Protokoll der Sitzung vom 10.02.2016

(Beifall bei der CDU – Ralf Niedmers CDU: Stillstand der Rechtspflege nennt man das!)

Das ist die Realität. Und diese Realität trifft nicht die Anwaltschaft, sondern die armen Gläubiger, die eine Forderung gerichtlich haben durchsetzen lassen, also den Mittelstand, die Handwerker und die Kleinunternehmen, die dringend darauf angewiesen sind, dass sie ihr Geld bekommen.

Dazu haben wir Straftäter, die auf freien Fuß gesetzt werden mussten. Letztlich haben wir jetzt glücklicherweise am Landgericht die größte Not gemildert; das ist immerhin etwas, aber es ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Denn wenn ich mir dazu die 50 000 Überstunden angucke, die beim AVD geschoben werden, dann kann ich nur sagen: So kann es nicht weitergehen.

(Beifall bei der CDU)

Und last, but not least: Statt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu helfen, wird das Geld der Steuerzahler mit vollen Händen an falscher Stelle ausgegeben. Statt zu entlasten, gönnt sich der Justizsenator für die Prüfung seiner umstrittenen Verlagerungspläne von Teilen des Jugendvollzugs nach Schleswig-Holstein eine millionenteure Projektgruppe. Neben jährlichen Personalkosten von rund 430 000 Euro für fünf hochbezahlte Beamte wird das Projekt voraussichtlich bis zu 6,5 Millionen Euro in Kooperation mit Schleswig-Holstein kosten. Nun raten Sie einmal, wie viel die für ihre Projektgruppe ausgeben? Null Komma null. Sie geben überhaupt nichts dafür aus. Der Senat sollte darüber nachdenken, vielleicht eine Kostenbeteiligung der Kollegen aus Schleswig-Holstein einzufordern, denn die machen das alles mit Bordmitteln.

Vor dem Hintergrund, dass Sie selbst in Ihrem Stab, Herr Steffen, einen Vorsitzenden Richter als Grundsatzreferenten sitzen haben, der den Steuerzahler auch noch einmal 24 000 Euro mehr kostet, als eigentlich erforderlich wäre, verwundert mich diese Entscheidung aber nicht. Aber – und das ist wirklich etwas, was mir Sorge bereitet – für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Justiz, die täglich unter einer so hohen Belastung arbeiten – das gilt für die Geschäftsstellenmitarbeiter ebenso wie für die Staatsanwälte und die Richter –, ist so etwas ein Schlag ins Gesicht, wenn man an solcher Stelle solche Elfenbeinturm-Ausgaben tätigt und sagt, das sei alles Theorie, statt die Kraft auf die Straße zu bringen, wo die Entlastung im Grunde genommen gebraucht wird. Wie gewieft die Justizbehörde im Rechnen ist, sehen wir im Übrigen auch bei der JVA Glasmoor. Zu den ursprünglich geplanten 17 Millionen Euro kommen jetzt noch einmal 16,2 Millionen Euro dazu, weil man sich verkalkuliert hat. Ich bin einmal gespannt, ob es

bei den 6,5 Millionen Euro für die Projektgruppe bleibt.

Herr Senator, Schluss mit dem Entkriminalisierungswahn, kommen Sie heraus aus dem Wolkenkuckucksheim und kümmern Sie sich bitte endlich um die Justiz und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt nun Herr Tabbert von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Seelmaecker, Ihre Debattenanmeldung gibt mir wieder einmal die Gelegenheit, mich zu einem Thema zu äußern, um das sich die Koalitionspartner kontinuierlich und mit deutlich sichtbaren Ergebnissen kümmern.

(Zuruf von Jörg Hamann CDU – Heiterkeit bei der CDU)

Das können wir jetzt einmal ganz gelassen hier besprechen.

So haben wir bereits in der vergangenen Legislaturperiode und insbesondere im letzten Jahr mehrfach unter Beweis gestellt, dass wir uns massiv dafür einsetzen, dass in der Justiz dort nachgesteuert wird, wo tatsächlich Handlungsbedarf besteht, und so sichern wir kontinuierlich die Qualität der Rechtspflege.

(Jörg Hamann CDU: Auch in Blankenese?)

