Protokoll der Sitzung vom 02.07.2014

die vorsieht, dass der erfolgreiche Schulbesuch nach Paragraf 25a Aufenthaltsgesetz von der hamburgischen Verwaltung so verstanden wird, dass bei Vorliegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung von einem Schulabschluss abgesehen werden kann. Diese Fachanweisung müssen wir hier und jetzt einfordern, damit jeder ausländische Jugendliche und Heranwachsende mit Behinderung in Hamburg auch die Möglichkeit hat, einen Aufenthaltstitel nach Paragraf 25a Aufenthaltsgesetz zu bekommen, sprich eine dauerhafte rechtlich abgesicherte Lebensperspektive in Deutschland zu erhalten.

Des Weiteren brauchen wir die Fachanweisung, damit aus dem gerade genannten Grund niemand mehr eine Eingabe stellen muss, verbunden mit dem Hoffen auf die Überweisung an die Härtefallkommission und dann dem Bangen um ein einstimmiges Ergebnis, das in der Härtefallkommission erfolgen muss. Also lassen Sie uns, liebe Abgeordnete, auch hier in Hamburg ein eindeutiges Zeichen setzen gegen eine aus meiner Sicht inhumane Gesetzesanwendung.

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg und Antje Möller, beide GRÜNE)

Lassen Sie uns gleichzeitig, wie unser Antrag fordert, auf Bundesebene dafür einsetzen, die Gesetzeslücke in Paragraf 25a Aufenthaltsgesetz endlich zu schließen. Setzen Sie heute ein Zeichen und lassen Sie uns gemeinsam ein Stück mehr Humanität in Hamburg schaffen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN und bei Antje Möller GRÜNE)

Vielen Dank, Herr Ritter. – Das Wort hat Herr Schäfer von der SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Ermöglichung einer Bleiberechtsperspektive in Deutschland insbesondere für junge Menschen ist uns ein großes Anliegen. So hat der Hamburger Senat bereits im Jahr 2012 eine erfolgreiche Bundesratsinitiative gestartet, wonach unter anderem bürokratische Hürden des Paragrafen 25a abgebaut wurden.

(Beifall bei der SPD)

Diese Regelungen sind nun auch Bestandteil des Koalitionsvertrags, und ein entsprechender Gesetzentwurf ist in Arbeit. Das heißt, dass das Problem, das Sie zu Recht aufgegriffen haben, Herr Ritter, längst angekommen ist, und es wird auch bearbeitet. Es sollte auch von uns aufgenommen und seriös und in aller Ruhe bearbeitet werden. Deswegen – ich will es kurz machen – werden wir Ihren Antrag selbstverständlich an den Ausschuss

(Finn-Ole Ritter)

