Protokoll der Sitzung vom 13.10.2004

Ja, Herr Schlotmann, Frau Gramkow, es geht auch um Arbeitskosten, es geht auch um Kündigungsschutz und es muss auch um den Niedriglohnbereich gehen.

(Angelika Gramkow, PDS: Das ist der Kern Ihres Angebotes.)

Aber es geht darüber hinaus um viel mehr. Es geht zum Beispiel auch um die Frage, warum im Augenblick General Motors überlegt, 2.500 Arbeitsplätze aus Deutschland zu verlagern. Jetzt kann man auf die bösen Kapitalisten schimpfen,

(Angelika Gramkow, PDS: Vielleicht hat das auch mit Wettbewerb zu tun!)

das kann man alles tun, aber man muss zumindest einmal analysieren, warum und weshalb wir so weit gekommen sind. Ich glaube, dass bei Opel die Lohnkostensitua

tion keine andere sein wird als bei VW. Der Arbeitnehmer im Haustarifvertrag bei VW arbeitet 28,5 Stunden die Woche bei einem Bruttolohn von 3.000 Euro. Die 5-mal5.000-Initiative beinhaltet 35 Stunden wöchentliche Arbeitszeit bei einem monatlichen Bruttoverdienst von 2.550 Euro. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine Differenz im Haustarifvertrag von 12,5 Prozent zur 40-Stunden-Woche. Das heißt, dort haben andere Länder in Europa wie Großbritannien, Irland, Finnland, die eine deutlich höhere Jahresarbeitszeit haben, eben diesen Kostenvorteil. Und deswegen ist es einfach, vermeintlich einfach, auf andere zu zeigen.

Ein weiteres Merkmal des deutschen Arbeitsmarktes ist – und das hat jetzt sehr viel mit Qualifikation, mit Bildung zu tun –, dass wir in Deutschland bei Erwerbstätigen ohne Berufsabschluss beziehungsweise ohne Abitur 14,2 Prozent insgesamt Arbeitslose haben. Wenn Sie Vergleichszahlen sehen – in Dänemark sind es 4 Prozent, in Holland sind es 3 Prozent –, heißt das, wir haben das Drei-, das Vier-, das Fünffache im gering qualifizierten Bereich an struktureller Arbeitslosigkeit wie vergleichbare andere europäische Länder. Da muss doch die Frage berechtigt sein: Wie kann man das aufbrechen? Qualifikation muss wieder in den Mittelpunkt rücken, aber Qualifikation muss dann auch leistungsgerecht entlohnt werden.

(Angelika Gramkow, PDS: Ach nee?!)

Und es muss die Frage gestellt werden, wie wir den Arbeitsmarkt in Deutschland und in Mecklenburg-Vorpommern aufbrechen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gab Fehlentwicklungen ohne Ende und diesen Fehlentwicklungen muss man sich stellen. Das sind sicher unpopuläre Themen, aber wer keine unpopulären Themen anfasst, erntet unpopuläre Ergebnisse.

Meine Damen und Herren, es ist viel über Hartz IV geredet worden. Ich habe mir im Nachhinein, jetzt, wo die eine oder andere Demonstration abgeklungen ist, etwas weniger Hysterie in der Welt ist, die Mühe gemacht auszurechnen – die Sozialhilfesätze sind in etwa analog heute –, was jemand brutto verdienen muss. Meine Damen und Herren, Single ohne Kind im Äquivalent zum Arbeitslosengeld II: 7 Euro brutto. Gucken Sie sich die Liste an, schon die tarifliche Liste in gering qualifizierten Segmenten, wer 7 Euro brutto erhält: Zwei Erwerbsfähige ohne Kind 11 Euro brutto, eine Familie mit zwei Kindern 16 Euro brutto, wenn einer ein Einkommen bezieht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Sätze liegen deutlich über den Einstiegslöhnen in vielen beruflichen Bereichen. Aber wenn ich noch dazunehme, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass ich jetzt 176 Euro netto dazuverdienen kann – das ist hier gar nicht mit eingerechnet worden –, dann sage ich Ihnen voraus, dass dies dazu führen wird, dass im gering qualifizierten Bereich weiter keine Arbeitsplätze entstehen. Es geht hier nicht um die Absenkung des deutschen Lohnniveaus, sondern es geht...

