Protokoll der Sitzung vom 18.11.2004

Als Partei, Herr Kollege, als Partei.

Warum haben Sie sich nicht Zeitzeugen geholt? Darum geht es. Es geht nicht nur darum, Geschichte einseitig zu sehen. Wir sollten ja auch keine Geschichtsdebatte führen. Aber ich denke, es kommt darauf an, wenn wir dem Anspruch des Antrages gerecht werden wollen, dann ist der 8. Mai nicht Endpunkt, sondern Schnittpunkt von Geschichte nach unserem Dafürhalten. Und das muss im Antrag auch sehr deutlich werden, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man sich den Antrag durchliest, dann muss man sich fragen: Ist es legitim, dass der Landtag die Bevölkerung auffordert, oder klingt das nicht etwas sehr nach Verordnen? Meine Damen und Herren, wir in der CDU haben ein sehr klares Bewusstsein zur Bedeutung des 8. Mai 1945, zu unserem Umgang mit diesem Datum.

(Angelika Gramkow, PDS: Herr Rehberg, Sie wollen wohl den Antrag ablehnen?)

Frau Kollegin Gramkow, mir lagen viele Zwischenrufe auf der Zunge, als Herr Ritter geredet hat. Sie haben keinen Zwischenruf von der CDU-Fraktion gehört. Wir können hier gerne eine lebendige Debatte führen.

(Angelika Gramkow, PDS: Ich habe eine Frage gestellt.)

Dann stehen Sie bitte auf und gehen ans Mikrofon! Das muss ich als Zwischenruf werten. Wenn Sie jetzt Fragen stellen im Sitzen, ohne ans Mikrofon zu gehen, dann haben wir eine neue Kultur im Parlament. Dann müssen Sie beantragen, dass die Geschäftsordnung geändert wird. Ich habe das als Zwischenruf gewertet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden unseren Kindern und unserer Jugend eine Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit des deutschen Faschismus nicht ersparen. Das ist uns ein inneres Anliegen. Das haben wir bereits in der Vergangenheit sehr klar und deutlich nicht nur in den politischen Debatten zum Ausdruck gebracht.

Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch hier eine Frage an uns alle: Wer ist in den letzten Jahren im Sozialkundeunterricht an Gymnasien, an Schulen in Mecklenburg-Vorpommern zu den verschiedensten Daten unterwegs gewesen? Wer hat es gemacht?

(Angelika Gramkow, PDS: Ich.)

Höchstens eine Hand voll oder noch weniger. Ist es nicht auch eine Verantwortung von uns, selbst hinauszu

gehen, mit jungen Menschen zu diskutieren, aber – das sage ich ganz deutlich – auch mit Lehrerinnen und Lehrern, gerade was das totalitäre System der DDR betrifft, was Sie, Herr Ministerpräsident, zu Recht hier angeführt haben? Ich will Ihnen sagen, dieser Antrag – und deswegen werden wir ihn nicht mittragen –

(Torsten Koplin, PDS: Alles klar!)

klingt sehr nach verordnetem Antifaschismus, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Und ich will Sie davor warnen: Dieses Ansinnen wird scheitern. Dieses Ansinnen wird deswegen scheitern, weil es auch in der DDR gescheitert ist. Das ist schlichtweg gescheitert.

(Angelika Gramkow, PDS: Ah ja, das war jetzt richtig.)

Und, meine Damen und Herren, der 8. Mai war staatlich verordneter Feiertag als Tag der Befreiung, aber eine wirklich innere Auseinandersetzung mit dem Faschismus erfolgte ebenso wenig, wie Trauer, Schmerz und kritische Fragen zugelassen wurden.

(Torsten Koplin, PDS: Das, was Sie da beschreiben, stimmt doch gar nicht!)

Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie verlogen dieser verordnete Antifaschismus und der damit einhergehende Internationalismus eigentlich war, zeigt ein Blick in die jüngsten Veröffentlichungen der Birthler-Behörde. Die DDR hat Antifaschismus gefordert und gleichwohl 22.000 ehemalige Nazis und Kriegsverbrecher gedeckt. 11.000 ehemalige Angehörige von Polizei und Sondereinheiten, 8.000 Gestapo- und 3.000 SS-Leute haben im antifaschistischen Musterländle unbehelligt leben können.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Armin Jäger, CDU: Eben.)

