Protokoll der Sitzung vom 26.03.2014

Ich möchte gerne noch ein wenig auf das eingehen, was ich bis jetzt gehört habe.

(Erster Vizepräsident Frank Schira über- nimmt den Vorsitz.)

Ich freue mich darüber, dass Jens Kerstan unsere Bedenken geteilt hat. Ich freue mich darüber, feststellen zu können, dass wir uns im Grundsatz einig sind – schön wäre es, wenn dieser Grundsatz auch weiter so vertreten würde –, dass eine Strukturreform eine ganz schwerwiegende Geschichte ist, die man nicht mal eben so umsetzen sollte oder könnte. Mit uns wird das nicht passieren.

Ich finde es, ehrlich gesagt, ziemlich interessant, was wir unter Schulfrieden verstehen. Die einen sagen, Schulfrieden heiße, man dürfe nichts verändern, die anderen sagen, Schulfrieden bedeute, den Initiatoren die Hand zu reichen und mit ihnen zu verhandeln, um dann gegen ihre eigene Position zu debattieren. Das finde ich hier so interessant und das höre ich bei der CDU heraus, die eigentlich zum Gymnasium steht und auch keine Strukturdebatte will, wie Frau Prien neulich ausgeführt hat, als wir das Thema zur Aktuellen Stunde angemeldet hatten. Wir haben damals gesagt, wir müssen das zweigliedrige System verbessern. Da hieß es von der SPD: Bitte redet die Stadtteilschulen nicht schlecht. Das haben wir nicht getan, sondern wir wollen sie verbessern. Welchen Grund hat denn diese Initiative überhaupt, mit ihren Forderungen auf uns zuzukommen? Das ist doch ganz klar, das brauchen wir auch gar nicht schönreden. Das liegt daran, dass es natürlich noch große Mängel gibt. Wir haben da irrsinnig viel zu tun. Wir dürfen uns nicht davor drücken und Angst vor Volksentscheiden haben, sondern müssen uns daran machen, dieses System zu verbessern innerhalb des Systems. Darauf kommt es wirklich an.

(Beifall bei der FDP)

Noch einmal zu den GRÜNEN, weil das eben so eine Vorlage war. Ich habe Sie gerade gelobt, muss aber dazu sagen, dass das, was Sie jetzt vertreten, keine so ganz alte Erkenntnis bei Ihnen ist, wenn man die letzte Schulreform, die Sie anstoßen wollten, bedenkt. Da war von Elternwahlrecht und dem Grundsatz, dass nichts von oben herunterdiktiert werden sollte, noch nicht viel zu bemerken. Ich freue mich, wenn Sie das jetzt anders sehen, und bitte Sie auch, dabei zu bleiben. Ich würde mich freuen, wenn wir alle bei unseren Haltungen bleiben würden, damit wir endlich das tun können, was wir tun wollen. Ich würde mich besonders freuen, wenn Schulsenator Rabe, der gerade verkündet hat, es gehe um die Qualität im Unterricht, sich nicht im Schneckentempo bewegen würde, sondern richtig Gas geben würde mit uns,

(Dirk Kienscherf SPD: Ohne Sie gibt er Gas!)

um das auch wirklich durchzusetzen, was er propagiert hat. Daran werden wir alle ihn messen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

(Dr. Stefanie von Berg)

Das Wort hat Frau Heyenn.

Jeder Erwachsene ist zur Schule gegangen,

(Finn-Ole Ritter FDP: Nee!)

aber nicht jeder weiß über das Zwei-Säulen-System wirklich Bescheid. Wenn heute die "Hamburger Morgenpost" fragt:

"Sind Sie dafür, das 'Turbo-Abi' nach 12 Jahren wieder abzuschaffen?",

(Finn-Ole Ritter FDP: Wie viele Leute sind denn befragt worden?)

dann wird vorausgesetzt, dass die, die gefragt werden, wissen, dass es zwei Wege zum Abitur gibt, an der Stadtteilschule nach 13 Jahren und am Gymnasium nach 12. Das vorauszusetzen ist falsch.

