Protokoll der Sitzung vom 29.01.2003

Der neu gefasste Paragraph 56 Absatz 3 erfordert in der Sache – und das habe ich eben auch in der Einbringungsrede so wahrgenommen – mit Sicherheit keinen ideologischen Schlagabtausch, denn in der Intention waren sich alle Fraktionen einig. Schließlich – auch das wurde schon geschildert – sprechen wir über eine Änderung, die durch die CDU-Fraktion eingebracht wurde. In der Hoffnung, das folgende, nicht ganz ernst gemeinte Bild führt nicht dazu, dass Homer sich im Grabe umdreht, sei mir folgender Vergleich gestattet: Da stand es nun, das schöne Pferd mit dem klangvollen Namen Paragraph 56. Das passt gut in unsere Stadt, dachten die sorglosen Gesetzeshüter. Wo war Kassandras warnende Stimme? Geschwind die Mähne neu geflochten und ab damit ins Schulgesetz! Anstatt die berüchtigte Falltür zuzunageln, damit Risiken und böse Nebenwirkungen nicht entweichen können, rollte man mit vereinten Kräften die Gangway heran. Nun ja, das Schulgesetz liegt nicht wie Troja in Schutt und Asche, aber der entdeckte Riss im Fensterglas erfordert Taten.

Zur Sache. Mit der Regelung, dass nach Absolvierung der Vollzeitschulpflicht ein Schüler, der die Berufsreife nicht erreicht hat, die Schule nur noch auf Antrag der Eltern und Genehmigung durch die Schule weiterbesuchen darf, sollte man bislang nicht seltene Langzeitkarrieren in pädagogisch sinnvollere Förderbahnen lenken. In der Regel ist ein 18-Jähriger in der 7. Klasse zwar berechtigt, seine Arbeiten selbst zu unterschreiben, jedoch wohl nicht in der ihm gemäßen Förderung. Da sollte ein berufsvorbereitendes Jahr die effektivere Lösung sein. Die Formulierung im Gesetzestext führt jedoch dazu, dass außer dieser Zielgruppe nun jeder Schüler in jeder weiterführenden Schulart schon nach Klasse 8 unter diese Regelung fällt, sobald er aus irgendwelchen Gründen ein Schuljahr wiederholen musste. Im Extremfall gerät also auch ein Gymnasiast, der wegen Krankheit oder Umzug ein Schuljahr freiwillig wiederholt, in die Antragsmühlen. Ich sehe zwar überhaupt keine Gefahr, dass in solchen Fällen nicht in seinem Sinne entschieden wird, jedoch wird vor dieser Entscheidung ein erheblicher Verwaltungsaufwand in Gang gesetzt, der ganz entschieden vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt war. Auch der ursprüngliche CDUAntrag hätte das Gutachtenunwesen erheblich verschärft,

(Kerstin Fiedler, CDU: Was?!)

eine Konsequenz, die während der Arbeit am Gesetz weder den Fraktionen noch den Experten während der Anhörung, die zum großen Teil doch aus der Praxis kamen, bewusst wurde und sich nun im schulischen Alltag offenbart. Daher gilt es, Abhilfe zu schaffen. Ob dies nun per Änderung des Paragraphen 56 Absatz 3 in der von der CDU-Fraktion vorgeschlagenen Fassung zu leisten ist oder mit untergesetzlichen Regelungen, bleibt zu prüfen. In diesem Zusammenhang werden vor allem Übergangsregelungen erneut unter die kritische Lupe genommen. Im CDU-Antrag wird auf einen Widerspruch hin

gewiesen. Möglicherweise weitere bei dieser Gelegenheit aufzulösen wird Anliegen der erneuten Befassung mit dem Schulgesetz sein. Damit, und das ist vielleicht überraschend, gebührt der Opposition Dank,

(Beifall Angelika Gramkow, PDS)

zum einen im konkreten Fall, der Heilung ermöglicht, bevor das Kind im Brunnen liegt, zum anderen wohl eher unbewusst, weil durch diese erneute prüfende Gesamtschau auf das Gesetz Glättung ermöglicht wird. In diesem Sinne ist der bedauerlichen Panne sogar noch etwas Positives abzugewinnen. Die inhaltlichen Entscheidungen im Schulgesetz sind gefallen – Grundsatzdebatten, verschwendete Ressourcen. Jetzt kommt es darauf an, die Umsetzung der Regelung unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnisse zu gestalten. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und CDU)

