Protokoll der Sitzung vom 23.10.2013

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie von den GRÜNEN in Ihrem Antrag unter drittens auch die Ressourcenfrage geprüft haben möchten und Erfahrungen, die insbesondere aus Brandenburg bestehen, einbezogen werden sollen, dann können wir Ihrem Antrag zustimmen. Sollte das nicht der Fall sein und sollte dies quasi haushaltsneutral funktionieren, dann werden wir uns bei Ihrem Antrag enthalten. Vielleicht können Sie uns da noch ein Zeichen geben.

Im Übrigen bleibt Bildungsgerechtigkeit eine ständige Aufgabe und Humanismus ein wesentliches Element des Bildungssystems und unseres Gesellschaftssystems. An die Adresse von Bürgermeister Scholz sage ich in diesem Sinne: Eine politische Lösung für die Lampedusa-Flüchtlinge ist möglich, Sie müssen es nur wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Frau von Berg. – Im Übrigen ist es entschieden zu laut.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Heyenn, ich antworte gern auf Ihre Frage. Ja, dieser Antrag soll haushaltsneutral umgesetzt werden. Wir haben bei den Hamburger Schulen geschaut, die das bereits umsetzen – das Hamburger Schulgesetz lässt diese Möglichkeit nämlich schon zu –, und festgestellt, dass diese Schulen die Fortbildungsmittel genutzt haben, die das Landesinstitut zur Verfügung stellt, und die das im Rahmen der Fortbildungsverpflichtung, die jede Lehrkraft ohnehin in Hamburg hat, ausgenutzt haben. Sie haben sich darauf konzentriert, auf diesem Gebiet die Fortbildungen zu intensivieren, und dafür andere Dinge an den Rand gestellt. Von daher soll es ressourcenund haushaltsneutral umgesetzt werden. Dementsprechend werden Sie sich wahrscheinlich enthalten.

Aber ich möchte vor allen Dingen bildungspolitisch etwas sagen. Dass hier schon wieder der Schulfrieden angeführt wird in so einer Debatte, finde ich bildungspolitisch und überhaupt politisch für diese Stadt wirklich beschädigend, denn Schulfrieden bedeutet nicht Stillstand.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und dass Herr Czech sich zum Sprachrohr von "Wir wollen lernen" macht, finde ich geradezu beängstigend. Herr Czech, Sie haben offensichtlich unseren Antrag nicht gelesen. Sie rekurrieren nur auf die benachteiligten Stadtteile. Wir jedoch ge

(Dora Heyenn)

hen quer durch die Stadt, oder glauben Sie im Ernst, dass die Kinder nur an 23 Schulen Rückstände haben? Gehen Sie doch mal in die Klassen, gehen Sie auch in KESS-5- und KESS-6-Gebiete und hören Sie sich dort um. In jeder Schule, in jeder Klasse und in jedem sozialen Gebiet in Hamburg gibt es Kinder, die Lernrückstände haben. Hier nur auf die 23 Schulen abzuzielen ist kurzsichtig, und das ist für die Kinder, die mit diesen Rückständen ankommen, wirklich nachteilig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt eingehen. Frau Prien sagte, wir würden die Eltern verprellen. Haben Sie eigentlich mitbekommen, dass die Elternkammer diesen Antrag vehement unterstützt? Was glauben Sie denn, was die Elternkammer in Hamburg bedeutet, so etwas wie eine Schießbude vielleicht? Die Elternkammer repräsentiert die Eltern in dieser Stadt. Und die Eltern wollen diese Flexibilisierung der Grundschulzeit.

Ihre Lösungsmöglichkeiten sind die frühkindliche Bildung. Dagegen lehnen wir uns überhaupt nicht auf. Aber frühkindliche Bildung gegen die Schule auszuspielen, funktioniert nicht. Wenn Sie immer sagen, wir müssten mehr in die frühkindliche Bildung investieren – dies geht vor allem an die Adresse der CDU und der FDP –, wollen Sie dann jetzt eine Kita-Pflicht einführen? Das finde ich eine sehr interessante Frage, und wir GRÜNE werden uns gern damit beschäftigen, wenn Sie sagen, alle müssten in die Kita. Dann müssten wir auch nicht mehr auf die Grundschulzeit eingehen. Das finde ich eine spannende Frage.

(Glocke)

Frau von Berg, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche, aber es ist immer noch deutlich zu laut.

Ich fordere Sie alle auf, unseren Antrag noch einmal zu lesen. In unserem Antrag und auch in meinem ersten Debattenbeitrag habe ich deutlich gesagt, dass wir Freiwilligkeit wollen und Vorbereitungszeit in Form von Fortbildung. Uns erneut zu unterstellen, wir wollten jetzt wieder allen etwas aufoktroyieren, ist einfach falsch – Antrag nicht gelesen. Wir sollten vielleicht an der Lesekompetenz noch einmal arbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort bekommt Frau Prien.

