Protokoll der Sitzung vom 21.05.2003

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach diesem Grundsatzreferat unserer Ministerin bleibt mir ja eigentlich nicht mehr viel zu sagen.

Ich möchte vielleicht noch mal eine kleine Klarstellung hier anbringen, Herr Glawe. Das Klagelied der Ärzteschaft oder vielmehr der Kassenärztlichen Vereinigung, in das

Sie jetzt auch eingestimmt haben, zum bevorstehenden Ärztemangel in unserem Land geht von zwei Grundannahmen aus, die meines Erachtens total falsch sind:

Zum einen wird rechnerisch angenommen, dass nicht eine einzige frei werdende Stelle auch wieder nachbesetzt wird, in der Aufstellung der KV, die Ihnen sicherlich auch zugegangen ist. Selbst wenn wir künftig nur 20 Prozent besetzen, haben wir immer noch eine ausreichende Versorgung und das ist eine langfristige Tendenz. Die können Sie sicherlich auch nicht bestreiten.

Zweitens wird davon ausgegangen, dass die Bevölkerungszahl in Mecklenburg-Vorpommern konstant ist. Auch das ist immer der gleiche Ansatz bei der Aufstellung der KV. Wenn wir die Prognosen zu unserer Bevölkerungsentwicklung aber betrachten, müssen wir jährlich mit der Abwanderung von etwa 10.000 bis 12.000 Menschen rechnen.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Ja, Herr Riemann, das ist nun mal eine traurige Tatsache, der wir uns aber leider stellen müssen, auch in der Ausrichtung der Strukturen.

Allein durch diesen Effekt benötigen wir auch in der Perspektive immer weniger Ärzte. Von einer tatsächlich drohenden Unterversorgung der Menschen kann in Mecklenburg-Vorpommern keine Rede sein. Wir brauchen nicht mehr Ärzte, sondern eine bessere Verteilung der Niederlassungen. Und da stimme ich Ihnen zu, Herr Glawe.

(Beifall Renate Holznagel, CDU – Harry Glawe, CDU: Ja, danke.)

Aber wer soll es regeln? Da kann ich auch nur wieder sagen, der Sicherstellungsauftrag liegt bei der KV. Und Ihre Vorschläge, die Sie uns hier in den Anträgen unterbreitet haben, sind dafür völlig ungeeignet.

Eine Ost-West-Angleichung der Gehälter wollen wir alle. Das steht auch sogar in unserem Parteiprogramm. Nur wir wollen sie für alle Menschen und nicht zuerst für die Berufsgruppe, die ohnehin zu den Spitzenverdienern in unserem Land gehört.

(Beifall Angelika Peters, SPD)

Und eine weitere Folge wäre, wenn wir jetzt eine OstWest-Angleichung sofort vollziehen, wer soll das bezahlen, Herr Glawe? Das müssen die Krankenkassen bezahlen. Und wenn die Krankenkassen das in unserem Land bezahlen sollen, steigen die Beitragssätze.

(Reinhard Dankert, SPD: Ja sicher.)

Irgendwann muss sich auch die Opposition mal entscheiden, was sie will – entweder die Beitragssätze hoch oder die Lohnnebenkosten senken. Diese Entscheidung müssen Sie auch für sich treffen.

(Harry Glawe, CDU: Das wissen Sie ja.)

Herr Glawe, ich denke, wir sind in vielen Dingen, was die Gesundheitspolitik betrifft, doch auf einem guten gemeinsamen Weg. Ich denke, wir sollten auch bei der Bewältigung der Strukturprobleme gerade im niederlassenden Bereich im ländlichen Raum auch gemeinsam weiter unser – ich sage es mal so offen – nicht unerhebliches Gewicht in die Waagschale werfen, um hier Verbesserungen zu erzielen. Das haben wir bisher gemacht und ich denke, das werden wir in Zukunft auch weiter so tun. Letztendlich werden davon auch die Menschen in unse

rem Lande profitieren. Wir sind da zu allen Möglichkeiten bereit, die sich im regionalen Bereich abspielen.

