Protokoll der Sitzung vom 25.05.2005

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 57. Sitzung des Landtages Mecklenburg-Vorpommern. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 57. und 58. Sitzung liegt Ihnen vor. Wird der vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 57. und 58. Sitzung gemäß Paragraph 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.

Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich unserer Kollegin Beate Schlupp sowie unserem Kollegen Klaus Mohr ganz herzlich nachträglich zu ihren runden Geburtstagen gratulieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und PDS)

Weiterhin darf ich ganz herzlich der Parlamentarischen Geschäftsführerin der PDS-Fraktion, ehemals Frau Schulz, jetzt Frau Meˇsˇt’an, zu ihrer Eheschließung gratulieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und PDS)

Ich rufe jetzt auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion der CDU hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Entwicklungsperspektiven für den ländlichen Raum – Raumentwicklungsprogramm“ beantragt.

Aktuelle Stunde Entwicklungsperspektiven für den ländlichen Raum – Raumentwicklungsprogramm

Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der CDU-Fraktion Herr Eckhardt Rehberg.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Nun kann man meinen, dass Deutschland und Mecklenburg-Vorpommern nach dem Sonntag Dinge bewegen, die aktueller sind als die Entwicklungsperspektiven des ländlichen Raumes in Mecklenburg-Vorpommern.

(Norbert Baunach, SPD: Es kommen auch wieder andere Sonntage.)

Aber die Fristen für eine Aktuelle Stunde bedingen, dass man am Donnerstag nicht voraussehen kann, was am Sonntag um 18.28 Uhr über die Fernsehbildschirme läuft.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mancher wird meinen, dass ein Raumordnungsprogramm – so hieß es ja bisher, jetzt Raumentwicklungsprogramm – etwas sei eher so unter der Rubrik „Lyrik, Jazz und Prosa“, sprich Unverbindlichkeit. Schauen Sie sich aber einmal die Seite 11 der „Leitlinien der Landesentwicklung / Schwerpunkte einer nachhaltigen Raumentwicklung“ an. Ich darf z i t i e r e n : „Leitvorstellung der Raumordnung ist die einer nachhaltigen Raumentwicklung, die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt und zu einer dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung führt.“ U n d weiter: „Die Umsetzung dieser Leitvorstellung wird … verankert“ in den Leitlinien der Landesentwicklung, Kapitel 1 und 2 – und jetzt kommt es –, in den „Ziele(n) und Grundsätze(n) der Raumordnung (Kapitel 3-7)“, die „den

verbindlichen Rahmen für künftige Entwicklungen auf(zei- gen).“ Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies wird ergänzt: Programmsätze, Kapitel 3 bis 7, die durch Landesverordnung zur Verbindlichkeit gebracht werden und justitiabel sind. Man kann also alles dieses, was ab Punkt 3 im Raumentwicklungsprogramm aufgeführt wird, nicht so einfach auf die leichte Schulter nehmen.

(Angelika Gramkow, PDS: Richtig.)

Meine Damen und Herren, Beate Schlupp wird nachher detaillierter auf das Thema Landwirtschaftsräume eingehen. Aber auch hier, Herr Minister Backhaus, ein Zitat, Punkt 1: „In den Vorbehaltsgebieten Landwirtschaft (Landwirtschaftsräume) soll dem Erhalt und der Entwicklung landwirtschaftlicher Produktionsfaktoren und -stätten, auch in den vor- und nachgelagerten Bereichen, ein besonderes Gewicht beigemessen werden. Dies ist bei der Abwägung mit anderen raumbedeutsamen Planungen, Maßnahmen und Vorhaben besonders zu berücksichtigen.“ Und weiter wird in diesem Raumentwicklungsprogramm – und hier kommen wir eigentlich auf den Kern, Vorranggebiete, Vorbehaltsgebiete, Tourismusräume, Landwirtschaftsräume und so weiter und so fort – gesagt auf Seite 14: „Die Teilräume des Landes“, eben genannte, „haben jeweils spezifische Potenziale, Probleme, Risiken und Chancen, auf die Entwicklungsstrategien und Fördermitteleinsatz gezielt ausgerichtet werden sollen.“ Im Umkehrschluss heißt das, dass auf die Gebiete, in denen diese Räume nicht ausgewiesen sind, eben nicht Entwicklungsstrategien und Fördermitteleinsatz ausgerichtet sein sollen. Das kann nur der logische Umkehrschluss sein.

