Protokoll der Sitzung vom 05.10.2005

Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 64. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist.

(Tonstörung – Heinz Müller, SPD: Hier geht nichts geräuschlos über die Bühne.)

Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 64. und 65. Sitzung liegt Ihnen vor. Wird der vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 64. und 65. Sitzung gemäß Paragraph 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gestatten Sie mir, den Mitgliedern des Landtages Dr. Martina Bunge und Eckhardt Rehberg zur ihrer Wahl in den Deutschen Bundestag zu gratulieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion der SPD hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „15 Jahre deutsche Einheit – Stand und Perspektive für Mecklenburg-Vorpommern“ beantragt.

Aktuelle Stunde 15 Jahre deutsche Einheit – Stand und Perspektive für Mecklenburg-Vorpommern

Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion Herr Volker Schlotmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, das ist hier der richtige Ort, neben den offiziellen Feiern zum 3. Oktober auch hier im Parlament dieses Thema noch einmal aufzugreifen und aufzurufen. Ich möchte mir heute den Luxus gestatten, aus persönlicher Bewegung und aus dem eigenen Bauch heraus etwas zu diesem Tag und zu dem, was damit zusammenhängt, zu sagen, und zwar jenseits der würdevollen und staatstragenden und sicher notwendigen Reden zum 03.10.

Meine Damen und Herren, ich bin einer derjenigen, die landläufig als „Wessis“ bezeichnet werden. Ich bin seit Januar 1990 in diesem Lande, damals als Arbeitnehmervertreter mit dem Anspruch, vieles von dem, was im Westen aus meiner Sicht verkehrt gemacht worden ist, hier nicht zu wiederholen und diese historische Chance mit all denen aufzugreifen, die sich damals selbst bewegt und vieles infrage gestellt haben. Es war eine spannende Zeit, das kann ich heute mit Fug und Recht sagen. Ich habe damals sehr viel mit Politikern zu tun gehabt, oft auch von der CDU. Ich denke sehr gerne an die Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Nieter zurück, aber auch mit dem Herrn Scheringer von der PDS, mit Till Backhaus und Peter Kauffold von der SPD. Wir haben vieles angefangen. Was mich aber geprägt hat in dieser Zeit, ist die Tatsache, dass ich erleben musste, dass fast alles, fast alles niedergemacht worden ist, was aus DDR-Zeiten in die neue Republik eingebracht werden sollte, und zwar egal ob gut oder schlecht, es wurde ohne Unterschied niedergemacht.

Ich erinnere mich sehr gut an Diskussionen zum Thema Bildungspolitik oder zum Thema Gesundheitswesen, und zwar ohne den ideologischen Ballast, sondern einfach

den Versuch, Gutes auch zu bewahren und das Gute aus West und Ost zusammenzuführen. Damit ist einhergegangen, dass die Lebensleistung vieler Menschen hier schlicht und einfach mit einem Federstrich zunichte gemacht worden ist, unabhängig davon, ob er engagiertes Mitglied der SED oder – ich sage jetzt einmal in Gänsefüßchen – der normale Otto Normalverbraucher war.

Bei diesem Thema Wiedervereinigung oder Vereinigung dürfen wir eins nicht vergessen, das sind die Väter und Mütter dieses Prozesses. Diese haben diesen Prozess überhaupt erst möglich mit ihrem Beitrag gemacht. Auch da waren Politiker aller Farben beteiligt. Sie haben sich damals ihrer sehr hohen Verantwortung gestellt und sie haben nicht gekniffen wie viele andere, die sich in ihr Schneckenhaus zurückgezogen haben. Und dafür möchte ich diesen Politikern danken. Etliche dieser Kämpferinnen und Kämpfer, wenn man so will, sitzen heute noch im Landtag, und zwar seit 1990. Ich möchte einfach einmal die Namen hier aussprechen, weil ich denke, wir sollten uns gerade als Parlament dieser Tradition bewusst sein, wie man zu dem Einzelnen auch jeweils gestanden haben mag oder nicht. Seit 1990 sitzen Frau Gramkow, Frau Holznagel, Frau Keler, Herr Backhaus, Herr Bluhm, Herr Brick, Herr Caffier, Herr Friese, Herr Prachtl, Herr Rehberg, Herr Riemann, Herr Ringstorff, Herr Thomas und Herr Timm in diesem Parlament. Das sind noch sage und schreibe 14 von den damals neu gewählten Abgeordneten in diesem Parlament. Sie haben ja gehört, zwei werden uns verlassen. Herr Rehberg, auch Ihnen wünsche ich alles Gute. Das ist wirklich ehrlich gemeint, übrigens natürlich auch Frau Dr. Bunge.

