Protokoll der Sitzung vom 25.11.2015

(Milan Pein SPD: Dann vertreten Sie die falsche Seite!)

Das ist die Realität.

Am peinlichsten war Folgendes: Ich war vor anderthalb Jahren auf einer Fortbildung für Fachan

(Martin Dolzer)

wälte für Medizinrecht, und dort berichtete ein Vorsitzender Richter vom Bundessozialgericht über die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der Sozialgerichte in Deutschland. Dort hat man den Vergleich, weil sie aus ganz Deutschland Revisionen bekommen, und das einzige Landessozialgericht, das er erwähnte, war das Hamburger Landessozialgericht. Sie kennen vielleicht Bundesrichter mit ihrer bestimmten Diktion. Er hat es nicht kritisiert, sondern nur gesagt, man könne dem Hamburger Landessozialgericht keine überstürzten Entscheidungen vorwerfen. Sie können sich vorstellen, das war mir schlicht und ergreifend peinlich. Das ist die wahre Lage der Hamburger Justiz.

(Glocke)

Herr Dr. Schinnenburg, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung des Abgeordneten Müller?

Bitte schön.

Herr Kollege, wir haben ja diese Beschreibung in der Öffentlichkeit, und wir hatten sie auch hin und wieder einmal durch die Gerichtspräsidentin. Da, wo wir konkrete Belastungsspitzen haben, reagieren wir jetzt mit den 16 Stellen. In den anderen Bereichen haben wir eben keine konkrete Lage, und da hilft Ihre Schwarzmalerei nicht, sondern da hilft es, dass Sie jetzt wieder Abgeordneter sind und nicht Rechtsanwalt und einmal überlegen, was wir mit solchen Berichten machen und wie wir sie als Haushaltsgesetzgeber umsetzen. Das ist eigentlich Ihr Job.

(Detlef Ehlebracht AfD: Anträge einreichen!)

Herr Müller, versuchen Sie doch nicht, von der Realität abzulenken. Ich werde Ihnen gleich die Zahlen vorrechnen, dann werden Sie staunen. Herr Dolzer sprach vom Tropfen auf dem heißen Stein. Das ist bestenfalls ein Minitropfen auf dem heißen Stein, den Sie hier produzieren, und kein wirklicher Beitrag zur Rettung der Hamburger Justiz. Die Zahlen bekommen Sie gleich.

Warum ist das schlimm? Es ist einmal schlimm, weil Menschen enttäuscht sind. Es ist auch schlimm, weil Straftäter entlassen werden, die möglicherweise gefährlich sind, nur weil die Justiz nicht schnell genug für eine Aburteilung sorgen kann. Aber etwas anderes ist noch viel schlimmer. Zu Recht hat der Staat ein Gewaltmonopol, aber zwingende Folge eines Gewaltmonopols muss doch sein, dass der Staat alles tut in diesem wirklichen Kernbereich staatlicher Tätigkeit, dass da schnell und effizient gearbeitet wird. Ansonsten erzeugen Sie Frust und Staatsverdrossenheit bei den Bürgern, und das ist das Gefährlichste an der

ganzen Geschichte. Hier muss dringend etwas passieren.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben seit Jahren einen Kahlschlag bei der Justiz, Herr Müller, und nun kommen die wahren Zahlen. Die hat nicht die böse FDP-Fraktion oder eine andere böse Fraktion herausgefunden, nein, die SPD und die GRÜNEN waren es selbst. Lesen Sie einmal nach in der Drucksache 21/1018, einer Großen Anfrage von SPD und GRÜNEN, dort stehen die Zahlen drin. Wie so oft hat der Senat versucht, sie ein bisschen zu verstecken. Es werden immer nur Einzelzahlen aufgeführt, die man aggregieren muss, aber da ich auch mal Abitur gemacht habe, habe ich das geschafft. Ich habe die Zahlen einmal ausgerechnet. Richter und Staatsanwälte gab es Ende des Jahres 2005 826. Am Ende des ersten Halbjahres 2015, also vor wenigen Monaten, gab es 810, sprich 16 weniger. In zehn Jahren haben Sie die Zahl der Richter und Staatsanwälte um 15 gesenkt. Das sind die wahren Zahlen, Herr Müller, und nicht das, was Sie uns hier in Ihren Textbausteinen gerade produziert haben.

