Protokoll der Sitzung vom 10.12.2015

Die Möglichkeit, an der Regelversorgung teilzunehmen, ist jederzeit gewährleistet. Da es viel zu lange dauert, bis die Gesundheitskarte vorliegt – das stimmt –, gibt es einen Ersatzschein, der es möglich macht, dass jederzeit jeder Geflüchtete in die medizinische Regelversorgung gehen kann, auch wenn die Gesundheitskarte noch nicht vorliegt. Im Übrigen wurde inzwischen auch mit mehr Personal nachgesteuert – das erwähnte der Kollege Giffei schon –, und in der neuen Zentralen Erstaufnahme mit der neuen Erstuntersuchungsstelle in Meiendorf wird es auch deutliche Verbesserungen im Ablauf geben. Zusammen mit dem Mehr an Personal bin ich davon überzeugt, dass auch der Zeitraum, bis die Gesundheitskarte ankommt, deutlich verkürzt wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Im Großen und Ganzen muss ich feststellen, dass Hamburg sich bei der medizinischen Versorgung der Flüchtlinge keineswegs verstecken muss, son

dern in einigen Punkten bundesweit sogar eine Vorreiterrolle einnimmt. Dennoch kann, wie so oft im Leben, das Gute natürlich noch verbessert werden. Ob und wo das Sinn macht, das können wir auf jeden Fall gemeinsam im Ausschuss beraten. Dazu ist das Thema auch überhaupt nicht klein und unwichtig. Ich weiß nicht, Frau Prien, woher Sie nehmen, dass hier alle sagen, alles liefe hervorragend. Auch der Kollege Giffei hat für die SPD gesagt, dass es natürlich Schwierigkeiten gegeben hat. Diese hat er begründet und dem will ich mich anschließen. Wenn eine so große Menge von Menschen hier erst einmal ankommt, dann muss sich einiges sortieren, aber das hat der Senat geschafft. Das ist gerade im Gesundheitsbereich geschehen, und dort, wo es noch nicht geschehen ist, werden wir, davon bin ich überzeugt, wie in der psychotherapeutischen Versorgung weiter nachsteuern. In diesem Sinne: Haben Sie einfach ein wenig Vertrauen. Gehen Sie mit uns in die Ausschussberatung und dann sehen wir weiter.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Nun bekommt das Wort Herr Dr. Schinnenburg von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sagen Sie einmal, Frau Blömeke, was ist bloß aus Ihnen und den GRÜNEN geworden? Wenn Sie noch in der Opposition wären, was hätten Sie hier herumgewütet, wie schlecht es doch den Flüchtlingen gehe. Das wäre ein unglaublicher Exzess geworden.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der LIN- KEN)

Nun haben Sie uns in salbungsvollen Worten erzählt, dass alles ganz toll und Hamburg sogar Vorbild sei. Ich kann mich genau an die Debatte vor einem Jahr in der gleichen Situation erinnern, Frau Blömeke. Ich hatte Angst, Sie könnten in den Tisch beißen.

(Christiane Blömeke GRÜNE: Möchten Sie wieder so einen Streit wie gestern haben?)

Das war schon ziemlich traurig, was Sie hier geboten haben, Frau Blömeke.

Ich war aber auch von den Beiträgen von Herrn Giffei und Herrn Celik durchaus enttäuscht. Sagen Sie einmal, liebe LINKE, warum müssen Sie bei jedem Thema den Weltuntergang an die Wand malen? Das ist doch nun wirklich völlig unangemessen. Wir müssen auch anerkennen, dass es wirklich schwierig ist. Es kommen viele Flüchtlinge und viele von ihnen sind in keinem guten gesundheitlichen Zustand. Dann mit einzelnen Paragrafen zu kommen, finde ich ein bisschen kleinlich und unangemessen.

Umgekehrt bei Herrn Giffei: Wenn ich, glaube ich, dreimal von Ihnen gehört habe, Hamburg sei Vorbild und der Senat habe die richtigen Entscheidungen getroffen, so meinen Sie das doch nicht im Ernst. Offenbar können Sie als Senat in Hamburg nicht ertragen, wenn man Ihre Flüchtlingspolitik kritisiert. Es ist mehr als angemessen, dass man Sie kritisiert. Es läuft einfach viel falsch, auch im gesundheitlichen Bereich, und das müssen Sie sich von Frau Prien, von mir und auch von anderen anhören. Herr Giffei, Sie machen es sich einfach zu einfach mit dem, was Sie hier vortragen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und bei Detlef Ehlebracht AfD)

Lassen Sie uns doch einfach einmal nicht parteipolitisch, sondern ganz normal als Menschen an die Sache herangehen. Da kommen Menschen aus einer anderen Welt, viele von ihnen haben ein schlimmes Schicksal hinter sich, sind krank, körperlich, auch psychisch, und dann erwartet zunächst einmal die Welt zu Recht von uns, von Ärzten, von allen, dass man schlicht und ergreifend hilft und nicht lange, komplizierte, rechthaberische Debatten von beiden Seiten führt. Wir müssen den Flüchtlingen helfen, sie brauchen unsere Hilfe im medizinischen und auch sonstigen Bereich, und wir sollten uns alle gemeinsam Gedanken machen, wie man das tun kann.

