Der Brief von Herrn Dr. Bartnitzky, Frau Dr. Brinkmann, Herrn Dr. Brügelmann und Frau Dr. HüttisGraff endet mit dem Satz:
Dann hat Frau Prien gesagt, sie möchte, dass einiges in den Anordnungen und Dienstanweisungen im Bildungsplan geändert wird. Sie haben wörtlich gesagt, Sie möchten auch, dass wir das als Abgeordnete kontrollieren können. Sie haben eine Menge Vorschläge gemacht, und ich hätte gern gewusst, warum Sie folgenden Satz streichen wollen:
"Damit fordert der Unterricht die Schülerinnen und Schüler heraus, ihr anfänglich meist an der Artikulation orientiertes Schreiben zunehmend der Norm anzunähern."
"die Grundschulen darauf hinzuweisen, dass da, wo es nötig ist, die Umstellung der Leselernmethodik ein Fortbildungsschwerpunkt
sein muss, und sie gegebenenfalls zu beraten bei der Wahl eines neuen, zeitgemäßen Lernbuches für den Deutschunterricht."
"zu prüfen, ob in der Vorschule und im letzten Kita-Jahr bereits stärker die phonologische Kompetenz der Kinder geschult werden sollte und welche Fortbildungsmaßnahmen im Rahmen der Ausbildung der Erzieher und Vorschullehrer dafür gegebenenfalls notwendig wären."
Wurde das Betreuungsgeld nicht von SchwarzGrün eingeführt? Und hat nicht Schwarz-Grün gesagt, dass nicht alle Kinder in die Kita und Vorschule müssen? Warum nehmen Sie die Lehrer nicht mit hinein, sodass sie auch die phonologische Kompetenz ihrer Kinder prüfen?
Ihre Anträge gehen voll an der Realität vorbei. Und wie Frau Dr. von Berg schon gesagt hat, letztes Jahrhundert ist noch geschmeichelt, das ist vorletztes Jahrhundert. Wir lehnen das ab.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat zeigt eine Reihe von Tests an den Schulen, dass die Rechtschreibung in Deutschland insgesamt in den Achtziger- und Neunzigerjahren unter die Räder gekommen ist. Viele Vergleichsarbeiten machen das deutlich. Ein Umdenken hat allerdings schon vor längerer Zeit eingesetzt. Die Vergleichsarbeiten zeigen nämlich auch, dass es in den Zweitausenderjahren kein weiteres Absinken der Rechtschreibleistung gegeben hat, obwohl sich die Schülerschaft in dieser Zeit deutlich verändert hat und immer mehr Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Elternhäusern stammen, wo es schwer ist, die Rechtschreibleistung zu stabilisieren. Hier kann man erkennen, dass Handlungsbedarf besteht. Wir können aber auch auf einer veränderten Wahrnehmung an den Schulen aufsetzen, die der Rechtschreibung Schritt für Schritt einen größeren Stellenwert einräumt.
Das wirft die Frage auf, wie wichtig Rechtschreibung wirklich ist. Ehrlicherweise gibt es viele Irritationen, und wir hören und lesen sehr Unterschiedliches. Am Anfang der Diskussion muss das klare Bekenntnis gesprochen werden: Ja, Rechtschreibung ist wichtig. Wir brauchen sie insbesondere, weil die Kommunikation zum Beispiel durch das In
ternet deutlich an Verschriftlichung zugenommen hat, aber nach wie vor auch in der Berufswelt. Deswegen sagen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, dass es Aufgabe der Schulen ist, für gute Rechtschreibung zu sorgen. Diese Aufgabe werden wir sehr ernst nehmen.
Denken wir daran, was passiert, wenn wir das nicht tun, denn dann kommt es, wie es bisher häufig gekommen ist. Eltern, die es können, helfen ihren Kindern bei der Vorbereitung und lernen mit ihnen gemeinsam, und die Kinder, die diese Unterstützung nicht haben, lernen kaum, richtig zu schreiben. Spätestens bei den Bewerbungsverfahren fallen sie in großer Zahl durch. Insofern ist hier ein wichtiger Beitrag zur Chancengleichheit zu leisten. Es kann nicht angehen, in einem für das spätere Leben so entscheidenden Bereich die Elternhäuser in die Pflicht zu nehmen. Wir wollen eine Schule, die Chancengleichheit schafft, und die Schule muss sich dieser Aufgabe stellen.
