Denn diese Gruppierungen, und das zeigt sich immer wieder, haben kein Rezept dafür, etwas Gemeinsames aufzubauen, sondern stehlen sich bei erster Gelegenheit stets aus der Verantwortung.
Gleichzeitig: Wer dieser Tage meint, hämisch sein zu müssen, hat weder die europäische Idee noch die Verflechtungen verstanden, in denen wir heute leben. Der Gedanke "Sie haben so abgestimmt, dann haben sie doch selbst schuld" ist nicht nur unsolidarisch, sondern verkennt auch die Auswirkungen auf unser unmittelbares Leben. Vor allem wir Hamburgerinnen und Hamburger fühlen uns dem Vereinigten Königreich besonders verbunden. So wird Hamburg, die als britischste Stadt in Kontinentaleuropa gilt, geprägt von britischen Kultureinrichtungen und Persönlichkeiten.
Heute leben über 4 000 Britinnen und Briten in Hamburg und sind liebgewordene Nachbarn. Jährlich kommen rund 300 000 britische Touristen in die Hansestadt. Etwa 1 000 Hamburger Unternehmen unterhalten Geschäftsbeziehungen zum Vereinigten Königreich, und es befinden sich 70 britische Unternehmen mit Sitz in Hamburg. Es wird also deutlich, dass neben der kulturellen und emotionalen Verflechtung auch wirtschaftliche Verknüpfungen bestehen, die einen Impact auf die Hamburger Wirtschaft und Politik haben. Die Frage, ob es einen sogenannten geordneten oder, wie zunehmend befürchtet, einen ungeordneten Brexit gibt, beschäftigt uns folglich zutiefst, und auch die gestrige Abstimmung hat uns leider nicht wirklich schlauer gemacht.
Fragen hinsichtlich der Zollabfertigung oder der Aufenthaltsfragen stehen im Raum. Wir können zwar die Entscheidungen der Kolleginnen und Kollegen im Unterhaus nicht beeinflussen, aber wir können uns vorbereiten. Genau dies haben wir getan. Schon früh haben wir uns im Rahmen einer Selbstbefassung Brexit im Europaauschuss mit
den unterschiedlichen Szenarien befasst und versucht, mögliche Herausforderungen zu antizipieren. Wir haben uns vom Senat berichten lassen, was die eigens gegründete Koordinierungsstelle Brexit für Vorbereitungen getroffen hat. Wir haben gemeinsam im Ausschuss beraten, wie intensiv der Senat mit Verbänden der Hafenwirtschaft und der Hamburger Unternehmen im Austausch ist. Wir haben uns damit auseinandergesetzt, dass im Rahmen eines behördenübergreifenden NormenScreenings geschaut wurde, ob und welche Normen gegebenenfalls angepasst werden müssen. Wir haben gemeinsam festgestellt, dass neben den zahlreichen Einbürgerungen der Briten in Hamburg, herzlich willkommen by the way, wir auch für die nicht Eingebürgerten eine Lösung gefunden haben, um unbillige Härten zu verhindern.
Wir haben gemeinsam festgestellt, dass wir auch im Falle eines No Deals hinsichtlich der Zollabfertigung sehr gut aufgestellt sind, sodass manche künstlich produzierte Schlagzeile eher als Wahlkampfgeplänkel abzutun ist. Denn auch in der kommenden Europaausschusssitzung am 5. Februar haben wir das Thema Brexit-Übergangsgesetz auf der Tagesordnung. Zu jeglichem Punkt wurde, und das war die zu bewältigende Herausforderung für den Senat, mit jeglichem Szenario gerechnet. Es bleibt also festzuhalten: Hamburg ist gut auf den Brexit vorbereitet, egal wie er kommt, ohne Wenn und Aber.
Doch auch in der Politik darf man ein wenig hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Wir wünschen uns weiterhin ein vereintes Europa mit den Briten als wichtigem Teil in der europäischen Familie. Wir alle wissen, Hamburg ist das Tor zur Welt. Wir wollen aber auch das Tor für Großbritannien in der EU sein. Daher werden wir uns dafür einsetzen, dass dieses Tor für unsere britischen Freundinnen und Freunde sowohl wirtschaftlich als auch kulturell und, vor allem und besonders, in Freundschaft immer offen bleibt.