(Milan Pein SPD: Ja, dann fangen Sie doch mal an!)

Das tun wir einmal für die Menschen, und das tun wir auch für uns alle. Was meinen Sie, wenn erst einmal größere Epidemien unter den Flüchtlingen ausbrechen sollten und vielleicht noch weiter in die Bevölkerung getragen werden? Das male ich mir lieber gar nicht erst aus.

Nun zu den einzelnen Anträgen, die uns vorliegen. Wir finden es übrigens richtig, dass sie überwiesen werden. Wir persönlich hätten sie lieber an den Gesundheitsausschuss als an den Sozialausschuss überwiesen, aber wenn es der Sozialausschuss sein soll, dann soll es eben so sein. Einige Punkte der LINKEN halte ich ohne Weiteres für unterstützenswürdig, wie die Sache mit der Gesundheitskarte. Da nützt es nichts zu sagen, man habe diese offenbar 2012 eingeführt. Frau Blömeke hatte zu Recht eingeräumt, das alles dauere noch viel zu lange. Wenn Sie in einer Arztpraxis oder Zahnarztpraxis sind und so eine Gesundheitskarte bekommen und merken, was da alles an Problemen dahintersteckt, dann sind Sie nicht mehr der Meinung, dass alles ganz toll läuft. Das kann mit Sicherheit noch verbessert werden. Es muss schneller gehen mit der Gesundheitskarte und es muss auch etwas unbürokratischer sein. Und – der Punkt wurde hier bisher noch gar nicht erwähnt – das Budget der Krankenkassen muss natürlich erhöht werden. Die Krankenkassen können nicht ernsthaft erwarten, dass das Budget gemäß Para

(Christiane Blömeke)

graf 85 SGB V, das bisher nur für die deutsche Bevölkerung reichte – und oft nicht einmal reichte –, nun auch noch für Tausende Flüchtlinge reichen soll. Auch da muss nachgesteuert werden. Es macht keinen Sinn, einfach nur Gesundheitskarten zu verteilen; sie müssen auch mit Geld hinterlegt werden. Das hat bisher noch keiner erwähnt.

Wir wollen natürlich einen besseren Impfschutz – ich bin sehr davon überzeugt, dass er unzureichend ist –, und wir brauchen vor allem, das haben Sie völlig richtig gefordert, liebe LINKE, einen Hygieneplan.

Auch beim Antrag der CDU gibt es Dinge, die unterstützenswert sind, wie zum Beispiel die schnelle Tbc-Untersuchung. Vor allem – Frau Blömeke, daran sollten Sie auch einmal denken – geht es nicht nur um eine hausärztliche, sondern auch um eine pädiatrische und gynäkologische Untersuchung. Ich würde gern ergänzen, auch andere Fachdisziplinen müssten aufgeführt werden, aber zumindest diese beiden. Diesen Punkt übernehmen wir gern von der CDU.

Es gibt aber sowohl bei der LINKEN als auch bei der CDU Punkte, die aus unserer Sicht nicht zustimmungsfähig sind. Zunächst einmal will die LINKE, es ist keine Überraschung, natürlich wieder mehr Stellen haben – dieses Mal sind es 20 Prozent mehr Stellen im öffentlichen Gesundheitsdienst –, ohne irgendwelche nähere Begründung dafür zu liefern, welche Stellen das sind, was Sie damit machen wollen oder ob das derzeitige System nicht vielleicht doch ausreicht, denn Sie sagen zu Recht, wir wollen eigentlich nicht wieder irgendwelche Spezialsysteme schaffen, wir wollen die Menschen ins Regelsystem hineinbringen. Da müssen Sie mir erst einmal erklären, wieso man dann im öffentlichen Gesundheitsdienst noch mehr Personen braucht. Und natürlich die Sache mit den Barauszahlungen: Klar, es wird keine Gelegenheit im Flüchtlingsbereich geben, dass Sie wieder mit Barauszahlungen kommen. Das haben wir diskutiert. Wir sind wie viele andere auch der Meinung, dass man nicht ganz ohne Barauszahlungen auskommt, aber das muss die Ausnahme sein. Im Regelfall sollen Sachleistungen gewährt werden.