Ein zweiter Punkt. Wenn in der "Hamburger Morgenpost" gefragt wird

"Eltern und Experten bemängeln, dass Kinder und Jugendliche heute durch schulischen Druck zu stark belastet sind. Stimmen Sie zu?"

und 77 Prozent zustimmen, dann ist das kein Argument gegen G8. Auch viele Schülerinnen und Schüler in G9 haben zu viel Druck und fühlen sich zu stark belastet. Das sind einfach unzulässige Schlüsse, die hier gezogen werden.

(Beifall bei der LINKEN und bei Gerhard Lein SPD)

Es wäre schön, wenn sich einmal ein Medium dazu durchringen würde, eine Umfrage so zu stellen, dass die Leute, die antworten, auch wirklich wissen, worum es geht.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Wenn es um neue Schulstrukturen geht, dann kann man nicht, wie uns von der SPD zehn Minuten vor dieser Sitzung mitgeteilt wurde, die Schulkonferenzen der Gymnasien befragen, ob sie das wollen oder nicht. Das ist ein untaugliches Mittel. Das wäre genauso, als wenn wir damals alle Grundschulen aufgefordert hätten, in ihren Schulkonferenzen ein Votum für oder gegen die Primarschule herzustellen. Strukturänderungen im Schulsystem sind eine Frage der politischen Verantwortung, und davor können Sie sich in der SPD nicht einfach drücken, schon gar nicht mit Ihrer absoluten Mehrheit.

(Beifall bei der LINKEN und bei Carl-Edgar Jarchow, Anna-Elisabeth von Treuenfels, beide FDP, und Dr. Walter Scheuerl, frakti- onslos)

Da hilft es auch nichts, wenn Sie ausführen, dass Sie andere Interessierte und Beteiligte ebenfalls bitten wollen, ihre Meinung abzugeben. Sie haben das so nett geschrieben: Von der Oma bis zum Elternverein sollen alle sagen, was sie davon halten. Dann lassen Sie uns doch gleich ein Volksbegehren machen. Ich sage Ihnen ganz klipp und klar: Ein Volksbegehren ist kein Krieg.

(Beifall bei der LINKEN und bei Martina Kaesbach FDP – Ritter: Richtig!)

Was soll denn bei dieser Umfrage in den Schulkonferenzen der Gymnasien herauskommen? Man braucht kein Prophet zu sein, um jetzt schon vorauszusagen, dass kein einheitliches Ergebnis herauskommen wird. Aber Sie sind uns die Antwort noch schuldig, wie Sie damit umgehen wollen, wenn 20 Prozent dafür sind und 80 Prozent dagegen oder umgekehrt. Wenn ich den Senator eben richtig verstanden habe, dann will er auf gar keinen Fall, dass es ein Sowohl-als-auch an den Gymnasien gibt. Er will ein Entweder-oder, am liebsten ein Entweder.

(Finn-Ole Ritter FDP: Schwarz oder weiß!)

So habe ich ihn verstanden.

Ich finde, die SPD ist uns nach ihrer Presseerklärung, dass sie etwas mit der Initiative ausgemacht habe, die Information schuldig, wie sie eigentlich damit umgehen will. Wollen Sie eine dritte Schulform, ja oder nein? Und wenn Sie G9 wollen, dann müssen Sie uns bitte auch sagen, wie Sie sicherstellen wollen, dass die Stadtteilschule nicht weiter Schaden nimmt und die beiden Säulen auch wirklich gleichberechtigt ausgestattet sind, ob Sie wollen, dass die Inklusion weiterhin ausschließlich an der Stadtteilschule stattfindet und dass weiterhin über 20 Prozent eines Jahrgangs bis Klasse 10 auf die Stadtteilschule abgeschult werden. Das müssen Sie sagen, unter diesen Bedingungen geht das auf jeden Fall nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Herr Dr. Scheuerl.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch einmal eine Lanze für die Hamburgerinnen und Hamburger brechen.

