Protokoll der Sitzung vom 19.06.2019

(Dirk Kienscherf SPD: Für die Arbeitnehmer! Machen wir gern! – Erster Vizepräsident Dietrich Wersich übernimmt den Vorsitz.)

Denn unumwunden wird an anderer Stelle zugegeben, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände mit deutlich sinkenden Mitgliederzahlen und einem zunehmenden Bedeutungsverlust zu kämpfen haben. Mit dieser Bundesratsinitiative sollen genau die Interessen dieser Klientel befördert werden. Das, was diese Klientelpolitik aber so problematisch macht, sind die Auswirkungen der geplanten Marktangriffe auf die Verbraucher und Konsumenten, also auf uns alle.

Denn was bedeutet es, wenn ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird? Das bedeutet, der Platzhirsch am Markt macht seine Standards und seine tariflichen Löhne zur zwingenden Vorgabe für alle seine Mitwettbewerber. Mit diesem Instrument sollen unliebsame Konkurrenten aus dem Markt gedrängt werden. Für den Platzhirsch wird

es nun deutlich leichter, eine Monopolstellung einzunehmen. Monopole sind letztlich schlecht für uns alle, denn Monopolisten können den Preis am Markt bestimmen. Das bedeutet, dass alle Verbraucher nicht mehr die freie Wahl haben, sondern die Preise zahlen müssen.

(Arno Münster SPD: Ist doch Bullshit!)

Je mehr dieses Mittel in Branchen um sich greift, desto mehr werden die Verbraucher von den dortigen Platzhirschen und Monopolisten geschröpft und umso weniger können sich die Menschen mit ihrem Einkommen leisten. Das führt zu einer allgemeinen Erhöhung der Armut der Gesellschaft. Monopole sind erwiesenermaßen schlecht für die Gesellschaft. Letztlich bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung dieses Anliegen aus dem Bundesrat nicht aufgreift und es dadurch seine Schädlichkeit nicht entfalten kann. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Ludwig Flo- cken fraktionslos)

Herr Münster, mir wurde gesagt, dass Ihr Zwischenruf eher in die Landwirtschaft passt als in dieses Parlament. – Jetzt hat als Nächster das Wort Herr Feineis für die AfD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tarifbindung ist seit Jahren rückläufig und verliert zunehmend an Bedeutung, wie wir es schon gehört haben und wie viele wissen. Das führte zu einem ruinösen Unterbietungswettbewerb zulasten der Beschäftigten und auch der Qualität. Das Tarifautonomiestärkungsgesetz hat bislang die erhoffte Wirkung noch nicht erzielt, und politisch wurde viel zu lange weggesehen. Heute ist die Situation in Deutschland so: 71 Prozent der westdeutschen und 81 Prozent der ostdeutschen Betriebe sind nicht tarifgebunden. Nur noch 57 Prozent der westdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiten im Tarifvertrag, und bei uns in Hamburg, wie wir gehört haben, nur noch 45 Prozent.

Wenn wir fragen, warum das so ist, sind nicht allein die Globalisierung und die Entwicklung weg von der Industrie- hin zur Dienstleistungsgesellschaft die Gründe. Schauen wir die Nachbarländer an, so sehen wir, dass die Tarifbindungen dort stabil geblieben sind. Globalisierung ist also nicht der einzige Grund. Schuld, so die Fachleute, ist die Niedriglohnentwicklung speziell in Deutschland. Diese verschärft die bereits schlechte Lage bei den Sozialversicherungen, mindert Steuereinnahmen und führt zu steigenden Sozialausgaben durch Subventionierung und Aufstocken des Arbeitslosengeldes II. Die Löhne rutschen ab, die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich. Niedriglohn ist Gift für den Sozialstaat und Gift für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denn diese befinden

(Deniz Celik)

sich auf einer Talfahrt mitten hinein in die Altersarmut. Das ist ein wirklich großes Problem der künftigen Gesellschaft. Es ist also dringend geboten, das Tarifsystem zu stabilisieren und seine Funktionsfähigkeit abzusichern, denn es ist die tragende Säule unseres Sozialwirtschaftssystems. Das funktioniert aber nur, wenn wir uns als Politik nachhaltig dafür einsetzen. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sind natürlich auch gefragt. Weil diese oftmals ihre Hausaufgaben nicht machen, muss auch die Politik eingreifen und sich dafür einsetzen.

