Protokoll der Sitzung vom 18.06.2014

Das Wort bekommt nun Herr Holster von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau von Treuenfels, noch einmal zur Klarstellung: Sie erwecken den Eindruck, als würde es gar keine Durchlässigkeit geben.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Habe ich nicht gesagt!)

Die gibt es sehr wohl: Jahrgang 6, Jahrgang 10, als Ausnahme auch in den anderen Jahrgängen. Diese Ausnahmen sind immer möglich, das muss man einmal deutlich sagen.

Ich habe auch nicht verstanden – wir haben das am Freitag im Schulausschuss schon einmal angedeutet, da gab es die eine oder andere Frage, die Sie nicht beantwortet haben –, was eigentlich die Verbesserung für die Gymnasien oder für die Stadtteilschulen in der Unterrichtsqualität ist, wenn wir eine noch höhere Durchlässigkeit zulassen. Das bleibt in Ihrer Rede völlig unklar.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Darum geht's doch gar nicht!)

Es ist ein sehr einseitiger Blick, den Sie vom Gymnasium in Richtung Stadtteilschule haben. Wir werden das so auch nicht unterstützen.

(Beifall bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

Ich würde gern auf einen Punkt hinweisen, nämlich auf die Erfahrung aus der Vergangenheit. Wie sah es denn zuzeiten des Drei-Säulen-Modells aus, Frau von Treuenfels, als wir noch Gymnasien, Gesamtschulen und Haupt- und Realschulen hatten? Da wurden Schülerinnen und Schüler sehr, sehr lange auf den Gymnasien gehalten und viel zu spät umgeschult. Und ich kann aus Erfahrung als Hauptschullehrer sagen, dass diese Schülerinnen und Schüler schwierig aufzubauen waren. Wir haben häufig nur mit sehr viel Mühe erreicht, dass überhaupt einmal der erste Schulabschluss absolviert wurde, um dann auch noch den zweiten erreichen zu können. In diese alten Zeiten wollen wir nicht zurückfallen.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels)

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE und Dora Heyenn DIE LINKE)

Einen weiteren Aspekt lassen Sie völlig außer Acht. Schon jetzt haben wir an den Stadtteilschulen, wenn wir den Jahrgang 7 organisieren, mit einer ganz hohen Zahl von Umschulungen zu rechnen. Das muss auch organisatorisch an den Stadtteilschulen geleistet werden. Wenn wir die Durchlässigkeit erhöhen, werden wir auch in Jahrgang 8 und Jahrgang 9 immer wieder größere Schülerzahlen haben. Ich glaube, es kann nicht das Ziel sein, die Stadtteilschulen noch stärker mit der Organisation von Klassen zu belasten.

(Zuruf von Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP)

Und dann haben Sie gesagt: Lassen Sie uns doch den Antrag an den Schulausschuss überweisen. Frau von Treuenfels, es lohnt sich, einmal auf die Drucksachen zu schauen, die wir schon an den Schulausschuss überwiesen haben. Wir haben nämlich im Schulausschuss schon genau diesen Punkt Durchlässigkeit lockern, das ist der Petitumspunkt 8; ich weiß nicht, ob Sie das von Frau Prien abgeschrieben haben. Wenn Sie das also diskutieren wollen im Schulausschuss – es liegt alles schon dort. Dieser Antrag ist abzulehnen. Er braucht nicht überwiesen zu werden, das ist überflüssig. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE und Dora Heyenn DIE LINKE)

Von der CDU-Fraktion bekommt nun Frau Prien das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir teilen mit der FDP das Anliegen, über dieses Thema zu sprechen, und haben schon im letzten Oktober einen Antrag dazu eingebracht. Wir finden es auch gar nicht schlimm, dass die FDP ihn jetzt noch einmal einbringt; das ist ein wichtiges Thema. Was mich aber bewegt hat, als ich mich auf die Debatte vorbereitet habe, ist, dass das so ein bisschen eine Scheindebatte ist; man muss sich nur einmal die Zahlen anschauen. Dann stellt man fest, dass die Anzahl der Schulwechsler vor der Schulgesetzänderung, die den Schulwechsel formal-rechtlich reglementieren und einschränken sollte, kleiner war und nicht etwa größer. In Wirklichkeit ist es gar nicht so, dass wir keine Durchlässigkeit im Hamburger Schulsystem haben.

