Protokoll der Sitzung vom 29.05.2013

Jahren sagen, dass alles Mist ist, was wir hier machen.

(Beifall bei der CDU)

Es war aber eben auch ein Ergebnis der EnqueteKommission, dass die Überfrachtung der Stadtteilschule mit der Inklusion diese neue Schulform wahrscheinlich überfordern würde, und genau das erleben wir gerade. An manchen Stadtteilschulen führt die Einführung der Inklusion nach dem Konzept, das der Senat sich überlegt hat, dazu, dass eine Überforderung entsteht und der Kollaps droht. Bei diesem System müssen Sie nachsteuern, Herr Rabe, das wird so keinen Erfolg haben. Sie gefährden Inklusion und Stadtteilschulen gleichermaßen.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt andere Probleme, ich will nur zwei nennen. So geht es zum Beispiel auch um die Frage, ob dieses System der Schulaufsicht, das eingeführt wurde und ausschließlich regional organisiert ist, wirklich geeignet ist, um bei einer Neueinführung eines gesamten Schulsystems zu guten Ergebnissen zu kommen. Darüber müssen wir, ehrlich gesagt, neu nachdenken. Wir brauchen eine stärkere Konzentration der Schulaufsicht auf die einzelnen Schulformen, damit hier wirklich mehr Unterstützung und Beratung stattfinden kann.

(Beifall bei der CDU)

Zudem ist die Sache mit dem individualisierten Lernen und der Kompetenzorientierung aus meiner Sicht ein bisschen zu sehr überzogen worden: individualisiertes Lernen ja, natürlich als Grundhaltung gegenüber jedem einzelnen Schüler. Aber da, wo es um die Frage der richtigen Abwägung zwischen Fachwissen einerseits und Techniken andererseits geht, ist das Pendel zu sehr ausgeschlagen, da muss gegengesteuert werden. Auch hier bitten wir Sie, Herr Senator, die Schulen stärker zu unterstützen, was die Entwicklung von Curricula angeht.

Schließlich will ich das Thema äußere Differenzierung ansprechen. Die Attraktivität der Stadtteilschule auch für leistungsstarke Schüler muss – Frau von Treuenfels, da haben Sie recht – natürlich gestärkt werden, und dazu gehört mehr äußere Differenzierung. Da nützen auch keine ideologischen Scheuklappen, das müssen wir in Angriff nehmen. Wir müssen auch an eine bessere Berufsorientierung heran, aber darüber sprechen wir heute Abend zu späterer Stunde noch einmal gemeinsam in der Sache. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Frau Dr. von Berg.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch wenn CDU und SPD verneinen, dass es eine Schulstrukturdebatte

in dieser Stadt gibt, so können wir die Ohren nicht davor verschließen. Wir haben leider eine neue Schulstrukturdebatte in dieser Stadt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diese Debatte kommt nicht von ungefähr, denn wir hätten nicht eine Elterninitiative wie diese Initiative pro G9, wenn wir starke Stadtteilschulen hätten. Immer wieder haben wir darauf hingewiesen, dass Stadtteilschulen ernsthaft zu stärken sind. Immer wieder haben Schulleitungen eingefordert, ihre Schulen ernsthaft zu unterstützen. Alle diese Warnungen hat Senator Rabe in den Wind geschlagen. Die Stadtteilschulen sind im Regen stehen gelassen worden, und die Pressemitteilungen, die dazu geschrieben wurden, sind nichts weiter als reine Lippenbekenntnisse. Die Versuche, die zur Stärkung der Stadtteilschulen unternommen wurden, offenbaren, dass der Senator bei der Steuerung überhaupt keinen Kompass hat. Wir fordern dringend ein, dass der Stadtteilschule wieder eine Richtung gegeben wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Carl-Ed- gar Jarchow FDP)

Sie haben einen historischen Fehler gemacht, Herr Senator Rabe, Sie haben nämlich das Grundsatzreferat abgeschafft; ich habe es Ihnen schon ein paar Mal gesagt. Das wäre ein Thinktank gewesen, um der Stadtteilschule tatsächlich einen Kompass zu geben.