Und, Herr Minister Backhaus, dann frage ich mich, wie Ihr Haus Kriterien durchgehen lassen kann. Ich habe Ihnen das schon im November letzten Jahres gesagt, wo Sie ziemlich überrascht waren, dass die Kriterien so gefasst sind. Ich rate Ihnen dringend, sich die große Karte aus dem Raumentwicklungsprogramm vorzunehmen und wirklich einmal zu gucken, was dann noch an Landwirtschaftsräumen in Mecklenburg-Vorpommern übrig bleibt.

(Wolfgang Riemann, CDU: So ist es.)

Und wenn ich die Kriterien hier sehe, Herr Minister Backhaus, Bodengüte, Ertragsmesszahl größer 40, Erwerbstätigkeit, ein zweites Kriterium, nur eins muss erfüllt sein, in Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, Anteil an Gesamtbeschäftigten größer 40 Prozent, Beschäftigtenzahl größer 30 Prozent. In Marktfruchtbetrieben habe ich weniger als eine AK auf 100 Hektar oder den Viehbesatz 60 Großvieheinheiten auf 100 Hektar. Herr Minister Backhaus, ich war mehr als erschrocken, als ich gesehen habe, dass zwischen der Recknitz und der Rostocker Heide, das heißt im Wahlkreis von Sigrid Keler und Eckhardt Rehberg, jeder zweite Quadratmeter im ländlichen Raum nicht mehr Landwirtschaftsraum ist. Das heißt, dass dort, wo ich zu Hause bin, eine Agrar eG mit 3.200 Hektar, Ertragsmesszahl 28, 750 Milchkühe, dass dieser komplette Raum herausfällt als Landwirtschaftsraum.

Und dann zitiere ich noch einmal, Herr Minister Backhaus, und ich nehme dieses ernst, wenn hier steht: „auf die Entwicklungsstrategien und Fördermitteleinsatz gezielt ausgerichtet werden sollen“. Und nur nebenbei bemerkt: Nach meiner Kenntnis habe ich 2006 mit Midterm-Review bei der Agenda 2000, was die Landwirtschaft betrifft, die EU-Agrarpolitik. Und da frage ich mich, wenn Sie eine Politik betreiben und über den Daumen –

das ist schwer nachzurechnen – 30 Prozent der Fläche des Landes Mecklenburg-Vorpommern herausgenommen wird als Landwirtschaftsraum, wie denn zukünftig in diesen Räumen für die dort lebenden Menschen, für die Beschäftigten noch Entwicklungsstrategien und eine vernünftige, zielgerichtete, kontinuierliche Politik gemacht werden soll. Ich kann dieses nicht erkennen, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Und ein zweiter Punkt: Nachhaltige Entwicklung im Raum, denn es heißt nicht mehr Raumordnungsprogramm, Herr Minister Holter, sondern Raumentwicklungsprogramm. Man kann damit einverstanden sein, das sind wir als CDU auch, dass ich die Fünfstufigkeit der zentralen Orte auf drei Stufen reduziere bei den Oberzentren und Mittelzentren. Das ist akzeptabel. Spannend wird es natürlich, wie im neuen FAG die Grundausstattung der zentralen Orte ausgestaltet wird unter 10 e, Stichwort „Nah- und Verflechtungsbereiche“ und so weiter. Ich will damit keinen langweilen. Das zentralörtliche System ist relativ kompliziert.

Aber jetzt muss ich Sie fragen, Herr Minister Holter: Was haben Sie sich eigentlich in der Fläche gedacht?