Ich habe einmal die Zahlen aus der Schulstatistik 2006 bis 2009 mitgebracht. Da haben wir Schulwechsel insgesamt 1150, 1177 und 1116, das sind die Zahlen von 2006/2007, 2007/2008 und 2008/ 2009. Heute haben wir insgesamt 1374 Wechsler. Wir haben heute also eine höhere Durchlässigkeit als vor der Änderung des Schulgesetzes. So weit, so gut. Die Forderung nach mehr Durchlässigkeit

ist demnach an dieser Stelle nicht wirklich berechtigt. Das ändert aber nichts daran, dass die FDP insofern recht hat, als dass es an Rechtsklarheit fehlt. Das Schulgesetz ist in seiner Formulierung wirklich undeutlich, und das führt leider dazu, dass Eltern verunsichert sind, und zwar sowohl, wenn es um das Aufschulen Richtung Gymnasium als auch um das Abschulen Richtung Stadtteilschule geht. Ich glaube, diese Fälle kennen wir alle aus den Bürgersprechstunden. Es gibt schon sehr dramatische Fälle, wo Eltern über Wochen und Monate verzweifelt versuchen, eine Schule zu finden, in der sie ihre Kinder unterbringen können.

Ich empfinde diese rechtliche Situation als unklar. Sie wird aus den Paragrafen 42 und 45 des Schulgesetzes nicht deutlich, sondern ergibt sich eben erst aus der Begründung zur Änderung des Schulgesetzes. Deshalb denke ich schon, dass wir Grund haben, über die Frage, ob das Schulgesetz da hinreichend klar ist, gemeinsam im Schulausschuss zu debattieren – übrigens auch im Zusammenhang mit der Frage, ob wir eigentlich zufrieden sein können mit dem, was das Programm "Fördern statt Wiederholen" bringt und ob dieses Programm wirklich das einzig geeignete Mittel ist oder Sitzenbleiben nicht eine weitere pädagogische Option sein sollte.

Wir als CDU haben dieses Thema schon im Oktober des letzten Jahres im Rahmen eines Antrags, der jetzt zur Beratung im Schulausschuss ansteht, eingebracht. Wir haben es noch einmal getan mit unserem Antrag vom 4. Juni, in dem wir diese ganzen Punkte in Auswertung der Stellungnahmen der Schulkonferenzen zusammengefasst haben. Sie brechen sich keinen Zacken aus der Krone, Herr Holster, wenn Sie diesen Antrag der FDP an den Schulausschuss überweisen. Es gibt Gesprächsbedarf, es gibt Verhandlungsbedarf, allerdings nicht ganz so, wie die FDP es darstellen will, sondern eher in dem Sinne, dass wir mehr Rechtsklarheit im Gesetz schaffen und die Eltern nicht so allein lassen sollten mit dieser Problematik. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Was Wort bekommt nun Frau Dr. von Berg von der GRÜNEN Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Unserer Auffassung nach ist der Antrag der FDP nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich für unsere Hamburger Schullandschaft.

(Finn-Ole Ritter FDP: Das überrascht jetzt nicht, Frau von Berg!)

Nein, das überrascht nicht, und das ist auch gut so. Da bleiben wir unserer Linie treu.

(Lars Holster)

Wir halten ihn nicht nur für überflüssig, sondern auch für schädlich, weil wir vom Kinde her denken und sagen, dass Kinder Ruhe und Verlässlichkeit brauchen und nicht ein Damoklesschwert, das über ihnen schwebt. Außerdem brauchen wir nicht noch mehr Durchlässigkeit. Frau Prien hat es gerade ausgeführt, wir haben diese Durchlässigkeit bereits. Überhaupt möchte ich noch etwas zum Thema Durchlässigkeit sagen. Um welche Richtung geht es denn dabei? Herr Holster hat es vorhin schon angedeutet: Es geht letztendlich um die Durchlässigkeit vom Gymnasium auf die Stadtteilschule. Auch ich habe mir die Zahlen angesehen. Frau Prien hat eben die Zahlen aus schon weiter zurückliegenden Jahren vorgelesen, ich habe mir die Zahlen aus den letzten drei Jahren angeschaut und festgestellt, dass der Anteil der Schulformwechsler von der Stadtteilschule auf das Gymnasium bei nur 10 Prozent der gesamten Wechsler liegt, bleiben also 90 Prozent. Das heißt, wir reden immer nur über eine Richtung, wir reden nämlich immer nur über das sogenannte grauenvolle Wort abschulen. Und das, meine Damen und Herren, wollen wir nicht auch noch durch diesen Antrag verstärken.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Präsidentin Carola Veit übernimmt den Vor- sitz.)

Wie man sagen kann, das sei eine Stärkung der Kinder, dazu fällt mir wirklich gar nichts mehr ein. Das ist traumatisch, das ist aufrüttelnd, das macht Brüche in den Biografien. Wer das schon einmal erlebt hat, wird sagen, dass das nicht auch noch verstärkt werden muss.