Erst im Herbst vergangenen Jahres haben wir ein Maßnahmenpaket zur Stärkung der Justiz auf den Weg gebracht, dem Sie übrigens zugestimmt haben. Wir haben am Sozialgericht drei zusätzliche Planstellen für Richter und drei zusätzliche Servicestellen geschaffen. Wir haben den Stellenpool für die ordentliche Justiz oder Gerichtsbarkeit geschaffen – plus fünf Richterstellen und fünf Servicekräfte –, wovon auch die Staatsanwaltschaft profitiert hat. Wir haben im vergangenen Jahr, Sie sprachen gerade auch Fälle mit ausländerrechtlichem Hintergrund an, das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die zunehmenden Asylfälle aufgestockt – also in der letzten und vorletzten Legislaturperiode zusammen drei Kammern zusätzlich plus Servicepersonal am Verwaltungsgericht. Einen derartigen Stellenzuwachs, lieber Herr Kollege Seelmaecker, hat es in der hamburgischen Justiz, seit ich das so verfolge, also seit 10, 15 Jahren, insbesondere in der Regierungszeit der CDU, nicht gegeben.

(Beifall bei der SPD)

Zusammen mit der Justizbehörde entwickeln wir weitere Maßnahmen, und auch im Justizausschuss ist das Thema der Personalsituation der hamburgi

(Richard Seelmaecker)

schen Justiz, wie Sie wissen, weiterhin auf der Agenda.

Gleichzeitig ist uns allen aber auch bewusst, dass sich aus den bestehenden Haushaltsvorgaben, die uns einen verantwortungsbewussten Umgang mit den Steuergeldern der Bürgerinnen und Bürger auferlegen, gewisse Grenzen ergeben. Aber selbstverständlich müssen wir auf das tatsächlich gestiegene Arbeitsaufkommen dort, wo es erkennbar ist in der Justiz und auch in der Staatsanwaltschaft, gleichermaßen reagieren – da haben wir auch gar keinen Dissens. Hier gilt es, eine gute Balance zu finden. Daher befassen wir uns seit dem vergangenen Jahr auch intensiver mit der Frage nach den Ursachen der gestiegenen Komplexität der Verfahren, der damit einhergehenden gestiegenen Arbeitslast und der teilweise dadurch verursachten längeren Verfahrensdauern. So war es übrigens auch schon im Koalitionsvertrag vereinbart. Dieses Megathema müssen wir unserer Ansicht nach allerdings ganzheitlich angehen. Es hilft hier tatsächlich wenig, punktuell, wie Sie es gemacht haben, Teilsegmente der Justiz herauszugreifen, weil dadurch das Gesamtgefüge leicht aus dem Blick geraten kann.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben vorhin die Zusammenhänge, die es in den verschiedenen Bereichen der Justiz gibt, selbst beschrieben, und all das müssen wir im Blick behalten. Es kann nicht sein, dass der, der am lautesten schreit, immer gleich sofort am meisten Geld bekommt.

(Beifall bei der SPD – Dr. Andreas Dressel SPD: Richtig!)

Ich möchte trotzdem kurz auf den Inhalt Ihrer Großen Anfrage eingehen und einmal eine eigene Einordnung vornehmen. Die CDU fragt nach den Auswirkungen personalbedingter Verfahrensverzögerungen, speziell an den Wirtschaftsstrafkammern. Die Zahlen, die als Antwort auf die Große Anfrage enthalten sind, belegen dankbarerweise, dass es zwar Verfahrensverzögerungen gibt, diese aber eher die Ausnahme als die Regel darstellen. Die Zahlen in der Summe rechtfertigen aus unserer Sicht jetzt keinen akuten Handlungsdruck. Ob allein eine personelle Aufstockung in diesem Bereich und auch in anderen Bereichen der Justiz die erhoffte Abhilfe und Erleichterung schaffen kann, ist für mich eine viel breiter gefächerte Frage. Im Übrigen ist es der Politik auch schlicht nicht gestattet, in die Arbeitsabläufe der Justiz einzugreifen. Die Erstellung von Geschäftsverteilungsplänen und die Frage, ob eine Kammer zusätzlich eingerichtet oder umgewidmet wird, so wie es zum Beispiel im vergangenen Jahr passiert ist, als trotz der hohen Arbeitslast der Strafjustiz überraschenderweise eine Strafkammer geschlossen und dafür eine Zivilkammer eröffnet wurde – was jetzt wieder in die andere Richtung geschehen soll, nachdem wir