Danke schön, Frau Polzin.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Bluhm von der Fraktion der PDS.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wirft die CDU-Fraktion eine Detailfrage der inneren Abläufe eines Schulsystems auf, das nach PISA immer noch nur zu den drittklassigen gehört und zu drittklassigen Schülerleistungen führt. Ich denke, die Regelung, um die es hier heute mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geht, die ist auch Ausdruck der Situation des Schulsystems in Deutschland und seiner internationalen Platzierung.

Der Regelungsgegenstand betrifft Schüler, die aus unterschiedlichsten Gründen eine schwierige Schullaufbahn erleben und Schuljahre auch aus ganz unterschiedlichen Gründen wiederholen mussten. Das können Leistungsdrücke sein, dem das Kind nicht gewachsen war. Das können frühzeitige und unbegründete Ausdifferenzierungsentscheidungen zur Schullaufbahn sein. Es kann die mangelnde Förderung des Kindes im Lernprozess genauso sein wie die schwierigen sozialen Verhältnisse, aus denen das Kind kommt. Es kann an der mangelnden vorschulischen Bildung und Erziehung liegen und so weiter. Also von daher ergibt sich ohne Frage dieser Regelungsbedarf und ich gehe davon aus, dass wir – zumindest haben wir das für die PDS und auch die SPD erklärt – dieses im Ausschuss beraten wollen. Wie wir diese Situation positiv verändern, hat aber schon etwas damit zu tun, wie denn Schule überhaupt wirkt und gestaltet ist.

Und auch die Landesregelung mit einer nur neunjährigen Vollzeitschulpflicht – im Gegensatz dazu haben ja Berlin, Brandenburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen eine zehn Jahre umfassende Vollzeitschulpflicht – wirkt im zu regelnden Problemkreis negativ für Schülerinnen und Schüler. Nun könnte man sagen, okay, das wäre die eine Lösung, die andere Lösung wäre, wir ändern das Gesetz dahin gehend, dass wir eine zehnjährige Vollzeitschulpflicht einführen. Das wäre auch eine denkbare Variante.

Nun, für die PDS geht es daher auch anhand dieses Gesetzes im Interesse der Mädchen und Jungen und unter weiterer Auswertung von PISA und PISA-E um die grundlegenden weiteren Verbesserungen des Bildungssystems in Deutschland und in Mecklenburg-Vorpommern. Und

dazu gehört für uns natürlich auch die Ausgestaltung der frühkindlichen Bildung mit dem schrittweisen Ausbau des umfassenden Bildungs- und Erziehungsauftrages. Dazu gehört die Entwicklung von qualitätsvollem Unterricht und damit verbundenen Lernzuwächsen für alle durch die Sicherung individuellerer Fördermöglichkeiten.

Finnland und Schweden machen es uns doch vor. Schulversagen ist dort im Hinblick auf erfolgreiche Beendigung der Schulpflichtzeit – zum Beispiel in Finnland bei neun Jahren – eher selten. Die aktuelle Zahl: 0,4 Prozent eines Schülerjahrganges. Also 99,6 Prozent der finnischen Schüler verlassen die finnische Gesamtschule mit einem Abschluss.