überweisen und dort schauen, wie das geschehen könnte, denn diesbezüglich ist die Bundesrepublik ein Flickenteppich. Es gibt Bundesländer, die Regelungen haben, und es gibt Bundesländer, die keine haben. Die Regelungen, die es gibt, sind alle unterschiedlich. Wir sollten schauen, welche die geeignetste ist, um im Hinblick darauf eine vernünftige und gute Regelung für die betroffenen Kinder und Jugendlichen zu finden, und das auch in Angriff nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Ich kann zu Ihren Vorschlägen, das zu regeln, so wie ich hier stehe, nichts sagen. Ich möchte das in Ruhe im Ausschuss beraten, um dann zu einem guten Ergebnis zu kommen, das nicht möglicherweise wieder angreifbar ist. Aber es soll eine Regelung geben, die diesen Kindern und Jugendlichen und ihren Familien auch hilft. Bis dahin müssen wir im Zweifel den Weg in Anspruch nehmen, der jetzt von zwei Jugendlichen gegangen wurde, die von der Härtefallkommission dann auch bestätigt wurden und die ihr Bleiberecht hier erst einmal behalten. Diese Entscheidung der Härtefallkommission war richtig, und wir unterstützen sie auch. Insofern gibt es keinen solchen Eilbedarf, dass wir unbedingt jetzt beschließen müssten. Wir sollten das in Ruhe und seriös im Ausschuss beraten, zumal die Frist, die Sie bis zum 29. August 2014 für eine Initiative im Bund gesetzt haben, auch nicht durchführbar wäre. Das Thema ist ein sehr ernsthaftes, aber an der Stelle muss ich doch ein bisschen schmunzeln. Selbst diesem Senat traue ich nicht zu, zwischen dem 2. Juli und dem 29. August irgendeines Jahres den Deutschen Bundestag dazu zu bringen, ein Gesetz zu ändern. Da sollten wir uns in der Tat ein bisschen mehr Zeit lassen und das im Ausschuss in Angriff nehmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Schäfer. – Das Wort hat Herr Voet van Vormizeele von der CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt eigentlich selten den Fall – das sage ich hier ungern, Herr Dr. Schäfer –, dass ich dem wenig hinzufügen kann, was Sie gesagt haben. Mir ist noch einmal wichtig zu betonen, dass wir uns im Ziel einig sind. Wir wollen unbürokratische Lösungen haben, und wir wollen auch keine Lösungen haben, die an Gesetzestexten dahingehend festhaften, dass wir gerade Integrationsleistungen, die uns wichtig sind, an Formalien festmachen, die letztendlich nicht stimmen. Deshalb haben wir das gemeinsame Ziel, hier eine vernünftige Regelung zu finden. Ich finde es gut und richtig, dass wir heute gemeinsam diesen Antrag an den Innenausschuss

überweisen. Ich finde es aber manchmal genauso überflüssig, wenn wir vor einer Innenausschussdebatte, also bevor wir uns gemeinsam mit einem Thema wirklich befassen, uns hier stundenlang noch einmal gegenseitig erzählen, wie sicher wir alle sind oder wie schlecht wir alle sind. Wir überweisen diesen Antrag jetzt, und dann werden wir gemeinsam an einer guten Lösung im Innenausschuss arbeiten.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Vielen Dank, Herr Voet van Vormizeele. – Das Wort hat Frau Möller von der GRÜNEN Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich finde vieles von dem, was meine Vorredner gesagt haben, richtig und wichtig. Ich glaube aber, dass es trotzdem notwendig ist, dass wir heute hier diskutieren. Ich bin der FDP sehr dankbar, dass Sie mit diesem Antrag gekommen sind und auch die Dringlichkeit deutlich gemacht haben, weil es tatsächlich dringlich ist, denn wir haben weiterhin Fälle im Genehmigungsverfahren bei der Behörde, wo junge Leute, Kinder und Jugendliche in genau dieser Situation sind. Wir müssen sie aus dieser Situation herausholen, und das können wir mit einer schnellen Entscheidung der Behörde, die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Anwendung dieses Paragrafen tatsächlich zu erlassen, so wie andere Bundesländer das auch getan haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Finn-Ole Ritter FDP – Sören Schumacher SPD: Wer?)

Ich will noch einmal den Anlass schildern, obwohl Herr Ritter das auch schon gemacht hat. Weshalb brauchen wir diesen Antrag? Weil uns im Petitionsausschuss und in der Härtefallkommission, wenn wir es dahin überweisen, diese besonderen Familiensituationen erreichen. Herr Schäfer, Sie sagen jetzt, das gehe alles nicht so schnell, und solange es möglicherweise noch keine bundesweite Regelung gibt, sagen Sie zu, dass solche Fälle in der Härtefallkommission gelöst werden.

(Sören Schumacher SPD: Das entscheiden wir im Einzelfall, wie immer, Frau Möller!)

