Protokoll der Sitzung vom 12.11.2015

Qualifikation hier nicht formal anerkannt werden. Wir Deutschen sind nun einmal sehr formal, und deswegen müssen wir in diesem Bereich handeln.

(Beifall bei der CDU)

Gerade in einer Stadt wie Hamburg ist Internationalität ein großer Standortvorteil. Das kann ein Riesenvorteil sein und nicht immer nur ein Nachteil. Wir müssen dafür sorgen, dass in Hamburg kluge Köpfe und geschickte Hände eine Chance auf dem Arbeitsmarkt erhalten. Das betrifft nicht nur Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, das betrifft auch Hochqualifizierte aus dem Ausland, die hierher ziehen wollen, eben gerade, um hier zu arbeiten. Studien haben ergeben, dass die Anerkennung beruflicher Abschlüsse das Einkommen von Zuwanderern um rund 30 Prozent erhöht. Nach Schätzung der Bundesagentur für Arbeit haben rund 30 Prozent der nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge Abschlüsse, die unter die Anerkennungsgesetze des Bundes und der Länder fallen können.

Aber auch über das Ökonomische und das Soziale hinaus ist die Anerkennung ausländischer Abschlüsse ein sichtbares Zeichen der Wertschätzung der Menschen, die hierher kommen. Es ist insofern, das wurde schon richtig gesagt, ein Teil unserer Willkommenskultur.

Angesichts der Handlungsnotwendigkeiten müssen die Verfahren schnell, zügig und rechtssicher durchgeführt werden. Dazu leistet der Gesetzentwurf einen großen Beitrag, und deswegen unterstützen wir ihn. Hamburg muss hier nachziehen, alle 16 Bundesländer müssen einheitliche Regelungen schaffen.

Wir werden diesen Gesetzentwurf im Sozialausschuss weiter beraten, und das ist auch richtig, denn es gibt noch eine ganze Reihe offener Fragen. Hierzu gehört, wie und von wem eigentlich sichergestellt werden kann, dass in den ausländischen Abschlüssen auch das enthalten ist, was dort angegeben ist. Das muss man prüfen. Wie kann sichergestellt werden, dass die Nachqualifizierungsmaßnahmen und Anpassungsmaßnahmen wie Praktika und Lehrgänge auch ohne Abschlussprüfung ausreichende Nachweise von Qualifikationen sind? Wer überprüft überhaupt den Inhalt und die Qualität dieser Maßnahmen der Nachqualifikation? Ist das bundesweit einheitlich geregelt, oder gibt es in den einzelnen Bundesländern Sonderwege?

Aus dem Antrag geht auch nicht hervor, welche Mehrkosten tatsächlich mit diesem Gesetzentwurf verbunden sind. Es heißt nur, es werde etwas kosten, aber auch hier versprechen wir uns etwas mehr Klarheit. Wenn wir dann das Thema im Sozialausschuss beraten, müssen wir auch praktische Fragen der Umsetzung dieses Gesetzes behan

deln, beispielsweise lange Bearbeitungszeiten und Bearbeitungsgebühren.

Wir hatten das einmal abgefragt mit einer Schriftlichen Kleinen Anfrage. Seit Januar 2015, zu einer Zeit, als der massive Zuzug von Flüchtlingen hier bekannt war, hat der Senat in der Zentralen Anlaufstelle Anerkennung gerade einmal eine einzige Stelle mehr geschaffen. Es reicht also nicht aus, schöne Gesetzentwürfe zu produzieren, die richtig und wichtig sind, sondern wir müssen auch im tatsächlichen Verwaltungsvollzug etwas dafür tun, dass es zu einer wirklichen Anerkennung dieser Abschlüsse kommt. Eine Stelle mehr ist da entschieden zu wenig.

