Protokoll der Sitzung vom 28.08.2013

Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns gemeinsam im Schulausschuss, wie Herr Czech es vorgeschlagen hat, sachlich und ohne Zorn und Eifer dieses Thema erörtern. Die Hamburger Eltern erwarten das von uns. Auch wir haben viele Zuschriften und viel Zustimmung zu unserem Antrag bekommen. Ich denke, es ist eine wichtige und auch lohnenswerte Aufgabe, dieses Thema gemeinsam und sachlich anzugehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Frau Dr. von Berg, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die FDP schüttet mit ihrem Antrag das Kind mit dem Bade aus.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Das haben wir auch vor!)

Das finden wir politisch höchst fragwürdig. Als vor etwa 15 Jahren der Fibel-Unterricht in vielen Schulen in Bausch und Bogen abgeschafft wurde, war das genauso falsch, wie jetzt die Methode "Lesen durch Schreiben" zu verteufeln oder gar verbieten zu wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich warne vor medienwirksamen Schnellschüssen und ich warne vor ideologischer Meinungsmache.

(Finn-Ole Ritter FDP: Das machen die GRÜ- NEN ja nie!)

Keine Schule in Hamburg unterrichtet mehr rein nach der Methode "Lesen durch Schreiben". Das ist einfach Fakt. Die herbeigeredete Rechtschreibkatastrophe beinhaltet doch geradezu eine Reichweitenillusion von Schule und ihrer Methodik. Gerade beim Lesen und Schreiben kommt es doch auf viel mehr an als nur auf Schule und die Methode, mit der es gelernt wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

(Karin Prien)

Beim Lesen und Schreiben kommt es auf die Familie an, es kommt auf den Medienkonsum an, es kommt auf die Freunde an, es kommt auf die Gesellschaft an und auf das gesamte Umfeld. Wir wissen doch alle, wie viel wir mit Lesen und Schreiben zu tun haben. Wenn es tatsächlich allein an der Methode "Lesen durch Schreiben" liegen würde, dann frage ich mich, wieso die Anzahl der funktionalen Analphabeten bei Erwachsenen, die noch den reinen Fibel-Unterricht genossen haben, derart hoch ist. Das müssen wir uns alle ernsthaft fragen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Thomas Kreuz- mann CDU: Der Vergleich hinkt doch!)

Abgesehen von den Umfeldfaktoren kommt es, das sagen alle, besonders auf den Lehrer an. Das hatten wir schon mehrfach.

(Robert Bläsing FDP: Oder auf die Lehrerin!)

Oder auf die Lehrerin, auf die kommt es natürlich auch an. Vielen Dank, Herr Bläsing.

Es kommt also auf die Lehrkraft an, und dann sind wir wieder bei der Lehrerbildung. Hier können wir den Senat in die Verantwortung nehmen. Der Senator hat die politische Verantwortung für eine Lehrerbildung, die gewährleistet, dass Kinder in der Schule, zumindest soweit es die Schule leisten kann, lesen und schreiben lernen, wie natürlich auch alle anderen Dinge, die zum Leben dazugehören. Wir finden es aber grundsätzlich falsch, eine Methode zu verbieten. Was ich an dem FDPAntrag politisch interessant finde – und hier komme ich wieder auf die kürzlich im Schulausschuss stattgefundene Diskussion zurück –, ist das Verständnis von selbstverantworteter Schule. Frau von Treuenfels hat das zwar selbst gerade genannt, aber ich frage mich, ob Schulen noch nicht einmal mehr in ihrem Kerngeschäft, das ist Didaktik und Methodik, selbst entscheiden dürfen. Das finde ich politisch mindestens spannend; ich persönlich lehne es deutlich ab. Das hat mit einer selbstverantworteten Schule nichts zu tun. Wir halten diesen Antrag für derart absurd, dass wir ihm nicht nur nicht zustimmen werden, sondern auch die Überweisung ablehnen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN – Finn-Ole Ritter FDP: Das hatten wir auch so erwartet!)

Allerdings ist es richtig, wie die CDU beantragt, sich im Ausschuss darüber zu beraten. Letztendlich ist das eine pädagogische Fachberatung, und dafür braucht man Zeit und Expertinnen und Experten, um tatsächlich zu einem Urteil darüber zu kommen, ob es der richtige Weg ist, eine Methode per Parlamentsbeschluss zu verbieten. Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Heyenn, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch wir von der LINKEN sind der Auffassung, dass alle Kinder und alle Jugendlichen

(Finn-Ole Ritter FDP: Gleich seien!)

richtig schreiben lernen sollen, dass alle gern schreiben sollen und dass in der Schulzeit keinerlei Schreibhemmnisse aufgebaut werden sollen. Deshalb wird DIE LINKE dem CDU-Antrag zustimmen, auch wenn wir mit vielen Teilen der Begründung nicht übereinstimmen.