Betrachten wir das Handwerk in Hamburg. Hier werden kaum noch Tariflöhne gezahlt. Wozu führt das? Immer weniger wollen Handwerker werden und immer weniger bleiben im Handwerk. So wandern zwei Drittel der jungen Gesellen nach ihrer Ausbildung in andere Wirtschaftsbereiche. Hier arbeiten nach Gewerkschaftsangaben nur noch knapp 30 Prozent der Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben. Das führt natürlich zum hausgemachten Fachkräftemangel und zu unzufriedenen Kunden. Die Wartezeit auf einen Handwerker dauert oft Monate. Darum sind Tarifverträge eine Kalkulationsgrundlage, sie schaffen aber auch ein geregeltes Gehalt. Diejenigen, die unter einem Tarifvertrag arbeiten, haben mehr Geld, und das wird ausgegeben. Einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge erhalten 69 Prozent der Beschäftigten, die in tarifgebundenen Unternehmen arbeiten, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, aber nur 36 Prozent derjenigen, deren Arbeitgeber nicht tariflich gebunden sind. In Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung sollten wir uns bemühen, den Wettbewerb nicht über niedrige Löhne, sondern über gute Arbeit und Leistung zu gewinnen. Vielleicht kennt der eine oder die andere den Grundsatz von Robert Bosch:

"Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich Geld habe, sondern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne zahle."

Dem sollten wir uns als Politik verpflichten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank für den Wortbeitrag.

(Zuruf)

Ja, wir hatten die Anwesenheit bestimmter Personen im Saal gerade beraten.

Ich rufe Senatorin Leonhard auf, die sich zu Wort gemeldet hat, und weise darauf hin, dass gemäß unserer Geschäftsordnung unabhängig von der Redezeit in der Aktuellen Stunde im Anschluss alle Fraktionen die Möglichkeit haben, sich noch einmal zu Wort zu melden.

Sehr geehrter Herr Präsident, vielen Dank. Meine Damen und Herren! Ich finde, es ist an den Redebeiträgen deutlich geworden, dass wir ein Thema haben, über das man sprechen muss. Wenn bundesweit die Tarifbindung immer weiter zurückgeht, wenn wir sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands Branchen haben, in denen Löhne gezahlt werden, die zwangsläufig dazu führen, dass Menschen nicht nur erst im Alter, sondern schon im Lauf ihres Berufslebens auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, um mit den Lebenshaltungskosten zurechtzukommen, dann besteht Handlungsbedarf. Deswegen war es richtig, dass sich im Bundesrat am 7. Juni eine Mehrheit dafür gefunden hat, eine Entschließung zu verabschieden, die von der Bundesregierung verlangt, Verbesserungen der Rahmenbedingungen für Anträge auf Allgemeinverbindlichkeitserklärung und deren Behandlung im Tarifausschuss zu prüfen, gesetzliche Klarstellung von Voraussetzungen für Funktionen von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen vorzunehmen, eine verbesserte Datenlage herzustellen und Anreize für Mitgliedschaften in Koalitionen zu setzen.

Ich hätte gedacht, dass man es insgesamt politisch gar nicht mehr erklären muss, warum das von so hoher Bedeutung ist. Den allermeisten Fraktionen in diesem Haus ist das auch recht deutlich, einer aber anscheinend nicht, und insofern will ich die Gelegenheit ergreifen.

In dem Moment, in dem schwindende Tarifbindung dazu führt, dass wir ganze Branchen haben, für die es zum Standard gehört, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trotz Vollzeitbeschäftigung auf ergänzende Leistungen vom Jobcenter angewiesen sind, haben wir es mit einer weitreichenden Kommunalisierung von Arbeitskosten zu tun. Da kann es auch nicht Wunsch der FDP sein, das weiterhin laufen zu lassen, nur damit wir günstige Konsumentenpreise haben und angebliche Monopole nicht entstehen. Das, finde ich, ist wirklich eine schwierige Haltung.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Mehmet Yildiz DIE LINKE)

Da ist es doch kein Wunder, wenn die Tarifbindung eine wesentliche Säule der Sozialen Marktwirtschaft ist, und ich bin der festen Auffassung, dass sie das ist. Auch nach 2014, als das eigentliche Gesetz zur Tarifbindung auf den Weg gebracht worden ist, wurde gesagt, da sei weiterhin Entwicklungsbedarf und da müsse noch mehr getan werden. Das ist überhaupt keine Klientelpolitik, sondern das ist, wenn Sie sich die Zahlen anschauen, Politik für viele, viele Menschen in unserem Land. Und die machen wir gern, das ist auch unsere Aufgabe, damit es besser wird für sie.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

(Harald Feineis)