(Beifall bei der FDP)

Nun sagen Sie, Herr Müller: Wunderbar, jetzt kommen acht neue dazu. Acht mehr bei 810, das ist nicht einmal 1 Prozent.

(Zuruf von Milan Pein SPD – Glocke)

Herr Dr. Schinnenburg, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Nachher, jetzt keine Zwischenfrage mehr.

Nutzen Sie die Zwischenzeit, um es einmal nachzulesen, die Drucksachennummer habe ich Ihnen genannt. Ich kann dazu sagen, es steht auf der Seite 37, das ist die letzte Seite. Sie müssen natürlich eine gewisse Mühe aufbringen und die Einzelzahlen erst addieren, dann können Sie das alles nachlesen. Ich kann Ihnen sogar zwei Stellen nach dem Komma nennen, aber das wollte ich ein bisschen einfacher halten.

Weniger als 1 Prozent mehr Richter wollen Sie uns hier als Erfolg verkaufen. Selbst wenn die acht dazukommen, sind es immer noch sieben weniger als 2005. Herr Dolzer hat insofern recht, es ist höchstens ein Tropfen auf den heißen Stein. Genauer gesagt ist es politisch gesehen eine Beruhigungspille, die Sie uns allen und der Justiz verabreichen wollen. Das reicht hinten und vorne nicht.

(Zuruf von Urs Tabbert SPD)

Die FDP wird diesem Antrag dennoch zustimmen, denn selbst ein Tropfen auf den heißen Stein ist besser als weiter nur reine Hitze und warme Luft

von Herrn Müller und Herrn Tabbert. Deshalb werden wir diesem Antrag zustimmen, aber wir wollen mehr. Es geht einmal in der Tat um mehr Stellen. Aber ich kann Ihnen ein paar Stichworte nennen, was Sie auch noch tun könnten, und das kostet nicht einmal Geld. Zum Beispiel eine flexible Raumnutzung. Alle Anwaltskollegen, die hier sitzen, haben es so erlebt wie ich: Oft können deshalb schnellere Verfahren nicht ermöglicht werden, weil die jeweilige Kammer sagt, sie tage immer nur am Dienstag, am Mittwoch oder an welchem Tag auch immer. Eine flexible Raumnutzung würde, ohne dass es Geld kostet, schon zu einer gewissen Beschleunigung führen.

Wir brauchen weniger Richterwechsel. Schauen Sie sich einmal an, wie insbesondere junge Richter, Proberichter, permanent zwischen den verschiedenen Gerichten, Kammern und Ähnlichem hin und her gereicht werden. Sie müssen sich jeweils in riesige Aktenberge einarbeiten. Das hat mit Effizienz nichts zu tun. Und wie wäre es mit einer regelmäßigen Schulung für Richter und Staatsanwälte in effizientem Arbeiten? Wie wäre es damit, dass man Richter nur dann im Richterwahlausschuss beruft, wenn sie eine gewisse Zeit in der Privatwirtschaft gearbeitet haben? Auch das würde mit ziemlicher Sicherheit den Urteilen und der Effizienz helfen. Ich höre auch oft Klagen von Richtern über den zentralen Schreibdienst. Sie schreiben ihr Urteil, und wochen- und monatelang hören sie nichts davon, weil es irgendwo im zentralen Schreibdienst hängen geblieben ist. Oder schließlich, und das ist besonders für Strafjuristen in Hamburg geradezu eine Qual, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg unter dem bisherigen Generalstaatsanwalt offenbar die Weisung hatte, kaum Verständigung im Sinne des Paragrafen 153 und Folgende StPO zu erzielen. Man muss nicht unbedingt mit dem Kopf durch die Wand und damit Zeit und Material verbrauchen, sondern man kann sich auch einfach einmal vor Gericht verständigen. Diese ganzen Maßnahmen kosten keinen Cent, aber sie würden schon einiges bringen. Es wäre natürlich politisch guter Wille nötig, da etwas zu tun.