(Dirk Kienscherf SPD: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Die eilige Einrichtung der Arbeitsgruppe ist nichts anderes als ein Reparaturbetrieb. Und so haben wir in den vergangenen zweieinhalb Jahren erlebt, dass die Politik des Senators in Bezug auf die Stadtteilschulen ohne Richtung, ohne Ziel und ohne Kompass war.

Die Liste der Versäumnisse ist lang: die völlige Untersteuerung und Unterversorgung der Inklusion, die Streichung von 92 Stellen für die Berufsorientierung, eine Verunsicherung von Eltern, Lehrkräften und Schülerinnen bei der immer wieder neu sortierten Berufsorientierung und bei den Bildungsplänen, die Abschaffung des besonderen Anmeldeverfahrens, die Abschaffung des zweiten Lernentwicklungsgesprächs. Immer wieder hat man in den Eindruck: Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln.

Wir fordern den Senator nachdrücklich auf, die Alarmsignale ernst zu nehmen und eine echte Unterstützung der Stadtteilschule vorzunehmen. Und wenn hier gesagt wird, wir würden die Stadtteilschule schlechtreden, dann möchte ich Ihnen noch einmal die Realität vor Augen führen, wie sie sich in der Neubewertung der Sozialindizes offenbart. Ich habe mir das gestern noch einmal in Ruhe angeschaut. Es ist eine erdrutschartige Veränderung

(Karin Prien)

zwischen den Stadtteilschulen und den Gymnasien festzustellen. Drei Viertel der Gymnasien sind mittlerweile in den höchsten KESS-Indizes 5 und 6 angesiedelt, während fast die Hälfte der Stadtteilschulen in den niedrigsten KESS-Indizes 1 und 2 angesiedelt ist. Hier offenbart sich die soziale Spaltung dieser Stadt in den beiden Schulformen, und das ist die Auswirkung der Schulpolitik der letzten zweieinhalb Jahre.

(Beifall bei den GRÜNEN und der FDP – Ju- liane Timmermann SPD: Ach, das ist doch ein Witz, Frau von Berg!)

Wir fordern, dass Sie endlich Ihre Hartleibigkeit und Ihre Beratungsresistenz aufgeben. Wir fordern, dass Stadtteilschulen ernsthaft gestärkt werden. Wir als Oppositionsfraktionen haben immer wieder Vorschläge dazu gemacht und auch, das Portemonnaie aufzumachen. Wir fordern im Zuge der Schulstrukturdebatte, die in dieser Stadt ausgebrochen ist, G8 endlich zu verbessern.

Wir wollen auf jeden Fall Schulstrukturreformen vermeiden; dazu stehen wir als GRÜNE. Vielleicht wäre eine Idee, einmal zu überlegen, ob man ein paar Ausnahmen zulassen könnte, vielleicht fünf Schulen, um auszuprobieren, welche Auswirkung G9 auf die Schulstruktur hätte, welche Auswirkung es auf die Kosten und die ganze Umstrukturierung hätte. Senator Rabe, Sie werden mit Sicherheit gleich in die Bütt gehen. Ich habe gehört, dass Sie in Ihrer Behörde schon G9 vorbereiten und würde gerne von Ihnen wissen, ob das stimmt. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der FDP)

Frau Heyenn hat jetzt das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Als ich den Titel des Themas, das die FDP-Fraktion für die Aktuelle Stunde angemeldet hat, gelesen habe, habe ich gegrübelt, was sie damit wohl schon wieder meinen. Nachdem ich Sie gehört habe, Frau von Treuenfels, muss ich Ihnen sagen, dass Ihr Einsatz für die Stadtteilschule absolut scheinheilig ist. Wovor Sie Angst haben – das haben Sie deutlich gesagt –, ist ein Gymnasium für alle, ein Abitur für alle. Sie reden von vernachlässigten Stadtteilschulen. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Stadtteilschulen vernachlässigt werden, ich glaube, sie werden über Gebühr belastet und ständig überfordert, sowohl von Lehrerseite als auch von Eltern- und von Schülerseite.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein Beispiel dafür ist die Inklusion. Im Grunde wissen alle in diesem Hause, dass weit über 95 Prozent der Inklusion von den Stadtteilschulen geleistet werden muss. Das können die Stadtteilschulen