Es waren nicht wenige, es waren nicht einige Dutzend, es waren Hunderte, es waren Tausende. Und auch das gehört zur Wahrheit mit dazu, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Der Staatssicherheit war dies alles bekannt, und nicht nur ihr, auch der Partei- und Staatsführung. Das belegen die Dokumente. Doch statt an einer Verfolgung interessiert zu sein, wurde die Anwerbung ehemaliger Nazis als inoffizielle Mitarbeiter vorgezogen. Und was ich besonders schlimm finde, auch das ist dokumentarisch historisch belegt: Ebenso wurden belastete Naziärzte in den medizinischen Dienst übernommen.

(Rainer Prachtl, CDU: Eine Schande ist das, eine Schande!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum führe ich das nun alles an? Wenn wir die Historie der DDR in den Zusammenhang mit dem hier zu besprechenden Antrag bringen, wird eines klar: Ein historisches Bewusstsein kann nicht politisch verordnet werden. Auch 40 Jahre des indoktrinierten Antifaschismus haben im Bewusstsein der Bevölkerung imaginär keine Wurzeln geschlagen. Was wir brauchen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist eine ehrliche, eine persönliche und eine direkte Auseinandersetzung mit dem Datum des 8. Mai 1945. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Danke schön, Herr Rehberg.

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Friese. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Herr Rehberg, zwei notwendige Vorbemerkungen an Ihre Adresse: Den 17. Juni 1953, das heißt den 40. Jahrestag, haben die Sozialdemokraten mit großem Respekt und öffentlich bedacht. Ein Bild ging durch alle großen Zeitungen. Auf denen waren der Bundespräsident Herr Rau, der Präsident des Bundestages Herr Thierse und der Bundeskanzler Herr Schröder zu sehen, wie sie am Mahnmal für die Opfer des 17. Juni Kränze niedergelegt haben.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Hier in Mecklenburg-Vorpommern.)

Damit haben Sozialdemokraten dieses Tages in Ehren gedacht.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Eine zweite Vorbemerkung. Natürlich gab es in der DDR Nazis, nur der Unterschied zur alten Bundesrepublik ist doch der, dass diese Nazis keine staatstragende Rolle spielen konnten.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Heiterkeit bei Eckhardt Rehberg, CDU – Dr. Armin Jäger, CDU: Ach nee?! – Rainer Prachtl, CDU: Was soll denn das?)

Das war doch wohl in den alten Bundesländern anders. Was sollte man denn mit diesen tausenden ehemaligen Nazis machen? Sollte man sie erschießen?

(Martin Brick, CDU: Wo haben Sie gelebt damals?)

Das kann doch wohl nicht sein! Schauen Sie sich an, wie Adenauer mit den ehemaligen Nazis umgegangen ist!

(Beifall Beate Mahr, SPD: Richtig. – Zurufe von der CDU)

Das Problem liegt doch ganz woanders.

Meine Damen und Herren, Sie entschuldigen diese Vorbemerkung. Ich komme zu meiner Rede.

Der Landtag wird heute beschließen, diesen Jahrestag in angemessener Weise zu begehen. Ich frage mich: Welches ist denn die angemessene Weise, in der wir diesen Tag begehen wollen? Die bisherigen Reden haben mir gezeigt, dass wir ganz unterschiedlich darangehen. Wollen wir den 8. Mai 2005 mit den Ritualen der DDR und damit verbundenen ideologischen Eingrenzungen fortsetzen, ebenso wie mit den Untersicherheiten diesem historischen Datum gegenüber in Westdeutschland? Der Antrag soll bei der jungen Generation das Bewusstsein für Ursachen, Geschichte und Folgen des Krieges schärfen. Jawohl, das wollen wir. Aber sind wir uns hier, die zweite und dritte Nachkriegsgeneration, denn einig in der Bewertung der Ursachen und Folgen? Ich glaube, nein. Deshalb ist die Debatte, die wir unter uns zunächst führen wollen, so unwahrscheinlich wichtig. Die Vorbereitung auf den 8. Mai nächsten Jahres sollte deshalb genutzt werden, bisherige Sichtweisen in Ostdeutschland wie in Westdeutschland zu prüfen und notwendige Neubewertungen

vorzunehmen beziehungsweise als zu lösende Fragen in die öffentliche Debatte zu bringen. Jeder Versuch, jede Form des Verharmlosens, des Relativierens, des Gegeneinanderaufrechnens, des Umdrehens von Ursachen und Wirkung wird diesem Tag nicht gerecht.

