Protokoll der Sitzung vom 11.12.2003

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Danke schön, Herr Liskow.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von fünf Minuten für jede Fraktion vorgesehen. Ich sehe

und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Als Erster hat das Wort für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Frau Schildt. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Politiker sind im Gespräch mit sehr vielen Verbänden, und zwar in sehr engen Gesprächen. Alle Verbände sagen uns ständig, was sie gerne hätten, was sie so an Sonderkonditionen bräuchten, um noch besser zu werden. Ich selbst habe mit den Bauern sehr lange Jahre zusammengearbeitet und die Landwirtschaft ist ein sehr starker Bereich in unserem Land, also könnten auch die Bauern mit solchen Forderungen kommen. Wir wissen, dass die DEHOGA in den Gesprächen mit unseren Fachpolitikern dieses Thema oft aufgegriffen hat und es hier auch in diesem Antrag aufgegriffen wurde. Das ist erst kürzlich wieder passiert. Es ist natürlich – wenn es so eine Zukunftsbranche ist, die immer noch ein bisschen Rückenwind braucht, wir wollen ihr ja auch an der richtigen Stelle den richtigen Rückenwind geben – auch ein bisschen populistisch, einmal zu sagen: Da helfen wir, da machen wir jetzt einen Antrag und da wollen wir einmal gucken, wie die anderen sich verhalten.

(Reinhard Dankert, SPD: Der Antrag nützt bloß nichts.)

Mit dem Antragstext, meine Damen und Herren, wird aber zugleich suggeriert, dass die EU-Kommission mit einer Richtlinienänderung die Steuersenkung vorschlägt, was nicht der Fall ist. Richtig ist, dass die EU-Kommission die Steuersenkung zwar gestatten will, sie geht aber davon aus, dass die Ermäßigung der Mehrwertsteuersätze nicht die am besten geeignete Methode ist, um die Nachfrage nach bestimmten Gegenständen oder Dienstleistungen zu erhöhen. Die Kommission sieht die ermäßigten Steuersätze eher als eng auszulegende Ausnahme, eine Ausnahme, die wir hier so schnell einmal suggerieren möchten.

Grundlage für die skeptische Haltung der Kommission ist ein zum Jahresende 2003 auslaufendes Experiment ermäßigter Mehrwertsteuersätze auf arbeitsintensive Dienstleistungen. Aus dem Evaluationsbericht der EUKommission geht hervor, dass die ermäßigten Steuersätze im Hinblick auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Eindämmung von Schwarzarbeit keine positive Wirkung erzielt haben. Dies gilt auch für Frankreich. Frankreich konnte weder die entstandenen Arbeitsplätze empirisch belegen noch den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Einführung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes und den behaupteten Arbeitsmarkteffekten deutlich machen.

Die Erfahrungen aus dem Experiment, ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf arbeitsintensive Dienstleistungen, zeigen, dass die Ermäßigung nicht immer an die Endverbraucher weitergegeben wurde. Aber selbst dann, wenn die Preise anfangs gesenkt wurden, wurde dies in kürzester Zeit durch Preisanhebungen wieder nivelliert. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz kann aber keine positiven Effekte auf die Arbeitsplätze und die Eindämmung der Schwarzarbeit haben, wenn die Steuerermäßigung nicht an die Endverbraucher weitergeleitet wird.

Im Antrag der CDU fehlt naturgemäß die Angabe, auf wie viel Steuergeld der Staat verzichten würde. Das ist

eine sehr wichtige Aussage. Bei Restaurationsdienstleistungen sind es mehr als 1,5 Milliarden Euro pro Jahr und bei Beherbergungsumsätzen rund 750 Millionen Euro pro Jahr, insgesamt also mehr als 2,25 Milliarden Euro. Wir diskutieren doch gerade über Haushalte. Wenn hier keine Deckung angeboten wird, dann frage ich nach der Seriosität so eines Vorschlages.

Und nun zu dem pauschalen Hinweis auf Wettbewerbsverzerrungen zwischen den verschiedenen Staaten. Um sich ernsthaft mit diesem Argument auseinander setzen zu können, bedürfte es nachvollziehbarer Aussagen über den Einfluss der unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze auf die Verbraucherpreise der Leistungen des Hotelund Gaststättengewerbes in den verschiedenen Ländern Europas. Die Mehrwertsteuer ist nur ein Kostenfaktor von vielen und dazu hat die CDU nichts Konkretes gesagt. Dabei weiß jeder, dass die Höhe der Mehrwertsteuer nicht allein ausschlaggebend sein kann, für welches Urlaubsland sich die Menschen entscheiden. Nach wie vor reisen viele Urlauber nach Dänemark, obwohl dort für alle Hotelund Gaststättenleistungen ein Mehrwertsteuersatz von 25 Prozent gilt. Deutlich höher als bei uns, aber trotzdem wählt man das Urlaubsland.