Meine Damen und Herren, 1990 stand dieses Land Mecklenburg-Vorpommern vor besonders großen Herausforderungen im Gleichklang mit den anderen ostdeutschen Bundesländern, und zwar bei dem Übergang von einer sozialistischen Planwirtschaft in die Marktwirtschaft. Eines der Ergebnisse war die Arbeitslosigkeit, die sprunghaft angestiegen ist. Ich erinnere mich hier sehr gut an die Landwirtschaft, die seit Mitte 1991 von 110.000 auf 70.000 verringert worden ist. Eines der Hauptprobleme war die Übertragung der Regelungen auf die neuen Bundesländer, statt die Situation zu nutzen, die gegeben war, um Reformen, zum Beispiel der Sozialsysteme, zu nutzen. Politik – und das ist keine böse Kritik, sondern einfach eine Feststellung – hat damals übersehen, was ringsum in der Welt und darüber hinaus weitergegangen ist, insbesondere im Bereich der ökonomischen Entwicklung. Und mit der deutschen Einheit war man so beschäftigt, dass dies in den Hintergrund trat, was aus meiner heutigen Sicht natürlich auch verständlich ist, aber es bedeutet für uns eine große historische Hypothek.

Ein Beispiel war die Frage der Werften. Hier eine Anekdote: Damals ging es um das Thema der Werften. „Die Sozialdemokraten waren damals an der Front und wollten eine Konversionsindustrie ansiedeln, um dort zum Beispiel die Panzer auf den Werften zu zerlegen, während die CDU damals – man höre und staune – vorschlug, die Panzer mit Beton auszugießen und als Wellenbrecher im Küstenschutz einzusetzen.“ Übrigens ein Zitat aus dem „Handelsblatt“ vom Oktober 1990.

Was aber bringt das in der Konsequenz für uns alle hier? Die Verantwortung, der wir uns stellen müssen, so, wie die von mir vorhin Genannten sich 1990 ihrer Verantwortung gestellt haben, die Reformen, die wir heute umzusetzen haben, sind viel einschneidender als in vielen

anderen Ländern, weil wir mit diesen Reformen viel später beginnen. Und nun tun sie allerorten weh. Wir selber wissen das aus den Wahlkreisen, wir selber wissen das aus den Auseinandersetzungen mit den politischen Gegnern: Ob das die Verwaltungsreform ist, ob das im Arbeitsmarkt ist oder auch in der Wirtschaftsförderung, immer geht es doch darum, aus Sicht der Betroffenen in den letzten 15 Jahren errungene Standards zu verändern, und das in der Regel eben nicht kurzfristig zugunsten der Empfänger, zumindest sehen diese das so. Damit haben diese Reformen, egal von wem sie letztendlich initiiert wurden oder werden, einen ebenso hohen Stellenwert wie die Arbeit der vergangenen Jahre. Und dessen sollten sich wirklich alle bewusst sein.

Ich appelliere: Wahltaktisch und parteipolitisch motivierte Blockaden dürfen nicht zur bequemen Methode werden! Dass wir uns über den jeweils richtigen Weg streiten müssen, denke ich mir, steht nicht infrage. Das Ob aber, meine Damen und Herren, sollte nicht und von keinem infrage gestellt werden.

Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland und selbst Europa sind doch keine autarken Gebilde à la Albanien zu Zeiten des Eisernen Vorhanges. Man muss sich und wird sich den Herausforderungen der Globalisierung auch hier vor Ort stellen müssen. Wir stehen im Land vor großen Herausforderungen. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte muss konsequent fortgesetzt werden und ich bin froh, dass wir von diesem Grundsatz her über alle drei Fraktionen der gleichen Auffassung sind. Allerdings, auch das muss hier gesagt sein, der Gang nach Greifswald als Dauereinrichtung ist aus meiner Sicht eher ein Zeichen parlamentarischer und politischer Schwäche, meine Damen und Herren.