Frau Schnoor fragte in der zurückliegenden Legislaturperiode – und die Antwort können Sie nachlesen auf der Drucksache 3/2919 – nach Schülern ohne Abschluss in Mecklenburg-Vorpommern. Im Schuljahr 2000/2001 waren es von den insgesamt 22.449 Absolventen der Schule insgesamt 1.739 – also 7,7 Prozent –, die ohne Abschluss die Schule verlassen haben. Da ist natürlich das Gros aus dem Hauptschulbildungsgang kommend, 775, aber nicht nur dorther, auch von den Realschulen 464 ohne Abschluss – also auch keine Berufsreife oder kein Hauptschulabschluss. Von bildungsgangübergreifenden Klassen immerhin 110 und auch von Gymnasien sind es tatsächlich 17. Also es geht bei steigender Tendenz von Mädchen und Jungen in Deutschland und auch in Mecklenburg-Vorpommern, die die Schule ohne Abschluss verlassen, eben nicht nur um die Regelung des entsprechenden Paragraphen 56, sondern es geht auch um das, was davor in der Schule passiert.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Und dabei geht es eben aus unserer Sicht, aus Sicht der PDS, auch um längeren gemeinsamen Unterricht, denn ein selektives Schulsystem führt zu selektiver Pädagogik. Auch das macht aus unserer Sicht PISA deutlich. Nicht die Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen stehen im Mittelpunkt aller Betrachtungen, sondern oftmals ausschließlich die Berechtigung oder die Nichtberechtigung der Zugehörigkeit zu einer Bildungsanstalt. Untersuchungen zeigen auch in Deutschland, dass Auslese kein Beitrag zur Steigerung von Qualität und zu besseren Schülerleistungen ist.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Wenn das so ist, dann müssen wir an dieser Stelle auch nicht mit dem Paragraphen 56, aber in der Weiterführung der bildungspolitischen Diskussion etwas tun. Dazu gehört natürlich die Entwicklung von Ganztagsschulen, die Frage der Bildungsinvestition und Rahmenbedingungen, die Lehrerbildung. Also mehr Chancengleichheit bringt mehr Qualität.

Die Tatsache, dass das deutsche Schulwesen erschreckend wenig für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten tut, Chancenungleichheit nicht überwindet, sondern eher vertieft, wie PISA zeigt, darf nicht mehr länger hingenommen werden. Darum ist es für meine Fraktion wichtig: Weil Bildungschancen Lebenschancen sind, gehören Bemühungen um deutlich weniger Schulverweigerer und Jugendliche ohne Schulabschluss sowie um mehr Jugendliche mit höherwertigen Abschlüssen, denn auch da sind wir ja nicht so wahnsinnig toll, in das Zentrum schulorganisatorischer, materieller und pädago

gischer Anstrengungen. Der Benachteiligung von jungen Menschen mit Behinderungen, aus Migrantenfamilien, aus schwierigen sozialen Verhältnissen aufgrund von Geschlechterzugehörigkeit, kultureller, religiöser oder auch regionaler Herkunft ist mit gezielten, der Benachteiligung adäquaten Ausgleichsmaßnahmen zu begegnen. Da geben die Punkte, wie sie im Koalitionsvertrag fixiert sind, eine ganze Reihe von Handlungsmöglichkeiten, wo ich aus meiner Sicht sage, über die möchte ich gerne gemeinsam auch mit den Kollegen der CDU und auch über das Parlament hinaus in die Debatte der Ausgestaltung von Schule in Mecklenburg-Vorpommern treten.

Noch einige knappe Bemerkungen zum Gesetzentwurf selbst: Zur ersten Variante könnte angemerkt werden, gut, wenn denn neun Jahre Vollzeitschulpflicht zu diesen verhängnisvollen Problemführungen kommen, dann wäre eine Möglichkeit zu sagen, dann erweitern wir doch die Vollzeitschulpflicht auf zehn Schuljahre.

Das, was ich nicht verstehe, Frau Fiedler, nach Ihrer Begründung, ist die Tatsache, dass Sie zwar von den Eltern – und die CDU ist eine sehr elternfreundliche Partei –

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Heike Polzin, SPD: Diesen Schluss würde ich aber nicht ziehen. – Dr. Armin Jäger, CDU: Ruhig!)

den Passus, der sich aus dem Gesetz, das gilt, ergibt, wo die Eltern entsprechend die Agierenden sind, dass Sie die Eltern in Ihrem Vorschlag zur Änderung des Gesetzes völlig ignorieren und völlig rausnehmen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Kerstin Fiedler, CDU: Das ist nicht wahr.)

Ich denke schon, dass die Eltern als die Zuständigen für ihre minderjährigen Kinder diejenigen sein müssen, die diesen Prozess gegenüber der Schule vollziehen und nicht ausschließlich und alleine zuerst der Schulleiter. Hier haben die Fragen der Mütter und Väter schon die Priorität aus meiner Sicht.