(Angelika Gramkow, PDS: Aber dafür haben wir andere generelle Regelungen im Sozialversicherungssystem. Also!)

Wir sprechen hier heute über den Mehrwertsteuersatz.

(Angelika Gramkow, PDS: Eben.)

Ich habe ganz klar am Anfang gesagt, Frau Gramkow, der Tourismus ist eine Branche in unserem Land, die wir absolut wollen,

(Vincent Kokert, CDU: Das habe ich nicht gehört.)

die wir auch unterstützen, aber bitte an der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Was würden eigentlich andere Branchen sagen, wenn der Antrag der CDU angenommen würde? Ich habe am Anfang auf den Bauernverband hingewiesen, ich habe auf andere Bereiche hingewiesen und ich erwarte eine Gleichbehandlung. Wir wollen deregulieren und dazu gehört auch die Steuergesetzgebung. – Besten Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Danke schön, Frau Abgeordnete.

Es hat jetzt noch einmal für die CDU-Fraktion das Wort der Abgeordnete Herr Liskow. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete!

Frau Schildt, ich werde in meinem Vortrag noch einmal ganz speziell auf Ihre Vorwürfe zu unserem Antrag eingehen. Wir haben in Deutschland im Hotel- und Gaststättengewerbe einen gravierenden Standortnachteil, das hatte ich schon gesagt, und Wettbewerbsverzerrungen gegenüber unseren europäischen Nachbarn. 12 von 15 europäischen Ländern wenden einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Beherbergungsdienstleistungen an

(Reinhard Dankert, SPD: Trotzdem kommen die zu uns.)

und 8 von diesen 15 europäischen Staaten zudem auf Restaurationsumsätze. Deutschland ist bisher nicht in diesem Bereich vertreten. Nach Untersuchungen des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes haben alle Staaten mit einem Mehrwertsteuersatz oberhalb von 15 Prozent – wie derzeit Dänemark, Großbritannien, Frankreich, ich sage mal, und Deutschland, das hatte ich jetzt vergessen – zwischen 1980 und 2000 ein Drittel bis zur Hälfte ihres Anteils am Weltmarkt der Tourismusindustrie verloren. Hingegen konnten im gleichen Zeitraum Länder mit einem Vorteil in der niedrigen Mehrwertsteuer unterhalb von 12,5 Prozent ihren Anteil am Weltmarkt der Tourismusindustrie im schlechtesten Fall halten, in der Regel aber vergrößern, teils sogar versechsfachen.

(Reinhard Dankert, SPD: Welche Länder sind denn das?)

Lassen Sie mich experimentell kurz einen Exkurs zu unserem französischen Nachbarn, den Sie ja auch angeführt haben, machen, der – wie eben gesagt – bisher keine Ermäßigungen für den Gastronomiebereich eingeführt hat. Der EU-Rat hat am 22. Oktober 1999 die Grundlagen für die experimentelle Einführung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für die Dauer von drei Jahren auf bestimmte Dienstleistungen mit hoher Arbeitsintensität geschaffen. Bereits am 26. Oktober 1999 beantragte Frankreich die Einführung der Ermäßigungen für die Bereiche Renovierung, Reparatur in Privatwohnungen und haushaltsnahe Dienstleistungen.

(Ute Schildt, SPD: Das hat aber nichts gebracht.)

Die Ermächtigung für diese Einführung erfolgte dann auch durch den Europarat am 28. Februar 2000 und Frankreich nutzte also diese Versuchsmöglichkeit. Die abschließende Evaluierung ergab, dass sich dieser Wirtschaftsbereich im betrachteten Zeitraum überdurchschnittlich entwickelt hatte und ein Großteil dieser Entwicklung auf einen kausalen Zusammenhang mit der Ermäßigung der Mehrwertsteuer zurückzuführen ist.

(Ute Schildt, SPD: Das stimmt nicht.)

Im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistung konnte sogar eine tatsächlich vorhandene Elastizität von Größe 1 ermittelt werden. Das heißt, dass eine Variation der Preise nach oben wie nach unten eine überproportionale Auswirkung auf die Nachfrage auslöste.

Bekanntlich ist die Mehrwertsteuer ein Bestandteil des Endverbraucherpreises. Eine Unternehmerumfrage hat ergeben, dass momentan in Frankreich viele Unternehmensgründungen in der Erwartung der endgültigen Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes aufgeschoben werden.

(Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

Weiter zeigt diese Umfrage, dass der Abbruch des Experimentes nachteilige, also negative Folgen hätte.