(Beifall bei der CDU)

Abschließend, auch das haben wir abgefragt: Wissen wir denn eigentlich, wie viele Akademiker mit Abschlüssen aktuell unter den Flüchtlingen in Hamburg sind? Wissen wir etwas über Qualifikationen der Flüchtlinge? Wer ist technisch ausgebildet, wer ist beispielsweise Pflegekraft, wer ist Krankenschwester? Nein, meine Damen und Herren, wir wissen es nicht, und wir wissen es nicht, weil der Senat es auch gar nicht nachfragt. Der Senat ist ahnungslos. Er lässt nicht nachfragen. Was hilft ein Anerkennungsgesetz, wenn man nicht einmal weiß, ob man jemandem den Hinweis geben kann, dass er dieses Gesetz in Anspruch nehmen kann oder nicht?

Das sind erhebliche Defizite im praktischen Umgang mit diesem Thema, die das positive Licht dieses Gesetzentwurfs leider etwas trüben. Wir haben theoretisch vorgearbeitet, und wir müssen jetzt praktisch umsetzen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Wolf. – Das Wort erhält jetzt Phyliss Demirel von der GRÜNEN Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es stimmt nicht, dass bei den Flüchtlingen die Qualifizierung nicht nachgefragt wird. Es gibt das neu gestartete Projekt W.I.R, an dem unter anderem das Jobcenter beteiligt ist und das genau das durchführt, was Sie eben als nicht vorhanden erklärt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Mit der Einrichtung der Zentralen Anlaufstelle Anerkennung im Jahr 2010 und der Auflage eines Stipendienprogramms wurde die Anerkennung von Abschlüssen und Qualifikationen in Hamburg erheblich erleichtert. Damit hat Hamburg unter den Bundesländern eine Vorreiterrolle übernommen. Im März 2011 haben wir mit unserem Antrag den Startschuss für die Verbesserung des Bundesgesetzes gegeben. Leider konnten wir uns auf Bun

(Dr. Jens Wolf)

desebene nicht durchsetzen, was den Rechtsanspruch auf Beratung und die Finanzierung von Anpassungsqualifikationen betrifft. Aber wir haben diesen Rechtsanspruch in unserem Landesgesetz verankert. Wir sind das einzige Bundesland, das einen Rechtsanspruch auf Beratung im Gesetz verankert hat und seit November 2010 ein Stipendienprogramm zur Verfügung stellt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Damit sichert Hamburg allen Anerkennungssuchenden den Zugang und baut finanzielle Hürden ab. Das ist gut und das ist richtig so.

(Beifall bei der SPD)

Wir betrachten dieses Gesetz als einen Beitrag zur gleichberechtigten Teilhabe, rechtlichen Gleichstellung und für das Ankommen in der Gesellschaft, aber auch als einen Gewinn für die Wirtschaft.

Nun soll das Anerkennungsgesetz weiter verbessert werden. Mit der vorliegenden Drucksache soll die zweite Etappe in diesem Prozess, die EURichtlinie aus dem Jahr 2013, umgesetzt werden. Mit dieser Richtlinie wird das Verfahren zur Anerkennung von in anderen EU-Staaten und EWRVertragsstaaten erworbenen beruflichen Qualifikationen erneut modernisiert und weiter vereinfacht. Parallel zu dieser Drucksache hat sich auch das Bundeskabinett im April 2015 mit der Umsetzung dieser Richtlinie beschäftigt. Ein Gesetzentwurf dazu liegt schon beim Bundesrat. Das Bundesgesetz verbessert die Anerkennungssituation von bundesrechtlich geregelten Berufen. Bei landesrechtlich geregelten Berufen hat der Bund keine Gesetzgebungskompetenz, deshalb müssen mit der Bundesgesetzgebung korrespondierende Landesgesetze geschaffen werden. Diese sollen nach Möglichkeit für alle Länder vergleichbar gestaltet sein, weil mit diesen Gesetzesänderungen mehr Transparenz, Einheitlichkeit und schnellere Verfahren geschaffen werden sollen und es künftig auch keine Rolle spielen soll, in welchem Bundesland der Antrag gestellt wird. Diese Änderungen der korrespondierenden Landesgesetze erfolgen daher auf der Grundlage eines Mustergesetzes. Die Länder haben sich schon vor einem Jahr auf die Inhalte dieses Mustergesetzes geeinigt. Hamburg folgt mit dieser Drucksache den Prinzipien der einheitlichen Regelungen in allen 16 Bundesländern. Auf die wesentlichen Änderungen oder Weiterentwicklungen ist Herr Schwieger schon eingegangen; ich möchte das nicht noch einmal wiederholen. Wir werden die Drucksache an den Ausschuss überweisen und die detaillierte Diskussion dort führen.