Leider muss ich Ihren Antrag im Namen der SPD-Fraktion anbieten, nein, ablehnen.

(Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU: Ich habe mich richtig erschrocken eben.)

Gleichwohl biete ich Ihnen an, dass Sie an den konstruktiven Gesprächen teilnehmen, die von Seiten der SPD geführt werden mit den Beteiligten, mit den Kassen, mit der Kassenärztlichen Vereinigung, in diese Gespräche konstruktiv mit einzusteigen, damit wir hier was bewegen können für die Bürger in unserem Land. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete der CDU-Fraktion Herr Renz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben keinen Ärztenotstand in Mecklenburg-Vorpommern, aber ein ernsthaftes Problem mit dem anstehenden Generationswechsel in der Ärzteschaft des Landes. Mehr als ein Drittel der niedergelassenen Hausärzte erreicht in den nächsten fünf Jahren das Ruhestandsalter. Vermehrt höre ich auch davon, dass es schwierig ist, insbesondere auf dem Land Nachfolger für Praxen zu finden. Ich sehe das nicht ohne Sorge. Nach dem Gesetz hat allerdings die Kassenärztliche Vereinigung den Sicherstellungsauftrag für die ambulante Versorgung zu lösen. Ich denke, die Ausführungen bis zu dieser Stelle sind vollkommen richtig. Das sind die Ausführungen von Frau Dr. Linke in der Ausgabe „Die Straße“. Diese Ausführungen gehen aber auch noch weiter, indem sie sagt, ich zitiere: „Die Rahmenbedingungen dafür müssen wir in der Politik schaffen.“ Ich frage mich jetzt ernsthaft, nachdem ich die Diskussion bis hierher verfolgt habe: Nach welchem Schema werden hier Meinungen eigentlich vorgetragen?

(Torsten Koplin, PDS: Gesundheitsreform.)

Wir haben in unserem Antrag eigentlich genau das,

(Wolfgang Riemann, CDU: Heute hü und morgen hott. – Zuruf von Torsten Koplin, PDS)

was ich eben zitiert habe, Frau Ministerin, genau das haben wir aufgegriffen. Das sind Ihre Ausführungen aus dem Jahre 2003,

(Wolfgang Riemann, CDU: Frei nach Lenin: Ein Schritt vor und zwei Schritte zurück! – Regine Lück, PDS: Wenn Sie den mal lesen würden!)

die ich an dieser Stelle eindeutig als richtig bekräftigen möchte.

Und auch Herr Glawe hat es schon angesprochen, die Pressemitteilung vom Mai 2002 aus dem Sozialministerium – damals noch unter einer anderen Ministerin – beinhaltet ebenfalls diese Punkte. Und ich verstehe jetzt an dieser Stelle nicht – und das ist für mich wirklich unbegreiflich, ich war mir eigentlich relativ sicher, dass gerade die Fraktion der PDS unseren Antrag hier unterstützen wird – die Rolle rückwärts, dass alles das, was richtigerweise hier gesagt wurde, plötzlich nicht mehr wahr sein soll. Also das muss mir wirklich mal jemand erklären.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Wahrscheinlich wird das nachher irgendwo beim Kaffee passieren. Hier in der Öffentlichkeit scheut man sich einfach, unserem Antrag – Herr Glawe hat das gesagt –, der sich mit der Zukunft beschäftigt, zu folgen.

(Torsten Koplin, PDS: Davon hat die PDS ja gar nicht gesprochen! – Gabriele Schulz, PDS: Warten Sie doch erst mal ab! Herr Koplin spricht ja noch!)

Ach, die Zustimmung kommt noch.

(Gabriele Schulz, PDS: Er spricht ja noch.)

Das freut mich!