(Gesine Skrzepski, CDU: Gar nichts. – Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Sie setzen Kriterien an, und zwar haben Sie diese Kriterien angesetzt, und das zeigt das ganze Chaos in dieser Landesregierung, mit einer Stichtagsregelung zum 31.12.2002. Der erste Entwurf stammt aus dem Februa r 2004, als wir mitten im Prozess der Ämterfusionen waren, als das noch gar nicht gesetzlich normiert war zu diesem Zeitpunkt, weil SPD und PDS das auf die lange Bank geschoben hatten. Und dann normieren Sie Kriterien, die da heißen, Grundzentrum in ländlichen Räumen 2.000 Einwohner und in der Gemeinde, in Stadt-UmlandRäumen 5.000 Einwohner. Das heißt, nach Ihren eigenen Auskünften aus Ihrem Haus fallen zukünftig 43 ländliche Zentralorte weg laut unserer Kleinen Anfrage.

(Angelika Gramkow, PDS: 41!)

Das wird man ja noch in dem einen oder anderen Fall akzeptieren können, aber jetzt muss man doch mal die gesamte Landesregierung fragen, was denn dieses Ergebnis soll. Ich habe zukünftig 113 Verwaltungseinheiten, sprich Ämter und amtsfreie Gemeinden, und davon haben 20 keinen Zentralort mehr, sprich kein Grundzentrum. Und das sind, Herr Minister Holter, Herr Minister Timm, Ämter wie das Amt Züssow mit 14.000 Einwohnern. Gucken Sie sich mal die Fläche an oder das Amt Niepars mit über 10.000 Einwohnern! Allein im Landkreis Nordvorpommern gibt es zukünftig definitiv sechs Verwaltungseinheiten ohne zentralen Ort.

Jetzt haben Sie sich noch etwas ganz besonders Tolles ausgedacht und da muss ich sagen: Respekt vor so viel Trickserei! Ich zitiere mal: Es existiert ein direkter Zusammenhang zwischen Siedlungsgröße und Zentralität. Das mag ja noch zutreffend sein, aber die Siedlungsgröße, gemessen an der Einwohnerzahl der Gemeinde, ist eines der wichtigsten Zentralitätskriterien. Von daher müssen „zumindest“ – jetzt kommt es – „ca. 3/4 der“ für die Einstufung als zentraler Ort jeweils geforderten „Einwohner am Standort der zentralörtlichen Aufgaben (… Gemeinde- hauptort) wohnen.“ Das heißt schlichtweg auf die Stadt Marlow bezogen – ich wohne in einer Einheitsgemeinde,

wir haben 5.300 Einwohner –, das heißt, im Gemeindehauptort müssten circa 4.000 Einwohner wohnen, damit wir Grundzentrum bleiben.

Herr Minister Holter, die amtsfreie Gemeinde Satow, die sich im Jahr 2004 nach vielen Diskussionen zur Einheitsgemeinde entschieden hat, wird auch nicht Grundzentrum. Manche haben gesagt, ich gehe den Prozess zur Einheitsgemeinde in der Hoffnung, dass ich meine zentralörtliche Einstufung behalte. Mit diesem Passus sorgen Sie dafür, dass keine amtsfreie Gemeinde – jedenfalls solche gebildet aus mehreren Altgemeinden – diesen Standard erfüllen kann, denn drei Viertel wohnen in der Regel nicht im Gemeindehauptort.

Ich habe sowieso juristisch ein Problem damit, was Gemeindehauptort heißt, auch mit Blick auf den Paragraphen 28 Grundgesetz und die Kommunalverfassung. Daran will ich mich jetzt nicht weiter aufhalten. Ich komme zu den Entwicklungsstrategien von Politik.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie sehen das denn die Menschen im ländlichen Raum? Die Schule geht weg, aber weiter sind die Kosten da. Kein Zentralort mehr, aber die Stützpunktfeuerwehr muss unterhalten werden. 150.000 Euro gehen weg, aber weiter heißt es, Sport, Jugendarbeit, Kindertagesstätten zu unterhalten, erhalten.

(Wolfgang Riemann, CDU: Jugendclubs.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie machen eine Politik, bei der Sie 6 Millionen Euro der Fläche entziehen, und das soll dann nach Ihren Aussagen, Herr Holter, ein erster Schritt sein, um nach der Kreisgebietsreform noch einmal an die Ämter heranzugehen!