Die Frage ist jetzt, was wir tun. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir gemeinsam das tun sollten, was wirklich nützt. Deswegen haben wir als Schulbehörde dazu Maßnahmen vorgeschlagen. Sie sind hier, wenn auch etwas leise – das kann ich aus Sicht der Opposition verstehen –, für richtig gehalten worden, und zwar auch von der Opposition.
Diese Maßnahmen will ich kurz erläutern. Wir bekennen uns dazu, dass wir zum ersten Mal in Hamburg einen Kernwortschatz einführen wollen, der im Unterricht besondere Bedeutung hat. Frau von Berg, hier möchte ich insbesondere Sie ansprechen, da Sie das kritisch sehen. Ich kann die Gegenargumente verstehen, aber bedenken Sie auch, dass eine Lehrkraft solch einen Kernwortschatz ohnehin in jeder Stunde implizit anwendet. Er entsteht aber eher zufällig und häufig unreflektiert. Die Arbeitsmaterialien und bestimmte Schulbücher normieren einen solchen Kernwortschatz indirekt. Insofern gibt es ohnehin nicht die große Vielfalt, sondern viele einzelne unterschiedliche Kernwortschätze. Und dann ist es allemal sinnvoller, für alle Hamburger Schulen einen verbindlichen Kanon zu definieren und dies nicht dem Zufall der einzelnen Lehrkraft, des einzelnen Schulbuchs oder der einzelnen Unterrichtsmaterialien zu überlassen. Wir wollen mit dem Kernwortschatz von 800 Wörtern dazu beitragen, dass sich der Unterricht konzentrieren kann und die wichtigen Dinge in den Mittelpunkt gestellt werden.
Dazu zählt allerdings auch, dass überprüft wird, ob es gelingt, was dort gemacht wird, und an dieser Stelle habe ich von keiner Seite Klarheit bekommen. Die Schule ist gut beraten zu prüfen, ob es geklappt hat, wie weit die Schülerinnen und Schüler sind und wo sie noch Hilfe benötigen. Deswegen haben wir als zweite Maßnahme vorgeschlagen, dass in jedem Jahrgang künftig die "Hamburger Schreibprobe", ein bundesweit anerkannter Rechtschreibtest, angewendet und überprüft wird, damit Lehrkräfte und Kinder wissen, wo sie stehen und was sie noch zu tun haben.
Wenn es – drittens – um die Frage geht, was nützt, dann stimme ich meinem Vorredner Herrn Czech zu, der gesagt hat, dass es für Lehrkräfte am wichtigsten sei, dass sie ihren Unterricht mit einer konkreten Handreichung gestalten können. Diese Handreichung sollten wir nicht als überflüssiges Werk schlechtreden, sondern anerkennen, dass wir damit die Unterrichtspraxis am stärksten beeinflussen. Deswegen werden wir eine Handreichung erstellen, die insbesondere den Hamburger Bildungsplan noch einmal erklärt, aber auch den Grundwortschatz, verschiedene Lernmethoden und vieles andere in den Blick nimmt, was niemals in einem Lehr- oder Bildungsplan niedergeschrieben werden würde. Die Handreichung ist wesentlich präziser und geht über das hinaus, was ein Bildungsplan leisten kann. In ihr steht auch noch einmal, was man dem Bildungsplan eigentlich schon immer hätte entnehmen können, dass nämlich von Anfang an in Hamburg richtig geschrieben werden soll, dass das dazugehört und dass eine Methode, nach der zwei Jahre lang freihändig geschrieben wird und die ersten Wörter erst dann Schritt für Schritt angeschaut werden, bereits jetzt mit dem Hamburger Bildungsplan nicht vereinbar ist. Natürlich bleibt dann noch die Übersetzung, und deswegen gehören Fortbildungen und Gespräche mit den Fachleitungen ebenfalls dazu.