(Zuruf von Torsten Koplin, PDS)

Keiner von uns hat den Ist-Zustand hier kritisiert, Herr Dr. Nieszery. Das ist einfach so. Wir sehen es auch so, dass es im Moment von der medizinischen Versorgung her, wenn wir den Ärztebestand in dem Sinne nehmen, keine Probleme gibt. Aber hier heute an dieser Stelle geht es um die Probleme, die Frau Linke richtigerweise aufgezeigt hat. Ich denke, wir sollten uns schon einmal mit der Zukunft befassen. Die Statistik liegt Ihnen ja sicherlich vor, aber der eine oder der andere von den Zuhörern hat sie vielleicht auch nicht parat. Deswegen will ich hier ganz einfach an dieser Stelle mit zwei, drei Beispielen einmal untermauern, dass aus unserer Sicht hier Handlungsbedarf besteht.

Betrachten wir den Ersatzbedarf an Fachärzten – ich greife jetzt ganz einfach mal aus dieser Statistik der Kassenärztlichen Vereinigung Folgendes heraus: In sechs Jahren bedeutet das, dass wir zum Beispiel bei den Kinderärzten einen Ersatz von 32 Prozent beschaffen müssen, bei den Frauenärzten 29 Prozent, bei den Nervenärzten 39 Prozent. Und das sind eigentlich aus unserer Sicht Zahlen, die man nicht wegdiskutieren sollte. Sicherlich sollte man sich damit noch mal intensiv befassen. Aber befassen sollte man sich damit, weil dieses Problem auf uns zukommen wird. Wenn wir die Hausärzte nehmen – auch hier eine Statistik –, sieht es noch dramatischer aus. Die Ministerin sprach – ich hatte das ja zitiert – von einem Drittel. Wenn ich jetzt noch mal den Landkreis Güstrow herausgreife, haben wir dort 44 Prozent Ersatzbedarf in sechs Jahren, im Landkreis Parchim 47 Prozent, im Uecker-Randow-Kreis 42 Prozent. Das sind doch Zahlen, die sich nicht die CDU-Fraktion hier aus den Fingern zieht, sondern die Kassenärztliche Vereinigung legt diese Zahlen auf den Tisch. Unsere Frau Ministerin ist dem ja bisher, bis zur heutigen Debatte gefolgt und erkennt diesen sich eventuell entwickelnden Notstand an.

Es geht mir hier an dieser Stelle nicht darum, in der Bevölkerung Panik zu verbreiten, sondern es geht doch darum, den Tatsachen ins Auge zu schauen. Und wenn Sie die Statistiken gelesen haben, wir könnten das fortführen, wenn wir das hier nehmen: Augenärztliche Praxen in Anklam, Lübz, Bützow, Warin werden geschlossen, finden keinen Nachfolger. In Rostock und Greifswald können vier Praxen nicht besetzt werden. Hals-Nasen-OhrenÄrzte in Ludwigslust finden keinen Nachwuchs. Und so geht das weiter und weiter. Wartezeiten in psychotherapeutischen Praxen betragen bis zu einem Jahr. Wenn wir die aktuelle Tagespresse nehmen aus dem Bereich Schwaan, meine Damen und Herren, dann können wir doch nicht die Augen davor verschließen, wenn hier eindeutig in diesem Artikel gesagt wird, drei von sieben Praxen schließen bis Ende 2004. Dann frage ich mich: Ist dort

nicht Handlungsbedarf? Aus unserer Sicht ja, indem man sich mit dieser Thematik befasst. Und wenn Sie diesen Artikel genauer lesen, dann werden Sie feststellen, dass gerade in diesem Bereich Maßnahmen auch aus der Stadt, aus dem Bereich der Kommunen anlaufen und man schon circa ein bis zwei Jahre versucht, dort Nachfolger zu finden, aber es ist einfach nicht möglich.

Und deshalb unsere Bitte: Folgen Sie unserem Antrag! Befassen Sie sich mit dieser Thematik, weil in dieser Thematik einfach viel mehr drinsteckt. Es wurden Zahlen genannt. Es ist einfach so, dass im Bereich der Ärzteschaft direkt 8.000 Beschäftigte tätig sind, und das ist nicht nur ein Beschäftigungsfaktor, sondern ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Und wenn man in diesem Fall noch weiß, dass gerade in den Altbundesländern in den Praxen noch jeweils zwei Mitarbeiter mehr tätig sind, was bei uns aufgrund der finanziellen Situation nicht möglich ist, wenn sie das hochrechnen bei 2.500 Ärzten, liegt hier auch noch ein gewisses Beschäftigungspotential von 5.000 Leuten. Und diese Fakten allein stellen doch schon dar, dass man sich dieser Tatsache annimmt und man das auch auf die Tagesordnung setzt. Ich kann es nur begrüßen, dass wir das gemacht haben, und hoffe, dass Sie sich im Verlaufe dieser Debatte besinnen und unserem Antrag folgen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Wolfgang Riemann, CDU: Dann kommen sie wieder zur Besinnung.)

