145 wurden durch Polizisten oder Bewachungspersonal verletzt. Im gleichen Zeitraum erlitten 283 Menschen beim Grenzübertritt nach Deutschland Verletzungen, 159 wurden während der sofortigen Zurückschiebung verletzt. Das sind Tatsachen, die keinem ein ruhiges Gewissen und ungestörten Schlaf bereiten sollten. Das sind Fakten, die uns alle veranlassen sollten, Debatten unter dem Slogan „Selektierte Einwanderung ja, Asylrecht nein!“ entschieden entgegenzutreten.
(Reinhardt Thomas, CDU: Dann ist der orga- nisierte Menschenhandel also in Ordnung, Herr Dr. Timm? Das ist doch ‘ne tolle Aussage!)
Diejenigen, die solche Debatten führen, sind die gleichen, die bei den Sozialleistungen weniger Staat wollen, damit sozial Schwache noch weniger erhalten, zugleich jedoch nach Staatshilfe bei der Anwerbung von Arbeitskräften im Ausland rufen, um noch mehr Gewinne machen zu können. Diese neoliberale Logik ist unvereinbar mit Humanität und Achtung der Menschenwürde, weil diese Logik eine neue Form von Kolonialraub darstellt.
Seit langem gibt es dafür den Begriff des Braindrain, des Abzugs von Gehirnen. Wissen und Qualifikation sind gefragt, nicht der ganze Mensch.
Eine demokratische Korrektur der bundesdeutschen Emigrations- und Asylpolitik ist überfällig. Auch die Änderung des Artikels 28 Absatz 1 des Grundgesetzes gehört dazu, um auch den Nicht-EU-BürgerInnen das Wahlrecht als Ausdruck direkter demokratischer Mitwirkungsmöglichkeit bei uns zu eröffnen, auch wenn es zunächst allein das kommunale Wahlrecht ist. Menschen, die zu uns kommen, müssen sich dauerhaft niederlassen können und dürfen nicht länger diskriminiert werden. Sie müssen gleiche soziale und politische Rechte haben wie alle anderen hier Lebenden.
Wissen Sie, geehrte Damen und Herren, dass 1990 die UNO eine Konvention über Wanderarbeit beschlossen hat
und was diese fordert? Sie fordert für alle WanderarbeiterInnen Schutz vor Diskriminierung, Freizügigkeit und Recht auf Familiennachzug, freie Ausübung der Religion und freie kulturelle Betätigung, Kündigungsschutz, Schutz vor Ausweisung und gleiche soziale Sicherheit wie die Staatsangehörigen der Anwerberstaaten, gleichen Zugang zur Berufsberatung, Arbeitslosengeld, Umschulung und Schutz vor Mietwucher, gleiche Bildung und Ausbildung für ihre Kinder sowie freie politische und gewerkschaftliche Betätigung und Streikrecht. Da haben wir hier noch einiges zu tun.
Die Konvention hatte die CDU/CSU-Regierung damals nicht unterzeichnet. Sie ging ihr einfach zu weit. Aber auch die jetzige Bundesregierung weigert sich bis heute, die Konvention anzuerkennen.
Offene Grenzen für Menschen in Not, Asylrecht, Einwanderungsrecht auf menschenrechtlicher Basis, Niederlassungsrecht sowie gleiche Rechte wie das Wahlrecht für alle Menschen, die hier leben, die hier bleiben wollen, das wäre eine humane und demokratische Asyl- und Emigrationspolitik. Dafür sollten wir hier im Landtag wie auch außerhalb des Parlamentes eintreten und streiten, also auf die Zeichen der weltweiten Entwicklung reagieren, ehe uns das Problem überrollt.