Mit der gleichen Argumentation haben viele Menschen in der Politik, damals besonders viele innerhalb der FDP, den gesetzlichen Mindestlohn bekämpft, weil dadurch angeblich Konkurrenz verhindert werde und dies zu Monopolisierung führe. Diese Haltung ist völlig schwierig, wenn man auf der anderen Seite billigend in Kauf nimmt, dass eine Menge Menschen staatliche Zusatzleistungen braucht, die übrigens alle Steuerzahler mitfinanzieren, damit andere möglichst gute Gewinne abschöpfen. So kann es nicht sein. Jedesmal wenn man sich nicht um Tarifbindung kümmert und darum, wie man diese stärken kann, wird man Gesetze brauchen, die Lohnuntergrenzen definieren. Das ist uns widerfahren, und es soll nicht noch schwieriger werden am Arbeitsmarkt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Welche große gesamtgesellschaftliche Bedeutung das Thema Tarifbindung für den Zusammenhalt in unserem Land hat, für das Wachsen unserer Wirtschaft und dafür, dass viele Menschen von einem wirtschaftlichen Aufschwung profitieren, kann man daran sehen, was die Allgemeinverbindlichkeitserklärung im Sicherheitsgewerbe, die jüngst erneuert worden ist, geschafft hat. Bereits über 4 000 Menschen haben von Tarifverträgen profitiert, aber über 1 700 eben nicht, und sie profitieren jetzt auch von diesen Tarifen. Das ist ein sehr großer gesamtgesellschaftlicher Nutzen, und deswegen ist das überhaupt keine Klientelpolitik, sondern Politik für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land und damit auch für unseren Sozialstaat und für die Soziale Marktwirtschaft. Ich würde mir wünschen, dass auch die Liberalen das einsehen würden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Senatorin Leonhard. – Als Nächster erhält das Wort wieder Wolfgang Rose für die SPDFraktion für jetzt drei Minuten.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Einige Diskussionsbeiträge haben mich überraschend gefreut. Ich will das einmal so allgemein für diese Debatte stehen lassen.

(Zuruf von André Trepoll CDU)

Ja, Max, immer gut.

Liebe Antje Möller, das mit den Evergreens hört sich ein bisschen so an, als brauche man es nicht zu wiederholen, das alles sei eigentlich klar, darüber brauche man nicht so richtig zu reden. Aber das Thema Tarifbindung ist eben kein EvergreenThema, sondern es ist ein Thema, bei dem wir heute in der Situation sind, dass diejenigen, die Sozialpartnerschaft und Gewerkschaften für die Frage der Vereinbarung von Tarifverträgen für not

wendig halten, immer weniger werden; manche halten das auch für unmodern und sind der Auffassung, das gehöre auf den Schutthaufen der Geschichte. Deswegen nimmt die Tarifbindung immer weiter ab, und deswegen ist es kein Evergreen, sondern wird ein Schlager werden, damit in einer Gesellschaft die Haltung, das müsse immer wieder neu gefordert und gemacht werden, zunimmt. Dafür wollen wir in Hamburg eintreten.

(Beifall bei der SPD)

Dazu gehört übrigens auch, dass es viele Unternehmen gibt, die in einer Krise sind und in denen auch gegenüber dem Flächentarifvertrag Krisentarifverträge abgeschlossen werden. Karstadt ist ein Superbeispiel dafür. Die haben einen Tarifvertrag, dass sie in drei, vier Jahren wieder im Flächentarifvertrag landen sollen und dass man sich darum bemühen solle. Das ist ein Krisentarifvertrag, der mit Gewerkschaften, das heißt mit den Vertretungen der Arbeitnehmer, abgeschlossen worden ist, und das ist in einer sozialpartnerschaftlichen Wirtschaft ein hoher Wert, der auch erhalten bleiben muss.

Frau Nicolaysen, ich weiß gar nicht, wer Ihnen das aufgeschrieben hat. Ich will wirklich nicht arrogant klingen,

(Michael Kruse FDP: Das tun Sie aber regel- mäßig!)

aber das war solch ein volkswirtschaftlicher Unsinn, den Sie hier erzählt haben: dass, wenn man Tarifbindungen macht, das dazu führt, dass es einen, was haben Sie gesagt, Platzhirsch gibt, der Monopolist ist und der dann dafür sorgt, dass diejenigen, die die Produkte kaufen sollen, damit verarmt werden. Das müssen Sie mir einfach hinterher noch einmal erklären. Das war richtig typischer FDP-Quatsch, den Sie da erzählt haben.

(Beifall bei der SPD und bei Martin Dolzer DIE LINKE und Dominik Lorenzen GRÜNE)

Deswegen will ich im Einzelnen darauf nicht eingehen. Versuchen Sie einfach, das in Ihrer Fraktion zu diskutieren, dann kommt dabei vielleicht etwas Besseres heraus. Herr Kruse, da können Sie einmal ein bisschen was erklären.

(Beifall bei der SPD und bei Martin Bill GRÜ- NE)

Ich glaube, Sie haben jetzt eher eine Verabredung zum Kaffeetrinken, Herr Rose.

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen und würde dann dementsprechend die Aktuelle Stunde schließen. Das ist der Fall, dann machen wir das so.

(Senatorin Dr. Melanie Leonhard)

Dann rufe ich unseren Wiedergänger auf, nämlich Wahlen zu verschiedenen Gremien.

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl eines Mitglieds für den Beirat für politische Bildung – Drs 21/14765 –]

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl eines vertretenden Mitglieds der Kommission für Stadtentwicklung – Drs 21/14934 –]