(Reinhard Dankert, SPD: Das finde ich auch toll.)

Die jüngsten und damit anfälligsten Unternehmen müssten diese Aktivitäten einstellen

(Zuruf von Ute Schildt, SPD)

und die etablierten Unternehmen müssten mit einem Aktivitätsrückgang zwischen 20 und 60 Prozent rechnen. Daher wäre es sehr wahrscheinlich, dass alle durch die Ermäßigung neu erzeugten Arbeitsplätze zum Großteil wieder in die Schwarzarbeit zurückgedrängt würden.

Das Fazit des französischen Versuchs bei haushaltsnahen Dienstleistungen, Renovierungs- und Reparaturarbeiten ist: Schaffung von rund 43.000 Arbeitsplätzen und gleichzeitig Beseitigung von 6.000 schwarz finanzierten Arbeitsplätzen. Und was hat dieses Ergebnis für die Franzosen zur Folge? Es ist rational und nachvollziehbar, dass Frankreich im Sommer dieses Jahres gegenüber der Europäischen Kommission angekündigt hat, im Gastronomiebereich den Mehrwertsteuersatz von gegenwärtig 19,6 Prozent drastisch auf 5,5 Prozent zum 1. Januar 2004 zu senken. Branchenverbände der französischen Regierung rechnen mit mindestens 40.000 neuen Arbeitsplätzen. Damit wären dann nur noch Dänemark, Großbritannien und Deutschland im Gastronomiebereich außen vor.

Im Jahr 2005 wird die französische Regierung einen detaillierten Bericht über den Einfluss des Steueraufkommens, Beschäftigung und die Schaffung von Arbeitsplätzen vorlegen. Im Jahr 2005 kann Deutschland bei einer Kenntnis der Auswirkung auf den Staat mit einer 74-prozentigen Größe Deutschlands eine Entscheidung treffen, die auf Zahlen und Fakten basiert. Aufgrund der Daten kann dann in Deutschland ein zweijähriger Testlauf starten.

Sehr geehrte Abgeordnete, in Frankreich entstanden Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt. Hier werden keine staatlichen Beihilfen und Zahlung an ABM und SAM oder im öffentlichen Beschäftigungsbereich ausgegeben, sondern hier hat man durch die Absenkung des Mehrwertsteuersatzes echte freifinanzierte Arbeitsplätze geschaffen, die sich durch das Zahlen von Steuern, Abgaben und verminderten staatlichen Tarifleistungen selbst finanzieren.

Zwar ist deutschlandweit nicht gewährleistet, dass die Mehrwertsteuerausfälle durch Zusatzeinnahmen aus Steuern und Sozialabgaben kompensiert werden können, das geben wir gerne zu, jedoch gehe ich aufgrund der wirtschaftlichen Prägnanz der Tourismusbranche in Mecklenburg-Vorpommern davon aus, dass sich die Nettoeffekte positiv auswirken. Ebenfalls gehe ich davon aus, um mit der Elastizität zu sprechen, dass dies in Mecklenburg-Vorpommern im Tourismusbereich die Größe 1 sein wird. Abgesehen davon dürfen wirtschaftliche Entscheidungen wie diese aber nicht allein fiskalischen, sondern müssen auch sozial- und arbeitsmarktpolitischen Zielsetzungen Rechnung tragen. Das Finanz- oder Wirtschaftsministerium sollte hierzu Berechnungen anstellen, die zeigen werden, dass sich die Maßnahmen für MecklenburgVorpommern auszahlen werden.

Das baden-württembergische Wirtschaftsministerium hatte zur Thematik „Ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf arbeitsintensive konsumnahe Dienstleistungen“ durch das Institut für Mittelstandsforschung ein Gutachten erstellen lassen. Für den Bereich des Gastgewerbes kommt das Gutachten mit unterschiedlichen Annahmen und Berechnungen für ganz Deutschland zu dem Ergebnis, dass dem Verlust an Mehrwertsteuereinnahmen in Höhe von 4,4 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben sowie aus Transferleistungsersparnissen in Höhe von immerhin 3,7 Milliarden Euro gegenüberstehen können.

Ich komme zum Schluss. Die Zahl der neu entstehenden Arbeitsplätze würde schätzungsweise 233.000 betragen.

(Reinhard Dankert, SPD: Da haben sich schon ganz andere geirrt, bei solchen Prognosen.)

Das sagt diese Studie.

(Zurufe von Heinz Müller, SPD, und Ute Schildt, SPD)

Deswegen bitten wir die Regierungsparteien, unserem Antrag zuzustimmen und einer zweijährigen Testphase hier entsprechend Gehör zu verschaffen.