Mecklenburg-Vorpommern verzeichnet wie alle ostdeutschen Bundesländer einen rapiden Bevölkerungsrückgang. Die Einnahmen aus Steuern und Abgaben hängen zu einem großen Teil von der Einwohnerzahl ab – das ist uns allen bekannt – und deshalb sagen wir ausdrücklich, dass die heutigen Verwaltungsstrukturen zum Beispiel nicht zukunftsfähig sind. Wir haben deswegen als Koalition eine umfassende Verwaltungsmodernisierung in Angriff genommen. Ich sage Ihnen noch einmal und eindringlich, diese Verwaltungsreform ist die zentrale Zukunftsfrage für dieses Land. Und ich sage Ihnen auch und schreibe Ihnen ins Stammbuch, wie denken denn die Bürgerinnen und Bürger über diese Verwaltungsreform. Ich sage Ihnen, jedenfalls anders und weitaus vernünftiger als viele Verbände, aber auch Funktionäre und Mandatsträger. Reformen mögen unbequem und manchmal schmerzhaft sein, sie sind aber letztendlich nicht zu verhindern. Das Wie dieser Reformen, auch im Land, und zu diesem Mut rufe ich uns alle auf, das Wie liegt auch und gerade in unserer Hand. Lassen Sie uns das gemeinsam in Angriff nehmen!

Ich möchte Ihnen zum Abschluss sagen, bei allen Problemen müssen und dürfen wir nicht in Sack und Asche gehen. Wir haben sehr viel geschafft – fahren Sie im Lande herum –, ob das die Krankenhäuser sind, die Kita-Einrichtungen, Straßen, die Städte, die Gemeinden. Wir haben verdammt noch mal sehr, sehr viel geschafft! Ich weiß nicht, warum es uns nicht möglich ist, dieses nach außen hin auch mit dem notwendigen Selbstbewusstsein zu dokumentieren. Ich glaube, da sind wir als Parlamentarier alle gefordert, und ich bitte Sie, das gemeinsam mit uns zu tun. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Herr Fraktionsvorsitzender Schlotmann.

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der CDUFraktion Herr Eckhardt Rehberg.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es sind mehrere geschichtsträchtige Ereignisse, die in den kommenden Tagen auf uns zukommen. Ich habe die Bitte an dieses Hohe Haus, dass wir weder den 14. Oktober, an diesem Tag wird sich zum 15. Mal die Wiederbegründung des Landes Mecklenburg-Vorpommern jähren, noch den 26. Oktober, also die Konstituierung des Landtages im Jahr 1990, das bedeutet 15 Jahre Landtag Mecklenburg-Vorpommern, dass wir das nicht einfach nur mit einer Aktuellen Stunde abtun.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht zu spät, es ist noch ein bisschen Zeit, diese beiden Daten in würdiger Form zu begehen. Ich glaube, es gehört ein Stück zur politischen Kultur, gerade was die 15 Jahre Mecklenburg-Vorpommern betrifft, wo die Menschen sich wieder als Mecklenburger und Vorpommern fühlen konnten, nachdem sie das über vier Jahrzehnte nicht durften, dass wir dieses in angemessener Art und Weise tun. Und das Prägendste für mich aus und in dieser Zeit ist eigentlich der Zeitraffer gewesen vom Herbst, vom Sommer 1989 bis in diese Tage 1990:

Ungarn im August 1989

der 9. Oktober in Leipzig

17. Oktober 1989, der Rücktritt von Erich Honecker

4. November, eine halbe Millionen Menschen in Ostdeutschland auf der Straße, übrigens ohne Schlägertruppen wie vier Wochen noch zuvor, sondern friedlich

