Protokoll der Sitzung vom 01.02.2001

Meine Damen und Herren! Wir sehen unbedingt Handlungsbedarf. Wir brauchen mehr Daten und daher wollen wir den Landtag auffordern, diese Gelder bereitzustellen. Ich hoffe, dass Sie im Interesse der Städte und Gemeinden, im Interesse der Landkreise, aber auch im Interesse der Spitzenverbände der Wohlfahrtsverbände dieser Feldstudie zustimmen, und sehe der Diskussion mit Spannung entgegen. – Danke schön.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 30 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Rißmann von der SPD-Fraktion. Bitte sehr, Herr Rißmann.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn feststellen: Ich kann keine neue Idee aus diesem Antrag der CDU entnehmen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Bei der Behandlung der Großen Anfrage zu den Kindertagesstätten haben wir uns im November letzten Jahres in der Landtagssitzung ausführlich darüber unterhalten. Zudem ist in der Anhörung im Finanzausschuss, auf die ich noch einmal hinweisen möchte, alles auch von Ihnen gefragt worden, was im Zusammenhang mit Ihrem Antrag hier hätte gefragt werden können. Ich verweise auch noch auf die Reden der 49. Landtagssitzung, in denen detailliert auf die Probleme eingegangen worden ist. Ich will gerne einige noch einmal nennen, sie in Erinnerung rufen, aber Sie müssten sie eigentlich alle kennen und sie selber registriert haben, als Sie den Antrag formuliert haben.

Bezüglich einer detaillierten Analyse der Kostenstruktur von Kindergärten ist allen hinlänglich bekannt, dass die anteilige Erstattung der durchschnittlichen Betriebskosten aus dem Landeshaushalt nicht auskömmlich ist, da die Regelkosten in der Betriebskostenverordnung bisher nicht auf der Basis der ermittelten realen Kosten festgelegt wurden. Zudem liegt eine Ursache in der Struktur der Regelkosten selbst. Die differenzierten Kostenstrukturen der Einrichtungen, die sich ergeben aus unterschiedlicher Altersstruktur der Mitarbeiter, den damit verbundenen unterschiedlichen Personalkosten, dem unterschiedlichen Bedarf an Hauswirtschaftspersonal, unterschiedlichen Leitungsanteilen auf Grund der Kinderzahlen, baulichen Besonderheiten der Einrichtung, Preisunterschieden für Strom, Wasser, Mieten, Pacht, Abschreibungen, Auslastung der Einrichtung, dem Verhältnis von Teilzeit- und Ganztagsplätzen, der Anzahl der Kinder in der Einrichtung und dem jeweiligen Anteil Krippe, Kindergarten und Hort, werden durch die Durchschnittswerte nicht berücksichtigt und führen so zum Teil trotz wirtschaftlicher Haushaltsführung zu erheblichen Defiziten, die der Träger nicht selbst schultern beziehungsweise abstellen kann. Um hier Abhilfe zu schaffen, muss die Finanzierungsform geändert werden. Darüber gibt es keinen Dissens und deswegen verstehe ich diesen Tenor in dem Antrag nicht. Mit einem externen Gutachten ist uns da auch nicht geholfen. Die Situation kennt jeder, Sie auch, Herr Glawe.

Frau Ministerin Bunge hat in der Debatte zur Großen Anfrage der CDU bestätigt, dass ein dringender gesetzlicher Änderungsbedarf für die Ermittlung der Landesbeteiligung an den Aufwendungen für Kitas besteht. Somit bedarf es keiner Aufforderung Ihrerseits, um hier tätig zu werden.

(Beifall Dr. Margret Seemann, SPD, und Annegrit Koburger, PDS)

Wenn über Kosten gesprochen werden muss, kann natürlich dabei auch die Finanzierung der Standards nicht außen vor bleiben. Dabei darf es nicht zu einer Verschlechterung der Standards kommen, was bei der Diskussion sicher immer wieder auch ein bisschen unterstellt wird, dass das eine der Zielstellungen sein könnte, billiger etwas zu machen, was dann hinterher unter dem Strich schlechter wird.

Das Betreuungsangebot muss qualitativ den Bedürfnissen der Kinder gerecht werden. Dazu gehört für mich natürlich auch, Erzieherinnen und Erziehern Hilfe anzubieten, um die Qualität der Arbeit weiterentwickeln zu können. Für notwendig halte ich auch, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich mit ihren Einrichtungen identifizieren können, dass sie nach außen strahlen: „Ich leiste hier eine Arbeit, für die ich gerade stehe.“, dass sie nach außen tragen den Eindruck für die Eltern, für die Kinder, dass hier eine akzeptable Umgebung, in der sich Kinder wohl fühlen können, vorhanden ist.

Qualität bedarf auch qualifizierter Arbeitsplätze. Rahmenbedingungen wie Personalschlüssel, Gruppengröße, Vor- und Nachbereitungszeit beeinflussen die pädagogische Arbeit, deshalb wird die Qualitätsdiskussion stets die Rahmenbedingungen für die Arbeitsplätze berücksichtigen müssen.