(Angelika Gramkow, PDS: Klar geht es darum. Kennen Sie Ihr eigenes Papier nicht?!)

Frau Kollegin Gramkow, in den letzten sechs Jahren sind in Mecklenburg-Vorpommern 110.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entfallen, davon die Hälfte, das gebe ich zu, im ABM-Bereich, aber es sind immer noch 60.000, die im ersten Arbeitsmarkt entfallen sind.

(Angelika Gramkow, PDS: Richtig. Aber im Wesentlichen im Baubereich.)

Nicht nur im Baubereich. Auch im Dienstleistungsbereich und in vielen anderen Bereichen sind sie schlichtweg entfallen. Und wenn wir uns nicht darüber unterhalten, wie wir das gerade auch für unser Land aufbrechen können – wir brauchen Flexibilität, wir brauchen Mobilität bei den Arbeitnehmern im Dienstleistungsbereich –, dann werden wir nicht zu mehr Wachstum und nicht zu mehr Beschäftigung kommen.

Nur ganz nebenbei bemerkt: 100.000 Beschäftigte weniger, das bedeutet eine Mehrbelastung für die öffentlichen Kassen von 3,5 Milliarden Euro – Stichwort Arbeitslosengeld, Sozialhilfe et cetera, et cetera. Und deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, unpopuläre Themen, wir greifen sie auf! – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Fraktionsvorsitzender Rehberg.

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der SPDFraktion Herr Volker Schlotmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir erleben hier und heute ein Novum. Die CDU benennt als Thema für eine Aktuelle Stunde dieses Landtages den Untertitel ihres Leitantrages für den CDU-Bundesparteitag. Das hat es bisher so in dieser Form hier noch nicht gegeben.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Zurufe von der CDU: Oh, oh!)

Und ein Schelm, der Böses dabei denkt. Das hat schon wieder getroffen, sonst würden Sie ja nicht gleich wieder loskrakeelen.

(Wolfgang Riemann, CDU: Steuerkonzept kommt noch.)

„Wachstumsstrategien für die Wissensgesellschaft“, hier auch noch mal für jeden nachvollziehbar, ist der Untertitel dieses Leitantrages. Ich kann Ihnen dazu nur eins sagen: Ich bin schon froh, dass die CDU-Landtagsfraktion nicht auf den Trichter gekommen ist, einen Antrag daraus zu formulieren. Dann hätten wir hier möglicherweise sogar eine Anhörung mit Frau Merkel, Herrn Westerwelle oder Herrn Koch führen müssen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Heinz Müller, SPD: Oder Herrn Merz vielleicht!)

Oder Herrn Merz, auch das wäre sicherlich dann möglich gewesen.

Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie nutzen hier anscheinend den Landtag als so eine Art Regionalkonferenz, weil Sie sich in der Bundes-CDU nicht haben durchsetzen können, dass hier auch im Nordosten mal – Sie sagen ja immer, Sie haben so viel Gewicht in Ihrer Partei –...

(Torsten Renz, CDU: Sprechen Sie zum Thema!)

Ich rede zu Ihrem Thema, lieber Kollege Renz, auch wenn Sie das noch nicht mitbekommen haben. Aber das werde ich jetzt nicht kommentieren.

(Birgit Schwebs, PDS: Das dauert bei ihm immer ein bisschen. – Heinz Müller, SPD: Das dauert bei ihm.)