Ich halte es für wichtig, dass durch diese Änderung ein einfacher Zugang zu Anerkennung, mehr Transparenz, Einheitlichkeit und schnellere Verfahren ermöglicht werden. Sehr wichtig ist auch, dass die Hürden für den Wechsel in einen andern EU

Mitgliedsstaat sinken und dadurch Mobilität auf dem Arbeitsmarkt ermöglicht wird.

Nach Paragraf 18 des Hamburgischen Anerkennungsgesetzes ist eine Evaluation nach vier Jahren vorgesehen. Dementsprechend wird Hamburg diese Evaluation im Juli 2016 vornehmen. Wir werden prüfen, was gut läuft und was verbessert werden muss.

Auch wenn wir heute nicht über das Bundesgesetz diskutieren, möchte ich folgende Kritik loswerden: Ich halte es für sehr bedauerlich, dass es immer noch keine Initiative auf Bundesebene gibt, flächendeckend Stipendien für die Menschen anzubieten, die für die Anerkennung ihrer Qualifikationen Nachqualifikation brauchen. Hamburg hat mit diesem Programm seit 2010 sehr gute Erfahrungen gemacht, Baden-Württemberg soll jetzt folgen, aber für den Rest der Republik gibt es diese Möglichkeit momentan nicht. Auch aufgrund der Tatsache, dass wir Flüchtlinge aufnehmen, darunter auch Fachkräfte, wäre ein flächendeckendes Stipendienprogramm sehr sinnvoll und hilfreich. Ein bedarfsgerechter Ausbau von Anpassungsqualifizierung, und zwar gemeinsam mit den Ländern, der Bundesagentur und den Kammern, ist für die erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt dringend notwendig. Der Bund verkennt in diesem Zusammenhang leider nicht nur eine wichtige Integrationsmaßnahme, sondern nimmt auch ökonomischen Schaden in Kauf, denn eine schnelle und unbürokratische Anerkennung bringt nicht nur finanzielle Vorteile, sondern auch soziale Anerkennung. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Als Nächstes erhält das Wort Herr Dolzer von der Fraktion DIE LINKE.

Liebe Hamburgerinnen, liebe Hamburger, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Präsident! Die letzten Ausführungen von Frau Demirel waren richtig: In Hamburg ist die Praxis um einiges besser als in anderen Bundesländern, aber sie ist bei Weitem noch nicht gut genug. Um den Gesetzentwurf zur Anerkennung nichtdeutscher Qualifikationen angemessen zu würdigen, werde ich mich zuerst einmal auf eine Studie beziehen, die Ilka Sommer 2014 für die HeinrichBöll-Stiftung erstellt hat. Darin eröffnet sie eine sehr wichtige und richtige Fragestellung: Handelt es sich bei den Gesetzen zur Anerkennung sowohl auf Bundes- wie auf Landesebene und der dazugehörigen Praxis um eine Anerkennung oder um Verkennung von nichtdeutschen Qualifikationen?

(Beifall bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Diese Frage sollten wir uns einmal ernsthaft stellen. Die Studie heißt auch entsprechend "Der um

(Phyliss Demirel)

kämpfte Wert ausländischer Berufsqualifikationen in Deutschland". Sie bezieht sich dabei auf Theorien und Analysemethoden von Bourdieu und Foucault und kommt anhand einer Vielzahl von Expertinnen- und Experteninterviews und einer systematischen Evaluation der Ist-Praxis, die wir ähnlich auch in Hamburg haben, zu dem Ergebnis, dass sowohl die Gesetze wie auch die Praxis in vielerlei Hinsicht eher durch Verkennung als durch Anerkennung geprägt sind.