Meine Damen und Herren! Frühkindliche Erziehung ist der erste Schritt in einen lebenslangen Lernprozess und deshalb ist die Bildung in Kindertagesstätten ein grundlegender Baustein. Kindliche Lernprozesse sind der Ausgangspunkt für weitere Ordnungen des Denkens. Deshalb ist es auch so wichtig, diese bestmöglich zu entwickeln. Dabei muss im Vordergrund stehen, die Potentiale der Kinder zu erkennen und zu fördern. Und wenn heute bei einzuschulenden Kindern eine zehnfach höhere Rate an Sprachproblemen registriert wird im Vergleich zu vor etwa zehn Jahren, dann liegt es sicher zum Teil an der mangelnden Kommunikation innerhalb der Familie, dass die Kinder vor einem Fernsehgerät sitzen oder mit einem Gameboy unterwegs sind, anstatt dass sich im Zwiegespräch ihre Ausdrucksfähigkeit, die Sprache, entwickelt. Und dann liegt es auch ein bisschen daran, dass diese Belange in den Kindertagesstätten stärker berücksichtigt werden müssen.

Ein Thema, das Sie ansprechen mit Ihrem Antrag, ist die Integration behinderter Kinder. Es gibt im Lande insgesamt über 1.000 Plätze in über 270 Gruppen in integrativen Kindertagesstätten, 251 in Sonderkindergärten, 40 in Sondergruppen der Kindertagesstätten, 6 Plätze in Einzelintegration, 637 Plätze in Horten für lernbehinderte Kinder. Es liegen also durchaus Zahlen vor und eine Notwendigkeit sehe ich eher darin, die Integration zu fördern, statt noch einmal eine Analyse über die vorhandenen Bedingungen vornehmen zu wollen.

Lassen Sie mich noch auf ein letztes Problem kommen, meine Damen und Herren. Wir sind der Auffassung, dass die von Ihnen am Beginn Ihres Antrages unter Punkt 1

geforderten Daten zur demographischen Entwicklung sehr wohl zur Verfügung stehen. Es hat am 1. und 2. Dezember 2000 vom Bildungsministerium in Schwerin organisierte Wissenschaftstage gegeben, bei denen Fachleute aus ganz Deutschland, auch aus unserem Land, sehr detailliert zu diesen Problemen sich geäußert haben. Ich habe niemanden aus Ihrer Fraktion, auch nicht die Mitarbeiter, die Sie sonst zu solchen Veranstaltungen manchmal schicken, dort registrieren können.

Die Bevölkerungsberechnung geht davon aus, dass Mecklenburg-Vorpommern die zusammengefasste Geburtenziffer der alten Bundesländer bis 2015 auch erreichen wird. Das heißt, dass dann ein Niveau erreicht wird, dass pro 1.000 Frauen im gebärfähigen Alter 1.450 Kinder zu erwarten sind. Gegenwärtig sind wir noch weit davon entfernt, der Bundesdurchschnitt liegt bei 1.300 Kindern pro 1.000 Frauen im gebärfähigen Alter. Sie sehen also, ich könnte auch noch einige andere Beispiele für Ihre Absicht, über ein Gutachten, über eine Erhebung neue Erkenntnisse zu gewinnen, ad absurdum führen. Die Ergebnisse liegen vor und es ist zu handeln. Ich habe in erster Linie natürlich die finanziellen Bedingungen angeführt, aber die anderen, die wir dabei mit berücksichtigen müssen, auch. Ich sehe keinen Sinn darin, einen hier von Ihnen vorgelegten Antrag zu befürworten. Meine Fraktion lehnt diesen Antrag ab. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Koburger von der PDS-Faktion. Bitte sehr, Frau Koburger.

Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Eine Vorbemerkung, vornehmlich gerichtet an die Damen und Herren der CDU-Fraktion: Haben Sie neuerdings ein Herz für Kinder,

(Harry Glawe, CDU: Haben wir schon immer. Sie wissen wahrscheinlich gar nicht, was Familienpolitik bedeutet. – Dr. Armin Jäger, CDU: Schon immer.)

beziehungsweise erschließen Sie sich neue politische Ansätze in der Kinder- und Familienpolitik? Wenn dem so wäre, könnte ich es nur begrüßen, wenn damit auch ein neuer Ansatz bezüglich der Bedeutung von Kindern für die Zukunft eines Landes einschließlich der Stellung der Familie in der Gesellschaft erzielt wäre.

Diesen neuen Ansatz, meine Damen und Herren der CDU, kann ich beim besten Willen in Ihrem Antrag nicht erkennen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das überrascht uns nicht.)