Ich kann uns nur alle eindringlich auffordern, zu dem Beschluss aus dem September 2004 an dieser Stelle zu stehen, der im Sonderausschuss gefasst worden ist. Die Ämterfusionen sind abgeschlossen! Und ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Landesregierung: Finger weg von den Ämtern! Die Menschen haben dort diskutiert, sie haben sich freiwillig zusammengeschlossen. Fangen Sie nicht schon wieder an, alles auf den Kopf zu stellen! – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Fraktionsvorsitzender Rehberg.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Schildt von der Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In seiner Regierungserklärung vom 11.12.2002 kündigte der Ministerpräsident Ringstorff an, dass die Landesregierung das Landesraumordnungsprogramm aus dem Jahr 1993 als Landesentwicklungsprogramm neu aufstellen lässt. So viel zur Historie.

(Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Das erste Raumordnungsprogramm Mecklenburg-Vorpommerns wurde 1993 bestätigt. Und ich denke, nach zwölf Jahren ist es allerhöchste Zeit, die Kriterien, die angewandt werden, zu überarbeiten und an die Realitäten anzupassen.

(Beifall Volker Schlotmann, SPD, und Angelika Gramkow, PDS – Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Die veränderte Bevölkerungsentwicklung in unserem Land, strukturelle, wirtschaftliche und soziale Veränderungen im Rahmen dieser Entwicklung müssen ganz einfach zur Konsequenz haben, dass Rahmenbedingungen neu gefasst werden, Zielstellungen neu formuliert, gut analysiert und auch gefasst werden. Das neue Programm stützt sich, Herr Rehberg, auf die Ergebnisse der Enquetekommission der 3. Wahlperiode „Zukunftsfähige Gemeinden und Gemeindestrukturen“ …

(Heiterkeit bei Eckhardt Rehberg, CDU)

Ja, darüber können Sie lachen, aber diese Arbeit ist eine Grundlage für die Erarbeitung des neuen Programms. Die CDU-Kollegen haben sich meines Erachtens dort sehr eingebracht, zeitweilig auch durch Sie selbst, Herr Rehberg.

Aus der Themenstellung zur heutigen Aktuellen Stunde wird deutlich, dass die CDU-Fraktion eine undifferenzierte, nicht sachgerechte Vermischung zweier Politikfelder vornimmt,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

einmal das Landesraumentwicklungsprogramm als wichtiges Entscheidungskriterium und den ländlichen Raum auf der anderen Seite. Sie spricht von Perspektiven für den ländlichen Raum, macht ihre Kritik jedoch offenbar – und das lässt sich vermuten – nur an dem vorgesehenen gestaffelten System zentraler Orte deutlich. Aber ich muss jetzt ergänzen, es ist ja auch die Einstufung landwirtschaftlicher Vorrangräume hier angesprochen worden.

(Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

Dazu werde ich natürlich auch noch etwas ausführen.

Fakt ist, dass es nach dem bisherigen System ländlicher Zentralorte zu einer enormen Qualitätsverbesserung für die Menschen in diesen Orten und deren Umfeld gekommen ist. In den Kommunen fängt nach 15 Jahren deutscher Einheit die Entwicklung nicht bei null an. Vieles wurde geschaffen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen im ländlichen Raum. Voraussetzung dafür war und ist, dass es die Verantwortungsträger in den Kommunen verstehen, die vielschichtige Förderung durch Land und Bund zu nutzen. Wir haben nämlich viele Programme, die dieses Raumordnungsprogramm untersetzen. Im ländlichen Raum verweise ich ganz deutlich auf den EAGFL mit seinen Möglichkeiten der Flurneuordnung, der Dorferneuerung. Diese Programme sind intensiv genutzt worden und jeder, der beim Abschluss von Flurneuordnungsverfahren im ländlichen Raum vor Ort war, kann auf diese Erfolge ganz stolz hinweisen. Da haben wir alle einen Beitrag geleistet.