Diese Einschätzung und Kritik teilen wir als LINKE. Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden, und deshalb ist es notwendig, das Gesetz im Sozialausschuss noch einmal ausgewogen zu diskutieren.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Ich hätte mir auch gewünscht, dass die Koalition mit ihren Verbesserungen nicht nur auf die EUBürgerinnen und -Bürger abhebt, sondern auf alle Flüchtlinge. Gerade in Anbetracht der jetzigen Situation wäre das nötig und auch ohne Olympia möglich.

(Beifall bei Mehmet Yildiz DIE LINKE)

Ein grundsätzliches Problem – ich möchte das einmal konkreter machen – in Bezug auf Anerkennung von nichtdeutschen Berufsqualifikationen ist eine eurozentrische oder auch auf deutsche Qualifikationsmuster zentrierte Herangehensweise. Das heißt, die Vielfalt und Unterschiedlichkeit von möglichen Qualifikationen wird nicht einmal ansatzweise erfasst und ihr deswegen auch nicht Rechnung getragen.

Ein weiteres Problem ist, dass oft eine Verlagerung der Entscheidung in die Beratungsphase stattfindet. Dort wird der Studie und auch meinen Erfahrungen aus der Praxis zufolge oft aufgrund mangelnden Wissens über die nicht deutschen Normen entsprechenden Qualifikationen von einer Anerkennung abgeraten. Es findet also eine Vorauswahl statt, die Menschen mehr oder weniger systematisch ausgrenzt, weil eben nicht angemessen erhoben worden ist, wie Qualifikationen in anderen Ländern, EU-weit oder weltweit, stattfinden. Dem müssen wir dringend Abhilfe schaffen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Frau Sommer sagt dazu in der Studie – ich zitiere –:

"'Die Antragstellerin oder der Antragsteller ist verpflichtet, alle für die Ermittlung der Gleichwertigkeit notwendigen Unterlagen vorzulegen sowie alle dazu erforderlichen Auskünfte zu erteilen.' […] Eine naheliegende spontane Interpretation ist es, dass unvollständige Anträge auf eine mangelnde Mitwirkung zurückzuführen sind und es des

halb legitim ist, die Antragsteller_innen aus dem Blick zu verlieren. Es lässt sich jedoch genauso argumentieren, dass die geforderten Unterlagen nicht beschaffbar sind und die institutionellen Vorgaben reflektiert werden müssen."

Und genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir im Ausschuss tun. Wir müssen das Gesetz und die institutionellen Grundlagen noch einmal hinterfragen, damit eine solche Praxis verbessert wird.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Ich nenne kurz Beispiele. Im Gesundheitsbereich gibt es in den ehemaligen sowjetischen Ländern den Beruf des Feldschers. Das ist eine Art Unterarzt, der über dem Pfleger, aber unter dem Arzt steht. Dieser Berufsstand wird überhaupt nicht anerkannt. Bei Friseurinnen und Friseuren werden spezifische Damen- oder Herrenfriseurinnen und -friseure mit weiteren Qualifikationen nicht anerkannt. Das wird nicht berücksichtigt, und deshalb wird es grundsätzlich nicht anerkannt. Das ist schlecht, und das muss geändert werden. Auch das müssen wir bedenken.

(Beifall bei der LINKEN)

Insgesamt ist festzustellen, dass Schul-, Hochschul- oder Berufsabschlüsse aus afrikanischen oder osteuropäischen Ländern ohne Rücksicht auf das reale Bildungsniveau, das Bildungsprofil oder die Qualifikationsmöglichkeiten vor Ort nicht als gleichwertig anerkannt werden. Auch hier ist Abhilfe zu schaffen. Und auch in dem Bereich, in dem akademische Qualifikationen nicht direkt in ein Berufsbild münden, haben wir wesentliche Defizite.

Ich muss noch einen kurzen Schwank aus dem Wissenschaftsausschuss erzählen; das hat mich sehr betroffen.