(Beifall Dr. Gerhard Bartels, PDS)

Es geht bei aller Kritik auch mal um den Blick über den Tellerrand. Nun habe ich mich mal im Gesetzeswald der förderalen Struktur umgeguckt und habe dann, weil ich kein sozialdemokratisch regiertes Land nehmen wollte, die Hessen genommen. Und da heißt es im Paragraphen 59 „Dauer der Vollzeitschulpflicht“, gestatten Sie, dass ich den Absatz 2 zitiere: „Für Schülerinnen und Schüler, die das Ziel der Hauptschule nicht erreicht haben, kann auf Antrag der Eltern die Schulleiterin oder der Schulleiter die Vollzeitschulpflicht um ein Jahr, das Staatliche Schulamt in besonderen Fällen um bis zu zwei weitere Jahre verlängern, wenn begründete Aussicht besteht, dass durch den weiteren Schulbesuch der Abschluss erreicht wird.“ Ich denke, auch diese Lösung ist so schlecht nicht, und es wäre zu prüfen, ob das nicht dem besser gerecht wird, als das, was Sie mit diesem noch etwas komplizierter werdenden Gesetzesvorschlag hier unterbreitet haben.

Das, was ich gleichzeitig auch noch kritisieren möchte, ist, dass der Passus, den Sie hier vorschlagen, sich ausschließlich auf die Hauptschüler oder die im Hauptschulbildungsgang oder den Abschluss der Berufsreife beziehen. Die vorhin von mir zitierten Zahlen auf die Frage von Frau Schnoor machen deutlich, es geht auch um Realschüler, die im System des Realschulbildungsganges

sind, und deswegen greift der Vorschlag, den Sie hier haben, denn doch wieder zu sehr zu kurz.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS)

Und ob dann in diesen Fällen nur ein Antrag des Schulleiters oder der Eltern auf ein entsprechendes Gutachten die Grundlage für eine solche Entscheidung sein soll oder ob es nicht doch zwingend vorgeschrieben ist, ein entsprechendes Gutachten in diesen Fällen, um die es hier geht, zu erbringen, das sollten wir in gemeinsamer Beratung im Ausschuss und mit einzuladenden Experten behandeln. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke schön, Herr Bluhm.

Es liegen mir weiter keine Wortmeldungen vor, dann schließe ich die Aussprache.

Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU auf Drucksache 4/160 zur Beratung an den Bildungsausschuss zu überweisen. Wer für diesen Überweisungsvorschlag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Überweisungsvorschlag einstimmig angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 4: Beschlussempfehlung und Bericht des Petitionsausschusses gemäß § 10 Absatz 2 des Gesetzes zur Behandlung von Vorschlägen, Bitten und Beschwerden der Bürger sowie über den Bürgerbeauftragten des Landes MecklenburgVorpommern, Drucksache 4/170.

Beschlussempfehlung und Bericht des Petitionsausschusses gemäß § 10 Absatz 2 des Gesetzes zur Behandlung von Vorschlägen, Bitten und Beschwerden der Bürger sowie über den Bürgerbeauftragten des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Petitions- und Bürgerbeauftragtengesetz – PetBüG M-V) – Drucksache 4/170 –

Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht.

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache nicht vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Der Petitionsausschuss empfiehlt, die in der Sammelübersicht aufgeführten Petitionen entsprechend den Empfehlungen des Petitionsausschusses abzuschließen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Danke. Damit ist die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 4/170 mit den Stimmen der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion der PDS bei einer Stimmenthaltung der Fraktion der PDS angenommen.

Meine Damen und Herren, wir treten nun in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 13.00 Uhr fortgesetzt. Ich unterbreche die Sitzung.

Unterbrechung: 11.44 Uhr

Wiederbeginn: 13.00 Uhr

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrages der Finanzministerin – Entlastung der Landesregierung für das Haushaltsjahr 2001 – Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensübersicht des Landes, Drucksache 4/124.

Antrag der Finanzministerin: Entlastung der Landesregierung für das Haushaltsjahr 2001 – Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensübersicht des Landes – – Drucksache 4/124 –