Ein weiteres Thema steckt hier drin: Auch die Ärzteschaft in unserem Land ist Ausbilder. Wenn wir bei 1.000 Ärzten in unserem Bundesland davon ausgehen, dass 55 Ausbildungsplätze vorhanden sind, sage ich Ihnen auch in diesem Fall mal bitte zum Vergleich: In den Altbundesländern kommen auf 1.000 Ärzte 159 Ausbildungsplätze. Das heißt, auch hier ist ein gewisses Potential. Und wenn wir dann noch die Anzahl der Ärzte verlieren, dann ist auch hier ein Bereich betroffen, nämlich die Ausbildungsproblematik, die man nicht unterschätzen darf. Ich denke, das wissen Sie auch.

Eine Tatsache ist einfach, das muss man so sagen, auch wenn das vielleicht so eine Sache ist, wo man sagt, das ist jedem klar, das ist eine Phrase, aber der Fakt ist einfach: Ohne Ärzte funktioniert das Gesundheitswesen nicht und deswegen sollten wir uns damit befassen.

(Wolfgang Riemann, CDU: Das ist richtig.)

Ich glaube auch, dass im Bereich des Ministeriums dieses Thema erkannt ist und dass es hier eines gewissen Anschubes bedarf – ich hoffe, dieser Antrag ist es –, und wir werden uns zum Handeln mehr oder weniger zwingen.

Wir haben vier Problemfelder im Antrag benannt, wenn es darum geht, die Freiberuflichkeit attraktiver zu machen, hier wurde es auch von den Vorrednern gesagt, gerade Anreize für den ländlichen Raum zu schaffen. Ost-WestAngleichung ist sicherlich ein Thema und nicht zu verachten ist das Thema Bürokratisierung. Wenn uns die Ärzte sagen, dass sie 30 Prozent ihrer Arbeitszeit damit, „vergeuden“ will ich nicht sagen, aber 30 Prozent ihrer Arbeitszeit draufgeht, um den Schriftkram zu erledigen, dann kann das nicht gesund sein. Und das sind Ansatzpunkte, die man durchforsten muss.

Ich habe, nachdem die Ministerin hier minutenlang unseren Antrag niedergeredet hat, in den weiteren Ausführungen dann eher vernommen, dass gewisse Lösungs

ansätze auch in ihrem Hause existieren und man sich Gedanken macht. Um diese Lösungsansätze geht es und darum, dass man sie verfolgt. Sie haben einige genannt und die sollte man auch aufgreifen. Ich will hier drei, vier Lösungsansätze als gewisse Hilfestellung in den Raum stellen. Auf dieser Grundlage sollten wir dann weitermachen: Existenzgründerkredite, kommunale Angebote für niedergelassene Ärzte gerade im ländlichen Raum sollte man diskutieren und auch das Thema weiche Standortfaktoren sollte man nicht verachten. Wichtig ist ebenfalls, wenn wir die Zukunft betrachten, dass einfach festzustellen ist – und das ist nicht wegzudiskutieren –, dass immer weniger junge Leute Medizin studieren. Und wenn sie sich schon mal entscheiden und Medizin studieren, dann passiert nach dem Abschluss des Studiums Folgendes – das werden sicherlich die meisten hier auch wissen: Diese Studenten gehen lieber in die Pharmaindustrie oder in die Forschung oder landen als Berater bei den Krankenkassen. Und da kann in diesem System etwas nicht funktionieren. Deswegen müssen wir uns hiermit befassen.