Protokoll der Sitzung vom 12.12.2002

Ich will an dieser Stelle einen kurzen Blick auf die aktuelle Situation des Arbeitsmarktes in Mecklenburg-Vorpommern werfen. Die Arbeitslosenzahlen, wir haben das ja schon gehört, für den Monat November 2002 in unserem Land liegen uns seit letzter Woche vor. Offenes Wort: Sie sind schlimm, sehr geehrte Damen und Herren. Da gibt es nichts zu beschönigen. Circa 170.000 Frauen und Männer in Mecklenburg-Vorpommern haben keine Arbeit. Dies entspricht einer Arbeitslosenquote von durchschnittlich 18,7 Prozent. Besonders alarmierend dabei ist ein deutlicher Anstieg der Erwerbslosen bei den jüngeren Menschen im Alter zwischen 20 und 25 Jahren und eine Erhöhung der Anzahl der Bürgerinnen und Bürger, die länger als ein Jahr arbeitslos und damit im Sinne des Gesetzes langzeitarbeitslos sind. Dies entspricht einer Quote von 35,4 Prozent aktuell. Tendenz: leider steigend.

Ein weiterer Problempunkt ist die Tatsache, dass bereits in den vergangenen Jahren arbeitsmarktentlastende Maßnahmen signifikant zurückgefahren worden sind. Der Ministerpräsident hatte dies gestern in seiner Regierungserklärung deutlich gemacht. Und auch für 2003 ist grundsätzlich absehbar, dass diese Maßnahmen erheblich reduziert werden sollen. So ist alleine bei den AB-Maßnahmen mit einer Reduzierung von 12.300 aktuell auf circa 6.000 im nächsten Jahr zu rechnen. Und die Folgen brauche ich Ihnen, denke ich, wohl nicht zu erläutern.

Wenn ich zuvor diese Situation im Land beschrieben habe, dann sind Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU, sehr gut beraten, wie ich meine, nicht so zu tun, als hätte es das grundlegende Problem der Massenarbeitslosigkeit zu Zeiten, in denen Sie die Regierung in Bund und Land stellten, nicht gegeben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Des Weiteren ist es so, dass die Maßnahmen, die von Ihnen zur Belebung der Wirtschaft vorgeschlagen und als – ich sage das jetzt mal – Wundermittel für Mehrbeschäftigung ausgegeben werden, weder grundlegend neu sind noch bei ihrer Anwendung in der Vergangenheit dazu beitragen konnten, Massenarbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren wesentlich und vor allem dauerhaft zu reduzieren. Die jetzige Regierung hat es immerhin geschafft, unser Land im Rahmen eines äußerst schwierigen, aber notwendigen Konsolidierungskurses zugleich insbesondere in den Bereichen Wirtschaft, Infrastruktur und Hochschulen neu auszurichten und fit zu machen für die Zukunft.

In vielen Bereichen sind wir, auch das hat der Ministerpräsident gestern zu Recht gesagt, top in Deutschland und darüber hinaus auch top in Europa. Hier wurde von der rot-roten Regierung eine gute Arbeit geleistet. Letztlich sind aber ungeachtet dessen die Probleme des Arbeitsmarktes im Wesentlichen – und ich sage das hier ganz offen – in ihrem Kern ungelöst. Ich sage ausdrücklich, das ist hier nicht das spezifische Problem der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern, sondern aller Regierungen in diesem Land

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

und darüber hinaus auch der Regierungen in den Industrieländern der westlichen Welt.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glawe?

Vielleicht später.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Vielleicht. Können Sie sich nicht entscheiden?)

Zunächst möchte ich fortfahren.