überhaupt nicht leisten, vor allen Dingen nicht bei dieser Ausstattung. Leider wurde unserem Antrag während der Haushaltsdebatte nicht gefolgt, in Klassen mit Kindern, die eine besondere pädagogische Betreuung brauchen, eine Doppelbesetzung einzuführen. Auch was den Schulbau anbetrifft, GBS und die Mittagessensituation sind die Stadtteilschulen sehr stark belastet und überfordert und insbesondere auch die Berufsorientierung.

Eines kann man dem Senator nicht vorwerfen, dass er nichts tut. Er tut eine ganze Menge, nur tut er aus unserer Sicht leider häufig auch das Falsche. Da ist zum Beispiel die Berufsorientierung. Der SPD-Senat will ein verbindliches Konzept einführen. Der Grund dafür sind die verheerenden Zahlen der Schulabgängerbefragung, nach der nur 17 Prozent der Schulabgänger und Schulabgängerinnen nach der Klasse 10 einen betrieblichen Ausbildungsplatz bekommen. Damit kann man nicht zufrieden sein und die Frage ist, was man dagegen tut. Wir haben in einer Anfrage nachgefragt, und der SPD-Senat behauptet allen Ernstes, dass er glaubt, durch mehr Berufsorientierung mehr Jugendliche in Ausbildung zu bringen. Wir glauben, es fehlen einfach Ausbildungsplätze. Es gibt für die These, durch mehr Berufsorientierung auch mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, keine belastbaren Zahlen.

Ohnehin läuft in der Berufsorientierung, die ein guter Ansatz ist, einiges schief. Da ist zum Beispiel die starre Kooperation von Stadtteilschulen mit ganz bestimmten Berufsschulen. Teilweise demotiviert das die Jugendlichen eher, als dass es sie motiviert. Wenn zum Beispiel im AV Dual alle ehemaligen Schülerinnen und Schüler einer bestimmten Stadtteilschule, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, in eine ganz bestimmte Berufsschule gehen müssen, zum Beispiel in die G19, die Berufsschule für Bau mit dem Schwerpunkt Metallund Holzarbeiten, dann ist das durchaus problematisch, wenn diese Jugendlichen eigentlich beispielsweise Interesse am Gesundheitswesen haben. Dann schalten diese Jugendlichen ab, denn das ist demotivierend. Und dann wird die Quote, die Sie immer einfordern von AV Dual, dass möglichst viele der Jugendlichen eine berufliche Ausbildung bekommen sollen, immer niedriger. Daran muss gearbeitet werden.

Ganz schlimm ist, wenn in den Berufsschulen jetzt auch noch bewährte Werkstätten geschlossen werden sollen. Ich war gerade in der G19, da gibt es eine Holzwerkstatt und eine Metallwerkstatt, und alleine die Ausstattung hat einen Wert von 300 000 bis 500 000 Euro. Die pädagogische Arbeit, die dort geleistet wird, ist überhaupt nicht hoch genug einzuschätzen, gerade bei Jugendlichen, die nur sehr schwer einen Zugang zum Lernen finden. Das zu schließen, halten wir auch für einen völlig falschen Weg.

(Dr. Stefanie von Berg)