Lassen Sie mich zum Schluss anlässlich des Besuchs von Vertreterinnen und Vertretern des Sejmik der polnischen Woiwodschaft Westpommern hier im Landtag auf eine Aufgabe von hoher Priorität hinweisen, zumal es Absichtserklärungen und Absprachen gab, um die Beziehungen enger zu gestalten und voneinander bei der Suche nach Problemlösungen zu profitieren. Dabei müssen wir uns dringlich Folgendem zuwenden: Das deutschpolnische 2-plus-4-Abkommen verlangt eine Gleichbehandlung der Minderheiten beiderseits der Grenze. Während jährliche Millionenbeträge oft über politisch weit rechts stehende Kreise aus dem Bundeshaushalt an die deutschen Minderheiten in Polen fließen, werden die fast eine Million Menschen polnischer Herkunft bei uns nicht einmal als nationale Minderheit anerkannt. Das, so appelliere ich an uns alle, darf so nicht bleiben. – Danke schön.
In seinen Ausführungen waren ja durchaus auch historische Bezüge enthalten und daran würde ich gerne anknüpfen. Ich würde gerne anknüpfen an die amerikani
sche Unabhängigkeitsbewegung, die ja bekanntlich für die demokratischen Entwicklungen in Europa nicht ohne Bedeutung gewesen ist. Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg begann bekanntlich mit der Boston-Tea-Party, wo amerikanische Bürger Tee im Hafen von Boston ins Wasser geworfen haben
als Protest dagegen, dass sie einerseits Steuern zahlen mussten, andererseits aber im Londoner Parlament nicht vertreten waren.
Die Parole dieser protestierenden Bürger war: „No taxation without representation“ – „Keine Besteuerung ohne Vertretung“.
Und nun frage ich Sie, meine Damen und Herren: Wie machen wir denn das in unseren Gemeinden? Ich wüsste nicht, dass es für EU-Bürger Ausnahmeregelungen von kommunalen Steuern, kommunalen Gebühren oder Ähnlichem gäbe, sondern sie zahlen ihre Grundsteuer, wenn sie Grundbesitzer sind, sie zahlen ihre Gewerbesteuer,
wenn sie ein Gewerbe betreiben, sie zahlen kommunale Gebühren und Abgaben wie jeder andere Mensch auch.
Nur eines haben sie nicht: representation. „Taxation without representation“ findet hier ganz genau statt
… das ist ganz hart im Widerspruch zu diesem Grundgedanken, der in Amerika am Anfang der Unabhängigkeitsbewegung gestanden hat.
Herr Kollege Müller, ist Ihnen bekannt, dass es sich bei der Boston-Tea-Party um Bürger eines Landes handelte, die in ihrem eigenen Land, nämlich in Amerika, aufgrund der damaligen Verhältnisse kein Wahlrecht hatten? Und teilen Sie meine Auffassung, dass Ihr Vergleich absolut daneben geht?
Lieber Kollege Jäger, natürlich ist es historisch richtig, dass es sich dort um eine Kolonie handelte, aber diese Kolonie und diese Kolonialisten wollten im Parlament vertreten sein, weil sie einen grundsätzlichen Gedanken,
der in diesem englischen Zitat zum Ausdruck kommt, verfochten haben. Ich halte diesen grundsätzlichen Gedanken für sehr richtig. Wer vom Staat mit Lasten belegt wird, der muss auch die Möglichkeit haben, auf die Gestaltung dieser Lasten, auf die Verwendung dieser Lasten Einfluss zu nehmen.
Und dieser Grundgedanke, der steckt darin, dass ich jedem das Wahlrecht gebe, sofern er bestimmte Mindestvoraussetzungen erfüllt, insbesondere eine gewisse Mindestaufenthaltsdauer und so weiter. Von daher halte ich meinen Vergleich mit der Boston-Tea-Party überhaupt nicht für hinkend.
Aber um noch ein paar Argumente hinzuzufügen, ich habe gerade eben noch mal kurz mit meinen sozialpolitischen Kollegen gesprochen: Fakt ist, in den Selbstverwaltungsorganen der Sozialversicherung besitzen alle Beitragszahler Wahlrecht. Und meine Sozialpolitiker haben mir mit einem völlig selbstverständlichen Augenausdruck gesagt: Ja wieso, die zahlen doch Beiträge, dann haben sie auch Wahlrecht. Und genau das will dieser Antrag für die Kommunen. Die zahlen doch auch Beiträge, die zahlen doch auch Gebühren, die zahlen doch auch Steuern, dann müssen sie auch Wahlrecht haben.