(Jens Kerstan GRÜNE: Vielleicht auch et- was zum Thema!)

In dieser Debatte ist sehr viel davon die Rede gewesen, dass bei so einem Volksbegehren oder bei der Diskussion über G9 das Bauchgefühl dominieren würde; ich habe das Stichwort bestimmt fünfmal gehört. Sie alle wissen, wie sorgfältig im Volksgesetzgebungsverfahren und wie gründlich und lange und durch die Medien begleitet in einer Stadt

wie Hamburg diskutiert und debattiert wird. Wir sind ein Stadtstaat, wir haben kurze Wege. Jeder kann zu allen Veranstaltungen gehen. Das ist nicht wie in Baden-Württemberg oder Bayern, wo man auf wenige Angebote begrenzt ist. In Hamburg herrscht insofern der Idealzustand einer Informationsgesellschaft. Jeder kann sich überall informieren, und die Menschen in der Stadt entscheiden bei Volksbegehren und bei Volksentscheiden im Regelfall auch sehr informiert, die Mehrheit jedenfalls.

Bei der G9-Thematik muss man auch eines sehen: Unabhängig davon, ob man persönlich für G8 oder für G9 ist, ist es so, dass alle hier im Hause, aber auch alle außerhalb dieses Hauses, die sich für die eine oder andere Position engagieren, das Beste für unser Schulsystem und das Beste für die Schülerinnen und Schüler wollen. Es gibt immer mal den Unterschied zwischen der eigenen und der richtigen Meinung, aber das gibt es auf beiden Seiten.

Wenn Sie sich einmal bei den Lehrkräften an den Gymnasien umhören, dann werden Sie viele Oberstufenlehrer hören – deswegen finde ich die Idee sehr gut, die Schulkonferenzen zu befragen –, die ein bisschen wehmütig an die Zeit des G9 zurückdenken, an den vertieften Unterricht in ihren Leistungskursen mit schon herangereiften Sechzehn- und Siebzehnjährigen, die noch nicht kurz vor dem Abitur standen, wie es jetzt im G8 bei dieser Altersklasse der Fall ist. Wir können da auf die Stellungnahmen sehr gespannt sein.

Herr Senator Rabe, ich rege an, in dem Schreiben an die Schulen deutlich zu machen, dass auch unterschiedliche Voten abgegeben werden können, dass sich die Schüler also anders positionieren können als die Lehrer oder die Eltern, damit wir ein wirklich repräsentatives Bild bekommen. Herr Dressel, Sie nicken, das finde ich gut. Ich rege auch an, dass Sie zumindest die Elternräte in den Grundschulen und durchaus auch in den Kitas anschreiben, die Adressen sind bekannt. Denn das sind die Eltern der Kinder, die künftig in das Schulsystem kommen und auf die weiterführenden Schulen gehen werden, und die würde ich jedenfalls auch direkt ansprechen.

Ein Letztes. Der Schulfrieden ist mehrfach angesprochen worden. Die Verlängerung einer Schulform um ein Jahr ist kein Schulkrieg und ein Volksbegehren oder ein Volksentscheid kein Bruch des Schulfriedens. Wer in das Papier vom Frühjahr 2010 hineinschaut, der wird sehen, dass in diesem Papier, das nachträglich Schulfrieden getauft worden ist, an keiner Stelle G8 oder G9 steht. Da ist ein bisschen vom Zwei-Säulen-Modell und vor allem von der Primarschule die Rede, aber nicht von G8 oder G9. Außerdem waren damals nur drei Parteien beteiligt, und Sie werden sich alle daran erinnern, dass die Chefin der GRÜNEN, Frau Fe