Erstens entscheiden wir es im Einzelfall, vielen Dank, Herr Schumacher. Zweitens wäre es richtig gut gewesen, wenn Sie an der Stelle hätten sagen können, dass die Gespräche mit der Behörde und dem Senator ergeben haben, dass die Behörde zukünftig, bis es zu dieser bundesweiten Regelung kommt, solche Fälle direkt an die Härtefallkommission gibt, denn der Weg steht ihr offen. Dann wäre das Signal klar, dass die Behörde selbst ihre bisherige Haltung dahingehend korrigieren möchte, dass sie die Diskriminierung von Menschen mit Be

(Dr. Martin Schäfer)

hinderung erkannt hat und uns deswegen sagt, es stehe noch nicht so in der Verwaltungsvorschrift, aber sie mache es und gebe diese Fälle an die Härtefallkommission. Das wäre ein mutiger Schritt gewesen, und er wäre auch wirklich angebracht,

(Beifall bei den GRÜNEN und der FDP)

denn ich will es noch schärfer formulieren, als Herr Ritter dies getan hat. Menschen mit Behinderung dürfen nicht benachteiligt werden.

(Christiane Schneider DIE LINKE: So ist es!)

Sie sollen nicht nur nicht, sondern sie dürfen nicht benachteiligt werden. Das sagt nicht nur die UNBehindertenrechtskonvention, sondern das sagt natürlich auch unser Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Diskriminierung darf in dieser Gesellschaft nicht stattfinden. Dass sie es praktisch tut, darin sind wir uns alle einig, aber wir reden hier über die rechtliche Situation, und vor allem darf sich Diskriminierung natürlich nicht in Gesetzen abbilden. Wenn sie das tut, dann kann man erstens sagen, es solle einmal jemand klagen, aber andererseits können auch wir als Parlament sagen, dass wir das nicht mehr wollen. Wir wollen dem abhelfen, und deswegen finde ich es richtig, dass wir diesen Antrag auch sehr schnell entscheiden. Wenn das nicht geht, dann mögen Sie vielleicht noch einmal überlegen, ob wir nicht den Weg gehen können, wenigstens die Familien oder die Jugendlichen und Kinder, die der Behörde selbst auffallen als Menschen, die von dieser bisherigen Regelung betroffen sein können, in die Härtefallkommission zu bekommen, sodass wir dann zu ihren Gunsten – selbstverständlich im Einzelfall, Herr Schumacher – entscheiden können. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Katja Su- ding FDP)

Vielen Dank, Frau Möller. – Das Wort hat Frau Schneider von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch wir von der LINKEN unterstützen die Intention Ihres Antrags, Herr Ritter, und auch wir sind Ihnen für diese Initiative dankbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte es aber ganz deutlich sagen und vielleicht deutlicher als meine Vorrednerin und meine Vorredner: Die Vorgeschichte dieses Antrags und die Tatsache, dass er überhaupt notwendig geworden ist, halte ich für eine Schande.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

Dieser Fall hätte nicht im Eingabenausschuss und in der Härtefallkommission landen dürfen.

(Sören Schumacher SPD: Dass Sie von Ge- setzen nichts halten, haben wir schon ge- merkt, Frau Schneider!)

Ihnen macht das Spaß, ich weiß.

(Zurufe aus dem Plenum: Oh!)

Wir hatten eine Auseinandersetzung darüber, ob das Spaß macht im Eingabenausschuss.

Vor immerhin 20 Jahren ist Artikel 3 des Grundgesetzes, der die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz gewährleistet, durch die Regelung ergänzt worden, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Genau das aber, die Benachteiligung aufgrund von Behinderung, drohte in dem vom "Hamburger Abendblatt" am 26. Juni geschilderten Fall eines Geschwisterpaars und seiner Familie. Die beiden sind wie ihre weiteren Geschwister in Hamburg geboren, haben aber keinen deutschen Pass und keinen sicheren Aufenthaltstitel, und sie sind schwerbehindert, so schwer, dass sie keinen Schulabschluss erreichen werden. Und deshalb seien, so der Sprecher der Ausländerbehörde gegenüber dem "Hamburger Abendblatt", die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht nicht erfüllt. Weil sie keinen Schulabschluss haben und aufgrund ihrer schweren Behinderung auch keinen erreichen werden und weil sie deswegen und wegen ihrer schweren Behinderung nicht in der Lage sein werden, ihren Lebensunterhalt zu sichern, gelten sie in der Vorstellungswelt dieses Gesetzes und auch der Behörde als nicht integriert. Deshalb sollten sie abgeschoben werden.