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vom Grundsatz her tun Sie, Frau Prien, der Stadtteilschule überhaupt keinen Gefallen, wenn Sie darauf hinweisen, dass die zwei Säulen deswegen geschaffen wurden, damit die Hauptschulen und Realschulen eine bessere Perspektive haben. Ich habe das Zwei-Säulen-Modell immer so verstanden, dass zwei gleichberechtigte Schulformen zum Abitur führen. Man kann die Stadtteilschule nicht auf Haupt- und Realschüler reduzieren; das ist falsch.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Wir fordern, dass Berufsorientierung nicht nur an Stadtteilschulen stattfindet. Wir fordern, dass Berufsorientierung und Studienorientierung sowohl an Stadtteilschulen als auch an Gymnasien stattfindet. Auch die Inklusion hat an beiden Schulen, an Gymnasien und Stadtteilschulen, stattzufinden. Nur so stärken wir die Stadtteilschule und nicht, indem wir sie über Gebühr belasten und sie mit Aufgaben befrachten, die sie gar nicht leisten kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat nun Herr Senator Rabe.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! An prominenter Stelle – das Publikum ist da, alle Abgeordneten sind da – reden wir im ersten Debattenbeitrag über die wichtigste Schulreform der letzten fünf Jahre. Ich habe natürlich damit gerechnet, dass alle sagen, was nicht klappt. Das ist auch wichtig und gehört zu den Aufgaben des Parlaments. Ich habe aber auch damit gerechnet, dass Sie uns sagen, was wir denn nun besser machen sollen.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Unsere Vorschlä- ge haben Sie abgelehnt! – Dietrich Wersich CDU: Das haben wir gemacht; Sie müssen es nur lesen!)

Hier will ich ausdrücklich der CDU danken. Die Vorschläge sind nicht unsere, aber es war wenigstens der Versuch, auch über Lösungen zu sprechen. Ich würde mir wünschen, dass die anderen Fraktionen auch einmal Lösungen vorlegen würden und nicht ständig nur auf das hinweisen, was nicht klappt. Das gehört auch zu einer guten Schulpolitik dazu.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir Lösungen suchen, dann müssen wir zunächst einmal fragen, welche Rolle die Stadtteilschule im Hamburger Schulsystem hat. Hier höre ich immer wieder von Herrn Scheuerl und der CDU, dass es eigentlich eine Haupt- und Realschule sei. Ich finde diese Einschätzung falsch; das ist nicht unser Leitbild für die Stadtteilschule.

Für uns ist die Stadtteilschule eine Schule, die ein klares Versprechen gibt. Das Versprechen lautet: Lieber Schüler, liebe Schülerin, du kannst mehr als du denkst, du kannst mehr als dir die Eltern und vielleicht die Lehrer zutrauen. Streng dich an, gib dir Mühe, wir fördern dich. Die Stadtteilschule ist damit keine Sandkiste, kein Jugendzentrum und keine therapeutische Anstalt. Sie setzt auf Leistung, auf Bildung, auf mehr Lernzeit und gute Pädagogik. Sie ist ein Versprechen, durch mehr Bildung voranzukommen. Das ist unser Leitbild für die Stadtteilschule.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben sechs Maßnahmen auf den Weg gebracht, um dieses Leitbild zu erreichen.

Erstens: Wir setzen bei der Stadtteilschule auf sehr gute Bildungsabschlüsse. Das ist der Hauptschulabschluss, der Realschulabschluss, aber es ist auch das Abitur. Wir wissen, dass nicht jeder das Abitur schaffen kann, aber es können mehr, als wir heute glauben. Erinnern wir uns: Zu meiner Zeit waren es gerade 20 Prozent der Schulabgänger. Selbst im Bundesdurchschnitt ist mittlerweile die Zahl deutlich angestiegen. Das zeigt, was hier möglich ist. Deswegen wollen wir Stadtteilschulen, die das Abitur anbieten, und dafür tun wir viel. Wir geben an die Stadtteilschulen eben nicht nur Haupt- und Realschullehrer, sondern auch Gymnasiallehrer, und wir bauen dort in einem rasenden Tempo Oberstufen auf. Darf ich daran erinnern, dass jetzt gerade an zwölf Hamburger Stadtteilschulen das erste Mal in der Schulgeschichte das Abitur abgenommen wird. Wenn diese Legislaturperiode beendet ist, dann werden 18 neue Stadtteilschulen mit eigenen Oberstufen die Möglichkeit zum Abitur bieten. Das ist der erste wichtige Baustein, um wirklich auf Bildung, auf Qualität und auf Anspruch zu setzen. Diese Maßnahme gibt der Stadtteilschule eine klare Perspektive.

(Beifall bei der SPD)