Meine Damen und Herren! Was Sie uns hier vorlegen, ist richtig, aber nichts anderes als Augenwischerei und eine Beruhigungspille. Deshalb werden wir zustimmen, aber es reicht überhaupt nicht aus. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort bekommt Senator Dr. Steffen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für die Hamburger Justiz,

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

zumindest dann, wenn die Bürgerschaft den Empfehlungen des Justiz- und des Haushaltsausschusses zustimmt. Um das tatsächlich ein bisschen einzuordnen, Herr Schinnenburg: Was heute auf den Weg gebracht wird und was auch schon in mehreren Schritten im Laufe dieses Jahres bewegt wurde, dieses Paket von insgesamt 26 Stellen, ist die erste Verstärkung für die Hamburger Justiz, die wir seit 20 Jahren erleben. Das ist tatsächlich ein sehr relevanter Schritt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Für die Zukunft und die weitere Steuerung der Ressourcen in der Justiz ist aber ebenso wichtig, dass wir uns erstmals eben nicht mehr nur an den Eingangszahlen und der Verfahrensdauer orientieren, sondern dass wir uns auch große Mühe geben, die sich verändernde Komplexität der Verfahren abzubilden. Insgesamt sind wir in Bezug auf Haushaltsfragen nicht in einfachen Zeiten, nicht ohne Grund haben wir eine Schuldenbremse. Insgesamt ist das ein wichtiger Erfolg, den wir heute sehen.

Natürlich haben die breit diskutierten Fälle in diesem Sommer auch uns beeindruckt und die teilweise schwierige Personalsituation an den Gerichten und den Staatsanwaltschaften ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit gerückt, aber diese Fälle sind nicht der Grund für unser Handeln. Wir haben eine klare Vereinbarung im rot-grünen Koalitionsvertrag. Wir haben vereinbart, dass wir die Arbeitsbelastung unter Berücksichtigung der Komplexität der Verfahren neu betrachten wollen, und das heißt natürlich auch, dass man auf der Basis einer solchen Betrachtung zu entsprechenden Schlüssen kommen muss. Das hat mich seit Beginn der Amtszeit intensiv beschäftigt. Ich habe die Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten und die Leiter der Staatsanwaltschaften gebeten, darüber zu berichten, wie sich die Arbeitssituation verändert hat, und ich habe darüber hinaus eine Vielzahl von Gesprächen geführt, natürlich mit den Präsidentinnen und Präsidenten, aber auch mit vielen Richterinnen und Richtern direkt, und habe mir ein sehr genaues Bild über die sich verändernde Arbeitsbelastung verschafft. Diese Berichte liegen mittlerweile vor, sie sind sehr umfangreich und differenziert, und sie sind zunächst einmal noch etwas unterschiedlich angelegt. Diese Berichte haben wir auch dem Justizausschuss zur Verfügung gestellt und auch öffentlich gemacht.

Selbst der Opposition muss klar sein, dass diese Verstärkung, die wir hier vornehmen, kein Selbstgänger ist. Solche zusätzlichen Stellen gibt es nicht mal eben auf Zuruf, und auch die erforderlichen Stellenbesetzungen erfolgen nicht auf Zuruf. Wir sind deswegen bei der Stellenbesetzung überhaupt nicht langsam, sondern wir sind ausgesprochen zügig. Der Richterwahlausschuss hat in der letzten Woche bereits die neuen Richterinnen und

(Dr. Wieland Schinnenburg)