(Beifall Frank Ronald Lohse, SPD)

Eine große Rede aus deutscher Sicht hat der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 vor dem Bundestag und dem Bundesrat gehalten. Ich halte diese Rede für wichtig und möchte deshalb die wichtigsten Sätze noch mal ins Bewusstsein bringen, Herr Präsident, wenn ich zitieren darf.

Richard von Weizsäcker sagte Kernsätze wie: „Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern.... Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung.“ Allein dieses hat große Wellen in der alten Bundesrepublik geschlagen. „Wir gedenken insbesondere der sechs Millionen Juden, die... ermordet wurden. Wir gedenken aller Völker, die im Krieg gelitten haben, vor allem der unsäglich vielen Bürger der Sowjetunion und der Polen, die ihr Leben verloren haben.... Als Deutsche ehren wir das Andenken der Opfer des deutschen Widerstandes, des bürgerlichen, des militärischen und glaubensbegründeten, des Widerstandes in der Arbeiterschaft und bei Gewerkschaften, des Widerstandes der Kommunisten.... Den vielleicht größten Teil dessen,“ – so Richard von Weizsäcker weiter – „was den Menschen aufgeladen war, haben die Frauen der Völker getragen.“ Und weiter der Bundespräsident: „Das geheime Zusatzprotokoll“ zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23.08.1939 „regelte die bevorstehende Aufteilung Polens.... Die Sowjetunion nahm den Krieg anderer Völker in Kauf, um sich am Ertrag zu beteiligen.“ Und ein letzter Satz von Herrn Weizsäcker: „Heimatliebe eines Vertriebenen ist kein Revanchismus.“

Mit dieser Rede hat Weizsäcker nicht nur Zustimmung gefunden. Das vereinte Deutschland hat sich aber heute über alle demokratischen Parteien hinweg darauf verständigt, dass diese Rede Aufarbeitung von Geschichte und Wegmarke zugleich ist. Ich werbe dafür, dass diese klaren Worte in Zukunft von allen politischen Lagern als zum geistigen Grundbestand des 8. Mai gehörend anerkannt werden. Diese Übereinstimmung hindert uns ja nicht daran, dass geschichtliche Ereignisse immer von Erfahrungen und persönlichen Prägungen aus betrachtet und bewertet werden. Das wird auch in Bezug auf den 8. Mai 2005 nicht anders sein. Eine vergleichbare partei- und meinungsübergreifende Rede aus der Sicht der DDR und ihr Verständnis des 8. Mai hat es nicht gegeben.

Die Erfahrungen der Menschen im geteilten Deutschland mit dem 8. Mai waren sehr unterschiedlich. Westdeutsche verbanden mit dem 8. Mai 1945 zwiespältige Gefühle. Für die meisten war er der Tag, an dem der Krieg aufhörte und endlich der Frieden Einzug hielt. Darüber waren alle glücklich. Der 8. Mai war auch der Tag, an dem das NS-Schreckensregime sein Ende fand. Als Tag der Befreiung wurde er jedoch nicht von allen empfunden. Wer seine Heimat in Hinterpommern, Ostpreußen oder Schlesien verloren hatte, empfand dieses nicht als Befreiung, sondern als schmerzlichen Verlust.

Das Gefühl, verloren zu haben, war aber auch in Westdeutschland ausgeprägt. Der 8. Mai wurde in der alten Bundesrepublik, soweit ich das beurteilen kann, eher als Tag der größten Niederlage Deutschlands, als Tag der bedingungslosen Kapitulation, als Tag des vollständigen

Verlustes der deutschen Souveränität gesehen. Der 8. Mai war für viele Westdeutsche auch deshalb kein Tag der Befreiung, weil das Land an diesem Tag vollständig von fremden Truppen besetzt war. Im Osten standen die Sowjets, vor denen man Angst hatte und über die allerlei Berichte über tatsächliche oder vermeintliche Gräuel umgingen. Im Westen standen die Engländer und USAmerikaner, die zwar als zivilisiert galten, aber dennoch eher Besatzer als Befreier waren. Als Befreier galten auch nicht die Franzosen, die zwar weniger als die Sowjets gefürchtet waren, aber deshalb noch lange nicht geschätzt wurden.