9. November, die Pressekonferenz mit Günter Schabowski

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir über Väter und Mütter des Prozesses reden, dann gab es die von innen und sie gab es von außen. Die von außen werden heute teilweise hinlänglich nicht mehr wahrgenommen oder beiseite geschoben. Aber das hat unter anderem auch mit dem NATO-Doppelbeschluss, mit der Standhaftigkeit von Helmut Schmidt und Helmut Kohl zu tun, wie der Aachener Oberbürgermeister bei der Verleihung des Karlspreises im März letzten Jahres an Papst Johannes Paul sagte, auch mit der Papstwahl 1978 und mit der Solidarno´s´c in Polen. Es hat viel mit Perestroika und Glasnost zu tun. Und ich glaube, was wir alle viel zu sehr verkennen, ist, dass wir 1990 eine Nachkriegszeit beendet haben, wo wir, Deutschland, gegenüber unseren Partnern und Freunden ein verlässlicher und guter Partner im Herzen Europas geworden sind und zum damaligen Zeitpunkt auch gewesen sind.

Meine Damen und Herren, wenn man von Vätern des äußeren Prozesses redet, dann sollte man sich gelegentlich noch mal die Tage des September 1990 vor Augen führen: „2 plus 4“ war nicht so einfach, wie es heute scheint. Es gab nicht nur Freunde der deutschen Einheit, nicht nur in Großbritannien, sondern auch in anderen europäischen Staaten.

Herr Schlotmann, in einem stimme ich Ihnen zu: Wir waren, so würde ich es formulieren, oder Deutschland war nicht auf die Einheit vorbereitet, Deutschland war weitestgehend auf die europäische Einigung in dieser Form nicht vorbereitet. Und was wir mental nach meiner Auffassung wohl verkraftet haben, ist, dass der politische Vorhang 1989/90 gefallen ist. Aber dass der wirtschaftliche Vorhang von Ost nach West, von Nord nach Süd gefallen ist, das ist bei vielen in Deutschland noch nicht angekommen. Da sind andere Völker, möglicherweise weil sie Seefahrernationen waren wie die Holländer oder flexibler wie die Dänen und Schweden, deutlich weiter als wir.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten wirklich die Erfolge nicht kleinreden, es hat sich viel getan. Aber gelegentlich muss auch noch mal darauf hingewiesen werden, wo sind wir eigentlich hergekommen. Ich möchte das mit einem Zitat eines, glaube ich, für die CDU völlig unverdächtigen Mannes untersetzen, und zwar mit dem Zitat: „in solchen Städten wie Leipzig, und besonders in Mittelstädten wie Görlitz u. a. gibt es tausende von Wohnungen, die nicht mehr bewohnbar sind.... Die Feststellung, daß wir über ein funktionierendes System der Leitung und Planung verfügen, hält... einer strengen Prüfung nicht stand.... Im internationalen Vergleich der Arbeitsproduktivität liegt die DDR gegenwärtig um 40 Prozent hinter der BRD zurück.“ Und weiter: „Allein ein Stoppen der Verschuldung“ gegenüber dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet „würde“ – so Gerhard Schürer im Oktober 1989 – „... eine Senkung des Lebensstandards um 25 – 30 % erfordern und die DDR unregierbar machen.“ Und ein weiterer Zeuge, Günter Mittag, sagte im Jahr 1991, schon 1987 sei ihm klar gewesen, dass die DDR wirtschaftlich nicht mehr zu retten gewesen sei.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu den nüchternen Tatsachen gehört auch, dass 1990 die ehemalige DDR verschuldet war bei insgesamt 400 Banken, mit denen sie Geschäftsbeziehungen hatte, mit 49 Milliarden Valutamark oder etwa 26 Milliarden US-Dollar, und dass pro Jahr der Schuldendienst sich auf 19 Milliarden Valutamark belief. Auch dieses gehört zur geschichtlichen Tatsache.