(Beifall bei Christa Goetsch GRÜNE)

Und überhaupt, fällt Ihnen nicht auf, wie absurd diese Begriffe abschulen und aufschulen eigentlich sind? Wir reden so, als ob wir eine höherwertige Schulform Gymnasium und eine minderwertige Schulform Stadteilschule hätten. Da müssen wir uns doch nicht wundern, wenn die Eltern ihre Kinder natürlich auf die höherwertige Schulform gehen lassen wollen. Diese Worte müssen wir uns alle wirklich ganz dringend abgewöhnen und auch aus den Köpfen verbannen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wenn überhaupt, dann können wir über umschulen reden, dann reden wir über Schulwechsel. Übrigens ist es immer schwierig, eine neue Schule zu finden. Von daher ist das ganz normal, selbst bei einem Wechsel von einer Grundschule in die nächste. Also noch einmal: abschulen weg.

Regelhaften Schulformwechsel haben wir schon nach Klasse 4 und nach Klasse 6, und nach Klasse 10 gibt es auch noch einmal die Möglichkeit dazu. In diesen Phasen haben wir ausführliches Elternwahlrecht und vor allem auch Kinderwahlrecht. Was wollen wir denn noch? Dazwischen brauchen

die Kinder, die Klassen und die Schulen Ruhe. Und das ist unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker, diesen Kindern, diesen Klassen und diesen Schulen die Ruhe zu gönnen. Deswegen lehnen wir auf jeden Fall diesen Antrag ab. Was wir als politische Lösung brauchen, ist die Stärkung der Stadtteilschulen und eine Weiterentwicklung der Gymnasien. Darüber müssen wir uns Gedanken machen.

Als Schlusswort möchte ich eines gern sagen. Wir debattieren immer über diese zwei Säulen; Herr Ritter hat es eben schon angedeutet. Wenn wir eine Schule für alle hätten, dann würden wir diese Debatten nicht führen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Finn-Ole Ritter FDP: Dann würden wir ganz andere Debat- ten führen!)

Das Wort bekommt Frau Heyenn von der Fraktion DIE LINKE.

(Finn-Ole Ritter FDP: Jetzt kommt Frau Hey- enn und erklärt uns alles!)

Es stimmt, Herr Ritter, wenn wir eine Schule für alle hätten, dann hätten wir andere Debatten, wir hätten aber auch bessere Schulen. Das ist doch völlig klar.

(Beifall bei der LINKEN)

Die FDP beklagt im ersten Absatz ihres Antrags, dass sehr viele Schüler nach der sechsten Klasse das Gymnasium verlassen müssen, und hat darauf hingewiesen, dass es im vergangenen Jahr mehr als 600 waren. Sie sagen weiter, dass die Entscheidung in der vierten Klasse ein großes Problem darstellt. Wenn ich mich richtig entsinne, dann waren Sie bei "Wir wollen lernen" dabei und haben mit aller Macht versucht hinzubekommen, dass die Kinder nach der vierten und nicht nach der sechsten Klasse aufgeteilt werden müssen. Ich hoffe, Sie denken darüber einmal nach. Das war nämlich genau die falsche Entscheidung.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Im Petitum Ihres Antrags schreiben Sie dann, es sei sicherzustellen, dass ein Wechsel zwischen beiden Schulformen unbürokratisch möglich ist. Wissen Sie, was das ist? Das ist die reine Heuchelei, denn Sie wissen ganz genau, dass von der Stadtteilschule zum Gymnasium 0,1 Prozent der Schüler wechseln. Alles andere geht genau in die andere Richtung. Dann davon zu sprechen, dass es eine Durchlässigkeit in beide Richtungen geben soll, ist wirklich unanständig.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Dann haben Sie gesagt, es wäre sehr wichtig, den Vorschlag in Ihrem Antrag umzusetzen, damit der Druck aus der Grundschule genommen wird und

(Dr. Stefanie von Berg)

nicht alle Eltern darauf dringen, dass ihr Kind eine Gymnasialempfehlung bekommt. Hier kann ich Ihnen zum Teil sogar folgen, der Punkt ist aber nicht, dass sich nach der vierten Klasse eine weiterführende Schule anschließt. Der Punkt ist einfach, dass es diese Schulformempfehlung nach wie vor gibt.

(Beifall bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

Ich werde nicht müde zu sagen – ich tue das in fast jeder Schuldebatte –, dass das aufhören muss. Der Senator muss versuchen, wirklich einmal Politik in dem Sinne zu machen, dass die Schulformempfehlung weg muss. Vielleicht wäre das eine kleine Entlastung und man hätte nicht diesen Makel, dass Gymnasien besser sind als Stadtteilschulen.