Protokoll der Sitzung vom 14.04.2016

[Antrag der FDP-Fraktion: Potenziale der Fernwärmeversorgung im Hamburger Süden prüfen – Drs 21/4032 –]

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 21/4032 ein Zusatzantrag der FDP-Fraktion vor.

Die Fraktionen der CDU und der FDP möchten beide Drucksachen an den Ausschuss für Umwelt und Energie überweisen.

Wird das Wort gewünscht? – Bitte, Herr Gamm von der CDU-Fraktion, Sie haben es.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Versorgung Hamburgs mit Wärme steht vor einer Zäsur. Damit die Versorgung mit Wärme, insbesondere von rund 150 000 Haushalten im Hamburger Westen, auch in Zukunft unterbrechungsfrei sichergestellt werden kann …

(Glocke)

Meine Damen und Herren! Das gilt sowohl für die Bürgerschaftsabgeordneten als auch für den Senat: Gespräche führen wir gern außerhalb dieses Saals. – Herr Gamm, setzen Sie Ihre Rede fort.

Damit auch künftig die Versorgung unterbrechungsfrei sichergestellt werden kann, ist schnellstmöglich eine Ersatzlösung für das Kohlekraftwerk in Wedel zu finden. Trotz eines langwierigen Gutachterprozesses, der bereits vom SPD-Vorgängersenat initiiert wurde, ist nach zweieinhalb Jahren weit und breit keine Lösung in Sicht. Senat und allen voran Umweltsenator Kerstan sind offenbar nicht in der Lage, eine ökonomisch und ökologisch sinnvolle Nachfolgelösung zu finden.

Die unmittelbaren Konsequenzen aus dem fehlenden Willen, eine politische Entscheidung herbeizuführen, sind die Verlängerung der Laufzeit des Kraftwerks Wedel. Das ist schlecht für das Klima in Hamburg und der Welt und führt zu einem Investitionsaufwand von rund 80 Millionen Euro, den am Ende die Hamburgerinnen und Hamburger zu tragen haben.

(Präsidentin Carola Veit)

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Gleichzeitig führt die Ertüchtigung des Kraftwerks zu einem direkten Bruch des rot-grünen Koalitionsvertrags.

(Erster Vizepräsident Dietrich Wersich über- nimmt den Vorsitz.)

Auf Seite 67 heißt es nämlich:

"Eine Ertüchtigung des Kohlekraftwerks Wedel wird ausgeschlossen."

Als dieses Ziel erstmals veröffentlicht wurde und ich das mit Menschen aus der Energiewirtschaft diskutiert habe, gab es von allen eine einhellige Reaktion: Sie haben gelacht, weil die eindeutige Auffassung war, es gebe keine Lösung, die in so kurzer Zeit realisierbar wäre. Insofern ist somit die kategorische Aussage im Koalitionsvertrag entweder das Resultat völliger energiewirtschaftlicher Unkenntnis oder eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit. Ich weiß nicht, was da schlimmer wäre.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es helfen Ihnen auch keine Ausreden. Frau Sparr hat diesen Vorgang nämlich damit kommentiert, dass man rational handeln würde und ab und zu eine Entscheidung revidieren müsse, um andere Problemlösungen zu ermöglichen. Um es deutlich zu sagen: Sie geben eine fundamentale Position nach nur acht Monaten auf, obwohl die Rahmenbedingungen sich faktisch nicht geändert haben. Das ist handwerklich mangelhaft und belegt, wie inhaltsleer und beliebig grüne Energiepolitik in Hamburg ist.

(Beifall bei der CDU)

Das Beste ist: Ich weiß schon jetzt, an welcher Stelle der Koalitionsvertrag als Nächstes gebrochen werden wird. So fordern Sie sinngemäß nämlich die vollständige Öffnung der Wärmenetze für erneuerbare Wärmeerzeugung. Das Ziel, das Wärmenetz weiträumig zu öffnen, mag im ersten Moment gut klingen – es klingt nach Transparenz, es klingt nach dem Ringen um die besten ökologischen Lösungen, und es klingt nach Schaffung von mehr Wettbewerb. So weit, so gut. Doch die Realität sieht anders aus, denn diese Forderung resultiert abermals aus energiewirtschaftlicher und technischer Unkenntnis, wie ein Wärmenetz überhaupt funktioniert. Ein Wärmenetz ist nämlich nicht vergleichbar mit einem Stromnetz, bei dem der Anschluss neuer Erzeugungsquellen relativ einfach vorgenommen werden kann. Bei einem Wärmenetz handelt es sich um ein in sich geschlossenes System, bei dem heißes Wasser hineingepumpt wird, in einen Kreislauf läuft und als kaltes Wasser in sehr individuellen Ausprägungen zurückkommt.