Ich denke, zunächst ist es bemerkenswert an dieser Stelle, dass überhaupt einmal nach vielen Jahren der, ich will mal sagen, stillen Duldung von Massenarbeitslosigkeit der ernsthafte und tiefgreifende Versuch gemacht wurde, eine große Strukturreform des Arbeitsmarktes anzugehen. Und dies ist von der durch die Bundesregierung eingesetzten Hartz-Kommission geleistet worden. Ihre Kollegen, Herr Rehberg, haben das in all den Jahren ihres Regierungshandelns nicht geschafft, ganz klar gesagt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von Kerstin Fiedler, CDU)

Und wenn es auch zu diesem Zeitpunkt, da die beiden ersten Gesetze für moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt noch im Gesetzgebungsverfahren sind, noch zu früh ist, um eine erste verlässliche Zwischenbilanz hinsichtlich der Wirksamkeit der Hartz-Ideen zu ziehen, eins ist bereits jetzt schon klar, denke ich: Es wird in jedem Fall positive Impulse auf dem Arbeitsmarkt geben. Insbesondere dürfte die Geschwindigkeit der Vermittlung von erwerbslosen Menschen in Arbeit durch die gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen deutlich zunehmen.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Verwaltungsstrukturen werden straffer und effizienter gemacht, der Service für Arbeitsplatzanbieter und Arbeitsplatzsuchende wird verbessert und die Vermittlungsgeschwindigkeit wird erhöht. Die Qualität von Weiterbildungsmaßnahmen wird durch mehr Wettbewerb und anschließendes konsequentes Controlling erhöht. Gleichwohl ist in den wesentlichen Tendenzen erkennbar – und das ist hier auch schon angeklungen –, dass bei der Formulierung der Hartz-Gesetze die spezifischen Verhältnisse des Arbeitsmarktes in den neuen Bundesländern und natürlich auch die Verhältnisse in Mecklenburg-Vorpommern nicht hinreichend berücksichtigt worden sind, denn Fakt ist, dass es viel zu wenig Jobs im Land gibt. Wo nur circa 6.500 offene Stellen der Zahl von 170.000 Arbeit suchenden Menschen gegenüberstehen, da hilft auch eine schnellere Vermittlung relativ wenig. Wir müssen zudem immer berücksichtigen, die Arbeitslosigkeit ist hier im Osten durchschnittlich doppelt so hoch wie im Westen. In einigen Regionen beträgt sie zwischen 20 und 25 Prozent. Rechnet man dann die circa 5 Prozent hinzu, die sich ergeben würden, wenn wir keine arbeitsmarktentlastenden Maßnahmen hätten, kämen wir auf rund 25 bis 30 Prozent Arbeitslosigkeit in einigen Regionen unseres Landes. Dies gilt insbesondere für den Landesteil Vorpommern, der besonders stark von der Arbeitslosigkeit betroffen ist, wie wir alle wissen.

Nun ist vorgesehen, dem Land Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2003, ich hatte es ja bereits angedeutet, rund 148 Millionen Euro weniger für aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung zu stellen. Das heißt, es droht die Gefahr von noch mehr Arbeitslosigkeit.

(Egbert Liskow, CDU: Na, wer ist denn an der Regierung? – Dr. Armin Jäger, CDU: Wer regiert denn in Mecklenburg-Vorpommern?)

Wenn der Arbeitsminister in diesem Zusammenhang davon spricht, dass der soziale Frieden im Land gefährdet ist, denke ich, ist diese Aussage zumindest nach meinem Verständnis nicht gänzlich abwegig, um es einmal so zu sagen. Jeder von uns ist jedenfalls gut beraten, den Ernst der Lage nicht zu verkennen. Die Strategie muss daher gegensteuernd in mehrfacher Hinsicht sein. Die notwendige Finanzierung des Mindestqualifikationsanteils bei Eigenregie von ABM und SAM in Anbetracht der restlos leeren Haushaltskassen der Kommunen sowie der immer noch weitestgehend ungeklärten Anforderungen an das Niveau der geforderten Qualifikation erschwert die Inanspruchnahme und Realisierung solcher Maßnahmen. Wir plädieren deshalb für eine Abschaffung der entsprechenden gesetzlichen Tatbestände im SGB III. Wir vertreten außerdem die Auffassung, dass die zukünftig vorgesehene Wartefrist von drei Jahren zwischen zwei ABM beziehungsweise SAM kontraproduktiv ist. Die Intention dieser Regelung einer größeren Verteilungsgerechtigkeit und der