Meine Damen und Herren, weiter gehört dazu, dass das Produktivitätsniveau 1990 27 Prozent betrug, dass die Infrastruktur, so in den Solidarpaktverhandlungen festgestellt, 1990 weniger als 40 Prozent war. Und wir haben aufgeholt. An einer Stelle bin ich persönlich besonders dankbar, nämlich dass die Schwachen dieser Gesellschaft endlich den Raum, den Platz gefunden haben, der ihnen gebührt – Alte, Pflegebedürftige und Behinderte. Ich rate jedem, sich noch einmal Fotos zur Hand zu nehmen, wie es in einem Alten- und Pflegeheim oder in einer Behinderteneinrichtung 1988 oder 1989 aussah. Ich glaube, gerade den Schwachen der Gesellschaft ein menschenwürdiges und ein lebenswertes Dasein zu ermöglichen, das ist aus meiner Sicht einer der ganz großen Erfolge der letzten 15 Jahre.

Meine Damen und Herren, zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gehört natürlich auch, dass wir uns überlegen, wie bekommen wir insbesondere zwei Probleme in den Griff. Das ist zum einen das Problem der Arbeitslosigkeit, aber das größere Problem seit dem Jahre 1997/1998 ist der massive Rückgang der Beschäftigung, und zwar von 608.000 im Jahr 1997 auf heute 483.000. Deswegen möchte ich hier zwei Dinge anführen:

Erstens. Wir brauchen eine sachliche Bilanz dessen, was in Sachen Aufbau Ost bereits geleistet wurde. Meine Damen

und Herren, wir dürfen uns gegenseitig weder in West noch in Ost überfordern, indem wir uns Transferleistungen um die Ohren hauen, die nicht ansatzweise etwas mit West-OstTransfer zu tun haben. Ob es 160 Milliarden DM waren oder heute 92 Milliarden Euro sind, ob Brutto- oder Nettotransfer, meine Damen und Herren, niemand rechnet jemandem in München oder in Flensburg seinen Rentenbezug, seinen Wohngeldbezug und auch nicht das Stück Autobahn zwischen thüringischer Grenze und Nürnberg vor.

Zweitens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade solche gewaltigen Zahlen erdrücken die Menschen im Westen, weil diese meinen, viele Probleme, die heute da sind, die aber nichts mit der Wiedervereinigung zu tun haben,

(Beifall Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS)

sind dadurch begründet – und im Osten führen sie dazu –, dass die Menschen das Gefühl haben, ich muss dankbar sein für Dinge, die mir eigentlich zustehen.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Richtig.)

Ich halte es deswegen für sehr gravierend, dieses wieder auf eine solide und vernünftige Ebene zu heben, weil wir zukünftig – und damit komme ich zum dritten Punkt – definieren müssen, was im Aufbau Ost noch wie zu leisten ist.

Drittens. Meine Damen und Herren, wir müssen insbesondere im Westen Deutschlands Abstriche definieren. Ich glaube, die Formel „Aufbau Ost vor Ausbau West“ wird im Verhältnis zwischen neuen und alten Ländern künftig als Formel „Aufbau Ost und Umbau West zur reformierten gemeinsamen neuen Republik“ Geltung erhalten müssen. Und deswegen werden wir, darin sehe ich jedenfalls meine Aufgabe in Berlin, weniger Ost-West-Debatten führen müssen. Wir müssen nach meinem Dafürhalten Debatten führen, die es uns ermöglichen, gemeinsam zu überlegen, wie wir gerade die strukturschwachen Gebiete – und die gibt es im Ruhrgebiet, in Bremerhaven und in der Pfalz genauso wie in Mecklenburg-Vorpommern oder im Osterzgebirge – fördern. Und schon bei uns im Land sehen wir gravierende strukturelle Unterschiede bei der Arbeitslosigkeit, bei dem Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner und bei vielen anderen Dingen mehr. Deswegen wird es in Zukunft eher notwendig sein, regional zu debattieren als in Ost-West-Kategorien.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach meinem Dafürhalten – deswegen war es mir wichtig, noch einmal daran zu erinnern, dass in neun Tagen dieses Land 15 Jahre alt wird mit der Wiederbegründung – wird der Bezug zur Heimat, der Bezug zur Region zukünftig wichtiger sein, als sinnlose Ost-West-Debatten zu führen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und einzelnen Abgeordneten der SPD und Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Herr Fraktionsvorsitzender Rehberg.

Das Wort hat jetzt die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei.PDS Frau Gramkow.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Linkspartei.PDS zollt gerade heute und unter diesem Tagesordnungspunkt Respekt und Anerkennung