Was würde es nun bedeuten, wenn Sie ein kleines Blockheizkraftwerk (BHKW) an das Fernwärme

netz von Vattenfall anschließen würden? Das möchte ich Ihnen anhand eines Beispiels erläutern. Stellen Sie sich vor, es ist Wochenende, Senator Kerstan steht in seinem Garten, wässert seine Sonnenblumen mit einem Gartenschlauch und hat plötzlich die Idee, den Gartenschlauch an die Löschkanone eines Feuerwehrschiffs anzuschließen. Jetzt frage ich Sie, was dann passieren würde.

(Birgit Stöver CDU: Dann explodiert das Ding!)

Das ganze System Gartenschlauch-Löschkanone würde explodieren. Um das zu verhindern, müssten sehr teure technische Veränderungen vorgenommen werden. Wenn man weiß, dass ein BHKW in der Regel Wasser mit einer Temperatur von 90 Grad bei einem relativ geringen Druck in ein System einspeist, Vattenfall hingegen heißen Dampf mit über 600 Grad bei sehr hohem Druck einspeist, ist klar, wo dieses Problem liegt. Deshalb wurde die nachträgliche Öffnung eines Wärmenetzes nach meinem Wissen nämlich in ganz Europa bisher noch kein einziges Mal vorgenommen.

Selbst wenn man es technisch umsetzen sollte, würde es die Wirtschaftlichkeit massiv beeinflussen und am Ende die Preise der Fernwärme für die Hamburgerinnen und Hamburger erheblich erhöhen.

Das würde interessanterweise gegen die Forderung des Volksentscheids nach Sozialverträglichkeit verstoßen und verdeutlicht abermals, dass bei jeder energiepolitischen Entscheidung auch das energiewirtschaftliche Dreieck zu berücksichtigen ist, also der Dreiklang aus Klimaverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit.

(Beifall bei der CDU)

Dass nicht jede Lösung auch die beiden anderen Ziele gleichermaßen erfüllt, können wir gerade in Kiel beobachten. Dort gibt es ein besonders von den GRÜNEN, vom BUND hoch gelobtes Wärmeversorgungskonzept auf der Basis flexibler Gasmotoren. Doch weil dies wirtschaftlich nicht tragfähig ist, bekommen nun Tausende Kunden in Kiel Verträge mit Preiserhöhungen, die sich durchschnittlich zwischen 50 und 100 Prozent bewegen. Das müssen wir uns vor Augen führen.

Die CDU-Fraktion wird sich daher mit aller Kraft dafür einsetzen, dass es in Hamburg nicht zu einer ähnlichen Situation kommt. Unausgegorene grüne Energieprojekte dürfen bei den Hamburgerinnen und Hamburgern nicht zu massiven Preiserhöhungen führen und die wirtschaftliche Stärke Hamburgs gefährden.

(Beifall bei der CDU und bei Michael Kruse FDP)

Wenn wir ernsthaft nach tragbaren Lösungen suchen, müssen wir uns die Frage stellen, ob wir es uns als Gesellschaft leisten wollen und können, die Wärmeenergie einer bereits bestehenden Erzeugungsanlage aus ideologischen Gründen wegzuwerfen. Das ist der Kern der Frage, der wir uns stellen müssen. Wir brauchen daher eine ideologiefreie Diskussion darüber, mit welchen Lösungen wir einen bestmöglichen Kompromiss innerhalb dieses Dreiecks energiewirtschaftlicher Ziele realisieren können.