Diese vier Punkte – der Kernwortschatz, eine regelmäßige Schreibprobe, eine Handreichung und Fortbildungen – nützen etwas, weil sie die konkrete Unterrichtspraxis verändern. Das finden wir wichtig, und ich sage Ihnen klar, dass wir uns nicht verzetteln sollten. Ihre Forderung nach dem Motto "Irgendwas muss da doch noch fehlen, dann muss er jetzt noch den Bildungsplan verändern"
ist ein Punkt, der vielleicht Ihrer Überraschung geschuldet war, dass wir viele dieser Dinge bereits machen und auch gut machen.
Ich will die Frage mit dem Bildungsplan gern aufgreifen. Erst einmal ist von vier Experten dezidiert gesagt worden, dass man das alles machen kön
ne, den Bildungsplan dazu aber nicht zu verändern brauche. Aber ich will auch darauf hinweisen, was eine Veränderung des Bildungsplans bedeuten würde: ein langwieriges und umständliches Verfahren, in das die Schulen, die Lehrer, die Lehrer-, Eltern- und Schülerkammer und die Deputation eingebunden sind. Das kann man gern machen, das ist ein großartiges Verfahren, um sich mit einem virtuellen Thema selbst zu beschäftigen. Wir werden dabei aber Zeit verschwenden, wenn es wirklich darum geht, Unterricht zu verändern. Und deswegen sollten wir uns bei diesen Fragen nicht verzetteln. Ich fürchte weniger die FDP, wie Sie vermutet haben, sondern eine Energieverschwendung, die schließlich kein Ende mehr kennt. Sie wissen genau wie ich aus vielen Diskussionen, dass noch dies und das und jenes dazukommt, wenn wir erst einmal beim Lehrplan anfangen, und dann haben wir eine einjährige Diskussion. In diesem Jahr lernen die Schülerinnen und Schüler in Sachen Rechtschreibung dann wieder nichts. Deswegen möchte ich, dass wir bei den Dingen, die wichtig sind, handeln. Wir tun das was nützt, und damit sollten wir jetzt anfangen und uns nicht verzetteln. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Senator, wenn Sie handeln wollen, dann handeln Sie doch einfach. Erstellen Sie eine Handreichung und ändern Sie den Bildungsplan – das ist doch ganz einfach.
Das Argument, dass eine Änderung des Bildungsplans zu lange dauere und so lange nichts passiere, ist doch nur ein Scheinargument und überzeugt uns nicht. Was uns hingegen überzeugt, ist Ihr klares Bekenntnis zur Bedeutung der Rechtschreibung. Dieses habe ich bei Ihnen, Frau Heyenn, und vor allem bei Ihnen, Frau von Berg, heute sehr vermisst. Die Realität an den Schulen ist, dass Ihre Theorie dazu führt, dass wir ein unsoziales Lernen möglich machen. Durch Ihre Forderungen wird erst möglich gemacht, dass nur die Kinder aus bildungsnahen Schichten ordentlich Deutsch lernen und die aus bildungsfernen Schichten benachteiligt sind. Das ist eine unsoziale Politik, Frau von Berg, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das im Ergebnis richtig finden.
Folgendes finde ich wirklich ärgerlich. Sie haben den wunderbaren Vergleich zu den Chirurgen aufgestellt, den Chirurgen würden wir schließlich auch nicht vorschreiben, wie sie operieren sollen. Frau von Berg, Chirurgen müssen lege artis arbeiten,
sonst droht ihnen eine zivilrechtliche Haftung. Das ist bei den Lehrern Gott sei Dank anders, aber es kann doch auch nicht sein, dass an unseren Kindern herumexperimentiert wird, obwohl alle Sachverständigen gesagt haben, dass die reine Reichen-Methode heute nicht mehr lege artis sei. Das kann nicht richtig sein. – Vielen Dank.