Liebe Frau von Berg, ich unterstelle Ihnen, dass es Ihnen wirklich darum geht, die Ausgangsvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern in der Grundschule zu verbessern. Ich

habe weder einen pawlowschen noch einen ideologischen Reflex. Lassen Sie das doch umgekehrt auch einmal sein. Das bringt niemanden weiter.

(Beifall bei der CDU)

Schulfrieden heißt natürlich nicht Stillstand. Schulfrieden heißt, den Schülerinnen und Schülern, den Lehrerinnen und Lehrern, den Schulleitungen und den Eltern in Hamburg endlich Raum und Zeit dafür zu geben, die vielen Reformen, die wir zum Teil gemeinsam auf den Weg gebracht haben, auch wirklich umzusetzen. Wir haben ein neues Schulgesetz; wir haben das individualisierte Lernen im Schulgesetz verankert. Das ist ein sehr wichtiges Instrument, um diese Disparitäten zu beseitigen. Wir haben einen gemeinsamen Auftrag im Bereich der vorschulischen Bildung, wir haben die Möglichkeit für jahrgangsübergreifendes Lernen. Nun lassen Sie die Schulen das doch einfach einmal machen, bevor Sie schon wieder losgehen und – ich habe es schon einmal gesagt – die nächste Sau durchs Dorf treiben. In diesem Sinne: Schulfrieden ja, Stillstand nein. Lassen Sie uns gemeinsam die bereits vorhandenen Instrumente nutzen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen mehr. Dann können wir zur Abstimmung kommen.

Wer einer Überweisung der Drucksache 20/9576 an den Schulausschuss zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist das Überweisungsbegehren abgelehnt.

Dann lasse ich in der Sache abstimmen. Die FDPFraktion hat dazu ziffernweise Abstimmung beantragt.

Wer die Ziffern 1 und 2 des Antrags der GRÜNEN Fraktion annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit Mehrheit abgelehnt.

Wer sich nun den Ziffern 3 und 4 anschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Auch die Ziffern 3 und 4 sind mit Mehrheit abgelehnt.

Bevor wir zu Punkt 55 kommen, bin ich Ihnen noch ein Wahlergebnis schuldig, das der Deputierten der Behörde für Inneres und Sport.

Abgegeben worden sind 111 Stimmen, alle waren gültig. Auf Frau Lucas entfielen 104 Ja-Stimmen, drei Nein-Stimmen und vier Enthaltungen. Damit ist sie gewählt.

Wir kommen zum Punkt 55, Drucksache 20/9545,

(Dr. Stefanie von Berg)

Antrag der FDP-Fraktion: Schulbildung für junge Flüchtlinge verbessern – VJM- und BVJM-Klassen reformieren.

[Antrag der FDP-Fraktion: Schulbildung für junge Flüchtlinge verbessern – VJM- und BVJM-Klassen reformieren – Drs 20/9545 –]

Diese Drucksache möchte die CDU-Fraktion an den Schulausschuss überweisen.

Wird das Wort gewünscht? – Herr Ritter.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wer vorhin Herrn Senator Scheele sehr genau zugehört hat – er tut das gerade selbst nicht –, der weiß, dass pro Tag acht minderjährige unbegleitete Flüchtlinge nach Hamburg kommen.

(Vizepräsidentin Dr. Eva Gümbel übernimmt den Vorsitz.)

Rund 80 Prozent von ihnen sind im Alter zwischen 15 und 17 Jahren, und sie werden – auch das sagte Senator Scheele – aller Voraussicht nach hier bleiben. Seit Monaten gibt es immer mehr Flüchtlinge in Hamburg, darunter viele unbegleitete minderjährige Jugendliche, die einen weiten und gefährlichen Weg nach Deutschland hinter sich haben. Wir reden also über 15- bis 17-Jährige, die auf sich allein gestellt in einer fremden Stadt sind. Mittlerweile sind es mehrere Hundert Jugendliche, die betreut, untergebracht und beschult werden müssen.

"Minderjährige Flüchtlinge in Not" titelte eine Hamburger Zeitung Anfang Oktober. Die Not ist mittlerweile so groß, dass in Bergedorf Container aufgestellt werden müssen und in Langenhorn die Jugendlichen in einer Turnhalle schlafen, denn in der Erstaufnahme sind schlicht und einfach keine Plätze für Jugendliche mehr frei. Diese Not ist jedoch nicht plötzlich entstanden, wie man vielleicht meint. Im Gegenteil, es war eine Entwicklung mit Ansage, auf die sich die zuständigen Behörden dennoch nur unzureichend vorbereitet haben. Seit 2007 ist die Zahl der jugendlichen Flüchtlinge von 20 auf mehr als 600 pro Jahr gestiegen, nicht sprunghaft, sondern stetig wachsend. In meinen zahlreichen Schriftlichen Kleinen Anfragen habe ich immer wieder nach dem aktuellen Stand gefragt. In der ersten Veröffentlichung zu diesem Thema beruft sich die Behörde auf meine Schriftliche Kleine Anfrage als Quelle. Das zeigt doch, dass dem Thema nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