Aber leider gibt es auch beim Antrag der CDU mindestens einen Punkt, den wir nicht für unterstützenswürdig halten, und zwar die Sache mit den Musterhygieneplänen – vielleicht haben Sie es gut gemeint, aber schlecht gemacht. Frau Prien, Sie können es nicht wissen, aber Herr Petersen wird es wissen, wie die Behörden mit Ärzten und Krankenhäusern umgehen. Raten Sie einmal, was passiert, wenn irgendein Krankenhaus oder eine sonstige Einrichtung oder irgendein Arzt bei einer Kontrolle nur einen Musterhygieneplan vorweisen kann. Wenn er Glück hat, bekommt er ein Bußgeld, wenn er Pech hat, bekommt er ein Strafverfahren. Ein Musterhygieneplan, liebe Kollegen von

der CDU, reicht nicht. Wir brauchen einen individualisierten, auf die einzelne Einrichtung speziell ausgerichteten, durchdachten und organisierten Hygieneplan. Ein Musterhygieneplan, der nur vervielfältigt und in andere Sprachen übersetzt wird, wie Sie es fordern, reicht nicht aus. Wir brauchen einen individualisierten Hygieneplan für jede Einrichtung, in dem genau definiert vorgeschrieben ist, welche Mittel in welcher Situation eingesetzt werden. Das wird heute von Arztpraxen gefordert. Wenn der Staat das von den Ärzten verlangt, dann soll er es allemal von sich selber verlangen. Diesen Punkt können wir so nicht unterstützen.

Einige weitere Punkte sind diskussionswürdig. Deshalb werden wir Ihrem Überweisungsbegehren an den Ausschuss zustimmen. Wir hätten den Gesundheitsausschuss bevorzugt, aber wir sind auch einverstanden, wenn das Thema im Sozialausschuss diskutiert wird. Wir würden uns freuen, wenn dann gesundheitlicher Sachverstand hinzugezogen wird. Es ist vielleicht nicht ganz schädlich, wenn der Sozialausschuss noch ein bisschen über gesundheitliche Dinge informiert wird. Lassen Sie uns gemeinsam an einem guten Gesamtkonzept arbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das Wort bekommt nun Herr Dr. Flocken von der AfD-Fraktion.

Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Abgeordnete! Auf die LINKEN können wir uns immer verlassen. Vierzehnmal werden wir noch wach und ein langer Wunschzettel liegt schon seit 14 Tagen vor. Wenn wir die anderen bekannten Forderungen dazulegen – also bessere Unterbringung, bessere Beschulung, mehr Geld, öffentlicher Transport, natürlich die Freifahrt ins gelobte Land dazu –, dann wird ein Wunschbuch daraus, unter dessen Last der Steuerzahler zusammenbricht und mit dem die Asylindustrie gemästet wird – natürlich nur die Spitze. Das Fußvolk der Asylindustrie strengt sich an, das will ich gern anerkennen. Mit den Worten einer Senatsvertreterin bei einer Veranstaltung in Bergedorf hört sich das dann so an: Das ist eine übermenschliche Anstrengung. Eine übermenschliche Anstrengung nennen die Behörden das. Die Durchhalteparolen gleichen bis in die Wortwahl denen von vor 100 oder 75 Jahren.

Was bisher geleistet wurde, da sympathisiere ich sehr mit Frau Blömeke und auch mit der SPD: sich so beschimpfen zu lassen von der LINKEN und von der CDU und der FDP – das hört sich ja kaum anders an. Ich kann schon verstehen, dass die LINKEN, wenn sie das wirklich glauben, was sie in ihre Anträge hineinschreiben, in die Vorrede des Antrags zum Beispiel, dann auf der Straße mit Plakaten herumlaufen, auf denen "Deutschland, du

(Dr. Wieland Schinnenburg)

mieses Stück Scheiße" steht. Und wenn sie nicht gerade hier sitzen, rennen die SPD und die GRÜNEN hinterher.

(Dr. Monika Schaal SPD: Wie war das mit dem parlamentarischen Sprachgebrauch?)

Ich habe doch Sie zitiert. Ich zitiere doch Sie.

Die AfD sieht das anders, und auch die Asylbewerber sehen das anders, sonst wären sie nicht hier.