Jede britische Entscheidung, in der EU zu bleiben, würde von uns sehr begrüßt. Trotz gegenwärtiger Herausforderungen möchte ich allen konstruktiven Kräften die Worte von Winston Churchill in Erinnerung rufen:
Sehr geehrte Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ob sich der Kollege Ilkhanipour mit mir abgestimmt hätte, was er nicht getan hat, möchte auch ich etwas von Winston Churchill beitragen. Manchmal ist es relativ leicht, die Gegenwart zu verstehen, wenn man in die Geschichte schaut. Als es beim Neuaufbau unseres Europas um die Errichtung des Europarats gegangen ist, war London im Gespräch für den Sitz des Europarats. Es war Winston Churchill, der gesagt hat: Das ist nicht der beste Standort für ein zusammenwachsendes Europa. Ich würde Straßburg vorschlagen. Es ist eine französische Stadt mit großer deutscher Geschichte und ich wünsche mir, dass aus Straßburg eine Idee für ein zusammenwachsendes Europa entsteht. Und dieser Mann hat recht behalten. Dieser Mann steht tatsächlich heute hier im Raum und vielleicht ist es manchmal ganz interessant zu sehen, dass Menschen, die vor langer Zeit etwas beigetragen haben für ein gemeinschaftliches Europa, auch heute noch etwas für uns geleistet haben.
Wer nichts für ein gemeinschaftliches Europa leistet und auch nicht für die, die er vermeintlich beschützen möchte, das sind diejenigen, die einfache Antworten auf sehr schwierige und komplexe Fragen der Zeit haben. Wenn eine im Deutschen Bundestag vertretene Partei auf ihrem Bundesparteitag sagt, die Europäische Union sei latent totalitär, würde ich sehr gern mit Zustimmung der Vorsitzenden einen Ausflug in die Literatur wagen: Totalitär bezeichnet die Politikwissenschaft
"eine diktatorische Form von Herrschaft, die […] oft […] mit dem Anspruch, einen 'neuen Menschen' gemäß einer bestimmten Ideologie zu formen"
"die Ausgrenzung bis hin zur Tötung derer, die sich den totalen Herrschaftsansprüchen tatsächlich oder möglicherweise widersetzen."
Diese – von mir jetzt bewusst nicht kommentierte – Äußerung stammt von Herrn Gauland auf dem letzten Bundesparteitag der AfD und der Kollege Wolf wird uns sicherlich gleich mühsam darstellen wollen, dass er sich von diesem Zitat distanziert, oder versuchen, es auszulegen. Und dann wünsche ich ihm in der nächsten Sitzung des Europaausschusses viel Spaß, uns darzulegen, ob er tatsächlich das Vertrauen dieses Hauses genießen mag, wenn er sich davon nicht jetzt und hier distanziert.
Zu einem gemeinsamen Europa kann es gar keine Alternative geben. Ich will gar nicht das viel zitierte Beispiel bringen von den auf den Schlachtfeldern des Ersten und Zweiten Weltkriegs zerstörten Generationen, die uns heute im Aufbau unseres Staates nicht mehr so fehlen wie noch meinen Eltern und meinen Großeltern. Aber nichtsdestotrotz ist gerade in der Wirtschaftspolitik ein gemeinschaftlicher europäischer Motor so wichtig.
Da möchte ich gern das von den Kollegen Tjarks und Ilkhanipour schon bezeichnete Beispiel Airbus bringen. Airbus ist ein derartiges Erfolgsprojekt für unser europäisches Haus. Alles, was an Tragwerken produziert wird, kommt aus dem Vereinigten Königreich. Die Maschinen, die Motoren kommen aus dem Vereinigten Königreich. Es ist ein Produkt aller, es ist ein Produkt so vieler kluger Köpfe. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, dass wir einmal ohne Großbritannien und ohne das Vereinigte Königreich einen solchen Prozess in der Wirtschaft weiter fördern.