Vermeidung von Förderketten ist zwar im Grundsatz ehrenwert, verkennt aber, denke ich, die Realitäten auf dem hiesigen Arbeitsmarkt. Weiterhin würde der Wegfall der Sonderregelung Ost nach Paragraph 416 SGB III eine hundertprozentige oder neunzigprozentige Personalkostenförderung in ABM nur im Ausnahmefall gestatten. Dies hätte zur Folge, dass die Träger solcher Maßnahmen grundsätzlich einen Regelpersonalkostenanteil zwischen 30 und 70 Prozent übernehmen müssten. Hierzu wird indes kaum ein Träger überhaupt in der Lage sein. Im Ergebnis würden deshalb auch hier Arbeitsplätze wegfallen.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Unabhängig vom oben Gesagten muss das von der rotgrünen Bundesregierung im Koalitionsvertrag angelegte kommunale Infrastrukturprogramm Ost – Herr Holter hat es angesprochen – schnellstmöglich, das heißt noch im Jahr 2003 umgesetzt werden. Zumindest muss mit der Realisierung dieses Programms noch im nächsten Jahr begonnen werden. Durch das Programm werden die Kommunen befähigt, zusätzliche Aufträge in investive kommunale Projekte an kleine und mittelständische Betriebe und Unternehmen zu vergeben, und neben der direkten Stärkung der Wirtschaftsstruktur würden darüber hinaus auch die Standortqualität und die Attraktivität der Kommunen durch verbesserte Infrastrukturen erhöht werden. Mehr Investoren würden kommen, wenn sie diese neuen, modernen, verbesserten Infrastrukturen zur Verfügung hätten. Zudem muss jedoch sichergestellt werden, dass – und das hatte ich auch angemerkt – aktive Arbeitsmarktpolitik unbedingt auf dem Niveau von 2002, also diesen Jahres, weitergefahren werden muss, damit die Probleme hier auf dem hiesigen Arbeitsmarkt nicht noch größer werden.

(Beifall Rudolf Borchert, SPD – Wolfgang Riemann, CDU: Aber Schröder und Eichel erst fragen.)

Wir müssen uns aber unabhängig vom oben Gesagten – das ist ein wichtiger Punkt – über lediglich mittelfristig wirkende Maßnahmen hinaus ganz grundlegende Gedanken über langfristige und nachhaltige Konzepte für den Arbeitsmarkt machen. Und da bin ich der Meinung, Hartz kann nur der Anfang sein für die Entwicklung einer nachhaltigen Strukturreform in der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik, sozusagen die Initialzündung. Und in diesem Zusammenhang sei die Anmerkung erlaubt, auch wenn ich diesem Parlament erst wenige Wochen angehöre, hier ist nicht parteipolitische Polemik gefragt, sondern vielmehr konstruktive Zusammenarbeit und Diskussion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Gabriele Schulz, PDS)

Letztere kann natürlich kontrovers sein, sicherlich. Sie sollte aber sachlich sein und immer konzentriert auf den Zweck, nach Möglichkeit allen Menschen in unserem Land wieder eine Zukunft zu geben.

(Wolfgang Riemann, CDU: Das klingt so schön.)

Lassen Sie mich sagen, dass ich mir vorstelle, Herr Jäger, dass wir über alles tabulos diskutieren können und über alle Möglichkeiten und Modelle in diesem Zusammenhang, aber losgelöst – und das ist mir wichtig – von den festgepressten Argumentationsinstrumentarien der vergangenen Jahre und Jahrzehnte. Ich sage das mal so deutlich. Wir müssen nämlich erkennen, dass die Prinzi

pien und Systeme, die wir in den letzten Jahrzehnten hatten, die sicherlich auch ihren guten Dienst erwiesen haben, heute neu überdacht werden müssen, teilweise gänzlich neu entwickelt werden müssen, damit wir hier grundlegende Strukturreformen überhaupt realisieren können. Das muss in Ihre Köpfe und da spreche ich Sie an.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Armin Jäger, CDU: Warum gerade Sie?)