Ich komme zum Kern des Antrags, der psychotherapeutischen Versorgung der Asylbewerber. Im Oktober hat die Koalition einen sehr guten Antrag ohne Debatte durchgewinkt: Damit Arbeitnehmer bei Konflikten am Arbeitsplatz gesund bleiben, soll nicht neben jeden ein Psychotherapeut gestellt werden, sondern in den Betrieben sollen Psychologen die Probleme lösen. Eine Superidee, nach der sinnvollerweise auch in den Asylheimen vorgegangen wird. Im Vordergrund steht nicht eine Psychotherapie, sondern die Lösung der existenziellen Probleme. Wir alle wissen doch, dass Menschen, die aus Kriegsgebieten kommen, Schutz vor Bomben, Schusswaffen und Folter finden. Wer vor Hunger und Mangelernährung flieht, der findet ausreichendes und meistens auch ausgewogenes Essen. Wer vor schlechten Bildungschancen und der Unzugänglichkeit der Gesundheitsvorsorge flieht, der findet hier Schulen, sogar Universitäten und medizinische Versorgung. Alles ist verbesserungsfähig, aber alles ist auch umsonst, das muss man auch einmal sagen. Wer vor Obdachlosigkeit oder WLAN-Losigkeit flieht, der findet ein Dach und ein Netz – außer er ist Deutscher oder kommt aus einem unserer Nachbarländer.

(Dr. Monika Schaal SPD: Das wird ja immer skurriler!)

Alles super? Offensichtlich nicht. Woran liegt das? Ich werfe das den Asylbewerbern ja gar nicht vor. Wenn sie den Parolen Ihrer Klientel wirklich glauben, dass alles so mies ist, dann verstehe ich schon, dass sie, wenn sie hierherkommen und allen diesen Gefahren entflohen sind, trotzdem nicht dem Himmel dankend auf die Knie fallen oder Freudentänze ausführen. Aber man muss sich doch einmal fragen, wer denn die Asylbewerber so traumatisiert hat. In der Heimat fast aller Asylbewerber herrscht der Faschismus. Faschismus macht Krieg und Armut, Chaos und Elend. Wer zum Beispiel in Algerien die Bücher des Atheisten Richard Dawkins liest und sich vom Faschismus abwendet, wer in Pakistan zum Christentum konvertiert, in Tschetschenien oder Anatolien vom Kemalismus schwärmt, den verfolgt der Faschismus gnadenlos. Wer schwul lebt, wird von persischen Faschisten gehängt, von saudischen Faschisten geköpft. Frauen, die selbstbestimmt leben wollen, steinigen die Faschisten.

(Cansu Özdemir DIE LINKE: Reden Sie doch mal zum Thema!)

Ich bin doch beim Thema, ich bin doch bei den Traumatisierungen.

Wer wie Raif Badawi gleiche Menschenrechte für alle im Internet fordert, wird von den Faschisten ausgepeitscht. Wer der tonangebenden Spielart des Faschismus zufolge den Faschismus falsch versteht oder zu wenig radikalen Eifer zeigt, wird im faschistischen Staat hingerichtet.

(Cansu Özdemir DIE LINKE: Was hat das mit dem Thema zu tun?)

Ich bin bei den Traumatisierungen.

Und was passiert hier? Die Bedrohungen gehen weiter. Es sind schon Christen aus den deutschen Asylbewerberheimen wieder in den Irak zurückgegangen, weil sie sich dort vor dem Faschismus besser schützen können, als sie hier geschützt werden. Wenn die akuten Bedrohungen beseitigt wären, könnte man klären, ob traumatisierten Asylbewerbern verhaltenstherapeutische oder tiefenpsychologische Psychotherapie besser hilft, und die Versorgung organisieren. Einstweilen aber muss im Vordergrund stehen zu verhindern, dass die Faschisten die Schutzsuchenden in den Asylheimen weiter traumatisieren. Den ausstiegsbereiten Faschisten muss ein sicherer Ausweg aus ihrem Ideologiegefängnis aufgezeigt,

(Sabine Boeddinghaus DIE LINKE: Zum Thema!)

den kampfeslüsternen Faschisten der Weg aus Deutschland gewiesen werden. Wir können um einzelne Frauen, vielleicht auch um viele einen Schutzzaun bauen, aber nicht um jede Frau, um jedes Kind, um jeden Schwulen, jeden Freidenker, jeden Christen, jeden Juden und jeden Faschisten mit der falschen Färbung. Wir alle können sie und uns nur schützen, wenn wir den Faschismus selbst entschlossen bekämpfen. Ein erster einfacher Schritt wäre, allein reisende männliche Faschisten in Zelten unterzubringen. Ein weiterer, die faschistische Invasion zu stoppen, den Kollaborateuren das Handwerk zu legen.

(Zuruf: Aufhören! – Glocke)

Das wäre prophylaktische Traumatherapie, besser als jede Therapie hinterher. – Vielen Dank.

(Glocke)

Ich möchte für Ruhe sorgen.