Den FDP-Antrag lehnen wir ab. Wir sind der Auffassung, dass die Schulen selbst entscheiden müssen. Sie müssen auch selbst darüber entscheiden, ob Diktate geschrieben werden oder nicht. Es ist nämlich ein Märchen, dass in Hamburg Diktate verboten sind.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Über dieses pädagogische Ziel, dass alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland richtig schreiben lernen, gibt es mit uns keinen Dissens. Die Frage ist aber, um welchen Preis dieses Ziel erreicht werden soll. Die FDP will zurück in die Fünfziger- und Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts, als man mit einer Fibel stur Rechtschreibung und Schönschrift dressierte. Bei mir hat das ein Lehrer ein Jahr lang versucht. Mit der Schönschrift hat es nicht funktioniert, es war zwecklos.

(Finn-Ole Ritter FDP: Und heute sind Sie Lehrerin!)

Und heute bin ich Abgeordnete in Hamburg, das ist doch wunderbar.

Selbst die Ergebnisse der Fünfziger- und Sechzigerjahre zeigen – Frau von Berg hat auf die vielen funktionalen Analphabeten, die wir leider Gottes haben, hingewiesen –, dass sehr viele Kinder und Jugendliche damals durchs Raster gefallen sind, nicht richtig lesen und schreiben konnten, wahrscheinlich auch, weil sie sich dem Zwang instinktiv widersetzt haben.

In den Achtzigerjahren wurden neue Methoden entwickelt wie das "Lesen durch Schreiben" und der Spracherfahrungsansatz. Professor Brügelmann hat es im "Spiegel" wie folgt skizziert – ich zitiere –:

"Eine Grundidee ist, dass die Kinder eingeladen werden, über das zu schreiben, was sie interessiert. […] Um die Rechtschreibung geht es in der Anfangsphase nicht. […] Es geht vor allem um selbstständiges Lesen und Schreiben."

(Dr. Stefanie von Berg)

Dabei kommt aber die Rechtschreibung nicht, wie man glauben könnte, zu kurz. Die Lehrkraft übersetzt beispielsweise die Texte der Kinder in Erwachsenenschrift, und es werden Modellwörter im Unterricht auf vielfältige Weise thematisiert. Vielleicht sollten Sie einmal einen Unterricht besuchen.

Beim freien Rechtschreiblernen schneiden die Kinder in Bezug auf Rechtschreibung – das muss man zugeben – zunächst schlechter ab, aber ab Klasse 4 gibt es kaum noch Unterschiede. Man sollte sich mit der Literatur beschäftigen. Dies hat auch Peter May vom Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung bestätigt. Warum soll man also nicht eine Methode bevorzugen, die auf mehr freies Lernen und Selbstständigkeit setzt. Allerdings gibt es bei der Methode – das ist schon angesprochen worden – des Spracherfahrungsansatzes beziehungsweise des "Lesens durch Schreibens" Probleme; auch darauf weist Peter May hin – ich zitiere –:

"Methoden, die die Kinder stärker an die Hand nehmen, führen bei Schülern, die zu Hause wenig Unterstützung bekommen, zu besseren Ergebnissen. […] In Wellingsbüttel oder Blankenese gibt es Klassen, in denen Sie diese Methode ohne Probleme einsetzen können. In Wilhelmsburg oder Ost-Rahlstedt hingegen, in Klassen mit hohem Migrantenanteil, wäre sie vollkommen unangemessen."

(Beifall bei Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP)

Dieses sollte man unbedingt berücksichtigen. DIE LINKE unterstützt im Wesentlichen den Antrag der CDU, auch wenn wir Ihren kulturpessimistischen Grundansatz nicht teilen. Wir sind auch dafür, dass das Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung mit einer Untersuchung beauftragt wird, die die verschiedenen Methoden des Rechtschreiberwerbs evaluiert. Unseres Erachtens sollte dabei aber unbedingt das Ausmaß des Schreibens im Unterricht einbezogen werden. Dieser Aspekt wurde heute noch gar nicht berücksichtigt. Unsere Schülerinnen und Schüler werden heute tagtäglich mit Arbeitszetteln zugeschüttet oder sie werden an den Computer gesetzt. Die allerwenigsten Schülerinnen und Schüler schreiben, und das muss anders werden. Das in der Untersuchung stark zu berücksichtigen, wäre ebenfalls eine Aufgabe für das Institut.

(Beifall bei der LINKEN – Finn-Ole Ritter FDP: Zurück in die Sechziger!)