Ich sage Ihnen, das ist der falsche Stil, das sollte man so nicht tun. Wir werden über die einzelnen Punkte hier im Laufe der Debatte noch diskutieren. Aber ich sage Ihnen noch mal: Tun Sie so etwas nicht unbedingt, das tut dem Landtag nicht gut! Das will ich Ihnen so sagen.

Meine Damen und Herren, die Wahlen dieses Herbstes haben gezeigt, die Union rutscht in der Wählergunst immer weiter ab, denn die Rezepte...

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU – Zuruf von Heinz Müller, SPD)

Jetzt können Sie noch nicht einmal mehr die Wahlergebnisse lesen.

Die Rezepte von Frau Merkel sind schädlich für unser Land, meine Damen und Herren von der Opposition. Und Ihre Vorstellungen für die Zukunft Deutschlands und damit natürlich auch für Mecklenburg-Vorpommern sind – ich sage es noch mal, wie heißt es so schön – Wachstumsstrategien für die Wissensgesellschaft. Ihre Vorstellung ist, diesen Leitantrag der CDU zu dritteln: ein Drittel Sozialabbau, ein Drittel Ideenklau und ein Drittel Verantwortungslosigkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Heiterkeit bei Eckhardt Rehberg, CDU)

Meine Damen und Herren, zu dem Drittel Sozialabbau...

(Dr. Armin Jäger, CDU: Und jetzt bitte mal drei Worte zur Sache.)

Mein Gott, wenn Sie Ihren eigenen Antrag zu dem Thema nicht verstehen, dann sollten Sie das intern ausmachen, dann müssen Sie sich selbst einmal verständigen, was Sie eigentlich wollen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Kommen Sie endlich mal zur Sache!)

Meine Damen und Herren, zu dem Drittel Sozialabbau à la CDU – die CDU zeigt jetzt endlich ihr wahres Konzept und Gesicht. Der Kerngedanke dieses CDU-Leitantrages ist: weniger Sozialstaat, weniger Arbeitnehmerrechte – das hatten wir gerade gehört von Herrn Rehberg – und mehr Markt, und zwar in allen Lebensbereichen. Und dabei passiert Folgendes: Vor allem den unteren Einkommensgruppen wird à la CDU die Schuld für die Arbeitslosigkeit aufgeladen und vor allem sie sollen weitere Einschränkungen und Zumutungen hinnehmen. Dazu gehören Einschränkung der Tarifautonomie, Lohnsenkung für die Arbeitnehmer, weitestgehende Abschaffung des Kündigungsschutzes, Abschaffung des Rechtsanspruchs auf Teilzeitarbeit, Kürzung der aktiven Arbeitsmarktpolitik, Kopfpauschale in der Krankenversicherung, keine Lohnangleichung im Osten.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Meine Damen und Herren, das ist ein Frontalangriff auf die sozialen Fundamente Deutschlands.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Dabei predigt die CDU dann Lohnkürzungen und fordert gleichzeitig mehr Schwung im und auf dem Binnenmarkt. Das ist absurd, sage ich Ihnen.

Und dann habe ich gestern Abend das Erlebnis haben dürfen, dass der Fraktionsvorsitzende der CDU sich als Rächer der Enterbten, in diesem Falle so nach seinem

anscheinenden Selbstverständnis der Werftarbeiter, hinstellt und behauptet, bei der Situation unseres Landes und der Haushaltssituation, die auch Ihnen nicht verborgen sein dürfte: Dieses Geld, das dazu notwendig ist, muss doch möglich sein. Das war Ihr Kernsatz in einem Interview gestern vor den Medien.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Das dokumentiert die gesamte Hilflosigkeit der CDU auch in solchen gravierenden Fragen.

(Beifall Heinz Müller, SPD)

Meine Damen und Herren, ich komme zu dem Drittel Ideenklau. Unter dem Stichwort „Innovation“ verkauft die CDU Ideen als neu, die von der Bundes-, aber auch der Landesregierung längst umgesetzt werden.