Kurzum, die Lage ist so ernst, dass wir es uns nicht länger erlauben können, uns in wilder Effekthascherei und parteipolitischem Kleinklein zu ergehen. Wir sind den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes wirklich um jeden Preis verpflichtet, hart und vor allem sachorientiert zu arbeiten und nicht zu rasten, bis endlich Lösungskonzepte präsentiert werden können, die spürbar und nachhaltig zu Gunsten der Menschen in unserem Land wirken. Und deswegen, ich diskutiere gern mit Ihnen über neue Modelle.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Ich frage mich, warum können wir uns nicht unterhalten über neue Modelle zur Arbeitszeit, über grundlegende Strukturveränderungen in den sozialen Sicherungssystemen, Stichwort eine Arbeitsversicherung anstelle einer Arbeitslosenversicherung, also eine Arbeitsversicherung, bei der auch Beamte selbständig einzahlen zum Beispiel. Die Überlegung, ob es nicht Sinn machen könnte, hier ein soziales Sicherungssystem danach zu bemessen oder die Höhe der Sozialkosten oder Sozialbeiträge danach zu bemessen, wie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Region ist, das sind, denke ich, neue innovative Ansätze,

(Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU, und Eckhardt Rehberg, CDU – Eckhardt Rehberg, CDU: Hast du das gehört?!)

die es wert sind, überlegt zu werden.

Und im Übrigen, eins will ich Ihnen noch sagen, Herr Rehberg, ich finde, es ist überdenkenswert, dieses ewige Bemühen, hier die Wachstumstheorie immer heranzuziehen. Sie haben gestern davon gesprochen. Vom Prinzip her sind wir sicherlich dafür, dass Wachstum benötigt wird, natürlich. Die Wirtschaft schafft Arbeitsplätze, keiner sonst. Aber Fakt ist auch, wir sind nicht mehr in den sechziger Jahren, wo wir ein Wirtschaftswachstum von sieben bis acht Prozent und mehr hatten, da hatten wir Vollbeschäftigung. Ich denke, heute ist es eine andere Dimension. Ich habe die Massenarbeitslosigkeit angesprochen und denke, es gilt auch ganz klar zu erkennen, dass wir hier mit dieser ursprünglichen Wachstumstheorie mal wieder ein paar Prozent drauflegen, dann läuft das alles. Damit kommen wir nicht mehr klar.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, Dr. Martina Bunge, PDS, und Regine Lück, PDS)

Und deswegen rufe ich Sie auf – Herr Rehberg, ich habe Sie gestern so verstanden, dafür bin ich dankbar –,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Mit dieser Regierung kriegen wir kein Wachstum.)

lassen Sie uns eine ehrliche, offene, ich sage das noch mal, eine tabulose Diskussion führen, wie wir hier weiterkommen.

Abschließend möchte ich sagen, machen wir heute schon einmal einen kleinen Schritt in die richtige Richtung. Ich habe die Maßnahmen skizziert und angedeutet, die wir

hier für richtig halten. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Abgeordneter, es gibt offensichtlich den Wunsch für eine Nachfrage von Herrn Petters.

Ja, gern.

Herr Kollege, ich gehöre auch zu den neuen Kollegen und ich sehe das genauso wie Sie, dass wir uns hier um Sachpolitik kümmern sollten. Wenn Sie den Antrag gelesen haben, geht es ja darum, dass wir die Landesregierung bitten, Stellung zu nehmen. Ich frage Sie: Was haben Sie vom Arbeitsminister Holter gehört zu seinen Vorschlägen, wie er mit seinen Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik die Rahmenbedingungen für mehr Arbeit in diesem Land verbessern möchte? – Vielen Dank.

(Norbert Baunach, SPD: Das soll Herr Holter beantworten.)

Herr Petters, ich verstehe jetzt Ihre Frage insofern nicht, waren Sie hier in dieser Veranstaltung oder nicht? Ich habe doch, denke ich, eingangs deutlich gemacht, dass er – und ich habe dem Arbeitsminister zugehört – aus meiner Sicht keine Antworten schuldig geblieben ist

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Siegfried Friese, SPD, und Torsten Koplin, PDS: Richtig.)

und insofern hier eingehend und umfassend die Auffassung der Landesregierung dargestellt hat. Auch wenn Sie da immer wieder insistiert haben, Herr Holter hat ganz klar die Stellung der Landesregierung deutlich gemacht und insofern denke ich mal, Herr Petters, ist das Ihr Problem, wenn das bei Ihnen nicht angekommen ist.