Schon in der Aussprache zur Großen Anfrage bezüglich der Qualität bei der Kindertagesstättenförderung, nein, eigentlich schon bei Ihrer Fragestellung, wird deutlich, dass es Ihnen nicht um eine andere Kinder- und Familienpolitik geht, die den heutigen Lebensbedingungen Rechnung trägt. Es geht Ihnen nicht um, ich sage es noch einmal in Stichworten:

Kinder brauchen Kinder,

Kinder brauchen die Gemeinschaft Gleichaltriger, um soziale Kompetenz zu erwerben,

Kinder brauchen Lebensräume, die ihren psychischen und physischen Besonderheiten entsprechen,

Bildung und Erziehung der heranwachsenden Generation ist gemeinsame Aufgabe und Pflicht von Eltern und Gesellschaft, sprich Staat,

Aufgabe daraus für die Politik heißt, Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen,

sondern Sie fragen und diskutieren in Kleinklein: Wie viel soll es kosten? Und wem könnten wir den schwarzen Peter zuschieben für eine verfehlte Politik,

(Harry Glawe, CDU: Ach, das machen wir, ja? Das machen wir? Das ist ja unerhört, was Sie vortragen! – Barbara Borchardt, PDS: Da hatten wir heute schon ganz andere.)

die Sie zum überwiegenden Teil in 16 Jahren Regierungsverantwortung auf Bundesebene und 8 Jahren in Mecklenburg-Vorpommern bestimmt haben. Das, meine Damen und Herren, ist nämlich die Ausgangsgröße!

Wer hat vor zehn Jahren das Kinder- und Jugendhilfegesetz auf den Weg gebracht mit der Halbherzigkeit „Alles zum Wohle der Kinder, aber ohne finanzielle Beteiligung des Bundes“? Wer hat dafür gesorgt, dass die flächendeckende Versorgung mit Kinderbetreuungsplätzen in den neuen Bundesländern quasi über Nacht zerschlagen wurde, weil im Osten nicht sein durfte, wovon der Westen träumt? Ich könnte Ihnen noch stundenlang Fakten aufzählen, meine Damen und Herren der CDU, die für Ihre Politik gerade auf diesem Gebiet zu Buche stehen. Und mit diesem Erbe, mit dieser Hinterlassenschaft haben wir es heute zu tun.

Ja, wir setzen alles daran, die Bedingungen für die Bildung, Erziehung und Betreuung der heranwachsenden Generation zu verbessern und dafür die gesetzlichen Regelungen zu schaffen. Ja, wir haben leider nur begrenzte finanzielle Spielräume und trotzdem, der Versuch wird unternommen. Dazu bedarf es aber nicht der von Ihnen geforderten Feldstudie, denn die von Ihnen benannten Aspekte sind zum einen hinreichend bekannt – Herr Dr. Rißmann hat es hier schon dargelegt –, zum Beispiel liegt die Entwicklung der Geburtenzahlen vor, die Analyse der Kostenstruktur wird jährlich vorgenommen. Und hinsichtlich der Standards, welche auch immer Sie meinen mögen, springt aus jedem Wort Ihres Antrages: „unnütz“, „zu teuer“. Um die Kinder beziehungsweise die betroffenen Familien geht es Ihnen nicht.

Meine Damen und Herren der Opposition, im Übrigen kommen Sie mit Ihrem Antrag einfach zu spät,

(Harry Glawe, CDU: So?)

wir haben nämlich schon heftig gearbeitet. Jedoch über ungelegte Eier wollen wir heute nicht reden. So viel vorab. Sie werden ausreichend Möglichkeit haben, sich innerhalb des parlamentarischen Verfahrens einzubringen. Ich bin schon heute gespannt auf Ihre Vorschläge und gern bereit, mit Ihnen in der Sache zu streiten. Das Ziel allerdings muss sein, das Bestmögliche für die Bildung, Erziehung und Betreuung der Kinder in Mecklenburg-Vorpommern zu erreichen. Den vorliegenden Antrag lehnen wir aus den genannten Gründen ab. – Danke.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS und Beate Mahr, SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Glawe von der CDU-Fraktion. Bitte sehr, Herr Glawe.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es erstaunt mich schon, wie Sie hier wieder mit einem Antrag der CDU-Fraktion umgehen. Sie deklarieren sich wieder zur Kinderpartei und meinen, Sie haben das alleinige Recht, über Kinder in diesem Land zu reden

(Annegrit Koburger, PDS: Das hat keiner behauptet.)

und Sie sind auch die Alleinvertreter von Kindern. Das weise ich erst mal strikt zurück.

Ich verweise eindeutig auf die Familienpolitik der CDU.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Die war ja schlimm genug. – Annegrit Koburger, PDS: Jaja, na klar!)

Die hat sich bewährt. Immerhin haben wir hier immer noch 90.000 Kindergarten- und Hortplätze im Land. Die haben Sie nicht aufgebaut, meine Damen und Herren.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Dr. Margret Seemann, SPD: Und wie viele hatten wir vorher, Herr Glawe? – Barbara Borchardt, PDS: Die sind wohl woanders aufgebaut worden. Die haben Sie wohl nicht aufgebaut.)

Sie haben eher dafür gesorgt, dass die Investitionen auf null Mark zurückgedreht worden sind. Das sind Ihre Leistungen. Und heute legen Sie sozusagen klammheimlich ein Gesetz vor, das zwei Ziele hat: Sie wollen die Beiträge deckeln. Warum wollen Sie denn die Beiträge des Landes deckeln?