Richter gewählt. Wir warten also tatsächlich nur auf die Entscheidung der Bürgerschaft, natürlich ausdrücklich vorbehaltlich Ihrer Entscheidung, und wir konnten hierbei wiederum sehr gut ausgebildete und motivierte junge Juristinnen und Juristen finden, die als Richterinnen und Richter, als Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zur Verfügung stehen. Ich kann Ihnen berichten – Herr Schinnenburg, insoweit tragen Sie ein bisschen Eulen nach Athen –, dass es vielfach junge Juristinnen und Juristen sind, die drei bis fünf Jahre in Anwaltskanzleien gearbeitet haben. Und, Herr Dolzer, ich kann Ihnen berichten, dass es vielfach, und darauf achten wir besonders im Rahmen des Verfahrens im Richterwahlausschuss, Juristinnen und Juristen sind, die sich neben ihrer juristischen Ausbildung auch sozial engagiert haben und die einen Blick rechts und links der juristischen Ausbildung geworfen haben. Ich halte das für sehr wichtig angesichts der besonders verantwortungsvollen Aufgabe, die Richterinnen und Richter haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Es fehlt also die Entscheidung der Bürgerschaft, und ich möchte mich ausdrücklich bei allen Fraktionen bedanken, dass es möglich gemacht wurde, diese Fristverkürzung vorzunehmen, sodass bereits im Dezember diese Richterinnen und Richter ihre Arbeit aufnehmen können. Wir müssen dabei überhaupt keinen Vergleich scheuen. Ich persönlich beobachte die Hamburger Justizpolitik ja schon etwas länger, und in dieser Breite haben die vergangenen Regierungen keine zusätzlichen Stellen geschaffen. Das gilt für uns alle in unterschiedlichen Konstellationen. Es gab punktuell Verstärkung an einzelnen Stellen, aber meistens mussten dann dieselben Verantwortlichen kurze Zeit später im gleichen Umfang an anderer Stelle bei den Gerichten wieder Stellen einsammeln. Ein solches Nullsummenspiel hilft natürlich nicht, und deswegen sticht das, was wir heute leisten, heraus.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

In der Sache bleiben auch die in diesem Sommer vorgelegten Vorschläge der Oppositionsfraktionen CDU und FDP hinter unseren Maßnahmen zurück, weil regelmäßig vergessen wird, dass es eben nicht nur die Strafjustiz gibt, die natürlich eine ganz besondere Öffentlichkeit hat, sondern auch die Sozialgerichte, wo die Rechte derjenigen verhandelt werden, die sich nicht mit Geld wehren können und die zur materiellen Absicherung ihres Lebens dringend darauf angewiesen sind, dass ihnen rechtlich geholfen wird. Es wird auch immer wieder vergessen, dass Gerichte nicht nur aus Richterinnen und Richtern bestehen, sondern dass eben für den Betrieb eines Gerichts das Servicepersonal genauso wichtig ist. Deswegen bleiben die Anträge und Vorschläge von CDU und FDP in der Summe hinter dem, was wir hier insgesamt bewegen, zurück. Und sie sind auch nicht hinreichend finanziell hin

terlegt. Ganz klar ist: Der Prozess ist nicht abgeschlossen mit dieser heutigen Entscheidung. Der relevante Bezugsrahmen bleibt der Haushalt, und es ist eine gemeinsame Aufgabe von Senat und Bürgerschaft, dass wir dieses erreichte Niveau halten. Aber ich glaube, mit dem gemeinsamen Engagement, das heute noch einmal zutage tritt, werden wir das schaffen. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Doch, Herr Dolzer von der Fraktion DIE LINKE, bitte.

Danke schön. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin! Ich möchte ganz kurz zu Herrn Schinnenburg Stellung nehmen. Ich habe das Gefühl, dass Sie und auch Herr Oetzel keinen Redebeitrag halten können, ohne am Rand mehr oder weniger sinnlos auf DIE LINKE einzudreschen.

(Beifall bei der LINKEN – Michael Kruse FDP: Das ist Ihre Einschätzung! Die Sinn- haftigkeit muss jeder selbst beurteilen! – Mi- lan Pein SPD: Zur Sache!)

Schauen Sie sich noch einmal die Schriftliche Kleine Anfrage an. Es sind genau 518 Menschen, und die Zahl von 31 Millionen Euro im Jahr stimmt auch. Rechnen Sie es einfach nach, und dann können wir darüber noch einmal diskutieren.

Herr Oetzel, zu Ihrer Bemerkung über die Gegenfinanzierung: Wir haben Konzepte, die vielleicht nicht mit Ihren marktliberalen Vorstellungen übereinstimmen, aber Vermögensteuer und Erbschaftssteuer würde viel möglich machen,

(Michael Kruse FDP: Addition und Subtrakti- on! Das ist Mathematik!)

ebenso der Stopp der Schuldenbremse. Das sind einfach andere politische Ideen. Aber tun Sie bitte nicht immer so, als sei das nicht seriös, sondern es ist einfach eine andere Idee. Das können wir gern kontrovers diskutieren, aber nicht einfach diffamieren. – Danke.