosten zu dämpfen, und demnächst werden wir das neue Mindestlohn- und Vergabegesetz in Hamburg verabschieden. Damit werden wir Mindestlöhne und Tariftreue für den gesamten Bereich der öffentlichen Wirtschaft und Auftragsvergabe durchsetzen. Das sind einige wichtige Beispiele für einen Politikwechsel zu mehr sozialer Gerechtigkeit in unserer Stadt.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt ein paar grundsätzliche und ein paar konkrete Bemerkungen zu den aktuellen Arbeitskämpfen. Das Streikrecht ist ein Grundrecht, und das ergibt sich nicht nur aus unserer Verfassung, sondern ist auch in der Europäischen Sozialcharta verankert. Für uns Sozialdemokraten ist das Streikrecht darüber hinaus auch ein demokratisches Menschenrecht, das in den letzten 150 Jahren von der Arbeiterbewegung erkämpft wurde und das wir immer wieder verteidigen werden, wenn es bedroht ist.

(Beifall bei der SPD)

Das gilt auch in Hamburg für den mittlerweile viermonatigen Streik bei Neupack. Wir mischen uns nicht in Tarifverhandlungen ein, aber wir fordern als SPD-Fraktion die Familienunternehmer von Neupack unmissverständlich auf, ihre Haltung und ihre grundsätzliche Ablehnung jeglicher Unterschrift unter einen Tarifvertrag endlich zu beenden, um zu den in Hamburg so gern hochgehaltenen Grundsätzen eines ehrbaren Kaufmanns zurückzukehren.

(Beifall bei der SPD)

Für ebenso inakzeptabel halte ich die Äußerungen des Geschäftsführers am Hamburger Flughafen im "Hamburger Abendblatt". Ich meine nicht seine Klage über die persönlichen und wirtschaftlichen Belastungen seiner Beschäftigten und seines Unternehmens – das gehört zu seinen Aufgaben –, sondern ich meine die einseitigen Schuldzuweisungen an die Gewerkschaften und vor allem seine Forderung nach Einschränkung des Streikrechts durch höhere Hürden in bestimmten Wirtschaftsbereichen. Das halte ich für eine deutliche Grenzüberschreitung, und eine öffentliche Korrektur wäre angebracht.

(Beifall bei der SPD)

Das zweite Grundrecht in diesem Zusammenhang ist die Tarifautonomie. Sie bedeutet, dass Parlament und Regierung zwar die Aufgabe haben, die politischen Rahmenbedingungen für eine gerechte und produktive Arbeitswelt zu gestalten, sich aus den konkreten Tarifverhandlungen aber herauszuhalten. Dabei ist die aktuelle Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst natürlich ein Sonderfall, denn hier ist der Staat als Arbeitgeber im Spiel. Trotzdem gilt, dass der Tarifkampf der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in unserem Sozial- und Rechtsstaat eine demokratische Normalität ist. Für uns als SPD ist es selbstverständlich, dass die Beschäftigten im öffentlichen Dienst ein Recht auf faire Löhne, gerechte Teilhabe und die Geltung von geschlossenen Tarifverträgen im öffentlichen Sektor besitzen. Das steht für keinen Beschäftigten zur Disposition. Da aber die Schuldenbremse in den Verfassungen die Ausgabensteigerung deckelt, bleiben zwei Wege, mit Tarifsteigerungen oberhalb des Finanzrahmens umzugehen: Einnahmensteigerung oder Ausgabenkürzung. Wir wollen

(Kersten Artus)

als SPD die strukturelle Unterfinanzierung des öffentlichen Haushalts durch eine gerechte Steuerreform beseitigen.

(Beifall bei der SPD)

Bis eine neue Bundesregierung unter Peer Steinbrück das durchgesetzt hat,

(Finn-Ole Ritter FDP: Und die erste Aus- landsreise nach Italien!)

bleibt in Hamburg neben einem besseren Steuervollzug nur der Weg von konsequenter Aufgabenkritik unter Ausgleich von besonderen Härten. Während DIE LINKE diese Herausforderung zwar benennt, aber nicht realisiert, ist das Verhalten von CDU, FDP und teilweise auch den GRÜNEN allerdings völlig unglaubwürdig und zum Teil auch scheinheilig.

(Beifall bei der SPD – Dietrich Wersich CDU: Das sind doch olle Kamellen!)

In allen Politikbereichen Ausgabensteigerungen zu fordern und gleichzeitig die Schuldenbremse bereits für 2015 oder 2013 umsetzen zu wollen, das ist Populismus pur und hat mit verantwortlicher Opposition nichts zu tun.