auch das Landgericht mit zusätzlichen Stellen ausgestattet haben – ist dafür, wie Sie eigentlich auch wissen, ein Beleg. Da das Problem aber tiefer zu sitzen scheint und wir an langfristig wirksamen Lösungen sehr interessiert sind, haben wir beschlossen – und diesen Ansatz verfolgen wir auch weiter –, nicht einfach mehr Stellen nach dem Gießkannenprinzip oder auf Zuruf aufzustocken, sondern uns etwas fundierter mit der zunehmenden Komplexität der Verfahren auseinanderzusetzen.

(Beifall bei der SPD)

Im Justizausschuss haben wir uns seit dem Sommer konstruktiv und sachlich zu diesem Thema ausgetauscht. Inzwischen liegen auch die Stellungnahmen der Gerichtspräsidentinnen und Gerichtspräsidenten und der Staatsanwaltschaft vor, die auf die Frage nach der Komplexität der Verfahren in ihrem Aufgabenbereich sehr ausführlich geantwortet und einen guten Einstieg in eine lösungsorientierte Debatte eröffnet haben. Die Antwort in der Großen Anfrage, die auf die Ursächlichkeiten der zunehmenden Komplexität gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität eingeht, liefert hier einen beispielhaften Überblick über die großen fachlichen Herausforderungen, denen Staatsanwälte und Richter ausgesetzt sind. Gerade am Montag habe ich, das nur am Rande, die Möglichkeit genutzt, mich mit unserem neuen Generalstaatsanwalt, Dr. Fröhlich, zu einem ersten Gespräch zu treffen, und habe mit ihm über die Situation der Staatsanwaltschaft gesprochen. Natürlich malte auch er kein rosarotes Bild, aber die pauschale Schwarzmalerei, die sich bei Ihnen so ein bisschen abgezeichnet hat, konnte ich bei ihm Gott sei Dank nicht feststellen.

(Beifall bei der SPD – André Trepoll CDU: Das wäre am Anfang ja auch ganz schlimm!)

Das Thema Arbeitsbelastung der Justiz ist weiterhin eine Daueraufgabe, denn wir haben selbstverständlich ein Interesse daran, dass die Marke Rechtsstandort Hamburg bundesweit ihre Strahlkraft nicht einbüßt. Wir werden dafür sorgen und wir müssen erreichen, dass alle Bereiche der Justiz, auch alle Personalebenen, ausreichend in die Problemlösungen einbezogen werden. Diese Lösungen werden wir auch im Justizausschuss konstruktiv mit vorbereiten, und ich freue mich schon auf alle sachdienlichen Ideen und Anregungen, auch seitens der CDU. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt nun Frau Dr. Timm von der GRÜNEN Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich finde es sehr erfreulich, dass die CDU als tendenziell wirtschaftsfreundliche

(Urs Tabbert)

Partei sich jetzt um das Wirtschaftsstrafrecht kümmert.

(Beifall bei Ulrike Sparr GRÜNE und Martin Dolzer DIE LINKE)