Ob nun der Senat so gut aufgestellt ist, wie gerade die Kollegen der Regierungsfraktionen dargestellt haben, möchte ich einmal bezweifeln, denn ehrlicherweise hat der Senat bislang gar nichts unternommen. Er hofft, dass es der Zoll macht,
und 3 Prozent Handelsumschlag ist doch gar nicht so wenig. Wenn wir das in Zahlen fassen, sind es 240 000 Container im Jahr. Ob das so geräuschund spurlos an uns vorbeigeht, mag ich einmal bezweifeln. Dennoch, ich habe, auch wenn ich gestern Fernsehen geschaut habe wie der Kollege Tjarks, immer noch die Hoffnung, dass die Kolleginnen und Kollegen in Großbritannien einen Deal zum Ausstieg aus der Europäischen Union finden, und dann haben wir in der Wirtschaftspolitik nicht ganz so viele Herausforderungen zu meistern, wie wir derzeit befürchten. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die wirtschaftspolitische Runde. – Danke.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Hamburgerinnen und Hamburger, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Einige meiner Vorredner haben es zum Ausdruck gebracht: Die Europäische Union ist für uns alle wichtig. Sie ist ein Staatenbündnis, das zumindest das Potenzial hat für eine sehr gute Entwicklung. Allerdings müssen wir meines Erachtens auch sehen, dass der Brexit Ausdruck ist einer tiefen Krise der EU. Der Brexit steht nicht allein da. Wenn wir an der Seite der britischen Menschen in Hamburg, aber auch
der Menschen in England, in Schottland, in Wales, in Nordirland und in Irland stehen wollen, ist es wichtig, klar zu analysieren und auch zu benennen, wie es überhaupt zu diesem Brexit kam. Es ist wichtig, wenn wir die negativen Konsequenzen des Brexits abwenden wollen – Herr Westenberger hat das ein Stück skizziert, Danial Ilkhanipour hat das ein Stück skizziert –, dass wir dann nicht aufgeben, Herr Tjarks, und sagen: Wir müssen jetzt schon das verwalten, was das schlimmste Szenario ist. Sondern wir sollten alle daran wirken, den Dickköpfen in England, aber auch den Dickköpfen in der EU-Kommission, zu sagen: Wir wollen nicht, dass es zu einem harten Brexit kommt. Wir wollen, dass es zu einem Deal-Brexit kommt oder zu gar keinem. Und dafür müssen wir wirken. Deshalb müssen wir auch in diese Richtung mehr diskutieren.
Der Brexit ist doch auch ein Stück ein Ausdruck von asymmetrischer Machtverteilung innerhalb der EU. Deutschland und Frankreich sind da sehr stark vertreten und England nicht. Eine Kolonialmacht mit einem Stolz, den es dort gibt im Kapital und in der Bevölkerung, geht eben anders um mit Knebelung durch Austeritätspolitik und Ähnlichem als Griechenland oder Italien. Dort werden dann eben die Rechten gewählt,
dort wird darauf eingegangen. Oder Macron versucht, die Agenda 2010 in Meilenstiefeln nachzuholen. England sagt eben: Nein, das tun wir nicht. Auch das ist eine Wahrheit des Brexits und da müssen wir uns in der EU selbst fragen: Warum ist die EU in der Krise, warum sind wir in solch einer Situation?
(Beifall bei der AfD – Dr. Anjes Tjarks GRÜ- NE: Da ist der Beifall! Gucken Sie mal, wer da geklatscht hat!)
Genau da ist Ihr Problem, Herr Tjarks, Sie leugnen diese Probleme weg. Sie benennen es nicht klar. Welche Politik betreibt die EU-Kommission denn im Moment? Sie sagt eben nicht "welcome back" zu denjenigen Akteuren in Großbritannien, die momentan gerade sagen: Wir möchten Return, wir möchten zurück. Sie sagt nicht: Wir sind offen für Nachverhandlungen mit euch, liebe Engländer, liebe britische Regierung, wenn ihr auf uns zukommt. Sondern sie sagt: Wir bleiben starr, wir verhandeln nicht nach, bleibt doch, wo der Pfeffer wächst. Das ist nicht die richtige Art und Weise. Deshalb sagen wir: Wir müssen alles tun, um den No Deal zu verhindern.
Die EU darf nicht sagen: No, stay out, wir sind statisch. Es ist doch klar sichtbar, in England blockie
ren sich die unterschiedlichen Akteure. Theresa May möchte ihren eigenen Vertrag, den sie ausgehandelt hat, weil sie in bestimmten Akteurskreisen tätig ist. Corbyn möchte etwas anderes, der sagt: Ich möchte die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedienen, und das geht innerhalb der EU nicht. Ein anderer Teil von Labour ist Remainer. Wenn wir das sehen als Europäische Union, dann müssen wir doch mit den Verantwortlichen der Kommission reden und sagen: Wir haben eine Verantwortung für dieses gesamte Gebilde, wir haben eine weltweite Verantwortung. Deshalb müssen wir die EU auf friedliche und auf soziale Bedingungen ausrichten und müssen gucken, dass nicht ein wesentlicher Teil der EU, nämlich England, wegbricht, weil Konditionen in der EU da sind, faktisch da sind, die Bevölkerung von Teilhabe oder die gesamten Länder auszugrenzen. Das müssen wir wahrhaben, diese Krise.
Wenn wir das nicht wahrhaben wollen, dann werden wir ein Land nach dem anderen haben, das rausbricht oder in dem Rechtspopulisten und rechte Kräfte wie in Italien an die Macht kommen.