Wenn wir auf diese Weise vorgehen, können wir vielleicht alle dazu beitragen, dass diese LeseSchreib-Schwächen in Zukunft minimiert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun hat Senator Rabe das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass in diesem Hause Einigkeit darüber besteht, uns mit dem Thema Rechtschreibung im Schulausschuss zu beschäftigen. Es ist in der Tat wichtig, dass wir uns darüber einig sind, dass die Schule den Erwerb von Lesen und Schreiben in jedem Fall sicherstellen muss, ob es heute Rechtschreibprogramme gibt oder nicht. Lesen, Rechnen, Schreiben sind Grundfertigkeiten, die für die Teilhabe in unserer Gesellschaft, für die Berufsausbildung, für das Leben insgesamt fundamental wichtig sind. Fakt bleibt, dass richtig schreiben in unserer Gesellschaft überlebenswichtig ist, ob in einer E-Mail oder Postkarte, bei Ebay oder im Bewerbungsschreiben, in einem Protokoll oder in einer PowerPoint-Präsentation. Es ist gut, wenn wir gemeinsam sagen, dass wir neben den Schulen die Verantwortung haben, das sicherzustellen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist richtig, dass offensichtlich in den Neunzigerjahren die Rechtschreibleistung bundesweit gesunken ist. Dafür mögen viele Ursachen ausschlaggebend gewesen sein. Es werden verschiedene damals aufgekommene Methoden angeführt, die vielleicht nicht alle zielgenau waren. Wir sollten aber auch ehrlich sein und uns an die zahllosen Debatten darüber erinnern, was Schule sonst noch alles leisten muss. Sie soll das soziale Miteinander fördern, über Hygiene aufklären, Astronomie, Informatik – alles muss noch mit hinein. Wir sollten ehrlich gegenüber uns, aber auch gegenüber der Gesellschaft sein: 25 Stunden Unterricht sind 25 Stunden Unterricht. Deswegen geht es bei dieser Debatte natürlich auch um eine Schwerpunktsetzung. Ich finde es richtig, wenn wir uns nun in der Tat dem Thema Rechtschreibung widmen. Wir müssen dann aber auch bereit sein, nicht zu glauben, man könne mit ein paar methodischen Kniffen plötzlich alle zu Genies machen. Es gehört auf jeden Fall Lernzeit und Übungszeit dazu.

Wir sollten allerdings auch nicht die Augen davor verschließen, dass Hamburg nachweislich in den Zweitausenderjahren diesen Abwärtstrend immerhin gestoppt hat. Diese Leistung darf man nicht klein reden, denn in den vergangenen Jahren hat sich unsere Schulwelt doch erheblich verändert. Es gibt an den Schulen sehr viele Kinder, deren Eltern zumindest ursprünglich nicht deutsch sprechen. Dass es unter diesen Rahmenbedingungen trotzdem gelingt, die Leistung zu halten, ist immerhin schon etwas, auch wenn uns das allein nicht befriedigen kann. Ich glaube in der Tat auch, dass die Rechtschreibung bei Kindern und Jugendlichen besser werden muss. Wir sollten diese Debatte aber mit Sorgfalt führen, und da möchte ich mich

(Dora Heyenn)

bei Frau von Berg und Frau Prien bedanken. Die Darstellung ist aber verkehrt, dass die Rechtschreibleistung erstens eine durchgängige Katastrophe ist, es zweitens an einer Methode liegt und drittens dieser Senator das schon lange hätte heilen können. Seien wir ehrlich miteinander. Selbstverständlich stehe ich in der Verantwortung und wir werden entsprechende Maßnahmen ergreifen, aber hier handelt es sich – das wissen wir alle – um eine langfristige pädagogische Entwicklung, an der 19 000 Lehrerinnen und Lehrer und 165 000 Schülerinnen und Schüler beteiligt sind. Das will mit Sorgfalt erörtert werden. Deswegen warne ich auch davor, einseitig eine Methode zu verteufeln. Ich habe selbst vier Jahre unterrichtet und sage Ihnen offen: Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Lehrer eine Methode lupenrein anwenden. Auch die Schulbücher sind keineswegs lupenrein auf eine Methode ausgerichtet. Man macht vielfältige Anleihen. Davon mögen einige ungeeignet sein und es mag sich lohnen, damit nicht weiterzumachen und lieber etwas anderes zu tun. Mit schnellen Verboten sollten wir aber vorsichtig sein, gerade bei der Methodik. Ich erinnere mich noch gut – ich glaube, ich habe es im Schulausschuss einmal erzählt –, als ich zum Gymnasium kam. Damals hieß es, Mathematik ist jetzt Mengenlehre. Ich habe immer noch meine verblüfften Eltern vor Augen, wie sie mit orangefarbenen Kreisen und grünen Dreiecken an unserem Esstisch saßen, mich staunend ansahen und sagten: So lernt man also heute Mathematik. Sie wussten nicht recht, ob das gut oder schlecht ist. In der Zwischenzeit ist meine Frau Mathematiklehrerin geworden, meine Tochter will es noch werden, und ich habe von der Mengenlehre seitdem kaum noch etwas gehört. Damals aber sagten alle, dass nur das ginge. Ich finde diesen Methodenradikalismus gefährlich. Wir sollten sorgfältig schauen, was passt und was nicht passt. Deswegen brauchen wir aus meiner Sicht die Zeit für Expertenanhörungen.

Die Reichen-Methode fand ich übrigens deshalb auf Anhieb unsympathisch, weil sie offensichtlich das Defizit hat, begleitende Eltern zu brauchen. Man kann viel darüber reden, wie Schule funktioniert, aber ein Teil der Ungerechtigkeit des bundesdeutschen Schulsystems liegt darin, dass es offensichtlich in vielen Bereichen nur durch Mithilfe der Eltern funktioniert und nicht alle Schülerinnen und Schüler in Sachen Eltern gleich ausgestattet sind.

(Beifall bei der SPD)