Uns GRÜNEN war das Wirtschaftsstrafrecht schon immer sehr wichtig, denn es handelt sich dabei nicht um Kavaliersdelikte, sondern um schwere Straftaten, bei denen es um viel Geld geht und große Schäden gegenüber der Gesellschaft und dem Staat entstehen, zum Beispiel bei der Steuerhinterziehung. In der Öffentlichkeit treten diese Delikte oft gegenüber Kapitalverbrechen in den Hintergrund, über die sich reißerisch berichten lässt. Das geschieht angesichts der immensen Schäden zu Unrecht, und es ist wichtig, dass auch Wirtschaftskriminalität bestraft wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Deshalb brauchen wir natürlich eine angemessene Ausstattung der Wirtschaftsstrafkammern – das ist keine Frage –, und in der Antwort auf die Große Anfrage ist detailliert aufgeführt, warum die Komplexität gerade bei Wirtschaftsstrafkammern stark zugenommen hat. Allein die Auswertung großer Datenmengen aufgrund rechtlicher Änderungen und der Internationalisierung ist bemerkenswert. Ich möchte an dieser Stelle meinen großen Respekt gegenüber den Richterinnen und Richtern aussprechen, die das in ihrer täglichen Arbeit leisten und bewältigen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ich selbst bin Juristin und kann mir gut vorstellen, was das bedeutet, und ich empfinde große Wertschätzung für diese Tätigkeit. Allerdings sind die Wirtschaftsstrafkammern Bestandteil des Landgerichts und somit der dortigen Gerichtsorganisation unterworfen. Dort hat es Stellenverstärkung gegeben, wie Herr Tabbert auch schon ausführlich ausgeführt hat. Wir hatten das Thema Überlastung der Justiz bereits mehrfach in der Bürgerschaft und vor allem auch im Justizausschuss diskutiert. Vor allem haben Senat und Bürgerschaft darauf reagiert, auch durch die Schaffung zusätzlicher Stellen in der Justiz und im Servicebereich. Auf diese Weise hat auch das Landgericht zusätzliche Stellen erhalten. Natürlich kann es immer noch mehr sein, aber das waren schon konkrete Maßnahmen, und wir haben die Situation weiterhin im Blick.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Dabei ist es wichtig, immer die Situation der Justiz insgesamt zu betrachten. Auch das hat Herr Tabbert schon ausgeführt, nämlich dass es nichts bringt, jetzt die einzelnen Bereiche dezidiert aufzuführen oder eventuell sogar gegeneinander auszuspielen. Das Kriterium der Komplexität – und es ist klar, dass die Komplexität zugenommen hat, das

haben wir festgestellt –, haben wir auch im Koalitionsvertrag. Nicht umsonst sind jetzt auch auf Initiative der Behörde umfangreiche Berichte aus den einzelnen Justizbereichen und von der Staatsanwaltschaft vorhanden. Dazu haben die Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten Stellung genommen, und wir haben das bereits im Ausschuss behandelt und werden es dort weiter behandeln. Wir nehmen diese Rückmeldungen aus den betroffenen Bereichen sehr ernst und werden weiter damit arbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD – André Trepoll CDU: Viele Worte, nichts gesagt!)

Von der Fraktion DIE LINKE bekommt nun Herr Dolzer das Wort.

Liebe Hamburgerinnen und Hamburger, liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin! Auch das Thema der Wirtschaftskriminalität ist am besten zu diskutieren, wenn wir es ganzheitlich betrachten. Unsere Fraktion tritt für die konsequente Durchsetzung des Gewaltenteilungsprinzips und eine Demokratisierung der Justiz ein. Das Vertrauen in die Regeln einer demokratischen Gesellschaft lebt doch gerade davon, dass gesetzliche Regeln für alle gelten, unabhängig vom Einkommen und vom gesellschaftlichen Status. Das ist, wie zum Beispiel der Fall der Vorstände der HSH Nordbank oder der Fall Ackermann zeigen, in der Realität allerdings oft nicht gegeben. Es ist so, dass Straftaten, die im Bereich Wirtschaftskriminalität angesiedelt sind und der Gesellschaft meist riesigen Schaden zufügen, häufig nicht verfolgt werden oder dass sie, wenn es dann geschieht, nicht ausreichend gerichtlich aufgeklärt werden können, weil die Verfahren – wie schon genannt – recht kompliziert sind. Das liegt auch daran, dass die zuständigen Abteilungen der Staatsanwaltschaften sowie auch die zuständigen Gerichte zu schwach ausgestattet sind. Wenn wir allerdings nur an diesem Punkt ansetzen, setzen wir nur an einem Symptom an, und die Ursache der Wirtschaftskriminalität und ihrer schweren Verfolgung ist gesellschaftlich weit tiefer verankert. Genau da setzt die Fraktion DIE LINKE an. Wir wollen nicht das Symptom, sondern die Ursache angehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir uns den Labeling Approach von Professor Fritz Sack ansehen, kommen wir vielleicht ein Stück weiter. Eine zentrale Frage ist doch: Warum gelten innerhalb einer Gesellschaft überhaupt bestimmte Handlungen als Rechtsbrüche und werden als solche geahndet und andere, weit schädlichere, nicht? Oder warum gelten weitere bestimmte Handlungen formal als Rechtsbrüche, werden aber nicht wirklich geahndet?

(Dr. Carola Timm)