gebank, wenige Tage nach dem Volksentscheid gegenüber der "WELT" erklärt hat, die GRÜNEN würden sich an den Schulfrieden nicht mehr gebunden fühlen. Auch Herr Senator Rabe hat sich, das muss man sehen, in der letzten Zeit schleichend vom Schulfrieden entfernt und arbeitet an der Schulstruktur. Die SPD hat schon beim Beschluss zum Enquete-Bericht in der Drucksache 18/6000 zu Protokoll erklärt, dass das Ziel der SPD die Schule für alle sei. Ein letztes Zitat von der Webseite von Schulsenator Ties Rabe, www.tiesrabe.de, heute noch dort zu lesen:

"Längeres gemeinsames Lernen erreichen wir nicht mit der Brechstange. […] Wir wollen in einem ersten Schritt die Haupt-, Realund Gesamtschulen […] zur Stadtteilschule zusammenführen. Und wir wollen diese neue Stadtteilschule zu der Schulform Hamburgs entwickeln. Gymnasien können nach Zustimmung der Eltern direkt in die Stadtteilschule einbezogen werden. […] Über Kooperationen sollen beide Schulformen Schritt für Schritt zusammengeführt werden."

Das heißt, im Prinzip gibt es niemanden, der sagen könnte, ein Vertrag Schulfrieden könne gebrochen werden.

Wir müssen uns alle um gute Schulen kümmern, aber das tut die G9-Initiative genauso wie die anderen, und da gilt es, einen vernünftigen Kompromiss zu finden. – Vielen Dank.

Das Wort hat Herr Dr. Dressel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will die Gelegenheit nutzen, noch einmal auf einige Fragen einzugehen; Frau Heyenn hatte einige angesprochen. Ich habe eher positive Rückmeldungen auf die Idee wahrgenommen, mit einer Befragung der Schulkonferenzen einen nächsten Schritt zu gehen, um diesen Prozess noch einmal zu hinterfragen, zu plausibilisieren und zu schauen, welche Rückmeldung es von der Basis vor Ort gibt. Das ist eine positive Rückmeldung, die ich erst einmal für uns als SPDFraktion wahrgenommen habe.

(Beifall bei der SPD)

Trotzdem noch einmal zu der Frage von Frau Heyenn. Sie sagen, das sei doch politische Gestaltung und deswegen könne man das sozusagen von oben machen. Das glaube ich bei dieser Fragestellung genau nicht – Herr Rabe hat es vorhin ausgeführt –, bei diesem fragilen Konstrukt unseres Schulsystems, das Sie als Lehrerin besser kennen als viele andere in diesem Saal. Wir können das nicht in dieser Form top-down verändern, ohne uns vorher über Risiken und Nebenwirkungen von den

(Dr. Walter Scheuerl)

Betroffenen berichten zu lassen, und das kann nun einmal eine Schulkonferenz, die das demokratische Gremium jedes Gymnasiums ist. So kann ein Meinungsbild vor Ort in der Schule erzeugt werden. Es ist bewusst so gedacht, dass man nicht nur ja oder nein sagt und das dann zurückschickt, sondern dass man, wie auch Herr Scheuerl es eben angesprochen hat, differenziert abbildet, wie das Votum aussieht, dass Hinweise und Anregungen gegeben werden sollen. Wir wollen auch mit der Initiative noch weiter darüber sprechen, wie differenziert ein Meinungsbild aussehen kann, um wirklich die verschiedenen Schulbeteiligten zu Wort kommen zu lassen. Ich glaube, es kann in dieser durchaus etwas verfahrenen Situation, die wir alle miteinander festgestellt haben – 70 oder 78 Prozent in den Umfragen auf der einen Seite und gewaschene Stellungnahmen aus dem Schulleben auf der anderen Seite –, durchaus helfen, wenn wir das Ohr direkt bei den Betroffenen haben. Deshalb ist das ein guter Vorschlag, was auch aufseiten der LINKEN nachvollziehbar sein müsste.