Das schließt, wenn auch nicht ausschließlich, die Frage nach Moorburg mit ein. Im Kontext unseres Antrags müssen wir uns daher folgende Fakten vor Augen führen: Die Versorgungssicherheit muss gewährleistet und die Energiewende gleichzeitig zum Erfolg geführt werden. Das ist das entscheidende Ziel, das es zu erreichen gilt. Um das zu erreichen, gibt es zwei Lösungspfade, auf denen wir uns bewegen. Der erste Lösungspfad heißt: Wir bauen neue Erzeugungskapazitäten auf, um Wedel zu ersetzen. Das beinhaltet insbesondere den Bau von Heizkraftwerken und von BHKW-Anlagen. Jedoch ist eine alleinige Fokussierung auf diese Möglichkeiten zum vollständigen Ersatz von Wedel mit erheblichen Risiken verbunden. Zwar hat die kürzlich verabschiedete Novellierung des Kraft-WärmeKopplungsgesetz (KWKG) zu einer deutlich erhöhten Planungs- und Investitionssicherheit für solche Vorhaben geführt, aber sie gibt gleichzeitig ein sehr enges Zeitfenster vor. So muss eine Erzeugungsanlage, die den Genuss dieser Förderung in Anspruch nehmen möchte, bis 2022 in einen Dauerbetrieb gehen, abzüglich eines Testlaufs von einer Heizperiode. Das heißt, Bau und Anschluss müssen spätestens 2021 erfolgen. Vorher müssen aber noch Standorte gefunden werden, es müssen die erforderlichen Genehmigungen eingeholt werden. Im Anschluss daran müssen die Projekte vorbereitet, konzipiert und realisiert werden.

Diese einzelnen Schritte werden jedoch in der Regel nicht so problemlos umsetzbar sein. Es sind Verzögerungen einzuplanen, beispielsweise die offenkundige Langsamkeit der Behörde für Umwelt und Energie. Wenn ich mich daran erinnere, wie lange Sie brauchen, um den Luftreinhalteplan zu entwickeln, wird mir schon angst und bange. Oder aber denken Sie an drohende Klagen des BUND, der bekanntermaßen keine Gelegenheit in Hamburg auslässt, um wichtige Infrastrukturprojekte mit allen Mitteln zu blockieren oder zu verzögern.

Sie sehen also, dass es sehr unwahrscheinlich ist, über diesen Weg fristgerecht zu einem vollständigen Kapazitätsausgleich zu kommen.

Das führt uns nun zu dem zweiten Lösungspfad, nämlich zu der Nutzung von bereits vorhandenen Erzeugungsquellen. In Hamburg gibt es zurzeit keine Erzeugungseinheit, die in der Lage wäre, das Kraftwerk Wedel vollständig zu ersetzen. Das Erd

gasheizwerk Haferkamp ist hierfür nicht geeignet, da es aufgrund seiner Leistungsfähigkeit und seiner Kosteneffizienz nur für den Ausgleich von Spitzenlasten herangezogen werden kann. Als weitere Möglichkeit bietet sich die Ausschöpfung industrieller Abwärmepotenziale wie die von der Aurubis an. Das ist zweifellos ein interessanter Ansatz, der mit einer Kapazität von circa 60 Megawatt aber nur einen Teil der benötigten Wärmeleistung liefern können wird.

Es bleibt noch das Kraftwerk Moorburg. Dort müssen wir zunächst die normative Kraft des Faktischen zur Kenntnis nehmen. Das Kraftwerk Moorburg ist auch langfristig für eine stabile Stromversorgung Hamburgs unverzichtbar. Mit dem Kernkraftwerk Brokdorf wird spätestens 2021 das letzte Großkraftwerk in der Metropolregion Hamburg vom Netz gehen, und es wird noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, dauern, bis Deutschland die erforderlichen Speicherkapazitäten verfügbar hat, um beispielsweise die Stadt Hamburg stabil über erneuerbare Energien versorgen zu können.

Gleichzeitig wird die anfallende Abwärme ungenutzt in die Luft und insbesondere in die Elbe abgegeben. Dies belastet die Umwelt und widerspricht jeder ökonomischen und ökologischen Vernunft. Es kann doch wahrlich niemanden geben, der ernsthaft behauptet, dies sei ein ökologisch wünschenswerter Zustand.