Wir von der LINKEN haben seit je, und zwar vor allem natürlich auf Bundesebene, wo die Gesetze gemacht werden, die Nützlichkeitslogik der Bleiberechtsregelungen angeprangert. Nach dieser Logik werden alle ausgesiebt und mit dem Entzug des Aufenthaltsrechts bestraft, die die Leistungsanforderungen nicht erfüllen können: Bildungsbenachteiligte, ältere Menschen, Traumatisierte, chronisch Kranke, alleinerziehende Mütter und eben Behinderte. Andere Bundesländer haben in Bezug auf die Jugendlichen der Situation schwer behinderter Menschen durch Verwaltungsvorschriften zur Anwendung des Paragrafen 25a Aufenthaltsgesetz wenigstens bis zu einem gewissen Grad Rechnung getragen. In Hamburg gibt es eine entsprechende Verwaltungsvorschrift bisher nicht. Ich frage mich natürlich, warum nicht. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern scheint Hamburg, jedenfalls die Ausländerbehörde, ohne Abstriche an einem überwunden geglaubten, ausschließlich durch Verwertungs- und Brauchbarkeitskriterien geprägten Begriff von Integration festzuhalten. Im Zuge der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention müssen diese Kriterien im Zusammenhang mit In

(Antje Möller)

tegration unseres Erachtens auf dem Misthaufen der Geschichte abgeladen werden,

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg und Christa Goetsch, beide GRÜ- NE)

auch in der Ausländerpolitik und in der Ausländergesetzgebung.

Dass Integration nicht zuerst eine Verpflichtung der Menschen mit Behinderung ist, sondern vor allem eine Verpflichtung des Staates und auch der Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderungen, die Verpflichtung nämlich, Barrieren einzureißen, die die gesellschaftliche Teilhabe erschweren, scheint sich in anderen Behörden mehr und mehr durchzusetzen, offensichtlich aber bis dato noch nicht in der Ausländerbehörde. Der Grundgedanke der UN-Behindertenrechtskonvention, nicht der Mensch mit Behinderung habe sich zur Wahrung seiner Rechte anzupassen, sondern das gesellschaftliche Leben und die gleichberechtigte Teilhabe müsse für alle Menschen ermöglicht werden, scheint noch nicht angekommen. Es scheint noch nicht angekommen zu sein, dass zu den Lebensverhältnissen in Deutschland viele behinderte Menschen gehören, die ihren Möglichkeiten entsprechend am Leben teilnehmen. Es scheint unvorstellbar, dass Kinder, die auf Förderschulen gehen und dort lernen und Fortschritte machen, tatsächlich erfolgreich sind. Hier geht es nicht um Inklusion, sondern um Exklusion. Die Abschiebung von Menschen mit Behinderung aufgrund ihrer Behinderung ist totale Exklusion.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg und Christa Goetsch, beide GRÜ- NE)

Wir freuen uns allerdings, dass die Sache einen guten Ausgang genommen hat, und finden auch gut, dass die Behörde dann sehr schnell dem Ersuchen der Härtefallkommission nachgekommen ist. Dessen ungeachtet begrüßen wir nochmals ausdrücklich die Initiative der FDP, und wir begrüßen die Überweisung des Antrags an den Innenausschuss. Wir brauchen eine gründliche Debatte, was eigentlich die UN-Behindertenrechtskonvention für die Ausländerpolitik und das Ausländerrecht bedeutet und welche Änderungen die Umsetzung dieser Konvention auch auf diesem Feld erzwingen muss. Das ist ein wichtiger Schritt, den wir damit gehen. – Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg und Christa Goetsch, beide GRÜ- NE)