(Beifall bei der FDP)

Wie sieht die Realität aus? Herr Abaci, Sie dürfen gleich etwas dazu sagen, ich bin sehr gespannt auf Ihren Beitrag. Es gibt Angebote der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in dieser Stadt, die sich

mittlerweile ausschließlich mit diesen Jugendlichen beschäftigen und sich um sie kümmern. Mitarbeiter berichten vor allem, dass die Jugendlichen zu wenig Unterstützung erhalten, um ihren Alltag in Hamburg bewältigen zu können. Ein Jugendhaus kann das aber meiner Meinung nach kaum auffangen. Als jugendpolitischer Sprecher meiner Fraktion habe ich nicht nur mit Sozialpädagogen vor Ort gesprochen, sondern mich auch intensiv mit Lehrern, die sie unterrichten sollen, ausgetauscht. Die berichten Ähnliches, Herr Abaci. Die Jugendlichen brauchen mehr Unterstützung für den Schulbesuch, und Lehrer können diese dringend notwendige Unterstützung kaum leisten. Die Jugendlichen besuchen sogenannte VJM- und BVJM-Klassen an beruflichen Schulen, sogenannte Vorbereitungsklassen für Migranten. In der Theorie funktioniert das System Schulbesuch sehr gut. Die Jugendlichen sollen dort Deutsch lernen, und sie werden auf ihren Berufseinstieg vorbereitet. In der Praxis meistern die beruflichen Schulen das aber mehr schlecht als recht. Laut eigener Rückmeldung fühlen sich die Lehrer unzureichend auf den Umgang mit diesen Jugendlichen vorbereitet, die oftmals über traumatische Erfahrungen klagen. Mangelnde Sprachkenntnisse sind jedoch das größte Problem; in vielen Fällen ist der Unterricht kaum möglich. Nur 16 Prozent der Schülerinnen und Schüler schaffen überhaupt den ersten allgemeinen Schulabschluss. Theoretisch ist der Übergang in Beschäftigung natürlich auch ohne Abschluss möglich. Wir wissen aber wahrscheinlich alle, wie das in der Realität aussieht. Vielleicht ist auch genau dies der Grund, warum der Senat nicht einmal weiß, was die Jugendlichen machen, nachdem sie die beruflichen Schulen verlassen haben. Auch das geht aus einer meiner unendlich vielen Schriftlichen Kleinen Anfragen zu diesem Thema hervor.

Die wichtigsten Maßnahmen sind nun – das fordern wir auch in unserem Antrag – die Vermittlung von Sprachkenntnissen durch qualifizierte Lehrkräfte, die Unterstützung durch Sozialpädagogen, die Begleitung beim Übergang in den Beruf beziehungsweise in die Ausbildung oder in andere schulische Maßnahmen. Großer Zweifel besteht bei mir, dass die Beschulung in der jetzigen Form an den beruflichen Schulen überhaupt zielführend ist. Eine Verlagerung an private Einrichtungen könnte für eine Verbesserung der Lage sorgen. Diese Möglichkeit wird zum Teil schon für den sprachlichen Anfangsunterricht genutzt, Frau Goetsch, und könnte ausgebaut werden. Wir haben das deshalb als Prüfauftrag an den Senat formuliert.

In der Zwischenzeit muss aber sichergestellt werden, dass die Betreuung und Beschulung in den Klassen besser funktioniert. Wir haben das Thema schon einmal im Schulausschuss debattiert. Das Fazit der Kollegen von der SPD lautete damals, sie könnten nicht erkennen, in welchem Bereich zu

(Vizepräsidentin Barbara Duden)

sätzlich zu den bereits bestehenden Maßnahmen weiterer Handlungsbedarf bestünde. Ein Jahr später hat sich die Situation aber weder verbessert noch hat sie sich überhaupt verändert. Die meisten dieser Jugendlichen werden wohl in Hamburg bleiben, darüber sind wir uns einig. Sie brauchen also eine Perspektive. Eine Perspektive haben sie aber nur, wenn sie ausreichende Deutschkenntnisse besitzen und eine vernünftige schulische Bildung bekommen. Das leisten die BJVM- und VJM-Klassen zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht. Eine Verbesserung ist dringend erforderlich. Deshalb: Unterstützen Sie unseren Antrag.

(Beifall bei der FDP)

Herr Abaci, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte mich in dieser Debatte aufs schulische und berufliche Thema konzentrieren, nicht auf das Thema Unterbringung. Darüber haben wir in der Aktuellen Stunde schon gesprochen. Ich freue mich aber sehr, dass auch die FDP ein Herz für die Flüchtlinge hat; das ist schon einmal eine gute Basis.