Es geht uns in unserem Antrag nicht darum, die Einbeziehung der Abwärme aus Moorburg als alleinige Lösung zu präferieren. Denn wir sind davon überzeugt, dass die Energiewende nur durch den Wettbewerb verschiedener Versorgungskonzepte untereinander gelingen kann. Daher appelliere ich an Sie: Springen Sie zum Wohl unserer Stadt über Ihren ideologischen Schatten und beziehen Sie die Möglichkeit einer Nutzung der Abwärme aus Moorburg explizit in Ihre Betrachtung mit ein. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Wärme aus Aurubis gut sein soll und die Wärme aus Moorburg schlecht.

Dass Sie offenbar kein Problem damit haben, energiepolitische Positionen geradezu blitzartig zu räumen, haben Sie mit der Laufzeitverlängerung für das älteste Kohlekraftwerk Deutschlands bereits unter Beweise gestellt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Michael Kruse FDP)

Vielen Dank, Herr Gamm. – Als Nächste erhält das Wort Frau Dr. Monika Schaal von der SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Hamburg will die Fernwärme vereinbarungsgemäß 2019 von Vattenfall übernehmen, und jetzt arbeitet die Behörde für Umwelt und Energie an Alternativen zum Kohlekraftwerk We

(Stephan Gamm)

del. Die Behörde ist dabei keineswegs untätig. Sie ist auch nicht unfähig, sondern wir haben bereits im Fachausschuss darüber diskutiert, dass die Dinge außerordentlich komplex sind, Herr Gamm, und das wissen Sie auch. Seit Ende 2015 liegt das Gutachten der Aachener BET-Gesellschaft vor, in dem man die Probleme im Einzelnen nachlesen kann.

Der Kern Ihres Antrags, Herr Gamm, ist natürlich die Moorburg-Trasse. Die Moorburg-Trasse wurde von den Aachener Gutachtern allerdings als die schlechteste aller Varianten für die Fernwärme ausgeschlossen und verworfen. Die Gründe: hohe Kosten, hohe CO2-Emissionen und damit auch ein sehr hohes Kostenrisiko für den Wärmebezug. Unverhältnismäßige Preissteigerungen bei der Modernisierung der Fernwärme – Originalton CDU – wollen wir aber auch nicht. Das fordert die CDU in ihrem Antrag, nimmt aber die nachgewiesenen Kostenrisiken überhaupt nicht zur Kenntnis. So geht es nicht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es ist ziemlich billig, mit dem Finger auf andere zu zeigen, wie Sie es getan haben, Richtung Kiel. Das nutzt uns überhaupt nicht. Auch die Nutzung von Abwärme – das haben wir diskutiert, nicht konkret am Beispiel Moorburg, aber in anderem Zusammenhang –, ist nicht einfach. Auch die Abwärmeeinbindung, die erst geplant, genehmigt, aber auch akzeptiert und gebaut werden muss, braucht eine Anbindung an das große Netz. Abwärme bringt aber auch Probleme mit sich, die man angehen muss. So muss man sich fragen, wer den Bau der Verbindungsleitungen zur Einspeisung herstellt, ob die erforderliche Betriebstemperatur des Netzes erbracht wird – das Problem haben Sie angesprochen, Herr Gamm. Dabei ist es sicher nicht angebracht, alberne Gartenschlauchbeispiele anzuführen, sondern hiermit muss man sich technisch auseinandersetzen.

Wie wird die Wärmeversorgung sichergestellt, wenn die Abwärme ausfällt? Auch das ist nicht trivial. Wo bleibt die kontinuierlich anfallende Abwärme eigentlich zum Beispiel im Sommer, wenn keine Wärme benötigt wird? Im Sommer braucht man keine Fernwärme; man braucht Wärme, um das Warmwasser für die Haushalte zu heizen, und das machen wir in Hamburg in unserer eigenen Anlage in der Borsigstraße ganz ökonomisch mit erneuerbarem Altholz. Diese Anlage in der Borsigstraße reicht. Für den Sommerbetrieb brauchen wir also keine zusätzliche Abwärme. Hier haben wir nämlich bereits ein Teilsegment für die Wärmeproduktion, eine wirtschaftliche und umweltfreundliche Lösung, die wir beibehalten wollen. Aber, wie gesagt, das ist ein Teilsegment.